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Nummer 258
Fernruf 479
Mittwoch den 4. November 1931
Fernruf 479
65. Jahrgang.
Winterhilfe tut not!.
Im ganzen Reich haben Führer des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft, Organisationen mannigfachster Art gemeinsam ein freiwillig^oziales Werk ins Leben gerufen, das Millionen Notleidender über den kommenden Sorgenwinter mit hinweg helfen soll. Ihr Appell wendet sich an alle, die überhaupt noch etwas geben können. Auch der kleinste Beitrag ist willkommen, denn die Not ist gewaltig und ist oft schlimmer, als es nach außen hin den Anschein hat. Ein armes Volk sind wir geworden. Tausende von einst Begüterten sind heute selber Hilfsbedürftige, ohne daß ihnen die geringste Spur eigener Schuld an ihrem wirtschaftlichen Niedergang nachzuweisen wäre.
Die Winterhilfe setzt dort ein, wo die Pflichtleistungen der öffentlichen Fürsorge und Sozialversicherung enden. Daß die Kräfte des Reichs, der Länder, der Gemeinden angesichts des ungeheuren Notstands allein nicht ausreichen können, leuchtet ohne weiteres ein. Es geschieht schon jetzt das Aeußerste, das den öffentlichen Kassen und dem Steuerzahler zuzumuten ist. Noch höherer Abgabendruck würde das Gegenteil des Beabsichtigten bewirken; er würde die Wirtschaft nur noch schwächen und die Abgabenerträgnisse bloß noch vermindern, anstatt sie zu vermehren. Bereits jetzt ist ja die Steuerschraube weit überdreht. Nach alledem ist finanziell das Höchstmaß öffentlicher Fürsorgeleistungen erreicht. Als Maßstab der riesigen Krastanstrengung diene die Tatsache, daß im Finanzjahr 1929—39 im ganzen Reich den Landesbjr- sorgevsrbänden 242,7 und den Bezirkssürsorgeverbänoen 1628,4 Millionen Mark an Ausgaben entstanden sind! Da seitdem im besonderen die Zahl der Wohlfahrtserwerbslosen unablässig gestiegen ist, wird im laufenden Jahr noch mit einer weit höheren Summe zu rechnen sein. Die Gesamtausgaben der Sozialversicherung — um auch sie zu erwähnen — haben sich 1930 aus 6151,9 Millionen Mark gestellt.
Die öffentlichen Einrichtungen geben ihr Letztes an Mitteln und aufopfernder beruflicher wie ehrenamtlicher Sozialarbeit her. Aber allein können sie es nicht schaffen. Und auch die Selbsthilfe der heute unterstützungsbedürftigen Volkskreise ist dem Anprall der Not nicht gewachsen. Die Spargroschen aus besseren Zeiten sind längst aufgezehrt, Vermögen von ehedem hat die Inflation vernichtet, Lebensversicherungen sind schon bis zur Höchstgrenze bestehen, selbst Unentbehrlichstes an Hausrat und Kleidung verkauft, verpfändet. Genaue Richtlinien des Reichs, erst kürzlich erneuert, schreiben vor, wieweit die öffentliche Fürsorge von ihren Klienten die Veräußerung von Vermögenswerten verlangen darf. In unzähligen Fällen hat aber die Not den Armen schon zu Verkäufen gezwungen, die über das dort geforderte Maß weit hinausgehen. Die Einzelheiten sind manchmal herzzerreißend. Wirklich, wer das noch nicht an sich erfahren hat, der danke seinem gütigen Geschick durch die Tat und zeige sein Verständnis für die freie Wohlfahrtspflege, deren heute so harte Arbeit da beginnt, wo öffentliche Hand und Selbsthilfe, nicht mehr vorwärts kommen.
Die Verwalter der Winterhilfe haben ein mühsanies Amt übernommen, sowohl in der Aufbringung wie in der Verwendung der Mittel. Etwas Erleichterung bedeutet ihnen nur der Umstand, daß sämtliche Erfahrungen der deutschen „privaten Sozialpolitik" ihnen zur Verfügung stehen, der großen Institutionen der Nächstenliebe, die seit jeher nach dem Grundsatz der Freiwilligkeit sich der Ergänzung össent- licher Fürsorgemaßnahmen widmen. In die Leitung der Winterhilfe-Einrichtungen haben jene erprobten Organisationen der Nächstenliebe ihre besten Arbeiter entsandt, Männer und Frauen, die seit Jahr und Tag in der sozialen Front stehen. Die Außenwelt erfährt in der Regel nicht viel von dem, was dort in stillem Wirken geleistet wird, in Tausenden von eigenen Krankenanstalten, Jugendheimen, Herbergen, Hospizen, Altersheimen, Sischenhäusern, Polikliniken, Kindergärten, Beratungsstellen aus alle Zweige der Gesundheitsfürsorge, der Erziehungsfürsorge, des individuellen Beistands für wirtschaftlich Bedrängte. Es geht in die Hunderte von Millionen Mark, was hierfür von sozial empfindenden Menschen freiwillig an regelmäßigen Beiträgen, gelegentlichen Spenden und größeren Stiftungssummen ausgebracht wird. Das Bewußtsein, somit schon bisher unter oft schwierigsten Verhältnissen Wertvolles im Kampfe gegen die Volksnot geleistet zu haben, ermutigt heute Menschen und Organisationen der freien Wohlfahrtspflege, nun auch die so verantwortungsvolle Arbeit der Winterhilfe 1931/32 auf sich zu nehmen, und sie hoffen, daß wir alle sie dabei nicht im Stich lassen.
Das fordert die Stunde von jedermann, und das kann auch erfüllen, wer überhaupt selber noch etwas hat: Einen Beitrag in Geld oder Sachen zum allgemeinen Hilfswerk! Gewiß, zum aktiven Wohlfahrtspflege:: ist nicht jeder talentiert, denn es erfordert besondere Selbstverleugnung, nach hartem Arbeitstag noch die knappe Freizeit auf Sitzungen, Besuche, Sprechstunden, Sammeltätigkeit zu verwenden. Hut ab vor den Männern und Frauen, die das vollbringen! Aber, sie wollen ja nicht von uns bewundert sein; sie verlangen anderes, was jeder auch ohne besonderen Reichtum Md ohne eigenes sozialpolitisches Talent he rgebe n k ann , den
lagesspiegel
Minister Sevcring hak alle Amzüge und Kundgebungen unter freiem Himmel für ganz Preußen bis auf weiteres verboten.
Die Technische Anion und die christliche und die nationale Gewerkschaft der Fernsprech, und Telegraphen» eingestellten in Oesterreich haben sich verabredet, am Dienstag, nachts 12 Ahr. die passive Residenz zu beginnen.
Nach einer russischen Meldung soll es an der Eisenbahnlinie Sypinkai-Tschankischun zu einem Gefecht zwischen Chinesen und Japanern gekommen sein, bei dem die ersleren 18V, die letzteren 65 Mann verloren.
Im englischen Unterhaus und Oberhaus wurden am Dienstag die neuen Mitglieder vereidigt und dann der Sprecher des Ankerhauses gewählt. Zum Vorsitzenden der sozialistischen Fraktion wurde Lansbury gewählt.
einfachsten 'Beweis der Nächstenliebe, Sie schlichte Spende. Gewähren wir damit den anderen eine „Gnade"? So ist es nicht. Es ist ganz anders. Die Sturmflut der Not kann leicht uns alle verschlingen, wenn wir nicht Helsen, den schützenden Damm zu verstärken. Nur das einzige noch gibt unseren Seelen heute Sicherheit: Pflichterfüllung i
Neue Nachrichten
Schlange-Schöningen Ostkommissar
Berlin, 3. Nov. Der (frühere deutschnationale) Aeichs- tagsabgeordnete S ch l a n g e - Schöningen ist zum Ost- Kommissar und Reichsminister ohne Amtsbereich ernannt worden. Dem neuen Kommissar wurde ein Anweisungsrccht verliehen, so daß er künftig ebenso : ,.tsr selbständiger Verantwortung handeln kann, wie der neue Siedlungskommissar Treviranus.
Hitler über seine Unterredungen mit v. Schleicher
München, 3. Nov. Hitler hat der „Welt am Montag" zu deren Behauptungen über die Unterredungen zwischen General v. Schleicher und Hitler eine Berichtigung zugehen lassen. In dieser wird besonders erklärt, Hitler habe in den Unterredungen nicht versprochen, sofort nach Ueber- nwhme der Regierung durch die Nationalsozialisten die Selbstschutzabteilungen auszulösen. Es sei ferner unwahr, daß Hitler aus die Besetzung der Polizeipräsidenten in den großen Städten verzichtet habe und daß alle Radikalen, beson- ders Dr. Göbbels, von verantwortlichen Regierungsstellen ausgeschaltet werden sollen.
Eine bemerkenswerte Gerichtsentscheidung
Frankfurt a. M., 3. Nov. Der Disziplinarsenat des Oberlandesgerichts fällte gestern unter dem Vorsitz des Oberlandesgerichtspräsidenten eine bemerkenswerte Entscheidung über die Frage der Zulässigkeit der Betätigung von Beamten bei der Nationalsozialistischen Partei. Wegen «Dienstvergehens" hatte sich der nationalsozialistische Stadtverordnete und Fraktionsführer Iustizobersekretär Karl Lange zu verantworten. Das Dienstvergehen wurde nach der Anklage in seiner Betätigung für die Nationalsozialistische Partei gesehen. Der Vertreter der Anklage beantragte gegen den Beschuldigten Dienstentlassung, jedoch Gewährung von zwei Dritteln seiner Nuhegehaltsbezüge auf die Dauer von fünf Jahren! Das Gericht verurteilte den Angeklagten zu 100 Mark Geldstrafe. In der Urteilsbegründung wird ausgeführt, die Nationalsozialistische Partei sei bis zum Ausschluß des Hauptmanns Stennes und seiner Anhänger durch den Parteiführer Hitler eine staatsfeindliche Partei gewesen. Davon könne jetzt keine Netze mehr sein. Die Verurteilung des Angeklagten erfolgte lediglich für seine aktive Betätigung vor der Zeit des Parteiausschlusses des Hauptman'ns Stennes.
Sein Studenkenauszug aus Halle
Halle a. S., 3 Nov. Die Deutsche Studentenschaft, der Hochschulrrng deutscher Alt, die deutschnationale, die Stahlhelm- und die nationalsozialistische Studentengruppe haben beschlossen, mit Rücksicht auf die Einwohnerschaft Halles, die sich im Kampf der Studentenschaft gegen die willkürliche Ernennung des pazifistischen Pfarrers Dehn zum Theologieprofessor auf die Seite der Studentenschaft gestellt habe, von einem Auszug nach Jena abzusehen. Sollte jedoch Dehn tatsächlich feine Vorlesungen beginnen, so werde die in genannten Verbänden vereinigte Studentenschaft an keinen festlichen Veranstaltungen der Universität sich mehr beteiligen, sondern eigene Veranstaltungen abhalten. Dieser Beschluß ist bereits am Samstag bei der Reformationsfeier verwirklicht worden.
MMVV
Die Wirtschaftsparkei beteiligt sich nicht an den hessischen Mahlen
'^Darmstadk, 3. Nov. Die Wirtschaftspakte! hatte wegen der entstandenen scharfen Gegensätze zwei Wahlvorschläge eingereicht. Der eine kam aber zu spät, der andere trug nicht die erforderliche Zahl gültiger Unterschriften, somit sind beide Wahlvorschläge ungültig.
Aus dem Parkeileben
Natingen Reg.-Bez. Düsseldorf, 3. Nov. Die ganze Ortsgruppe und die Stadtratsfraktion der sozialdemokratischen Partei (SPD.) sind zur Sozialistischen ArbeiterparM (SAP.) übergetreten.
Stärkung der Heimwehrbewegung in Oesterreich
Wien, 3. Nov. Die Heimwehrbewegung in Oesterreich, die durch den verunglückten Pfrimer-Putsch einen schweren Rückschlag erfahren zu haben schien, hat im Gegenteil einen starken Austrieb genommen, weil das österreichische Volk die schwächliche Beugung der Bundesregierung unter die rücksichtslose Willkür Frankreichs als eine Schmach empfindet. Dis Führer des Heimatschutzes hatten am letzten Sonntag gemeinsame Beratungen mit den nationalsozialistischen Führern Oesterreichs, als deren Ergebnis bekanntgegeben wird: beide Nichtungen Kämpfen Schulter an Schulter unbedingt für den Zusammenschluß aller deutschen Stämme z« einem gemeinsamen Reich, gegen Bolschewismus, Marxismus und parlamentarische Demokratie. Jeder Versuch, di« Habsburger wieder einzusehen, würde mit den äußer- sten Mitteln bekämpft. — Die Sozialdemokratie verliert viele Mitglieder, teils an die Kommunisten, teils an di« Nu, tionalsozialisten.
Das Rüstungsfeierjahr
Genf, 3. Nov. Die Erklärung über das Rüstungsfeierjahr ist nunmehr von 35 von 60 zur Abrüstungskonferenz 193? erngeladenen Staaten abgegeben worden. Unter den Staaten, die dem Wunsch der Völkerbundsvollversammlung n-ach- gekommen sind, befinden sich sämtliche Großmächte. Da es sich bei den Erklärungen nur um einen Wunsch der Völker- bundsversammlung handelt und ein verpflichtendes Abkommen wegen der grundsätzlichen Verschiedenheit in den Auffassungen zwischen zahlreichen Staaten nicht erfolgen könnt«, ist der praktische W e r t des Rüstungsfeierjahrs gering, und es ist auch noch nicht abzusehen, ob es in der jetzt abgesprochenen Form zustande kommt, da bisher noch nicht alle oingeladenen Staaten die Erklärung abgegeben haben, wie die Vollversammlung des Völkerbunds dies wünschte.
Lcvals Triumph
Paris, 3. Nov. Der stets als halbamtlich austrekende Berichterstatter des „Petit Parisien" faßt das Ergebnis der Amerikareise Lavals folgendermaßen zusammen:
^ „Mac Donald hat bei seiner Amerikareise die bis dahin unbestrittene Herrschaft Großbritanniens über die Meere durch Anerkennung der Flottengleichheit mit den Vereinigten Staaten geopfert. Laval hat weder in der Rüstungsfrage, noch in der Sicherheit auch nur einen Zoll von der französischen Denkschrift vom 19. Juli preis- gegeben, so große Anstrengungen auch Hoover und Stimson gemacht haben, um Zugeständnisse für dis Abrüstungskonferenz zu erhalten. Sie mußten vielmehr die besondere Lage Frankreichs dem kriegerischen Deutschland und dem stark bewaffneten Rußland gegenüber anerkennen. Auch in der Reparationsfrage ist keine Aenderung vollzogen worden, die für Frankreich abträglich wäre. Dagegen hat Laval durch- gesetzt, daß ohne Frankreich kein neuer Schritt unternommen wird, der Frankreich irgendwelche „Opfer" auferlegen würde; zweitens haben sich hoover und die amerikanischen Minister in aller Form mit der Rückkehr zum Boungplan einverstanden erklärt; drittens ist Frankreich in einer ebenso festen Form zugesichert worden, daß einer Herabsetzung der deutschen Tribute eine Herabsetzung der Verbandskriegsschulden in einem noch näher zu bestimmenden Amfang entsprechen müßte. Damit ist die Verbindung zwischen den interalliierten Schulden und den Reparationen klar und amtlich durch die höchste Stelle in den Vereinigten Staaten anerkannt.
Damit ist auch in einer sehr nahen Zukunft der Weg für wichtige internationale Verhandlungen eröffnet. Deutschland wird wahrscheinlich veranlaßt werden, den Anstoß dazu zu geben. Es werden sich daran alle an den Reparationen interessierten Mächte beteiligen. Die Vereinigten Staaten werden zum mindesten durch einen Beobachter vertreten sein. Wenn die Berliner Negierung endlich einmal Klug» heit und politischen Sinn an den Tag legt, so wird sich daraus eine „beträchtliche Erleichterung der Lasten" ergeben, die auf fast alle europäischen Nationen drücken und die das Wirtschaftsleben Europas so sehr in Mitleidenschaft ziehen.
Wir haben in diesem Fall die Tatsache vor uns, daß Amerika die bevorrechtigte Lage anerkennt, die Frankreich MMÄrrn. verstanden bat. ..Amerika hgt dMist aM