Die polnische Regierung ist „unschuldig"
Berlin, 2. Mai. Im Auswärtigen Amt ist man überzeugt, daß die polnische Regierung nicht hinter den tückischen Plänen stehen könne. Es sei aber denkbar, daß polnische Hitzköpfe solche Ueberfallspläne verfolgen. Die Reichsregierung werde die Entwicklung der Dinge mit größter Wachsamkeit verfolgen und gegebenenfalls alle ihr zu Gebot stehenden Mittel anwenden, um einem derartigen Handstreich aufs" schärfste entgegenzutreten.
Fijrstenrvalder Reichswehr-Prozeß
Leipzig, 2. Mai. In dem Hochoerratsprozeß gegen elf K mimuntsten aus Fürstenwalde und Berlin und den Ober- grsreiten Meier wegen Zersetzungsarbeit im Reiter- Regiment 9, Aufreizung gegen die Offiziere usw. durch persönliche Bearbeitung und Verbreitung einer Druckschrift „Der rote Reiter" unter den Mannschaften beantragte Oberstaatsanwalt Dr. Eichler unter Hinweis auf den hohen Grad der Staatsgefährlichkeit dieser Umtriebe folgende Strafen gegen die Angeklagten: Trost, Schütze und Schulisch je 2 Jahre 9 Monate Festungshaft, Markwitz und Slusarek je 2 Jahre Festungshaft, Borch und Braun je 1 Jahr 9 Mon. Festungshaft, Hutler 3 Jahre Festungshaft, Engw-icht zwei Monare 2 Wochen Gefängnis, Schulz, der ein Zersetzungsleiter sei, 3 Jahre Zuchthaus, und gegen den Obergefreiten Meier 2 Jahre 6 Monate Gefängnis. Gegen den Angeklagten Welk wurde Freisprechung beantragt.
Phantasien der Bayerischen Volkspartei- Korrespondenz
München. 2. Mai. Unter dem Titel „Was geht in Berlin vor" schreibt die Bayerische Volkspartei-Korrespondenz im „Bayerischen Kurier": „Die Gerüchte von einem Sammelangriff ans die Stellung der Regierung Brüning verdichten sich. Die heutige aufsehenerregende Meldung der „Münchener Telegramm-Zeitung", daß die Generale S ch l e icher und Hammer st ein eifrigst den Sturz des Reichsinnen- und Reichswehrministers Gröner betreiben sollen, deckt sich mit unseren durchaus zuverlässigen Berliner Erkundigungen. Das Spiel der politischen Generale, hinter dem leider auch wieder einmal Persönlichkeiten der nächsten Umgebung des Reichspräsidenten, wie Staatssekretär Meißner, zu stecken scheinen, geht in seiner Planmäßigkeit welk über den Sturz Gröners, mit dessen SA.-Politik man unzufrieden ist. hinaus. Unter Hinweis auf den Ausgang der Preußenwahlen verlangt man in den genannten Kreisen ein« radikale Ambildung der Reichsregierung an Haupt und Gliedern. General Schleicher selbst ist der Reichskanzlerkandidat dieses Kamarilla-Spiels, dessen bisherige schon recht eigenartige Beziehungen zu Hitler, Roehm usw. nutzbar gemacht werden sollen, und zwar durch Hereinnahme nationalsozialistischer Persönlichkeiten in das neue Militärkabinett. Diese Pläne, die in der Wilhelmstraße spielen, muten zwar äußerst bolivianisch an. Daß sie von sehr ernstzunehmenden Leuten besprochen werden, zeigt eine Geistesverfassung auf, die erschrecken muß. Bedeutet doch das Ganze nichts anderes als vollkommene Verfälschung des politischen Sinns und Zwecks der ganzen Hindenburgwahl."
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In Berliner politischen Kreisen ist man, wie ERB. erfahrt, der Ansicht, daß es sich hier um Phantasien handelt. Staatssekretär Meißner erklärt, daß er mit diesen angeblichen oder ähnlichen Vorgängen in keinerlei Zusammenhang stehe. Von zuständiger Stelle wird weiter mitgeteilt, daß auch General Freiherr von Hammerstein, der sich übrigens zurzeit auf einer längeren Inspektionsreise befindet, und General von Schleicher diesen Erzählungen vollständig fernstehen.
Die Wahlen in Frankreich ^
Paris, 2. Mai. Bei den gestrigen ersten Kammevwghlen, bei denen 611 Abgeordnetenmandate zur Wahl standen, wurden 244 Abgeordnete gewählt. Die Verteilung ist folgende: Rechtsstehende 3 (Gewinn 0, Verlust 1s, Marin- Maginot-Gruppen 72 (Gewinn 6, Verlust 8), Linksrepublikaner 33 (Gewinn 2, Verlust 10), Rechtsradikale 23 (Gewinn "4, Verlust 1), Radikale 60 (Gewinn 4, Verlust 0), Sozialrepublikaner 17 (Gewinn 2, Verlust 1), Sozialisten 40 (Gewinn 3, Verlust 2), Kommunisten 2 (Gewinn 1, Verlust 1). Stichwahlen am 8. Mai sind 198 erforderlich. j ^ -Tardieu ist in Belfort, Herriot in Lyon wiedergewählt. H ^ Die Zahl der Wahlberechtigten betrug rund 11500 000, d. h. ein schwaches Drittel der Gesamtbevölkerung, da das neue Gesetz des Frauenstimmrechts erst bei der nächsten Hauptwahl in Kraft tritt.
Die Blätter stellen fest, daß ein ausgesprochener Rutsch
mach links eingetreten sei, der sich durch die Nachtüählefl noch verstärken werde. Die Fraktion Tardieu (Linksrepu- blikaner) hat den stärksten Mißerfolg zu verzeichnen, auch die Radikalen rechts und links haben starke Verluste.
1. Unter der Bezeichnung „Rechtsstehende" sind zu 'verstehen: die Reaktionären, die Royalisten und die Bonapartisten. 2. Alsdann folgt zusammengenommen die besonders deutschfeindliche Partei Marin und die Partei Maginot, zu welcher Gruppe auch die katholischen Demokraten hinzugezählt werden. 3. Unter der Bezeichnung „Linksrepublikaner" ist die Fraktion Tardieu zu verstehen. 4. Unter der Bezeichnung „Rechtsstehende Radikale" sind vereinigt: Die Radikale Linke (ehemalige Fraktion Loucheur), die ebenfalls sehr deutschfeindliche Gruppe Franklin-Buillon und die Gruppe der Unabhängigen Linken. 5. Die „Radikalen" (Herriot). 6. „Sozialrepublikaner", zu. denen auch die rechtsstehenden Sozialisten (Chabrün) gezählt werden. 7. Die Sozialisten. 8. Die Kommunisten.
Aeberfall aus einen japanischen ANlilärlransporl
Chardin, 2. Mai. (Reuter.) Chinesische Freischärler zerstörten gestern einen Teil der Eisenbahnstrecke bei Wukmiho, einer östlichen Abzweigung der Ost-Chinabahn. Sie hielten dadurch einen Militärzug aus, der einen Teil der japanischen Brigade des Generals Murai nach Chardin beförderte. Die Aufständischen griffen plötzlich den Zug an. Es kam zu einem erbitterten 24siündigen Kampf, der mit der „Flucht" der Aufständischen nach Norden endete. 30 Japaner wurden getötet bzw. verletzt.
Buchhändlertagung in Leipzig
Leipzig, 2. Mai. Der Börsenverein der Deutschen Buchhändler hielt gestern hier seine 107. Hauptversammlung ab. Der erste Vorsteher Dr. Friedrich Oldenburg-München wandte sich dagegen, daß man dem Buchhandel eins Prei s- senkung auferlegt habe, die um so mehr ein Opfer bedeuten mußte, als ein wirtschaftlicher Erfolg davon nicht zu erwarten war. Der Gesamtdurchschnittspreis des Buches gegenüber 1913 liege nur um 53 Prozent höher, während der Vuchdruckpreistarif noch nach der Senkung vom Januar um 115 Prozent über Friedenspreis liege. Der Redner verwahrte sich gegen weitere Eingriffe in das wirtschaftliche Gefüge des Buchhandels.
Oberbürgermeister Dr. G ö r d e l e r, der frühere Preissenkungskommissar, erklärte in seiner Ansprache in Beantwortung der Ausführungen Dr. Oldenburgs, daß er sich von der Wichtigkeit und Notwendigkeit fester Ladenpreise im Buchhandel überzeugt habe. Seiner persönlichen Meinung nach müsse im Wirtschaftsleben die F re i- heit der Persönlichkeit sobald als möglich wiederhergestellt werden.
Eine von der Hauptversammlung angenommene Entschließung wendet sich gegen „allzu grob schematische Sparmaßnahmen" der Behörden, die geeignet seien, nicht nur den deutschen Buchhandel, sondern den wichtigsten Kulturwerten überhaupt unwiderbringlichen Schaden zuzufügen.
3n einer zweiten Entschließung beklagt die Hauptversammlung, daß es noch immer nicht gelungen ist, mit der Sowjetregierung ein urheberrechtliches Uebereinkommen zu schließen.
Bei der Vorstandswahl wurde an Stelle von Dr. Gustav Kitpper-Stuttgart, der zum Vorsitzenden des Württs Industrie- und Handelstags berufen ist, Verlagsbuchhändler Herbert H o f f m a n n-Stuttgart neugervählk. Zum Ehrenmitglied des Deutschen Börsenvereins wurde Berlagsbuchhänd- ler Hosrat Dr. Meine r-Leipzig ernannt, der auch Ehrenmitglied des Deutschen Verlagsvereins Leipzig geworden ist. Das Goldene Ehrenzeichen, das im Fahre 1925 bei der Jahrhundertfeier des Börsenvereins geschaffen worden ist, wurde dem Verlagsbuchhcindler Dr. Ruprechk-Got- tingen verliehen. . ^ .
Wrllemberg
Stuttgart. 2. Mai. !
Todessall. Der frühere Justizminister, Staatsminister a. D. Dr. v. Schmidlin, ist am 1. Mai hier im Alter von 84 Jahren gestorben. Er war der Sohn eines Pfarrers und wurde in Wangen OA. Göppingen am 1. September 1847 geboren. Am 3. Dezember 1906 wurde er zum Justizminister als Nachfolger Breitlings ernannt. Am 3. Dezember 1917 legte er sein Amt nieder. Sein Nachfolger wurde dann Mandry, Schmidlin war einer der sog. Königsbuben, der tzteich wie der im vorigen Jahr in Frankfurt a. M. verstorbene Dr. Gantter mit dem letzten König gemeinsamen Unterricht erhielt.
Professor Dr. Adolf Sauer, der frühere Ordinarius für Mineralogie und Geoloaie an der Technischen Hochschule
Mid Vorstand der Württ. Geologisch^ LMdssWMt, ve? seit 1932 im Ruhestand lebt, ist heute im Alter von 79 Jahren gestorben.
Ankerbri gung »»verrvendeter Skaaksdienstanwärkec. Von
zuständiger Seite wird mitgeteilt: Das starke Anschwellen der Zahl der unoerwendelen Staatsdienstanwärter bereitet ernste Sorge. Um die Verwendung weiterer Staatsdienst- nnwürter ohne größere Belastung des Staatshaushalts zu ermöglichen, hat das Staatsministerium genehmigt, daß die Ministerien und die von ihnen ermächtigten Behörden auf einer Stelle mehrere unständige Beamte oder Angestellte mit entsprechend geteilter Arbeitskraft verwenden. Die auf diese Weise verwendeten Beamten und Angestellten erhalten nur den ihrer Inanspruchnahme entsprechenden Teil der Dienstbezüge eines voll verwendeten unständigen Beamten oder Angestellten, also in der Regel die Hälfte. Damit durch solche Verwendung keine trügerischen Hoffnungen für die spätere Berufslaufbwhn eröffnet werden, ist weiter bestimmt worden, daß nicht mehr Anwärter in den Staatsdienst eingestellt werden, als voraussichtlich künftig zu planmäßiger Anstellung gebracht werden können. Die mit geteilter Arbeitskraft eingestellten Anwärter sollen allmählich W voller Verwendung aufrücken.
Verordnung über Nttritpökelsalz. Nach einer Mitteilung des Reichsministeriums des Innern ist die Beobachtung gemacht worden, daß trotz der klaren Bestimmungen der Verordnung über Nitritpökelsalz vom 21. März 1930 hochkonzentrierte nitrithaltige Pökelsalze sowie Natriumnitrit als solches verbotenerweise in den Verkehr gebracht und auch verwendet werden. Es wird darauf hingewiesen, daß nach der genannten Verordnung die Verwendung von Nitritpökelsalz zum Pökeln von Fleisch und Salzen von Fleischwaren einschließlich Wurstwaren zwar gestattet ist, aber mit der Einschränkung, daß als Nitritpökelsalz nur ein maschinell hergestelltes gleichmäßiges Gemisch von Natriumnitrit und Speisesalz gilt, dessen Gehalt an Natriumnitrit höchstens 0,6 und mindestens 0,5 Hundertteile beträgt. Alls anderen Natriumnitrit enthaltenden Gemische oder gar reines Natnumnitrit dürfen für die Gewinnung, Herstellung und Zubereitung von Lebensmitteln nicht hergestellt, angebotsn, feilgehalten, verkauft oder sonst in den Verkehr gebracht werden.
Aüswäriiger Besuch. Gestern besuchte die Saarregierung das Arbeitsamt Eßlingen, um die dortigen Einrichtungen des freiwilligen Arbeitsdienstes kennenzulernen. Die Saarregierung beabsichtigt, den freiwilligen Arbeitsdienst in Anlehnung an die (Hliuger Muster auszubauen.
Der Polizeiberichk über den 1. Mai. Der 1. Mai ist, ab- gesehen von kleineren Kundgebungen, die am Vormittag in Ostheim, Heslach, in der Neckarstraße, der Altstadt und aus dem Schloßplatz versucht, aber durch die Polizei zerstreut wurden, ruhig verlaufen. 29 Festgenommene wurden am Montag dem Schnellrichter vorgesührt.
ep. Rlissionskonferenz. Vom 16.—18. Mai findet in Stuttgart dis Württ. Landesmissionskonferenz statt. Sie wird am Pfingstmontag-Abend mit einem Vortrag von Missionsdirektor Hartenstein-Basel über „Das Evangelium unter den Kostenlosen in Süd-Mahratta" eingeleitet. Am Dienstag ist im Furtbachhaus die Brüdermissionskonferenz mit einem Vortrag von Präsident Pfarrer Burck- hardt-Basel über „Die brennenden Fragen unserer Missionskirchen". Derselbe spricht auch nachmittags in der Vertrauensmännerversammlung zusammen mit M lssions - direktor Hartenstein über „Die Lage der Basler Mission".' Am Mittwoch ist vormittags Predigermissionskonferenz. Nachmittags spricht Bischof I). B a u d e r t - Herrnhut über „Die Eigenart der Brüdermission auf Grund ihrer Geschichte".
ep. Der Bund deutscher Iugendvsreine. Landesverband Württemberg, hält seine Jahrestagung am 7. und 8. Mai in Kirchheim u. T. ab. Am Samstag abend wird im Gemeindehaus- Nachmittags ist auf der Hahnweide oder nach Witterung aus der Hahnweide ein Bundesseuer mit anschließender Aufnahme der Gruppen Hohenstaufen und Nürtingen veranstaltet. Der Sonntag beginnt mit einem Festgottesdicnst und einer öffentlichen Versammlung im Gemiendehaus. Nachmittags ist auf der Hahnweide oder bei schlechtem Wetter in der Turnhalle Singen und Spielen.
AergerNcher Austritt auf dem Sportplatz. Bei dem Fußballspiel um die süddeutsche Meisterschaft zwischen Eintracht- Frankfurt und Bayern-München in Stuttgart, das 2:0 Halbzeit, für Frankfurt abgebrochen werden mußte, wollte ein Teil der Zuschauer die Entscheidung des Schiedsrichters Glöckner-Pirmasens nicht anerkennen, da er einen bayerischen Elfmeter gegen Eintracht nicht bewertete und ein Handspiel des Frankfurters Schüz im Strafraum unge- sübnt ließ. Mit Stöcken und Stühlen gina man vier Mi-
und bei aller Einfachheit der Erfahrung ist sie nicht ohne i Gedanken. Die Göchhausen gängelte sie sonst nicht so zärtlich am Bande ihrer Gönnerschaft."
Dem guten Eindruck Leonores diente sodann ihr Erscheinen bei der Tafel, die Unterhaltung beim Nachtisch, unter deren Munterkeit selbst die Herzogin Louise bis zu einem gewissen Grade aufatmete, zur Befestigung. Mit Fräulein von Göchhausen schien sie immer mehr ein Herz und eine Seele zu werden.
Unter den Erstaunlichkeiten, an denen der heutige Tag so reich für Levnore war, befand sich aber eine, die nicht nur erstaunlich, sondern ihr geradezu unbegreiflich war: Frau von Stein. Die schöne Gestalt dieser Dame und der feine Geschmack, der sich in ihrer Kleidung, Bewegung und Sprache verkündete, so daß die verschiedenen Seiten ihrer Persönlichkeit wie die harmonischen Töne eines Akkordes zusammenschmolzen, das waren aber über jeden Zweifel erhabene Vorzüge. Aus den freundlichen Augen leuchtete ein edles Wohlwollen, und aus jedem Worte eine verständige Auffassung der Dinge und ein unfehlbares Zartgefühl des Urteils. Allein, wenn Leonore daran dachte, daß diese gut erhaltene Dreißigerin in unumschränkter Weise über das Herz jenes Goethe gebieten sollte, von welchem sie in das ' Bündnis der Genialen eingeführt worden war, so mußte sie fürchten, eine ganz falsche Vorstellung von der Liebe zu haben. Denn sie würde ihrem Wolf eine so interessante Frau eher zur Mutter gegeben haben. Die schlechten Menschen — Görz an der Spitze derselben —, die einer zärtlichen Freundschaft den Stempel der Liebe aufzwangen, nur um das Verhältnis so schwarz als möglich verleumden zu können. In dieser innerlichen Rechtfertigung bestand das Ergebnis von Leonores Beobachtungen.
(Fortsetzung folgt).
^Leo/rv/'e /rcroH llleZ/na/'
Ein Goethe-Roman von R. Heller bearbeitet von Th. Scheffer 1930 Uommnclienst „OiZo" Berlin VV 30.
28. Fortsetzung Nachdruck verboten.
„Beide Herzoginnen und Frau von Stein", sagte das Fräulein von Göchhausen, „denen wir uns anzuschließen haben. Schade um Ihr Märchengeheimnis. Sie hätten es meiner treuen Verschwiegenheit ohne Gefahr Mitteilen können."
Auch von Seiten der Herzogin Louise war Leonore eine aufmerksamere Teilnahme zuteil, obschon die Begegnung mit ihr einen ganz anderen Charakter hatte, als vorhin der Empfang bei der älteren Fürstin. Louise erließ auch hier auf dem Sandwege keine der üblichen Verneigungen, ihr Blick musterte die neue Bekanntschaft mit einer Strenge, die selbst für die Umstehenden etwas auffallendes hatte, und die wenigen Worte, womit sie alsdann herausrückte, waren jene kühlen Fragen, wovon hochstehende Personen stets einen Vorrat im Kopfe haben, ein höfliches Gespräch damit zu speisen, dessen Leitung und Beendigung sie sich in dieser Form Vorbehalten.
„Die Güter des Freiherrn, Ihres Vaters, liegen an der Rhön?" sagte die Herzogin Louise, die nur halb auf die Antworten Leonores hörte, indem sie sich zur Fortsetzung ihres Spazierganges wendete.
„Durchlaucht entschuldigen: sie grenzen nur mit einem kleinen Teil ihres Gebietes an die Rhön." Worauf Leonore den Herrschaften Lauterbach und Müllingsrose samt dem oberen Vorwerk ihre richtigen Plätze im Gebirge mit großer Deutlichkeit anwies.
Die Herzogin Amalia bemerkte ihrer Schwiegertochter daß dies eben die Gegend sei, von der kürzlich Karl August
gesprochen, als er die blinde Prozeßsucht der Bauern beklagte. „Tagediebe und Landstreicher soll es neuerdings ebenfalls in euren Bergen geben, die den Gemeinden zur Plage werden", sprach Amalia sodann wieder zu Leonoren. „Früher hörte man selten von solchen."
„Wenn die Aufmerksamkeit Seiner Durchlaucht bereits auf die Prozeßsucht unserer Bauern hingelenkt ward, so freue ich mich von Herzen", versetzte Leonore mit geschmeichelten Selbstgefühl, denn damit kam eine Frucht ihrer Verwendung zum Vorschein.
Das Fräulein von Göchhausen war der Meinung, sie habe jetzt gerade soviel an bescherten Plaudereien gelistet, als zur Empfehlung ihres naturwüchsigen Wesens erforderlich sei. Sie hatte daher den guten Takt, die neue Freundin aus der Vorhut des kleinen Zuges, welche die Herzoginnen bildeten, zum Nachtrabe zurückzulenken. Frau von Stein nahm die dadurch freigewordene Stelle neben den fürstlichen Damen ein, und Thusnelda sorgte dafür, daß sie mit Leonore den geziemenden Abstand hinter den Durchlauchten einhielt.
Sollte der Herzog, als er uns von seiner Vorlage an das Geheimkonseil sprach, einen ebenso bestechenden Referenten gehabt haben wie wir in Hartleben?" scherzte Louise indem sie der Schwiegermutter aus ihrem Spitzentuche einen Geruch zufächelte, den Amalia liebte. „Dann wäre der Arbeitseifer sehr natürlich, von dem er sich plötzlich befangen zeigte."
„Ich werde selber mit jung," versetzte die Herzoginwitwe, ohne einen anderen Sinn in den Worten ihrer Schwiegertochter zu vermuten, als daß sie ein Lob Leonores enthielten, „wenn ich seh, wie die Jugendkrast in solch einem Mädchen arbeitet und wie alles an ihr von Lebenslust strotzt. — Dazu hat das Fräulein ein wackere, Gemüt,