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Nummer 283 Fernruf 479 Mittwoch den 5. Dezember 1934 Fernruf 479 69. Jahrgang
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Zum Rücktritt
des Memeldirektoriums
Unerwartet und in gewisser Hinsicht auch überraschend ist das Memeldirektorium Reisgys zurückgetreten. Angesichts der fortgesetzten Gewaltherrschaft, die gerade mit dem Namen Reisgys aufs engste verbunden ist, bedeutet sein Rücktritt zum mindesten das Ende einer Periode, an die die Bewohner des Memellandes mit Schrecken zurückdenken. Ob mit diesem Schritt auch eine Wendung der litauischen Politik verbunden ist, kann man im Augenblick noch nicht übersehen, ebensowenig wie bislang die Hintergründe erkennbar sind, die zu diesem überraschenden Ereignis geführt haben.
Ueberblickt man die allgemeine politische Situation, stößt man bald aus zwei Linien, in deren Schnittpunkt der Rücktritt des Direktoriums steht. Die erste ist innenpolitischer Art. So sehr auch die Eesamtpolitik des litauischen Kabinetts auf eine Litauisierung des Memellandes abgestellt war, bestanden doch in Kowno Meinungsverschiedenheiten über das Tempo und die Art, mit der Reisgys vorging. Es ist deshalb durchaus denkbar, daß man in Kowno Neis- gys zu opfern bereit war, als sich zu der inneren Schwierigkeit die äußere gesellte, die durch das Eingreifen der Signatarmächte des Memelstatuts entstanden war.
Vor etwa zwei Monaten haben drei der vier Signatarmächte desMemelstatuts, nämlich England, Frankreich und Italien, einen Ausschuß von juristischen Sachverständigen einberufen mit dem Auftrag, die zahlreichen memelländischen Beschwerden über Verletzungen des Memelstatuts zu prüfen. Daß sich die vierte Signatarmacht, Japan, diesem Vorgehen nicht anschloß, findet wahrscheinlich seinen Grund darin, daß Japan aus begreiflichen Erwägungen heraus es ablehnt, sich an irgend welchen europäischen Entscheidungen zu beteiligen. Nach etwa zweimonatiger- Dbeit hat nun dieser Juristenausschuß ein Eut- achte Ngl.Irgelegt, in dem eine Reihe von schwerwiegenden Ver. ngen des Memelstatuts und zwar vor allem bei den grundsätzlichen Bestimmungen festgestellt worden ist. Es liegt auf der Hand, daß dieser Schritt der Signatarmächte die Regierung in Kowno außerordentlich peinlich berührt haben muß, und daß sie die erste sich bietende Gelegenheit benutzte, Herrn Reisgys die Rolle des Sündenbocks spielen zu lassen, um durch die Beseitigung des Hauptschuldigen die Signatarmächte vor weiteren Schritten abzuhalten.
Es fragt sich allerdings, ob die litauische Regierung es beim Personenwechsel bewenden lassen will. Tatsache ist doch, daß die Memelautonomie vor allem durch die Tätigkeit des Herrn Reisgys Stück für Stück ausgehöhlt worden ist, sodaß sich das Land heute faktisch im Stadium der Rechtlosigkeit befindet. Es sei darauf verwiesen, daß die memelländische Autonomie verfassungsmäßig auf das Landesdirektorium und den Landtag abgestellt ist. Aber der Landtag wurde kaltgestellt, das Direktorium großlitauisch besetzt. Neisgys benutzte die Regierungsgewalt dazu, im litauischen Sinne reinen Tisch zu machen. Etwa 500 Angestellte der memelländischen Verwaltung wurden sofort entlassen oder gekündigt, ihre Stellen wurden durch Litauer besetzt. Auch in die Justizverwaltung und in die kommunale Selbstverwaltung griff er ein. Ja sogar die deutsche Sprache wurde unterdrückt, indem die litauische Postverwaltung forderte, daß Ortsnamen und Anschriften auf Postsendungen nur in litauischer Sprache geschrieben sein dürften. Willkürliche Verhaftungen haben das Maß der Uebergriffe gefüllt.
Es wird nun davon abhängen, ob die Regierung in Kowno einsichtig genug ist, den bisherigen Kurs nicht fortzusetzen, oder ob sie glaubt, lediglich durch seinen Personenwechsel das drohende Eingreifen der Signatarmächte vermeiden zu können. Wenn bereits aus Kowno Namen gemeldet werden, deren Träger durch ihre politische Betätigung als Anhänger der großlitauischen Politik bekannt sind, wurde dies den Schluß gestatten, daß die Kownoer Regierung zunächst nur darauf bedacht ist, die außenpolitischen Lchwreri Zeiten M überwinden. Umsomehr liegt für uns ^lmatz v r, die Wiedergutmachung allen Unrechts zu verengen, was an den Deutschen des Memellandes in der ^ergangk^hert begangen worden lst. Gerade hier sind wir in
Sr. Syrup
Mr Arbeit inid Arbeitslosigkeit
4- Dez. In einer Mitgliederversammlung des Verbands nn» r! Industrieller in Köln sprach der Präsident der Reichs- ngau >ur Arbeitslosenversicherung, Dr.
„Arbeit und Arbeitslosigkeit im neuen Deutsch- ans . Seit der Uebernahme der Staatsgewalt durch Adolf Hit- r jeien. so jaate er, in der Arbeitsschlacht große Erfolge erzielt , ^ Arbeiter und Angestellten, die in der
deutschen Mrtzchaft beschäftigt würden, sei von 11,5 auf 15.3 Millionen gestiegen, während die Zahl der Arbeitslosen fast auf
kagesspiegel.
Das im Mememlland zurückgetretene litauische Direktorium Reisgys hat noch einen Gewaltstreich angeordnet: die Entdeutschung der Schulen.
Die römischen Vereinbarungen zur Saarfrage haben eine unverkennbare Entspannung der politischen Lage nach sich gezogen.
*
Nach einer Verlautbarung aus der Neichsjugendführung stehen nun sechs Millionen in der Hitlerjugend. Die Eingliederung der Schüler der katholischen Schule in St. Blästen wurde vom Reichsjugendführer durch ein Telegramm begrüßt.
Die in Rußland im Zusammenhang mit dem Mord in Kowno verhafteten 71 Personen werden als "Weißgardisten" bezeichnet und des Terrors gegen Amtsträger des Sowjetregimes beschuldigt.
Am Mittwoch wird der Völkerbundsrat sich mit der Saarfrage beschäftigen auf Grund des Berichtes des Dreieraus- schusses.
2,25 Millionen gesunken sei. Hochburgen der Arbeitslosigkeit seien auch jetzt noch die Großstädte und Industriegebiete. Von den 2 282 080 Arbeitslosen entfielen am 1. Oktober allein 1236 888 auf die Großstädte mit mehr als 186 888 Einwohnern. Staatsnotwendigkeiten und erkennbare Entwicklungstendenzen der deutschen Wirtschaft sprechen für Gliederungsveränderungen, die natürlich nur langsam vorgenommen werden könnten. Die Reichsregierung habe dem Präsidenten der Reichsanstalt weitreichende Ermächtigungen gegeben, in dieser Richtung auf dem Arbeitsgebiet der Reichsanstalt mitzuarbeiten. Die Z u- zugssperre für Bezirke mit besonders hoher Arbeitslosigkeit sei bisher für Berlin, Hamburg und Bremen durchgeführt. Es sei nicht angängig, das Reichsgebiet mit zahlreichen Sperrmauern zu durchziehen: denn dadurch würde die Bewegungsfreiheit der Arbeiter und Angestellten in starkem Umfange eingeschränkt und die eigene Initiative der Tüchtigsten gehemmt. Die Landwirtschaft bemühe sich unter Opfern, ihre Arbeiter auch während des Winters zu behalten und Jahresverträge abzuschließen. Diese Entwicklung dürfe nicht durch industrielle Anwerbung gestört werden. Die Reichsanstalt habe infolgedessen durch gesetzliche Anordnungen die Einstellung landwirtschaftlicher Arbeitskräfte für eine Reihe industrieller Betriebe gehemmt, die erfahrungsgemäß gern solche Arbeiter vom Lande aufzunehmen pflegten. Durch die Landhilfe habe sie daneben rund 158 886 junge Leute aus den Städten und Industriegebieten in Bauernwirtschaften übergeführt. Diesem Ziele diene auch derArbeits- platzaustausch Jeder Unternehmer müsse sich klar darüber werden, ob der altersmäßige Aufbau seiner Gefolgschaft richtig sei und ob er nicht an Stelle einer Ueberzahl an jugendlichen Arbeitern ältere Familienväter unter Inanspruchnahme der geldlichen Zuschüsse der Reichsanstalt einstellen könne. Allerdings könne der Arbeitsplatzaustausch nicht planlos vorgenommen werden: denn es müsse durch das Arbeitsamt sichergestellt sein, daß die jungen Arbeitskräfte in der Landwirtschaft oder im Arbeitsdienst Aufnahme finden. Arbeitslos dürfen sie nicht werden. Der Arbeitsplatzaustausch sei keine Angelegenheit von heute auf morgen, sondern werde planmäßig durchgeführt werden. Dr. Syrup kündigte weiter an, daß die Reichsanstalt für die Betriebe der Textilindustrie zum Ausgleich von Kurzarbeit infolge Rohstoffmangels eine wesentlich verstärkte Kurzarbeiterunterstützung einführen werde, und daß auch beabsichtigt sei, in besonderen Fällen die Herstellung von Rohstoffen, die an die Stelle des Auslandsbezugs treten, finanziell zu erleichtern. Während sich früher die Arbeitslosenhilfe auf die Gewährung geldlicher Unterstützung der Arbeitslosen beschränkt habe, sei jetzt der Wille der Reichsregierung in starkem Maße darauf gerichtet, dem arbeitslosen Volksgenossen Arbeit und damit selbstverdientes Brot zu geben. Bei günstiger Entwicklung des Beschäftigungsgrades und weiterem Rückgang der Arbeitslosigkeit werde die Reichsanstalt in absehbarer Zeit in der Lage sein, überwiegend ihre Mittel dafür einzusetzen, den arbeitswilligen und arbeitsfähigen Arbeitslosen Arbeit zu geben und so das Recht auf Arbeit so weit als möglich in di- Praxis umzusetzen.
Ein Husarenstreich
Mackensens
Eeneralfeldmarschall von Mackensen feiert am 6. Dezember d. I. seinen 85. Geburtstag. Wir bringen aus diesem Anlaß aus seiner eigenen Feder folgende Darstellung seines Einzuges in Bukarest,' die Schilderung ist mit Genehmigung des Verlages I. F. Lehmann, München, dem prachtvollen Werke: „Im Felde unbesiegt" (zwei Bde., Lwd., je 4.60 RM.) entnommen.
Die Frage, wird Bukarest von den Rumänen verteidigt werden, beherrschte alle Erwägungen. Gerüchte gingen um, LS lei Nicht armiert, __
Als junger Eeneralstabsoffizier hatte ich in der Zeit, als König Carol nach den Plänen des Erbauers von Antwerpen, des Generals Brialmont, Bukarest zu einer Gürtelfestung auszugestalten begann, die Balkanstaaten zu bearbeiten gehabt und wußte daher, daß die Westfront, auf welche die Straße von Alexandria führte und auf der wir uns der Stadt näherten, der schwächere Abschnitt des Frontgürtels war.
Unmöglich war es nicht, daß die Rumänen geneigt sein könnten, ihre Landeshauptstadt nicht dem Geschick einer Be- rennung und eines Kampfes preiszugeben; aber ein Trup- penfllhrer soll niemals das ihm Willkommene vom Feinde erwarten. Die Spannung, im Grunde auf einen harten Kampf gestimmt, wuchs daher, je näher wir Bukarest kamen.
Am Morgen des 6. Dezember meldete der Tags vorher dahin entsandte Parlamentär, daß er westlich Bukarest von rumänischen Truppen angenommen und unter den üblichen Formen nach langer Fahrt auch zu einem höheren Stabe gebracht, aber hier die Annahme des an den Kommandanten von Bukarest gerichteten Schreibens verweigert worden sei. Bukarest sei keine Festung und habe keinen Kommandanten.
Das klang nach Räumung, entspannte aber die Lage nicht. Es hieß selbst sehen.
Ich begab mich zur Avantgarde. Diese hatte die schon in Galizien und Serbien mir als besonders kriegstüchtig bekanntgewordene und bei der Eroberung von Przemysl bewährte bayerische 11. Division des Generals von Kneußl inne. In ihrer Vorhut fand ich das ihr zugeteilte, von mir gleichfalls sehr geschätzte Deutsch-Ordens-Jnfanterieregiment Nr. 152. Das Regiment war gerade im Begriff, mit Patrouillen an die Frontlinie heranzufühlen. Kein Schuß war bis dahin gefallen, weder aus den von Baumbeständen verdeckten, nur mit einzelnen Stellen ihres hohen Aufzuges erkennbaren, Nächstliegenden Forts- und Zwischenwerken, noch aus dem Eehölzstreifen, welche Ring-Chaussee und Eisenbahn und das Hinterland der Sicht entzogen. '
Sollte Bukarest uns wirklich ohne neue Vlutopfer ausgeliefert werden?! — Der Augenschein spricht mit jeder Minute mehr dafür.
Wir verfolgen die Patrouillen von den Häusern des Dorfes Bragadiro aus, schließlich kaum 2 Kilometer von der Frontlinie entfernt. — Die Patrouillen verschwinden in den Gehölzen des Fortgürtels! — Wir rüsten uns, ihnen Zu folgen. — Da erscheint ein Deutsch-Ordens-Musketier, die Mütze schwenkend neben dem leeren Flaggenmast des Forrs links der Straße! „Vorwärts Kraftfahrer!" heißt es und in schnellster Fahrt er "ichen wir die Ringstraße. Wir biegen auf dieser nach d-.-u Fort links ein. — Nichts von Armierung, nichts von Verteidigung! Die Panzertürme ohne Geschütze! Eine Festung Bukarest ist also nicht zu stürmen. Und die Stadt? Wer den Fortgürtel preisgibt, wird es auch nicht zum Kampf um die offene Stadt kommen lassen. Das Herz jubelt vor Erleichterung und Dankbarkeit. Also:, „Zurück zur Alexandriastraße und vorwärts nach Bukarest!"
Die Avantgarden-Schwadron — bayerische Chevaulegers — trabt gerade in dieser Richtung über die Ringeisenbahn. An ihr vorbei saust der Kraftwagen der rumänischen Hauptstadt zu. Führer entgegenkommender Landfuhrwerke sagen aus, daß rumänische Infanterie und Artillerie in der Nacht, Kavallerie vor zwei Stunden durch Bukarest abgezogen sei. An der schnurgeraden, breiten Straße werden nach und nach die ersten Häuser der Stadt sichtbar. Keine Kugel pfeift. Die Stadt scheint in der Tat nicht besetzt! Kaum gedacht, sind wir auch schon am Eingang der Vorstadt! Hier und da stehen Menschen vor den niedrigen Häusern. Sie scheinen teilnahmslos. '
Am Ende der breiten Vorortsstraße sehen wir einen Reiter. Sollte noch Kavallerie im Ort sein? Aber die Silhouette des Reiters sieht nicht aus wie ein Soldat in Feldausrüstung. Wir bleiben in voller Fahrt. Der Reiter kommt uns entgegen. Es ist ein Schutzmann. Er pariert sein Pferd und meldet, daß er beauftragt sei, den deutschen Soldaten den Weg — zur Bürgermeisterei zu zeigen. Wie höflich, wie umsichtig und vorbedacht! Sicherlich sitzt ein Kenner deutscher Ordnung und Sitte im Vukarester Stadtregiment.
Dann geht die eigenartige Fahrt weiter. Aber wie wird sich der Janhagel der Großstadt dazu verhalten? Er neigt M Ausschreitungen und der Vukarester zum Chauvinismus. Wir achten solcher Gedanken nicht ru^d treffen da, wo unsere Einfahrtsstraße die eigentliche Stadt erreicht und sich teilt, auf die Straßenbahn. Ihr folgen wir. Sie ist im Betrieb und gut besetzt. Je tiefer wir längs ihrer Gleise in die Stadt eindringen, um so mehr wächst das Bild großstädtischen, friedlichen Lebens und Treibens. Offene Läden» gefüllte Kaffeehäuser! Wir werden gegrüßt. Kleidsam uniformierte Schutzleute regeln in tadelloser Haltung den Verkehr. In Berlin kann es nicht geordneter zugehen. — Vereinzelt ertönen Hurras und deutsche Zurufe. Ja, befinden wir uns denn nicht inmitten der Bevölkerung einer feindlichen Hauptstadt? Ist es ein Traum, der uns verblendet? Sahen wir nicht noch vor wenigen Stunden schweren Kämpfen entgegen? Und jetzt? — Statt feindlicher Kugeln trifft uns — eine Blume! Am Justizpalast vorbei find wir über die Dambowitza nach der Ealea Viktoria gelangt, die des