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Nvmmer 96
Fernruf 17S
Die Abrüstungskommission kommt , nicht vom Fleck
Und zwar seit zwei Jahren. Ein vernichtenderes Urteil konnte am Samstag der russische Vertreter Litwinow nicht fällen. Mag man so oder anders über den Ernst und den Wert der sowjetrussischen Abrüstungsvorschläge denken, ja mag man sie sogar als schlau berechnete Gesten ansehen, als irreführende Manöver, mit denen die Moskowiter „guten Eindruck" machen und die kapitalistischen Mächte ins Unrecht setzen wollen, gleichviel, Tatsacke ist, daß diese sog. „Vorbereitende Abrüstungskommission seit fünf Jahren nichts als Komödie spielt, daß sie auf ihren früheren fünf Tagungen, statt zu klären, den Gordischen Knoten der Abrüstungsfrage nur noch mehr verwirrte, und daß sie aus der gegenwärtigen 6. Tagung es um kein Haar besser macht als früher, vielmehr mit fast noch größerer Perfidie, wie Gras Bernstorff ihr an dem letzten Samstag ins Gesicht schleuderte, „immer versucht, auszuweichen, wenn Schwierigkeiten oder wichtige Fragen auftauchen". —^
Wozu kam denn überhaupt diese Kommission wieder zusammen? Erstens einmal, um den in den Jahren 1925 bis 1927 mühsam festgesetzten „Abrüstungs-Konventionsentwurf" in zweiter Lesung zu beraten und für die eigentliche Abrüstungskonferenz zurechtzulegen. Nur stelle man sich unter diesem Entwurf keine positiven und greifbaren Vorschläge vor! O nein! Derselbe ist ein langes Schriftstück aus lauter Ueberschriften und Tabellen — aber ohne Zahlen, die erst später eingesetzt werden sollen. Also ein Skelett ohne Fleisch und Blut.
Zweitens sollte und wollte diese 6. Tagung den sowjetrussischen Vorschlag beraten, d. h. den zweiten. Den ersten sog. „R a dl k a l v o r s ch l a g", der alle und jede Kriegsrüstung verboten wissen wollte, ließ man als „völkerbundswidrig" schon im März v. I. rasch in der Versenkung verschwinden. Es hat damals schon alle Welt gewundert, daß nicht Litwinow sofort den Saal mit Protest verlassen hatte. Aber die Herren verstanden, ihr „Nein" mit soviel Höflichkeit zu verzuckern, daß der Russe die Pille schluckte, ja daß er sich zu einem zweiten Vorschlag herbeiließ, einem Vorschlag, der nur eine Teilabrüstung vorsah, aber immerhin von dem Ausmaß, daß der betreffende abgerüstete Staat seinen Gegner nicht ohne weiteres überfallen konnte.
Selbstverständlich wird auch dieser Vorschlag in den großen Papierkorb der Abrüstungskommission mit mehr oder weniger Würde wandern. Es fragt sich nur, ob der Russe dennoch bis zum Schluß in Genf aushält oder schnurstracks auf Nimmerwiedersehen davonläuft.
Ein drittes Moment, das verhältnismäßig überraschend in Genf sich anmeldete, war die Graf Bernstorffsche Denkschrift mit ihren positiven deutschen Vorschlägen über das Verbot der Anwendung chemischer Kampfstoffe, wie des Abwurfs von Kampfstoffen aus der Luft überhaupt, und namentlich — und das ist der wichtigste Teil des deutschen Vorschlags — über die Einbeziehung der ausgebildeten R e s e r v e n in ein künftiges System der allgemeinen Abrüstung. Bekanntlich will Frankreich hiervon nichts wissen. Paul Boncour, der famose Sachverwalter des französischen Abrüstungs- und Wehrgedankens, wehrte sich seinerzeit mit Händen und Füßen gegen jegliche Einschränkung des Mobilmachungsapparats, den bekanntlich das Versailler Diktat uns Deutschen restlos abgesprochen hat. In den Reserven und Kriegsvorräten liegt aber Frankreichs Die 2—3 Millionen Reserven machen es ihm möglich, jede Stunde einen Gegner mit stärkster Ueberleaen- etwaige Minderung des aktiven Be- « -I' die Reserven unberührt bleiben, für
Frankreich belanglos. Bringt aber die Abrüstungskonferenz hier nichts zustande, dann hat sie leeres Lh WiM Schade, ewig schade um das Geld, das in Genf verbrauckt und die Zeit, die dort vergeudet wird! ^ verbraucht,
Der Schuldige an der Abrüstungs- Verschleppung
.Cs ist ein sonderbares Ding um den Verlaus der rügtung , jener feierlichen V e r sv r e m r. am Ende des Kriegs den Bevölkerungen chungen, bündeten Regierungen gegeben und^in de" °Völk^rb satzung dann von mehr als 59 SMaien v.,.,
erfüllbare Verpflichtung übernommen wurde^Es wmd
auch em Volkerbunds-Abrüstung'sau^sch
und als dieser mit seinen Arbeiten" eben nicht vom i kam. sogar noch ein Vorbereitender Ausick i die Welt gesetzt Die Ausschüsse haben die steuerzahlei Völker schon Millionen gekostet, man ist aber noch ke Zoll weiter, als man vor zehn Jahren war.
Die „Besiegten" sind nicht nur abgerüstet, sondern waffnet. Die Sieger aber denken trotz ihrer Heuchler« Beteuerungen gar nicht daran, ihr Abrüstungs-Verspre einzulösen. Dabei ist es ergötzlich, welcher Aus re! man sich bedient, um diese Tatsache zu bemänteln l suW und.jan.d Mmex,eimn D
Donnerstag, den 25. April 1929 Fernruf 179 _ 64. Jahrgang.
Tagessviegel
Dr. ing. Madelung. Abkeilungsleiker der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt, ist zum ordentlichen Professor auf dem neuerrichkeken Lehrstuhl für Luftfahrt an der Technischen Hochschule Berlin ernannt worden.
Am Mittwoch wollte Max Holz in Heidelberg auf freiem Platze sprechen. Aus Grund der blutigen Vorkommnisse in Karlsruhe wurde jedoch das Auftreten von Holz in Heidelberg und anderen badischen Städten verboten.
Die Regierungsparteien in Oesterreich verhandeln mU dem Vorarlberger Abgeordneten Professor Dr. Miktelberger wegen der Uebernahme des Kanzleramts. Miktelberger war früher Obmann der Lhristlichsozialen Partei in Vorarlberg.
Der neue Unterausschuß der pariser Sachverständigen- konferenz fetzte das Arbeitsprogramm für den Bericht an die Baukonferenz fest. Die nächste Ausfchußsihung wurde auf Freitag anberaumt. Die Blätter glauben, die Abfassung des Berichts werde mindestens 10 Tage in Anspruch nehmen.
es vie Leu ticken, sie angeblich oie irniwasfnungsoestim- mungen von Versailles nicht erfüllten. Dann wurden die Russen herangezogen, die es abgelehnt hätten, der Einladung des Völkerbunds, nach Genf zu kommen, zu folgen und deshalb als „Unbekannte" eine Lücke in jeder Vereinbarung verursachen sollten. Zwischendurch lehnten die E n g l ä nder das Genfer Protokoll ab und sie galten daher als diejenigen, welche dis Lösung der Sicherheitsfrage verhindert und damit der Erfüllung des Abrüstungsversprechens die Voraussetzung entzogen hätten. Seitdem Chamberlain sich auf den Weg begab, mit den Franzosen ein Sonderbündnis abzuschließen, verschwand die Sicherheitsfrage aus der Aussprache, und seit der letzten Völkerbundsversammlung' vom September 1928 galt es in den eingebürgerten Völkerbundskreisen als ausgemacht, daß die Ohnmacht des Abrüstungsausschusses ihre Ursache in dem Verhalten der amerikanischen Regierung habe, in der Weigerung Washingtons, dem englisch-französischen Bündnis — das man „Seeabkoinmen" nennt — beizutreten.
Nachdem nun aber der Amerikaner Gibson am 22. April in Genf die Herren Vorbereitenden ganz energisch aufgerütielt und die Seegroßmächte der Ende aufgefordert hat, auf Grund eines offenen und großherzigen Angebots der Vereinigten Staaten alsbald mit Amerika in ehrliche Verhandlungen über die Möglichkeit einer fühlbaren Einschränkung der Kriegsflotten zu treten — ist es erwiesen, daß die Berufung auf die Amerikaner als Schuldige ebenfalls keinen Boden hat.
Es ist nicht wahrscheinlich, daß die Dinge so glatt verlaufen, wie es im Sinne der Amerikaner offen liegt. Die Vertreter der „alten" Völkerbundsmitglieder im Vorbereitenden Ausschuß — die „Neulinge" im Ausschuß Rußland, Türkei und China, ja auch Deutschland werden im Ausschuß gern wie Mitglieder zweiter Ordnung betrachtet und behandelt — haben augenscheinlich weder die Befugnis noch die Neigung, der amerikanischen Anregung zu iolgen. Außerdem stehen dieenglischenWahlen vor der Tür. Dazu kommt, daß zu einer Verminderung der Rüstungen ja nicht eine Vereinbarung der großen Seemächte über ihre Kriegsschiffe genügt, sondern daß auch die Abrüstung zu Land und in der Luft, das Kernstück jeder Abrüstung, in Frage steht. Diese Rüstungen und Gegensätze sind seit Jahr und Tag in Genf bewußt in den Hintergrund geräumt. Wenn die Lösung der Äbrüstungsfrage wieder mißlingt, wenn für vre Rüstun gen zuLand — vor ihnen macht der amerikanische Einfluß als „innereuropäischen Angelegen» heiten" halt — sich wieder nichts ändert, dann wird es leicht sein, den Schuldigen zu finden: es ist der Völker- >und selber.
Neue Nachrichten
Erhöhung der Änleiheermächkigung um 200 Millionen
Berlin, 24. April. In der gestrigen Besprechung der Vertreter der Regierungsparteien mit dem Reichsfinanzminister und den Beamten des Ministeriums wurde beschlossen, daß die Regierungsparteien im Reichstag einen Antrag einbringen, der die Reichsfinanzverwaltung ermächtigt, weitere 200 Millionen Mark Anleihen aufzunehmen. Von verschiedenen Abgeordneten wurde betont, die Lage der Reichskasse oft schon schwieriger gewesen >ei. Die Reichsfinanzverwaltung habe sich so sehr daran AvwhM, dieses Gespenst an die Wand zu malen, daß sie selbst davon erschrecke. Die Abgeordneten y ren die Befürchtungen des Ministers nicht für begründet.
Der Kampf um die Ausschußsihe im Reichstag
ReickaMn- Vckvil. Nachdem man sich im Aeltestenrat des Mt eckw , die Neuverteilung der Ausschußsitze nicht ''arte! einen unternimmt jetzt die Wirtschafts-
Tie bat im Wünsche durchzusetzen,
mch von der ZL U. senden Antrag eingebracht, der ck von der Bayerischen Volkspartei unterstützt txir h : „Hie
Belegung der Ausschüsse erfolgt entsprechend der Mitglieder- ;ahl der Fraktionen nach den Bestimmungen der Geschäfts- rdnung."
Einheitsstaat durch-Volksentscheid
Berlin, 24. April. Im Verein Berliner Kaufleute und ndustriellen hielt gestern der Reichsminister des Innern, T e v e r i n a, einen Vortrag über den „Einheitsstaat". Dieser werde nur kommen, wenn das Volk selbst ihn wolle. Aus zweierlei Art könnte es geschehen: Durch das Parlament oder durch Volksentscheid. Die Aussicht, den Einheitsstaat durch den Reichstag cucchzusetzen, sei gering, so bleibe also nur der Volksentscheid übrig.
Hclz bei politischen Zusammenstößen verletzt
Karlsruhe, 24. April. Gestern abend sprach der Kom- inunistenführer Max Hölz im großen Festhallensaal. Neben der Anhängerschaft und zahlreichen Neugierigen hatten sich auch die Nationalsozialisten, einige hundert Köpfe stark, zu der Versammlung eingefunden. Nachdem der Redner schon während seiner Ausführungen wiederholt unterbrochen und eine Diskussion verweigert worden war, entstand eine große Unruhe, die in einen allgemeinen Tumult und schließlich in ein« wüste Schlägerei ausartete. Man ging mit Tisch- und Stuhlbeinen, mit Knüppeln und Schlagringen aufeinander los. Ein Polizeiaufgebot räumte den Saal. Hölz wurde bei den Ausschreitungen erheblich verletzt; auch ein« große Anzahl Versammlungsteilnehmer trug Verletzungen ' '.«von. «js
Auflösung antifaszistischer Komitees in Oesterreich
Wien, 24. April. Die „Reichspost" meldet: Da sich in letzter Zeit in mehreren Jndustrieorten sowie in einzelnen größeren Betrieben kommunistische Vereinigungen zu antifaschistischen Komitees zusammengeschlossen haben, ohne daß die erforderliche Anmeldung erfolgt war, wurde ihre Auslösung verfügt und gegen dis Mitglieder Strafanzeigs wegen Geheimbündelei erstattet.
Der chemische Krieg
A Genf, 24. April. Der Vorbereitende Abrüstung- Ausschuß hat beschlossen, daß das Verbot von Giftgasen und ähnlichen chemischen Kampfmitteln auf die Staaten beschränkt wird, die eine solche Verpflichtung eingehen. Allgemein sollen Krankheits- und Pestbakterien als Kampfmittel verboten werden. Meitergehende Anträge wurden zurückgezogen oder sollen an die Abrüstungskonferenz zur Kenntnisnahme weitergeleiket werden. Graf Bernstorfs begründete eindringlich den deutschen Antrag auf ein allgemeines Verbot des Bombenabwurfs durch Flugzeuge unter Schild ung der grauenhaften Wirkung dieser Kampf-
weise. ^ ^
Der Antrag auß Aufschiebung der neuen EinwandecungsH - quoten im Senat abgelehnt » «
Washington, 24. April. Im Einwanderungsausschuß
des Bundessenats stellte Senator Reed den Antrag, di« Beratung der eingereichten Gesetzentwürfe betreffend Ausi Hebung bzw. Aufschub der neuen Einwanderungsquoten
aus unbestimmte Zeit, d. h. für die ganze Dauer der Sondertagung des Kongresses zu vertagen. Dieser Antrag wurde mit, 4 gegen 2 Stimmen angenommen und eine Beschluß« sasfüng des Ausschusses zur Sache selbst dadurch unmöglich gemacht. ,,,
Württemberg
Stuttgart. 24. April. Vom Landtag. Der Finanzausschuß des Landtags begann gestern mit der Beratung des Haushaltplans. Hap. 1 (Landtag) wird genehmigt. Bei Kap. 2 (Staatsministerium) wünscht Berichterstatter Hey - mann, daß bei diesem Kapitel kein Ministergehalt laufen solle. Das Staatsministerium sei zu stark aufgebläht, ein besonderer Ministerialdirektor sei dort nicht notwendig. Staatspräsident Bolz gibt Aufschluß über das Arbeitsgebiet des Staatsministeriums. Eine Beamten- stelle könne gestrichen werden. Ueber die Enklaven- fragen habe er Verhandlungen geführt, doch sei noch alles in der Schwebe. Hinsichtlich des Gutachtens des Sparkommissars sei vor dem Herbst kein Abschluß zu erwarten. Darauf werden früher gestellte Anträge wieder ausgenommen, die sich auf das B e fick ggen mit den Farben der Republik' bei öffentlichen Veranstaltungen beziehen. Ein Antrag Körner (BB.), diese Anträge durch die zustimmende Erklärung der Regierung für erledigt zu erklären, wird angenommen.
Ein Zentrumsredner machte Mitteilung von Schwierigkeiten beim Umbau des Bahnhofs Tuttlingen, wo durch die badische Verzögerungstaktik hinsichtlich der Donauverlegung der Beginn der Bauarbeiten bis jetzt verhindert worden sei. Staatspräsident Bolz erklärte, die württ. Regierung habe sich mit dieser Frage noch nicht befaßt. In der Sache der Donauversickerung müsse nunmehr der Staatsgerichtshof entscheiden. — Bei der Ab» stimmuna wird der Antrag Hevmann betr. di« StreichiM.