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Druck, Verlag und Schriftleitung: Theodor Sack, Wildbad i. Schul., WllhelmstraheM, Telephon 47». — Wohnung: Haus Vollmer.
Nummer 181
Fernruf 479
Dienstag de» S. Juni 1931
Fernruf 479
.66 Jahrgang.
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Ser Griff a« die Gurgel
Während des Ruhrkampfes erschien im Pariser „Journal" ein« Zeichnung, di« unter der Ueberschrist „(Zuanä vous ( vouckrer" (wenn ihr wollt) die Marianne darstellte, wie sie dem völlig'nackten „Boche" mit einem Strick den Hals zuschnürt. Man hat damals, als der Ruhreinbruch das Denken und Sinnen der internationalen Oesfentlichkeit beschäftigte, sicherlich nicht vorausgeahnt, daß im Juni des Jahres 1931 dies« hohnvoll-brutale französische Prophezeiung in Erfüllung gehen würde. Die Tributknechtschaft hat über die Erfüllungspolitik dahin geführt, und die neue Notverordnung der Reichsregierung ist die letzte furchtbarste Folge rung aus jener Erpresserpolitik» deren Sinn und Zweck durch die Clemenceau-Worte von den zwanzig Millionen Deutschen, die es zuviel gäbe, in brutalster Klarheit ausgesprochen worden ist.
Dies« Notverordnung ist von der Reichsregierung mit einer Art Einleitung, mit einem Ausruf versehen worden, in dem es heißt, die Grenze dessen, was man dem deutschen Volk« an Entbehrungen auszuerlegen vermöge, sei erreicht. Dieser Satz kennzeichnet die Notverordnung im ganzen. Die Grenze des Erträglichen ist nämlich längst überschritten worden und das, was die Regierung jetzt unternimmt, ist aber auch das nur im allerbesten Falle, lediglich ein Stehenbleiben auf hglbem Wege wie z. B. bei der freiwilligen Dienstpflicht» bei den Meliorationen, bei der Reform des Aktienrechtes. Von der nationalen Rechten ist die Arbeitsdienstpflicht in Verbindung mit einem großzügigen Meliorationsprogramm gefordert worden. Demgegenüber wirken die angekündigten Maßnahmen der Reichsregierung, milde ausgedrückt, lendenlahm. Außerdem ist die Hinein- oerslechtung von Verbänden in den freiwilligen Arbeitsdienst ein Aufreißen von Tor und Tür für die Parteipolikik. Die Ermäßigung des Brotpreises war eine Forderung der Sozialdemokratie, soweit es sich um parteipolitische Polemik sowie darum handelte, die Zölle, den Schutz für die Landwirtschaft, zu zerstören. Natürlich hat gerade die Landwirtschaft die Verbilligung des Brotes gefordert, aber in sachlicher, in organischer Weise, und jetzt sieht man, daß die Regierung lediglich den Sozialdemokraten entgegenkommt, indem sie gegen die Innungen vorzugehen ankündigt, was wohl nichts weiter bedeuten soll, als daß die schon in Berlin als undurchführbar erkannte Maßnahme gegen die Jn- nungsbestimmungen der Bäcker verallgemeinert werden soll.
Man wird hier nicht zum Ziele gelangen, weil man nicht die Steuern der teilweise marxistisch regierten Kommunen herabsetzt, denen ja nicht wehe getan werden darf, und das einzige, was die Regierung von den landwirtschaftlichen Forderungen erfüllte, die Aushebung des Nachtbackosrbots, geschieht lediglich darum, weil den sozialdemokratischen Konsumvereinen neuer Verdienst winkt. So wird man den Brotpreis also nicht herabsetzen können, und dann kommt der Angriff auf die Zölle.
Was schließlich das Aktienrecht anlangk, so liegt hier ein Referentenentwurf schon seit längerer Zeit vor, und in zwei Monaten dürste das entsprechende Gesetz fertig sein. Es könnte einen Fortschritt bedeuten, wenn nicht der verdächtige Satz über die „Zuführung neuen Kapitals" darin enthalten wäre. Wir haben kein Kapital, also kann nur Aus- landskapikal gemeint sein. Anleihen zur Fortführung und .Aufrechterhaltung des Systems.
' Die Herabsetzung der Arbeitszeit aus 40 Stunden in der Woche bedeutet einen vollen Sieg der Sozialdemokratie. Die Regierung hat hier den Weg beschriiten. der zum Gegenteil des zu erstrebenden Zieles führt. Anstatt so, wie es bisher schon vielfach mit Erfolg geschehen ist, von Fall zu Fall eine Herabsetzung der Arbeitszeit zu ermöglichen, wird diese verallgemeinert, werden nur Ausnahmen einer normalen Arbeitszeit zugelassen, lieber dieses Kapitel sind ja die Akten -""üst geschlossen. Wir wissen, wohin das führt: Zu neuer Belastung des Arbeiksmarkles, zu neuer Verelendung! Man will den Steinkohlenbergbau unter Tage von den Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung befreien. Was bedeutet das?
^ Em« Lohnerhöhung für den Bergarbeiter, der ja die Rechte an die Versicherung weiter behält, zu Lasten des Steuerzahlers, während der Arbeitgeber, der die Hälfte der enge nicht mehr weiterzahlen braucht, zu einem Preis- nachlaß gezwungen wird, der die Rentabilität gefährdet. , Lohnerhöhung und Preisnachlaß zu gleicher Zeit, das ist "Eswirtschastlicher Widersinn, der noch verschlimmert wird durch die damit verbundene Neubelastung des Steuer- Kahler».
E« ^ * ^ivrie des Ganzen aber bilden natürlich die direkten Steuererhohungen. die furchtbare kciscnsteuer, die eine Be- strafung der Arbeit darskellk, die Verminderung der Bezüge der Beamten, die Kürzung der Kinderzulagen. Und dann: Wie will man die Reichsbahn, deren neuester Katastrophen- vencht soeben veröffentlicht worden ist, veranlassen, 200 Millionen für Arbeiten auszugeben? Nichts hört man da- von, daß uns die Belastung, die der Urgrund unseres Llends ist, genommen wird. Der Ausruf der Reichsregie- rung, der neben der Notverordnung einhergeht, stellt nur fest, daß wir am Ende angelangt sind, daß die Tribute revi- i diert werden wüsten. Aber es wird uns nicht zugesichert, j
laiesspiegel
Der Aufruf der Reichsregierung hat in allen Länder,, größtes Aussehen erregt. Alle ausländischen Zeitungen bringen die Notverordnung in großer Aufmachung, lieber- einstimmend schreibt die französische Presse: „Die Gefahr für Frankreich liege in einem wirtschaftlichen und finan- zielten Zusammenbruch Deutschlands und ferner darin, daß Deutschland nach gefährlichen sozialen Zuckungen in Anarchie gerate."
Reichskanzler Dr. Brüning und Dr. Lurtius sind wieder ln London eingekroffen.
Der Reichsrat ist für Donnerstag abend einberufen worden.
Die Volkspartei hak sich in einer Entschließung gegen die Notverordnung gewendet. Sie muß nun demzufolge auch der Einberufung des Reichstags zustimmen.
In Arsdorf bei Aachen ist es zu schweren Zusammenstößen zwischen Polizei und Kommunisten gekommen. Ans beiden Seiten wurden Schußwaffen verwendet.
daß die verantwortlichen Stellen der Reichsregierung auch praktisch hieraus die Konsequenzen ziehen. Die Presse der Parteien, die hinter der Reichsregierung stehen, haben schon selbst gesagt, daß sie von Chequers nichts erwarten. Das besagt wohl genug. Und in allen Parteien ist zwar der Widerstand gegen die Notverordnung vorhanden, weil man das schon seinen Wählern schuldig ist. Aber wird man auch die Folgerungen aus diesem Widerstand ziehen und den Reichstag einberufen? Nein, dazu fehlt der Mutl Wenn am Mittwoch der Aeltestenrat des Reichstages zusammen- tritt, um zu den Anträgen auf Einberufung des Plenums Stellung zu nehmen, werden Zentrum, Staatsparteiler, Sozialdemokraten dagegen stimmen, und auch die Landvolkpartei scheint keinen Anlaß zu haben, die Wiedereinberufung des Reichstages zu fordern. Die Volkspartei wird wohl nicht umhin können, nun einmal vor einem Umfall der für sie vernichtend wäre, zurückzuschrecken. Aber im Austausch -besitzt die Reichsregierung die S.P.D.. der sie mit der Notverordnung Letztes geopfert hat.
8m amtlicher bericht, der nichts sagt
London. 8. Juni, lieber die Besprechungen i Ehequers wurde gemeinsam folgende Mitteilung angegeben:
„Während des Wochenendes haben der Reichskanzler uni der Reichsaußenminister ihren Besuch in Chequers abge stattet. Von englischen Ministern waren anwesend de. Prermerminister, der Außenminister und der Handelsminister Am Sonntag gab der Premierminister ein Frühstück, bei dem folgende Herren zum Teil mit ihren Damen zugegen waren: Der deutsche Botschafter, der erste Lord -er Admiralität, der Gouerneur der Bank von England, Bernard Shaw, der Unterstaatssekretär im Foreign Office, Sir Robert Vansittart, der Privatsekretär des Königs, Sir Clive Wigram, Sir Fre- derick Leith-Rioß aus dem Schatzamt, Botschaftsrat Graf Bernstorsf, Mister Mac Donald, sowie Fräulein Jshbel Mac Donald.
Der Besuch war vor einigen Monaten zum Zwecke persönlicher Fühlungnahme vereinbart worden. Bei Gelegenheit dieser zwanglosen Zusammenkunft wurde in freundschaftlicher Weise die Lage erörtert, in der sich das Deutsche Reich und andere Industriestaaten im gegenwärtigen Augenblick befinden. Die deutschen Minister betonten mit besonderem Nachdruck die Schwierigkeiten der augenblicklichen Lage in Deutschland und die Notwendigkeit der Schaffung von Erleichterungen. Die englischen Minister ihrerseits wiesen auf den internationalen .Charakter der derzeitigen Krise und ihre besonderen Rückwirkungen hin.
Beiderseits herrschte Ueberelnstimmung darüber, daß neben den Maßnahmen, die jedes einzelne Land für sich zu ergreifen hätte, die Wiederherstellung des Vertrauens und die wirtschaftliche Wiederbelebung von internationaler Zusammenarbeit abhängig seien.
In diesem Sinne werden beide Regierungen sich bemühen, die gegenwärtige Krise in enger Zusammenarbeit mit den anderen beteiligten Regierungen zu bekämpfen."
Dieser amtliche Bericht sagt gar nichts. Man interessiert sich heute in Deutschland nicht dafür, wer an diesem Frühstück teilgenommen hat; wir wollen wissen, was die Vertreter des Deutschen Reiches erreicht haben. Mit diesen glatten Worten ist aber gar nichts anzufangen. Wir wollen keine Worte, wir wollen Taten sehen.
Die Besprechungen in Chequers dehnten sich etwa bis 16.30 Uhr aus, worauf die deutschen Minister zusammen mit dem deutschen Botschafter nach London zurück- kehrten, Lrr Reichskanzler und^er,NeiMgußu!Wpister
gäben sich in die deutsche Botschaft, wo d-e Vertreter der deutschen Presse versammelt waren. Ueber den Inhalt des Communiques sagte Dr. Curtius, er wolle nochmals betonen, daß er nicht von einer Konferenz, sondern von einem freundschaftlichen Besuch zurücktehre.
Aus eine Frage gab Dr. Lurtius zu, daß die grundlegenden Anziehungen zwischen England und Deutschland, wie sie sich zuletzt noch aus dem Locarnoverkraq ergeben hätten, nicht erwähnt worden seien. Das Wort Locarno wäre nicht gefallen.
Die Abrüstunasfrage, so sagte der Minister auf «ine weitere Frage, sei nur gestreift worden. Die im Com- muniquä enthaltenen Worte, „es bestände beiderseitige Ueber- einstimmung" legte der Außenminister dahin aus. daß keinerlei feste Bindungen getroffen seien, die etwa einem Abkommen gleichbedeutend wären.
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Der Reichskanzler und der R e i chs a utze n m i ni- - st er wurden am Montag mittag vom englischen König empfangen. Den üblichen Gepflogenheiten entsprechend, werden Einzelheiten über den Verlauf der Audienz nicht bekanntgegeben.
Wie man über Chequers denkt
Berlin ist zufrieden
DaS Reichskabinett dürfte sich voraussichtlich schon im Laufe dieser Woche versammeln, um den Bericht des Reichskanzlers und des Reichsaußenministers über die Besprechungen in Chequers entgegenzunehmen. Reichskanzler Brüning und Dr. Lurtius treffen bereits am Mittwoch nachmittag wieder in Berlin ein.
Nach Auffassung amtlicher Kreise in Berlin entspricht das Ergebnis von Chequers durchaus den vor Beginn der deutsch-englischen Besprechungen gehegten Erwartungen. Der Besuch habe den Zweck erfüllt, den man an ihn gestellt habe. Chequers sei ein Anfang. Die Engländer hätten keine Haltung eingenommen, die eine weitere Entwicklung ausschließe. An zuständiger Stelle wird aber außerordentlicher Wert auf die Feststellung gelegt, daß die deutsche Regierung jetzt volle Handlungsfreiheit haben muffe, die nicht eingeschränkt werden dürfe durch unfruchtbare Politik. Die Einberufung des Reichstages widerspreche (!) demgemäß auch den ganzen Dispositionen der Reichsregierung.
In der englischen Presse bildet die Unterredung von Chequers den Gegenstand langer Berichte. Der diplomatische Korrespondent des «Daily Telegraph" meint, der vage Inhalt des amtlichen Berichts über die Zusammenkunft sei kaum zu übertreffen, zumal nicht einmal die bei- den Worte «Reparationen und Abrüstung" darin vorkämen. Er ist der Ansicht, daß beide Regierungen nunmehr Fühler nach Paris, Washington und anderen Hauptstädten aus- strecken werden, um festzustellen, ob man dort geneigt ist, Deutschlands Zahlungsverpflichtungen zu erleichtern. Eine definitive Idee zur Lösung der Hauptschwierigkeiten sei jedoch noch nicht gefunden. Es sei kein Einvernehmen über die weiteren Schritte hinsichtlich der Reparation zustande gekommen. Die Unterredungen in Chequers seien fast durchweg wirtschaftlicher Natur gewesen. „Daily Herold" glaubt, baß in Chequers der Stein ins Rollen gekommen sei, spricht sich sonst aber sehr vorsichtig über das Ergebnis aus. In ähnlichen Gedankengängen bewegen sich die Betrachtungen der meisten übrigen Blätter. Große Bedeutung wird insbesondere auch der Tatsache beigelegt, daß der Gouverneur der Bank von England, Montagu Norman und Sir Fre- dertc Leith-Roß vom Schatzamt an den Beratungen teil- nahmen.
In Frankreich ist man dementsprechend befriedigt. Im „Matin" sagt der nach London entsandte Sauerwein zur amtlichen Chequers-Verlautbarung, er könne der Auffassung nicht zustimmen, daß die Verlautbarung nicht viel besage. > -
Für Frankreich habe sie die Bedeutung, daß der Quai d'Orsay nicht getäuscht worden sei, als man ihm mitgekeilt habe, daß mit den deutschen Ministern nichts vereinbart werden solle und daß es demnach auch keinen Plan, kein Programm und noch viel weniger eine Entscheidung gebe.
Für Amerika besage die Verlautbarung, daß England nicht beabsichtigt, auf Washington einen Druck auszuüben. Die Engländer hätten den deutschen Ministern sicherlich geantwortet, daß die Ankunft Stimsons abgewartet werden müsse; damit aber der Reichskanzler nicht ohne jedes Ergebnis und ohne jede Ermutigung für die Zukunft nach Berlin zurückzukehren brauche, sei am Ende der Veröffentlichung von der Notwendigkeit einer internationalen Zusammenarbeit dis Rede.
Besonderes Interesse beansprucht vor allem die Haltung Amerikas. Aus Washington wird berichtet, daß dort die Notverordnung und der Aufruf der Reichsregierung in den amtlichen Kreisen „wie ein« Bombe eingeschlagen" habe. Von einer Neuausrüstung der Kriegsschuldenfrage will man gleichwohl nichts wissen. Der Londoner Vertreter der „Newyork Times" betont, daß die englische Regierung nach Ws, vor Mschlollen kti. Mt Kl? Vermittler, ^wische