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Nummer 63
Fernruf 479
Dienstag den 17. März 1931
Fernruf 479
66. Jahrgang.
Politische Zentralisierung der Rundfunks?
Wie jetzt bekannt wird, wird im Reichsinnenministerium erwägen, den Rundfunk aus politischen Gründen fester zu zentralisieren. Die Reichsregierung will zweifellos das Instrument des Rundfunks durch eine Berliner einheitliche Spitzenleitung — sei es durch erweiterten Einfluß auf die Programme, sei es durch eine „Generalintendanz" — mehr in die Hand bekommen.
Das sind die „Anregungen", von denen Direktor Magnus neulich im Mikrophon sehr zurückhaltend sprach. Es ist ein Verdienst der Leitung der Reichs-Rundfunkgesellschaft, der Direktor Magnus angshört. daß sie diesen Vorstoß der Politik auf die Leitung und Entwicklung des dezentralisierten deutschen Rundfunks abgewiesen hat. Direktor Magnus hat bündig erklärt, daß eine „Generalintendanz" nicht in Frage komme.
Die bisherige Form der Rundfunkordnung, die Aufteilung in landschaftlich abgegrenzte selbständige Gesellschaften, hat sich bewährt. Die Reichs-Rundfunkgesellschaft als wirtschaftliche Spitzenorganisation und als Hüterin der technischen Vervollkommnung des deutschen Rundfunks, zugleich Mittlerin zwischen Funk und Behörden, hat sich als vollkommen ausreichend als Berliner Zentrale erwiesen. Magnus teilte dann weiter mit, die Reichspost habe die technischen Voraussetzungen für einen Programmaustausch zwischen den einzelnen deutschen Sendegesellschaften vollendet. Es ist also jetzt möglich, wertvolle Sendungen zu „zentralisieren". Dort, wo die Kräfte zu gewissen Leistungen, z. B. im Sendespiel, fehlen müssen, bei den kleineren Sendern, können ohne technische Hemmungen nun die Leistungen der Großsender übernommen werden.
Dabei bleibt, wie Magnus betonte, der landschaftlich bestimmte Charakter des Landesfenders unangetastet. Die Bildung von Sendergruppen ist ferner so erfolgt, daß immer kulturell einander nahestehende Senderkreise verbunden worden sind, alio die ostdeutschen Sender, die süddeutschen Sender usw. Bei bedeutenden, die ganze Nation angehenden Anlässen (Zeppelin-Flug usw) kann die beste Darbietung für das ganze Reich oder große Teile einheitlich gesandt werden.
Magnus gab in seinen Bemerkungen zu verstehen, daß alle Austauschmaßnahmen sehr schwierig seien. In Berlin und Frankfurt wird z. B. die vorwiegend linksgerichtete Literatur gepflegt. In Köln und. Leipzig kommt sie zu Wort In München und Hamburg erscheint sie kaum auf dem Programm. Das sind keine Werturteile über die künstlerische Leistung der Programme, sondern lediglich Feststellungen der Spiegelung des Charakters der Städte, der Hörer, der Leitungen dieser Sender. Die „Luft" schafft diese Eigenschaften der Sender. (Mit der Presse ist es im allgemeinen ähnlich.) Es ist nun die Frage, wieweit diese Eigenschaften bei den Schwierigkeiten des Programmaustauschs mitsprechen. Diese Schwierigkeiten würden begreiflich erscheinen, anders aber solche, die etwa aus rein persönlichen Gründen der organisatorischen Selbstbehauptung entstünden, also aus deutscher Eigenbrötelei. Sie wären nicht zu rechtfertigen.
Es ergibt sich jedenfalls aus alledem, daß die Leitung der Reichs-Rundfunkgesellschaft gut daran tut. sich jeder Zentralisierung zu widersehen. Aber mit dem Hinweis auf die charakteristischen Eigenschaften der verschiedenen Sender in literarischer Hinsicht ist bereits eine weitere Frage berührt worden: die nach der kulturellen Geltung der ein- zelnen Landes-Sender. Eine Zentralisierung unter Berliner Führung würde in dieser Hinsicht ganz gewiß der Förderung des deutschen Volkstums im Programm des deutschen Rundfunks nicht dienlich sein.
Es entsteht hier eben auch die Frage nach der Geltung des Weltsladkgeistes". der in Berlin im Rundfunk herrscht. Dieser Weltstadtgeist glaubte in dem abgelaufenen Jahrzehnt an seine Allgültigkeit in Deutschland, aber er mußte « Monaten erkennen, daß er sich geirrt hatte.
zeigen sich jetzt die Loslösungen ^ Dichterakademie, im Theater in gewissem ^ Tugend, m der Politik. Aber gegenüber den dI 'Ev der Arbeit des ..Reichsverbands
deu scher Rundfunkhorer, wird anscheinend versucht, die entstehende Selbstbesinnung „organisatorisch" zu sabotieren. ^ ^/"^beuüber ist es Aufgabe der Rundfunkleitungen draußen nn Reich, sich auf ihre bedeutenden kulturellen Ausgaben zu besinnen. Es kann zweifellos noch mehr aus dem kulturellen Erbe herausgeholt werden, als bis jetzt ge- k» Die Rücksicht auf die angeblichen Wünsche der der gegenwärtigen Lage nicht zu emem L-ichverlieren in Belanglosigkeiten verführen.
Gegenwärtig befinden wir uns noch im Vorfeld. Es gm setzt, die landschaftlichen Programme so zu gestalten, das Volkstum mit großer Kraft und besten Talenten kommt, „politisch" aber nicht angreifbar ist. In Kraft des Volkstums und seiner kulturellen Entwicklung liegen so viele Möglichkeiten, daß sich der rAÜ-"" ^oder Politisierung enthalten kann, um dennoch aufrichtend und anspannend auf die Nation zu wirken.
K. tt.
lagessMgel
Der Reichskanzler hak am Montag die Besprechung mit den aus Rußland zurückgekehrken Industriellen fortgesetzt.
Reichsverkehrsminister v. Guerard ist zur Besprechung von Schiffahrtsfragen in Hamburg eingetroffen.
In vielen Städten des Reichs wurden am Sonntag Gedenkfeiern für die Abstimmung in Oberschlesien vor zehn Jahren abgehalten, wo durch das mutige Eintreten der Schlesier ein noch größerer Verlust des wertvollen Grenzlands. als er durch die Bosheit der Polen und der Völkerbundsgewaltigen schon angerichtet worden ist, für Deutschland verhütet werden konnte.
In Hamburg sind sämtliche vier nationalsozialistischen Blätter und alle nationalsozialistischen und kommunistischen Versammlungen bis auf weiteres verboten worden.
Der Gau Hamburg der Rak.-Soz. Partei verurteilt in einer Erklärung den Mord der drei Parteimitglieder aufs schärfste; sie hätten sich durch die Untat auf Grund der Befehle Hitlers von selbst außerhalb der Partei gestellt. Die besonders verabscheunngswürdige Art des Mords erwecke den Eindruck, daß die Täter durch Lockspitzel zu dem Mord veranlaßt worden seien. — Der dritte Täter» Höckmeyer. ist inzwischen ebenfalls verhaftet worden.
Jas Sors als Großbetrieb?
Stärkere Mechanisierung der bäuerlichen Betriebe
kohenheim. 16. März. Eine Berliner Zeitung hat die- fer Lage über wissenschaftlich-praktische Versuche berichtet, die Professor Dr. Münzinger, der bekannte Leiter des Instituts für Wirtschaftslehre an der Landw. Hochschule in Hohenheim, in einem württembergischen Dorf durchzuführen im Begriff ist. Gegenüber den etwas phantastischen Folgerungen und Ausdeutungen, die sich in der Öffentlichkeit an diese Meldungen knüpften, legt Prof. Dr. Münzinger den größten Wert darauf, daß, auch im Interesse der Ver- juchefelbst, jede Beunruhigung der Öffentlichkeit durch eine möglicherweise eintretende Verzerrung des Tatbestands vermieden wird. Das rein wissenschaftlich zu wertende Versuchsunternehmen hat weder mit bolschewistischen noch mit kollektivistischen Ideengängen etwas zu tun und kann nur dann einen zweckentsprechenden Verlauf und Abschluß finden, wenn jede unerwünschte Störung von außen unterbunden bleibt. Der Zeitraum von mindestens drei Jahren, der für die Versuche vorgesehen ist, läßt allein deutlich erkennen, daß eine selbst vorläufige Bewertung des Unternehmens im gegenwärtigen Augenblick, nach dem Verlauf von nicht ^ Jahren, bei weitem verfrüht wäre.
Der Zweck der angestellten Versuche ist kurz gesagt: Feststellung der Möglichkeiten stärkerer Mechanisierung und Motorisierung der bäuerlichen Betriebe und damit einer Verbesserung des Arbeitsertrags derselben; ferner dis Feststellung, inwieweit die starke Parzellierung als Hemmungsfaktor ausgeschaltet werden kann. In dem Versuchsdorf, in dem nur zwei Betriebe sich von den Versuchen ausgeschlossen haben, handelt es sich um Betriebsgrößen von 60 bis 100 Morgen. Als Mittelpunkt der Modernisierung und Förderung der Hauswirtschaft, mit dem Ziel der Entlastung der Landfrau, ist im Ort ein kleineres, solides Gebäude errichtet, in dem ein genossenschaftlicher Backofen, ebenso eine Waschküche, eine Badeanstalt und eine Getreidereimgungs- und Saatgutbeizanlage untergebracht sind. Ein weiteres Gebäude beherbergt die Maschinen. In den bäuerlichen Betrieben selbst wird u. a. die elektrische Melkmaschine eingehend erprobt. Bei der Felderbewirtschaftung gehen die Versuche in der Hauptsache in der Richtung, das Pferd durch den Traktor zu ersetzen, wobei über die einzelnen Parzellen hinweg ganze Gewanne durchgea--beitet werden. Da im Dorf der Besitz an Pferden meist als Zeichen für soziale Stellung des Bauern bewertet wird, liegen hier noch erhebliche Hindernisse. Saatgut wird nur in je einer Sorte der einzelnen Getreidearten verwendet. Die Kostenverrechnung der Arbeit des Traktors geschieht je Hektar: die Arbeit der Maschinen mit Pferdebespannung leistet entweder der Bauer selbst für seine Parzelle, oder sie wi d ihm nach dem Ausmaß der Parzellen in Rechnung gestellt. Jeder einzelne Betrieb führt unter der Aufsicht zweier Assistenten, die mit der Leitung des ganzen Unternehmens am Ort beauftragt sind, über Einkommen und Ausgaben und jegliche Arbeitsleistung eingehend Buch. ^
Ueber den bisherigen Verlauf des Unternehmens, für das vom Reichskuratorium für Technik in der Landwirtschaft finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt sind, kann im Augenblick nur das eine gesagt werden, daß die freiwillig an der Sache beteiligten bäuerlichen Betriebsinhaber mit größtem Interesse und sichtlicher Befried!- gung Mitarbeiten und daß die Hoffnung besteht, daß das Ergebnis her Versuche, sich für di« bMrl!che§ Wirtschaften
lm allgemeinen als fördernd und richtunggebend erweisen wird. Unbedingte Voraussetzung für einen normalen Ablauf der Versuche ist und bleibt aber die Fernhaltung jeder Störung und Erschwerung.
Deutscher Reichstag
Berlin, 16. März.
Die Montagssitzung wird um 2 Uhr eröffnet. Die soz. Fraktion hat einen Antrag eingebracht, der eine wirksamere Bekämpfung von Aufforderungen zum politischen Mord und schärfere Bestimmungen über den Handel mit Wasien und Munition verlangt.
Abg. Agatz (Komm.) verweist aus das Attentat auf kommunistische Funktionäre in Hamburg. Der feigen braunen Mordpest, die aus den Kreisen der Schwerindustrie st- nanziert werde und auch aus sozialdemokratischer Seite Unterstützung finde (großer Lärm bei den Sozialdemokraten), sei wieder ein Menschenleben zum Opfer gefallen. Er beantragt sofortige Aufhebung des Verbots des Rotfrontkämpferbundes und sämtlicher Demonstraiionsverbote.
Beide Anträge werden miteinander verbunden auf di» Tagesordnung gesetzt.
Das Haus setzt dann die zweite Beratung des Haushalt» des Reichsarbeitsministeriums fort.
Abg. Lambach (Konserv.): Die Ursache der heutigen Arbeitslosigkeit sei nicht in der Sozial- und Wirtschaftspolitik zu suchen, sie liege in unserer Verarmung, in der Einschnürung der deutschen Wirtschaft und damit in den Tributlasten. In der Erwerbslosenfürsorge müsse am Versicherungsgrundsatz festgehalten werden. Die von Minister Stegerwald gegen die Zulassung von Ersatzkosten angeführten Gründe seien nicht stichhaltig. Es sei nicht angebracht, nur große Mietskasernen mit Zwergwohnungen in den Großstädten zu bauen. Die Sozialversicherung sollte größere Selbstverwaltung erhalten.
Abg. Dill (S.) betont, die disziplinierte Haltung der Arbeiterschaft in dieser Harken Zeit sei vor allem der jahrzehntelangen Erziehungsarbeit der Gewerkschaften zu danken. Um so empörender seien Aussperrungen aus reinem Machtstreben und aus Haß gegen die Gewerkschaften.
Abg. Fahrenbrach (Z.): Die Rettung müsse in erster Linie durch Selbsthilfe aus der Wirtschaft kommen. Aktive Sozialpolitik sei notwendig. Ernährungs-, Wirtschafts- und Arbeitsministerium müssen planmäßig Zusammenwirken. Das zur Zeit unbesetzte Wirtschaftsministerium sollte von Minister Stegerwald mitverwaltet werden. Durch Senkung der Preise müsse der Aeallohn erhöht werden. Durch Verbesserung des Tarifvertragsrechts könne man vermeiden, daß die staatlichen Schlichtungsstellen so oft in Tätigkeit gesetzt würden.
Abg. Ja nschek (S.): Die Lohnsenkung sei bereits zu weit gegangen. Ohne Verkürzung der Arbeitszeit werde man nicht auskommen.
Reue Nachrichten
Drohbriefe an die Reichsbahn
Berlin, 16. März. Generaldirektor Dr. Dorpmül' lex hat in letzter Zeit eine große Zahl von Drohbrie. fen erhalten, in denen die schwersten Anschläge ang ki.i digt werden, falls ihnen nicht ein Barbetrag von lOOOOOMark ausgehändigt würde. Die Briefe stick 3UM Teil in Baden, zum Teil in Bayern aufg-egcbey worden. Die Erpresser haben genaue Angaben darüber gemacht, welche Eisenbahnbrücken sie zu sprengen beabsichtigten. Die Geldsumme solle in einer bayerisch:« Großstaot niedergelegk werden. Die Deutsche Reichsbahn- gesellschaft setzte die Berliner Polizei in Kenntnis, die alsbald mit d-er Münchener Kriminalpolizei zusammenarbeitete, da Spuren darauf hinwiesen, daß die Verbrecher ihren Sitz in Bayern hatten. An eine Stelle, die von den Erpressern angegeben war, wurde ein Paket mit ungültigen Geldscheinen gelegt, und die Verbrecher hatten in der Tat die Unverfrorenheit, das Paket abm- bolen, ohne daß man ihrer habhaft werden konnte. Als die Erpresser sich enttäuscht sai-en. r teten sie neue Drohbriefe an Dr. Dorpmüller und gcrben einen neuen Ort an, wo das Seid eingelegt werden schienen ^ ^ Mal find sie jedoch nicht mehr ci>
Stegerwald gegen Lan-wirtschaftszölle
Essen, 16. März. In einer Versammlung der Christlichen Gewerkschaften sprach gestern Reichsarbeitsminister St eg erwal d. Er wandte sich scharf gegen die Schwerindustrie und die Landwirtschaft, die mit dem Nationalsozialismus sich verbinden. Der Landwirtschaft müsse beigebracht werden, daß ihr mit Schutzzöllen nicht einmal sur kurze Zeit zu helfen sei; sie wirken vielmehr einschlä- fenck- Die christliche Arbeiterschaft lehne di« Schutzzollpolitik, wie sie vor dem Krieg bestand, unbedingt ab- Di« LsMVirtlchsst mW sich umstellen.