Zurückziehung der Saarbahnschnhlruppen
Genf, 7. Dez. Die Regierungskommission des Saargebiets teilte dem Völkerbundssekretariat mit, daß sie in Durch- süi.rung des Beschlusses des Völkerbundsrats vom 12. September 1930 100 Landläger des Saargebiets dazu bestimmt hat, im Notfall den Schutz des Bahnwesens zu übernehmen. Außer dieser Truppe hat die Regierungskommission zum Schutz des Durchgangsverkehrs eine Art technischer Not- hilse aufgestellt, die 1000 Mann stark ist. Diese Neuordnung soll Mitte Dezember d. I. in Kraft treten. Es ist demnach zu erwarten, daß die französischen und belgischen Saarbahnschutztruppen am 12. Dezember aus dem Saargebiet zurückgezogen werden.
Politlscheg Attentat in Paris
Ein Spitzel der Tscheka auf der Straße erschossen.
Paris, 7. Dez. Ein politisches Attentat, das besonders in hiesigen rusisischen Kreisen großes Aufsehen erregte, hat sich am Sonntag mittag ereignet. Der Georgier Rain i s ch w i l i befand sich auf dem Weg in eine Versammlung hier lebender georgischr Flüchtlinge. Als er die belebte Place d'Jtalie passierte, wurde er von einem Arbeiter angehalten. Es entspann sich eine Auseinandersetzung. Ramischwili kehrte dem leidenschaftlich auf ihn einsprechenden Mann plötzlich den Rücken, um seinen Weg fortzusetzen. Ein Revoloerschuß krachte. Zu Tode getroffen brach Ramischwili zusammen.
Barthou übernimmt die Kabinettsbildung
Paris. . Dez. Senator Barkhou hat den Auftrag er Kabinett üldung angenommen.
Der Grubenarbeitersirelk in Schottland beendet
London, 7. Dezember Der Vertretertag der schottischen Gewerkschaften hat beschlossen, den Streik der Grubenarbeiter nbzubrechen. Die alten Löhne bleiben in Kraft, dagegen wird dem Vorschlag der Arbeitgeber entsprechend 88 Stunde, oierzehntägig in 11 Achtstundenschichten gearbeitet.
Der Hitlertaq in Sluttgart
Stuttgart, 7. Dez. Die schwäbische Landeshauptstadt stand heute im Zeichen Hitlers Schon in den Morgenstunden trafen nationalsozialistische Sturmabteilungen in Uniform, mit Hakenkreuzfahnen, Trommel-, Pfeilen- und Musik- Korps aus dem ganzen Land und aus Baden ein. Und jeder Zug brachte neue Scharen. Der Fremdenverkehr auf dem Bahnhof war ungeheuer groß. Kaum geringer war der Verkehr der Personen- und Lastwagen, die aus allen Himmelsrichtungen Massen herbeiführten, die Hitler wenigstens durch den Radio-Lautsprecher hören wollten. Denn die 12 000 Menschen, die ihn in der Skadthalle zu sehen und zu hören Gelegenheit hatten, hatten den riesigen Raum schon lange vor Beginn der Rede gefüllt. Auch das nebenan erricht >t R'essn- zelt war schon früh von 8000 Personen besetzt. DaS mild«, trockene Wetter begünstigte den Aufenthalt auf dem Can- statter Wasen, wo eine Antenne mit Lautsprecher ausgestellt war, die den vielen Tausenden ermöglichte, die Rede Hitlers zu hören
Um Uhr setzte sich der Kundgebungszug der Sturmabteilungen in Bewegung. Mit militärischer Disziplin und Ordnung marschierten die Tausende und Abertausende in strammem Schritt durch bestimmte Straßen zur Stadthalle.
Es wird berichtet, daß auch Prinz August Wil- helmvon Preußen, ein Sohn des früheren Kaisers, in der Begleitung Adolf Hitlers sich befunden und mit diesem auf dem Ehrenpodium Platz genommen habe.
In seiner Rede hat Hitler von der Not des deutschen Volkes und von seinem Weg zu deren Ueberwindung gesprochen. Die Ueberwindung der Not sieht Hitler allein in derSammlung aller Deutschen und aller Weltanschauungen auf der gemeinsamen völkischen Grundlage, die den Nationalismus und den Sozialismus in der Nationalistischen Partei vereinigt. Auf diese Weise will er eine große politische Macht schaffen, die dann auch den Weg zu Deutschlands wirtschaftlichem Wiederaufstieg freimacht.
Meine Zusammenstöße am Abend.
Während die Demonstrationen selbst vollkommen reibungslos sich abwickelten, gab es am Abend einige kleinere Zusammenstöße. Kurz vor 9 Uhr sind auf dem Schloh- platz Nationalsozialisten und Kommunisten handgemein geworden. Da Leue aus dem Publikum sich ins Mittel legten wollten, scheint auch von ihnen der eine oder andere etwas abgekriegt zu haben. Als das Ueberfallkommando
an Ort und Stelle kam, waren aber die Beteiligten bereits verschwunden, so daß nichts Näheres festgestellt werden konnte.
Um 9.15 Uhr gab es in der Hauptstätter Straße Streit zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten, der dazu führte, daß die Polizei mit dem Gummiknüppel die Straße säubern mußte. Weitere Zwischenfälle sind bis zur Stunde, 10 Uhr, nicht bekannt geworden.
Mrüemberg
Aenderung der Notverordnung
Stuttgart. 7. Dez. Von zuständiger Seite wird mitgeteilt: Durch die Notverordnung des Reichspräsidenten vom 1. Dezember 1930 werden in Kap. 1 des ersten Teils die Bestimmungen des zweiten Abschnitts der Notverordnung des Reichspräsidenten vom 26. Juli 1930 in wesentlichen Punkten abgeändert. Für den Augenblick sind vor allem folgende Punkte bedeutsam. 1. Die Aenderung der Steuersätze für die Bürgersteuer tritt mit Rücksicht auf das bereits im Gang befindliche Erhebungsverfahren erst mit Wirkung für das Rechnungsjahr 1931 in Kraft. Es verbleibt somit für das Jahr 1930 bei den bisher geltenden Steuersätzen. 2. Auch die neu ausgenommen« Bestimmung, wonach nur Personen, di« selbständig und auf eigene Rechnung leben, der Steuerpflicht unterliegen, tritt erst mit Wirkung für das Rechnungsjahr 1931 in Kraft, so daß z. B. Haussöhne und Haustöchter für das laufend« Jahr noch die Steuer zu entrichten haben. 3. Der Kreis der von der Bürgersteuer befreiten Personen ist dagegen r ü ck w i r k e n d für das Rechnungsjahr 1930 erweitert worden. Die Befreiung ist u. a. auch ausgedehnt auf Personen, di« am Fälligkeitstag Arbeitslosenunterstützung empfangen, sowie auf Personen, di« am Stichtag vom Wahlrecht ausgeschlossen oder an der Ausübung ihres Wahlrechts rechtlich verhindert sind. 4. Bemerkenswert sind auch die neu aufgenommensn Bestimmungen, wonach di« Gemeinden berechtigt sind, Zuschlägezur Gemeindebiersteuer und Bürgersteuer zu erheben. So sind di« Gemeinden bereits vom 1. Januar 1931 ab befugt, die G«» meindebiersteuer mit dem Doppelten der sonst geltenden Steuersätze zu erheben. Entsprechendes gilt für di« Bürgersteuer mit Wirkung vom 1. April 1931 ab.
» Stuttgart, 7. Dezember.
Württembergs Vertreter im Reichsbahn-Verwaltungs- rat. Die württ. Regierung hat Staatssekretär a. D. Dr. v. Stieler als das von Württemberg zu wählende Mitglied des Verwaltungsrats bei der Reichsbahngefellschaft benannt: Herr von Stieler, der schon vor dem Krieg in hervorragender Weise im württembergischen Eisenbahnwesen tätig war, gehört zu den ersten Eisenbahnfachmännern Deutschlands und besitzt nicht nur die Erfahrung und Fachkenntnis, sondern auch die nötige Autorität.
Sonntagsrückfahrkarten und Arbeiterrückfahrkarten über Weihnachten. Die Neichsbahndirektion Stuttgart teilt mit: Die Sonntagsrückfahrkarten gelten Heuer über Weihnachten: Zur Hinfahrt vom Dienstag, 23. Dezember 12 Uhr an bis Sonntag, 28. Dezember. Zur Rückfahrt vom Dienstag, 23- Dezember bis Montag, 29. Dezember 9 Uhr vormittags. Am Montag, 29. Dezember muß die Rückfahrt auf dem Zielbahnhof der Fahrkarte spätestens um 9 Uhr, von Unterwegsbahnhöfen spätestens mit dem Zug angetreten oder- fortgesetzt werden, der den Zielbahnhof um 9 Uhr oder früher verläßt. Wenn mehrere aneinander anschließende Sonntagsrückfahrkarten gelöst worden sind, muß die Rückreise am Montag mit einem Zug angetreten werden, der auf dem Zielbahnhof der zuerst gelösten Karte spätestens um 9 Uhr abgeht. Nach 9 Uhr darf die Rückfahrt am Montag nicht mehr unterbrochen werden. Dis Benutzung von Schnellzügen mit Sonntagsrückfahrkarten bleibt am Dienstag, 23. Dezember und Mittwoch, 24. Dezember ausgeschlossen, wird aber an den übrigen Tagen gegen Bezahlung des tarifmäßigen Schnellzugszuschlags zur Hin- und Rückfahrt zugelassen. Eilzüge können in asten genannten Tagen gegen Lösung des tarifmäßigen Zuschlags benützt werden.
Arbeiterrückfahrkarten können in diesem Jahr bereits vom 20. Dezember ab benützt werden. Die Geltungsdauer der in der Zeit vom 20. bis 28. Dezember aus- gegebenen Arbeiterrückfahrkarten wird ausnahmsweise bis zum 5. Januar 1931 einschließlich verlängert. Zur Erleichterung der Schnlterabsertigung im Hauptbahnhof Stuttgart, werden täglich von 6 Uhr bis 20.30 Uhr Fahrkarten 1. bis 3. Klasse nach württ. Bahnhöfen und sämtliche Sonntagsrückfahrkarten auch an den Schaltern »n der kleinen Eingangshalle «usgegcben.
Werbewoche der Württ. Landesthealer. Die Theaterleitung veranstaltet in der Zeit vom 14.—21. Dezember eine Werbewoche für die Plahmieten. Für alle Vorstellungen
— Schauspiel und Oper — werden statt der sonst üblichen Tagespreise nur die Preise erhoben, die für die Hauptmiete ^ und die Auswärtigen-Miete während des ganzen Zahres bezahlt werden. Es soll damit jedem Theaterfreund gezeigt werden, wie vorteilhaft es für ihn ist, eine Plahmiste zu nehmen, die ihm das ganze Jahr über einen so billigen Theaterbesuch ermöglicht, einen festen Platz sichert und die vielen Gänge zur Kasse erspart. — Anmeldungen zur Plah- miete nimmt die Geschäftsstelle der Theatergemeinde im Verwaltungsgebäude der Landestheater entgegen, die auch bereitwilligst jede newünschte Auskunft erteilt. 3e früher
die Zeichnung erfolgt, desto größer ist die Auswahl unter den Plätzen.
Winterübung der Reichswehr. Am 9., 10 und 11. De- ^ zember findet in der Gegend Göppingen—Geislingen—Laichingen eine Winterübung statt, an der Truppen aus den Standorten Stuttgart, Cannstatt, Ludwigsburg, Schwab. Gmünd, Tübingen und Ulm teilnehmen. Die Usbnn-g wird geleitet von Oberst Muff, Kommandeur des 13. (Württ.) Infanterie-Regiments.
Der Waldbesiherverband für Württemberg und Hohen- zollern hält am Samstag, den 13. Dezember im „Hinden- burgbau" zu Stuttgart seine 13 Jahresversammlung ab.
D>e reichhaltige Tagesordnung enthält u. a. folgende zeitgemäße Gegenstände: „Deutschlands wirtschaftliche Lage".
— „Die heutige Lage der Gemeinde- und Privatwcldwirt- schaft" — Holzmarkt und Holzabsatz im neuen Hiebsjahr.
Für die Vorträge ist u. a. der bekannte Forstpolitiker Universitätsprofessor Dr. Raa b, Dresden, gewonnen.
Großseuer. In einem Fabrikanwesen in der Heusteigstraße brach am Samstag morgen ein Brand aus. Der Schaden ist beträchtlich.- In dem abgebrannten Dachstock waren neben Notwerkstätten vor allem größere Lage in elektrischen Geräten, die zum Teil recht wertvoll waren.
RSuberischer Ueberfall. Freitag abend nach 7 Uhr kam ein noch recht junger Mann in ein Kolonialwarengeschäft der Militärstraße beim Dreieck und verlangte Zigaretten. Während die ihn bedienende ältere Frau sich umdrehte, wurde sie von dem Burschen angefallen und am Hals gewürgt. Auf die Hilferufe der Frau eilten sofort Hausbewohner herbei. Der Täter flüchtete, konnte aber in der Johannesstraße ergriffen und der Polizei übergeben werden.
Der Täter ist der 23jährige Eugen Dietrich von Bot- nang, der von dem 22jährigen Mechaniker Richard Baum« gärtner, der bei der Tat Schmiere stand, angestiftet wurde. Baumgärtner wurde am Samstag morgen aus dom Bett heraus verhaftet. Beide sind mehrfach vorbestraft.
Totschlag. In der Nacht auf Samstag wurde in Cannstatt beim Gittersteg am Eck der Kranenstraße der 58 I. a. Hausinspektor der Cannstatter Oberrealschule, Jakob St um pp, von Angehörigen der Arbeiterwehr der Kommunistischen Partei, die am dortigen Schulhaus Plakate anklebten, niedergeschlagen. Stumpp wollte das Zettelankleben verhindern. Er erhielt dabei von dem Truppführer einen solch wuchtigen Schlag , mit der Faust, daß er umstürzte und den Kopf auf den Boden aufschlug.
Bis man ihn in seine nahe gelegene Wohnung verbracht hatte, war der Tod eingetreten. Die Täter gingen stüchtig.
Sie wurden jedoch von der Polizei noch in der-Nacht ermittelt. Der verhängnisvoll« Schlag ist geführt worden von dem 31 I. a. Gärtner Karl Foerstner, der zuletzt in Cannstatt wohnhaft war. Dieser ist festgenommen.
Schneefall. 3m Lauf des Freitag nachmittags trat ein Temperaturumschlag ein. Abends fiel leichter Schnee. Um 9 Uhr abends konnte man ein Wetterleuchten beobachten.
Stuttgart, 7 Dezember. 7 0. Geburtstag. Professor Dr. Max Reihten, ein bekannter Stuttgarter Arzt, vollendet am 9. Dezember das 70 Lebensjahr. Er hatte Lehraufträge an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Stuttgart und erhielt 1910 den Professortitel. Besondere ^ Verdienste hat er sich auch um das Deutschtum im Ausland erworben.
Wiederzusammentritt des Landtags am 10. Dezember.
Der Landtag tritt am 10. Dezember nachmittags 4 Uhr wieder zusammen. Auf der Tagesordnung stehen vor allem die Gesetzentwürfe betr. die Landesgebührenordnung und das Feldbereinigungsgesetz, ein Antrag der Kommunisten betr. Zuschüsse an Religionsgesellschaften, ein Antrag des Christi Volksdienstes betr. Sparmaßnahmen in der öffentlichen Verwaltung, ferner eine Reihe von Ausschußanträgen zu verschiedenen Gegenständen und Eingaben, ein Antrag des Bauernbunds betr. Schutz der Zichorienwurzel
Des Weibes Waffen.
Original-Roman von Llsbeth Borchart.
IS, Fortsetzung Nachdruck verboten.
Eines Tages suchte Wolf Dietrich seine Frau im ganzen Hause. Er wollte ihr etwas Mitteilen, da er soeben von einem Jnspizierungsritt mit dem Inspektor Rudorf zurückgekehrt war.
Da er sie weder im Eß-, noch im Wohnzimmer fand, ging er kurz entschlossen in das obere Stockwerk, wo sie ihre „Privatgemächer", wie er sie spöttisch bei sich nannte, hatte.
Nach kurzem Anklopfen an die Tür, worauf niemand geantwortet hatte, trat er zögernd ein.
Er stand in Juttas Wohnzimmer, das leer war, aber durch die Portiere konnte er in ihr Schlafgemach blicken. Da saß sie vor dem Spiegel, im Begriff, sich zu frisieren. Die langen aufgelösten Haare umwallten sie wie ein Mantel, die kurzärmlige Frisierjacke, die sie der Hitze wegen nur leicht übergeworfen hatte, ließ den vollen weihen Unterarm und vorn ein Stück ihres blendend weißen Halses sehen.
Einen Augenblick stand er wie gebannt und starrte auf das verlockende Bild. Sie hatte ihn augenscheinlich nicht kamen hören, denn sie fuhr fort, ihr Haar zu bürsten.
Da packte ihn plötzlich ein leidenschaftlicher Rausch. Ohne Besinnen eilte er auf sie zu, schlang seine Arme um ihren Nacken und küßte sie auf die entblößte Stelle ihres Halses
Mit einem Entsetzensschrei sprang Jutta auf. Purpurglut bedeckte ihr Gesicht:
„Dieter — wie — wie konntest du mich so erschrecken?"
Scham und Schreck verschlugen ihr fast die Stimme. Fest zog sie ihre Jacke zusammen und strich die Haare zurück.
Sie sah verführerisch schön aus in ihrer Verwirrung und Beschämung, von dem langen schönen Haar umwallt. Es leuchtete in seinen Augen auf:
„Verzeih, Liebste," bat er mit zärtlichem Blick und Ton, „ich wollte dich nicht erschrecken — ich suchet dich, um dir etwas mitzuteilen, und als ich dich hier fand, so schön, so verlockend — da konnte ich nicht widerstehen—"
Er wollte sie von neuem umfangen, aber sie stieß ihn heftig und unmutig fort:
„Laß diese Albernheiten." Es kochte in ihr vor Erregung, Scham und Empörung. „Ich finde es wenig takt- und rücksichtsvoll von dir, hier einzudringen, und ich verbitte mir in Zukunft einen derartigen Ueberfall."
Jetzt kochte auch in ihm das Blut über ihre ganz ungewohnte und verletzende Heftigkeit auf.
„So — du verbittest dir also," meinte er spöttisch, „was doch als Gatte mein gutes Recht wäre — du hast mit freilich bisher noch keins davon eingeräumt, aber immerhin — möchte ich dich doch daran erinnern." äü^ttch^^b Gittern befiel Jutta, aber sie bezwang sich
„Du weißt, daß ich dergleichen nicht liebe," sagte sie ruhiger, „bitte gehe jetzt, damit ich mich fertig ankleiden kann."
Er war blaß geworden und ein Zorn gährte in ihm auf.
„Und —wenn ich nicht gehe —wenn ich endlich—mein Recht forderte—?"
„Das wäre brutal," stieß sie heftig her vor und wich noch einige Schritte von ihm zurück.
Da lachte er hohnvoll und bitter auf:
„Das hast du von mir nicht zu befürchten — ich zwinge dich zu nichts, was du mir nicht freiwillig gibst."
Damit verließ er ohne Gruß das Zimmer.
Jutta starrte ihm sekundenlang bestürzt nach. Das hatte sie nicht gewollt, es war das Gegenteil von dem, was sie bezweckte, und stieß alles das um, was sie sich selbst vorgenommen hatte. Warum hatte sie sich nicht besser beherrscht, wo sie doch sonst ein Muster von Selbsteherrschung war? Ein erneutes Zittern befiel sie. Die soeben erlebte Szene wirkte in allen ihren Einzelheiten in ihr nach. Scham und Empörung überwältigte sie fast, und aufstöhnend, das erglühte Gesicht mit beiden Händen bedeckend, sank sie auf den Stuhl vor dem Spiegel nieder. Sie kam sich gedemü- tigt, erniedrigt vor, haß er sie so überrascht, gesehen und ^ gar geküßt hatte. Und was hatte er ihr auf ihren Vorwurf " geantwortet? „Es wäre sein Gattenrecht." Ein Erschauern ging durch sie hin. Rechte —ja, die hatte er nach dem Gesetz. Aber was fragt das Gesetz nach der Seele der Frau?
Er hätte sie doch nicht geheiratet, wenn sie nicht die Erbin von Rotenfelde gewesen wäre, er hatte sie stehen lassen, um zu einer anderen zu gehen. Das verwand sich nicht, wie er es wohl denken mochte. Männer sind darin gleichmütiger und verwinden schneller und nehmen alle ihnen gebotenen Vorteile. Sie hatte ihm alles vergeben, was sie konnte, sie hatte ihn in den Besitz des Erbes vom Onkel gebracht— mehr durfte er nicht von ihr verlangen, das ging über ihre Kraft und über ihren Stolz.
Und plötzlich schlug sie die Hände vor ihr Gesicht und schluchzte hart auf. Die alte Wunde blutete wieder, und in d' ihrem Herzen schrie es auf vor Sehnsucht und Qual.
Eine ganze Weile saß sie so in sich zusammengekauert, schluchzend und von ihrer Schwäche übermannt. Sie horchte auf seinen Schritt. Wenn er jetzt noch einmal käme —
(Fortsetzung folgt.)