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Nummer 87
Fernruf 479
Freitag den 12. April 1935
Fernruf 479
70. Jahrgang
Die Konferenz in Stresa
Der Beginn der Besprechungen
Stresa, 11. April. Mit dem fahrplanmäßigen Pariser Nacht- jchnellzug ist am Donnerstag morgen um 8.30 Uhr die englische Abordnung für Stresa, an ihrer Spitze Ministerpräsident Macdonald und Außenminister Simon, begleitet vom Unterstnats- sekretär Vansittart und dem italienischen Botschafter in London, Grandi, hier eingetroffen. Mussolini war zum Empfang der englischen Staatsmänner am Bahnhof erschienen. Als der Zug sich näherte, erklang die englische Nationalhymne. Nachdem Mic- donald den Zug verlassen hatte., schritt er gemeinsam mit dem italienischen Regierungschef die aufgestellte Ehrenkompagnie ab und wurde daraufhin von Mussolini an seinen Wagen geleitet, um mit Simon nach dem Hotel zu fahren. Mussolini begab sich in Begleitung von Botschafter Grandi sofort zur Jsola Bella.
Um 10.30 Uhr verließen die Ministerpräsidenten und Außenminister Englands und Frankreichs ihr Hotel, um sich mit ihrer Begleitung im Motorboot nach der Jsola Bella zu begeben, wo die vereinbarte erste Fühlungnahme zwischen den Staatsmännern der in Stresa vertretenen drei Mächte stattfindet.
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Die Delegierten in Stresa besuchen das Grab Cadornas
Stresa, 11. April. Die drei Delegationen veranstalteten nach dem Frühstück, das Mussolini auf der Jsola Bella gab, eine Bootsfahrt nach Pallanza zum Mausoleum des Oberbefehlshabers der Jsonzofront, Cadorna. Die Tatsache, daß ausgerechnet dieses Ziel für den geplanten Ausflug gewählt wurde, wird hier allgemein als Demonstration der einstigen drei Alliierten ausgelegt. Der internationalen Presse wurde ein besonderer Dampfer zur Ueberfahrt nach Pallanza zur Verfügung gestellt.
Die Mitglieder der englischen und französischen Delegation fuhren in Schnellbooten zu dem gegenüber von Stresa gelegenen Ort Pallanza, wo die Ministerpräsidenten Englands und Frankreichs am Mausoleum des italienischen Generals Cadorna Kränze niederlegten. In großer Anzahl waren Carabi- nieri und andere militärische Formationen zur Begrüßung der fremden Gäste aufmarschiert. Durch das Spalier einer Valilla- Formation mit aufgepflanzten Bajonetten schritten Macdonald und Flandin mit ihrer Begleitung zu dem Denkmal des italienischen Feldherrn im Weltkriegs. Entgegen allen Erwartungen war Mussolini selber nicht erschienen. Von der italienischen Delegation bemerkte man seinen Kabinettschef Baron Aloisi und den Unterstaatssekretär Suvich. Unter dem Kreuzfeuer der Photographen und Kino-Operateure legten die fremden Staatsmänner die Kränze nieder und kehrten sodann nach einigen Minuten wieder zum Boot zurück. Während ihres Aufenthaltes an Land wurde abwechselnd die französische und englische Nationalhymne gespielt. Nach ihrer Rückkehr auf Jsola Bella wurden sodann die unterbrochenen Besprechungen wieder ausgenommen.
Die Kokklave von Stresa
Stresa, 11. April. Die Weltpresse hat etwa 380 Vertreter nach Stresa entsandt, die nichts zu tun haben, es sei denn, daß sie sich in der Bewunderung der umfangreichen polizeilichen Schutzmaßnahmen ergehen, dank der die Konferenz von der Außenwelt hermetisch abgesperrt ist. Weder die englische noch die französische Delegation ist bisher mit den Vertretern der Presse ihrer Länder irgendwie in Berührung gekommen. Die Jsola Bella ist von einem Kranz von Polizeibooten umgeben. Ueber dem See kreuzen ständig Flugzeuge. In Ermangelung tatsächlicher Nachrichten steht noch der bekannte Artikel des Popolo d'Jtalia im Mittelpunkt des Interesses. Noch nicht einmal über die voraussichtliche Dauer der Zusammenkunft ist irgendwelche Klarheit zu erhalten.
SranzWche Begleitmusik für stresa
Paris, 11. April. Der Beginn der englisch-französisch-italienischen Besprechungen in Stresa steht im Mittelpunkt des politi- Uen Interesses der Donnerstag-Abendblätter. Paris Midi ist schon in den Ueberschriften ganz auf die Frage abgestellt, ob die Konferenz von Stresa unter Hinzuziehung Deutschlands, Polens und Sowjetrußlands doch zu einer europäischen Konfe- renz erweitert wird. Den Anlaß bietet natürlich der aus der Feder Mussolinis stammende Artikel im Popolo d'Jtalia.
Hen in der nächsten Zeit unvermeidlich machen würde. Das solle aber nicht heißen, daß Stresa den ewigen Frieden sicherstellen werde. Dieser Friede hänge vor allem von jemanden ab. der nicht in Streja anwesend sei. Wenn nicht der Krieg und auch nicht der Friede, was also werde in Stresa herauskommen? Darauf könne man antworten, daß ein Communiqus herauskommen werde, das Sen kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen den drei Länder» darstelle» werde und, wenn nicht Unvorhergesehenes eintrefse, nur allgemeiner und beratender Art sein könne. Man muß noch berücksichtigen, heißt es weiter, daß manche grundlegende Frage von Stresa die drei Abwesenden, nämlich Deutschland, Rußland und Polen angeht. Im Schachspiel des Ostens ist alles noch im Fluß. Um ein- für allemal die Phantasien des sensationslüsternen Journalismus zu zerstreuen, muß erklärt werden, daß kein geheimnisvoller „italienischer Plan" besteht. Es ist also grotesk. Schlußfolgerungen auf nicht bestehenden Grundlage» auszubauen. Der italienische Plan, der alle Italiener angeht und den alle Italiener kennen müssen, ist folgender: Bis zur Klärung des Horizonts Aufrechterhaltung einer ständigen Streitmacht von 600 000 Mann, Ausrüstung dieser Streitmacht mit den modernsten Waffen, Beschleunigung der Luft- und Seerüstungen. Dieser „Plan" ist als unerläßlich für die Garantie des Friedens in Europa und vor allem zur Sicherung des Friedens Italiens. Die „Erkundungen", die Italien in den letzten Tagen eingezogen hat, haben zu diesem Schluß geführt.
Starker Eindruck des „Popolo' -Artikels
Stresa, 11. Avril. Während auf der Jsola Bella die Verhandlungen zwischen den drei Westmächten im Gange sind, steht die in Stresa versammelte internationale Weltpresse unter dem Eindruck des überraschenden Artikels im „Popolo d'Jtalia", der allgemein Mussolini zugeschrieben wird. Man schließt daraus, daß die Italiener es durchaus für möglich und sogar wahrschein- ° lich halten, daß die Konferenz ohne wirkliche Entscheidungen abschließt. Jedenfalls scheint Mussolini die Weltöffentlichkeit schon heute auf diesen Ausgang vorbereiten zu wollen. Er will damit offenbar sonst unausbleiblichen Enttäuschungen Vorbeugen. Wenn der Duce sich jetzt schon damit zufrieden erklärt, wenn es gelingt, ein Mindestmaß der Uebereinstimmung zwischen den drei Großmächten zu erreichen, so müssen — das wird hier allgemein gefolgert — die Gegensätze zwischen den drei Staaten noch außerordentlich groß und schwerwiegend sein. Sehr viel wird hier vermerkt, daß der „Popolo d'Jtalia" es für notwendig gefunden hat, ausdrücklich zu betonen, die Konferenz von Stresa werde nicht zum Kriege führen, noch den Krieg unvermeidlich machen.
„Miaveen im neuen Stil"
„Times" über das neue französisch-sowjetrufsische Abkommen
London, 11. April. Unter der Ueberschrift „Alliancen im neuen Stil" sagt „Times" in einem Leitartikel, der Aufbau des kollektiven Verteidigungssystems ohne Deutschland und ohne Großbritannien habe bereits begonnen. Frankreich und Sowjetrußland hätten am Vorabend von Streia vereinbart, «inen Pakt gegenseitigen Beistandes zu unterzeichnen, der sich innerhalb des Rahmens des Völkerbundes halten solle. Tatsächlich handle es sich um den Versuch, die Genehmigung des Völkerbundes für ein Verteidigungsbündnis zu gewinnen. Gleichzeitig seien anscheinend Vorkehrungen getroffen worden, um die Verzögerungen zu vermeiden, die von der ge-
Kurze Tagesübersicht
Aus der Konferenz in Stresa hat der erste Tag eingehende Besprechungen aus Jsola Bella gebracht, die nur durch eine Kranzniederlegung am Grabe Cadornas, des Oberbefehlhabers der Jsonzofront, unterbrochen wurden. Ueber die Aussprache wird strenges Stillschweigen bewahrt.
In Ermangelung von Nachrichten aus den Konferenzzimmern wird einem Artikel des Popolo d'Jtalia, den man Mussolini als Verfasser zujchreibt, größte Beachtung geschenkt. Darin wird betont, dag die Konferenz nur beratender Natur ist.
! Der..italienische Plan" für Stresa
Eine Warnung Mussolinis?
Mailand, 11 April. „Popolo d'Jtalia" bringt einen ofsi onMussolini selbst stammenden Artikel, der erneut ao-n XL " Echtfertigtem Optimismus warnt.
entgegenzutreten, heißt es darin K^ea ö» bestärken, daß von Stresa nick
.. ü usgehe und auch nichts beschlossen werde, was eine!
Dr. Eöbbels besichtigte die Reichsautobahnen bei Frankfurt am Main und Darmstadt.
Die „Times" nennt das französisch-fowfetrussische Abkommen „Alliancen im neuen Stil".
In China wurde die Provinz Kanton von schweren Uebersck wcmmungen heimgesucht, die zahlreiche Opfer for» irrten.
wohnlichen Prozedur des Völkerbundsrates untrennbar sind. Genaue Einzelheiten des neuen Vertrages seien noch nicht bekannt, und er werde tatsächlich vor Lavals Besuch in Moskau nicht unterzeichnet werden.
„Times" geht dann zu einer Erörterung des französisch-sowjetrussischen Planes über und beschäftigt sich in diesem Zusammenhang mit den Artikeln 10, 18, 16 und 17 der Völkerbundssatzung. Das Blatt schreibt: „Frankreich und Sowjetrußland wollen also einen Streit dem Völkerbund unterbreiten, aber wenn der Völkerbund keine Einstimmigkeit erzielt, dann werden sie die Regelung in ihre eigenen Hände nehmen. Der offenbare Nachteil dieser neuen Vorschläge ist. daß sie die Neigung zeigen müssen. Europa in gesonderte feindliche Lager zu teilen. Zweifellos wird allen Ländern die Teilnahme freigestellt werden, aber es ist anzunehmen, daß Deutschland und Polen dieselben Einwendungen gegen diese neue Form von Pakten erheben würden, wie gegen den ursprünglichen östlichen Sicherheitspakt. Der katastrophale verschwenderische und zerrüttende Rüstungswettbewerb, der bereits begonnen hat, muß nahezu unvermeidlicherweise verschärft werden. Auf der anderen Seite ist das einzig wirksame Abschreckungsmittel gegen einen etwaigen Friedensbrecher die Gewißheit, sich einer gewaltigen Ansammlung von Kräften gegenüberzusehen. Das beste, was zu hoffen ist, daß durch diese Methode ein unbehaglicher Frieden so lange aufrecht erhalten werden kann, bis diese Methoden unter günstigeren Umständen einem vollkommenen Friedenssystem Platz machen, das keine Unterschiede zuläßt, die sich auf den letzten Krieg gründen und das künftige Kriege überflüssig macht, indem es Aenderungen ohne Gewaltanwendung möglich macht. Das ist das Ziel, für das ein wirklicher Völkerbund eintreten müsse."
Ser Angriff aus die GMMWer
Diesmal der holländische Gulden
Der Sturz des Belga, der schließlich zur Abwertung der belgischen Währung um 28 Prozent führte, ist in seinen Ursachen noch in einiges Dunkel gehüllt. Die belgische Negierung scheint aber Anhaltspunkte dafür zu haben, das; sehr merkwürdige Manipulationen unternommen wurden, um die Währung zu erschüttern, denn sonst hätte sie nicht im Zuge der eingeleiteten Untersuchung bei einigen Großbanken Haussuchungen angeordnet.
Aber kaum ist die belgische Währungsaffäre durch die Devalvation vorläufig abgeschlossen, so setzt der Angriff an den internationalen Börsen an einer anderen Stelle an. Diesmal ist der holländische Gulden das Ziel der Baissespekulation. Von welcher Steile die Aktion ausgeht, ist nicht deutlich erkennbar. In Amsterdam nimmt man aber an, daß die Baissespekulation gegen die Eoldvaluten in London ihren Sitz hat. Diese Vermutung hat schon deshalb etwas für sich, weil das Geld in London außerordentlich billig ist, dort also am bequemsten für große spekulative Manöver zur Verfügung steht Außerdem ist es ja kein Geheimnis, daß die Eoldblockländc, sich in einem natürlichen Gegensatz zu der noch ungeklärten Währungssituation Englands befinden, daß sie wiederholt über eine Verstärkung ihrer gemeinsamen Front gegenüber dem Pfund beraten haben und daß man also auch auf englischer Seite einen gewissen Gegensatz zu ihrer Währungspolitik empfindet, der jetzt in den Vaisseangriffen seinen Ausdruck findet.
Die Niederländische Bank hat sich dem Angriff auf den Gulden bisher mit außerordentlicher Entschlossenheit widrr- fetzt. Sie hat nicht gezögert, Abgaben aus ihrem Goldschatz vorzunehmen, um den Kurs zu halten, ohne daß ihr das allerdings vollkommen gelungen wäre. Vom 1. bis zum 6. April fiel der holländische Gulden in Paris von 1023,50 auf 1012,25. Die Eoldabgaben der Niederländischen Bank in den vierzehn Tagen bis zum 8. April machen rund 140 Millionen Gulden aus, das sind beinahe 17 Prozent des Edelmetallvorrats. Allein 105 Millionen Gulden davon entfallen auf die letzten acht Tage.
Die Niederländische Bank ist aber bereits am 4. April dazu übergegangen, der Spekulation durch ein Anziehen der Diskontschraube das Geschäft zu verleiden. Sie erhöhte den Banksatz von damals 2 auf 3,5 Prozent Mit dem Erfolg, daß vom 6 April an der Kurs des Guldens sich langsam wieder besserte und am 8. April wieder lss22,75 erreichte. Der erneut auf ihn ansetzende Angriff hat aber nun zu einer neuen Diskontmaßnahme geführt. Der Satz ist auf 4,5 Prozent erhöht worden und liegt damit wesentlich über dem der für den internationalen Geldmarkt in Betracht kommenden Ländern. England berechnet 2 Prozent, Frankreich 2,5 Prozent, die Schweiz 2 Prozent, USA. 1,5 Prozent. Auch Deutschland liegt mit einem Bankdiskont von 4 Prozent noch unter dem jetzigen holländischen. Eine Wirkung ist unverkennbar, wenn die Baissespekulation sich auch offenbar nicht vollkommen als geschlagen betrachtet. Daß der Druck auf den Gulden noch fortbesteht, ist auch daran erkennbar, daß das Pfund Sterling ihm gegenüber noch immer gewinnt. In Holland selbst ist man von der notwendig gewordenen Maßnahme der Diskonterhöhung erklärlicherweise wenig, erbaut. Durch sie werden auch der