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Nummer 53
Fernruf 17V
Zer belgisch-holländische Gegensatz
Die Scheldefrage und das Limburger Loch
Die Enthüllungen über das französisch-belgische Militärbündnis haben u. a. einen interessanten Einblick auch in die belgisch-holländischen Beziehungen gewährt. Diese Beziehungen werden im wesentlichen bestimmt durch den belgisch-holländischen Gegensatz in der Scheldesrage und der Frage des Limburger Lachs.
Die Schelde fließt in ihrem Unterlauf durch holländisches Gebiet und damit sind sowohl Antwerpen als auch das durch einen eigenen Kanal mit der Schelde verbundene Gent in ihren Lebensbedingungen mehr oder weniger von Holland abhängig. Belgien empfindet diesen Zustand als unerträglich und ist daher bestrebt, ihn zu seinen Gunsten zu ändern. Antwerpen soll der Haupthafen des gesamten Rheingebiets werden. Es soll damit befähigt werden, der Konkurrenz wirksamer zu begegnen, die ihm in steigendem Maß durch die beiden holländischen Häfen Rotterdam und Amsterdam gemacht wird. Gleichzeitig damit aber soll es auch im Rahmen des französisch-belgischen Militärbündnisses zu einem neuen Stützpunkt für Frankreich gegen Deutschland werden und als solcher Frankreich eine neue Grundlage für die Durchführung der bekannten französischen Pläne gegen die deutsche Nordseeküste geben. Diese belgischen Bestrebungen zeigten sich zum ersten Male ganz deutlich gelegentlich der Pariser „Freidens"konferenzen. Sie 'amen zum Ausdruck in der Forderung Belgiens nach neuen Kanal- Verbindungen Antwerpens mit dem Rhein, von denen die eine Antwerven mit der Rheinmündung die andere mit dem Rhein bei Ruhrort verbinden sollte. Weiterhin zeigten sie sich in einem belgischen Vorschlag, der, von Frankreich lebhaft unterstützt, die Abtretung der Scheldemündung und eines Teils der holländischen Provinz Limburg an Belgien oorsah, wofür Holland durch deutsches Gebiet — in Aussicht genommen war hierfür Ostsriesland — entschädigt werden sollte.
Ein Erfolg ist diesen Bestrebungen seinerzeit nicht be- schieden gewesen. Holland weigerte sich, sich auf den belgischen Vorschlag einzulassen. Gleichzeitig damit aber erhob damals auch England Einspruch gegen ihn. Das -inzige, was Belgien erreichte, war die Aufnahme eines Artikels in len Versailler Vertrag, demzufolge Deutschland verpflichtet ein sollte, falls sich Belgien im Verlauf von 25 Jahren ent- chließen sollte, einen Großschiffahrtsweg Rhein—Maas zu chassen, den auf deutschem Gebiet gelegenen Teil dieses Schiffahrtsweges nach den von der belqisch-en Regierung hierfür mitgeteilten Plänen zu bauen. Diese Verpflichtung Deutschlands sollte jedoch, da der in Frage kommende Kanal zum größten Teil durch holländisches Gebiet führt, von der vorherigen Einigung Belgiens mit Holland abhängig sein, ym ickirigen aber stellte sich der Oberste Rat unter dem Einfluß Englands auf den Standpunkt, daß die Neuregelung der Scheldefrage zunächst einmal eine holländisch-belgische An- gelegenheit sei, von diesen beiden Ländern vorzubereiten und dann den anderen beteiligten Mächten zu unterbreiten sei, in keinem Fall aber neue internationale Lasten und leine Gebietsänderungen mit sich bringen dürfe.
Die belgische Regierung mußte sich so zu unmittelb iren Verhandlungen mit Holland bequemen. Diese Verhandlungen begannen im Mai 1919 Sie dauerten Jahre hindurch, ohne zu einem Ergebnis zu führen. Erst am 3. April 1925 kam es zu einem Vertrag zwischen beiden Ländern, der den belgischen Wünschen zwar in weitgehendem Maß Rechnung Bestätigunq die holländische Kammer jedoch am 24. Marz 1927 ablehnte. Deutschland ist an den Ver-- handningen und an der Scheldefrage in stärkstem Maße interessiert, zunächst einmal aus Gründen seiner Sicherheit, dann über auch angesichts der Tatsache, daß ein etwaiges Eingehen Hollands auf d>e belgischen Kanalvläne auch Deutschland zwingen würde, die Kanalstrecke von Ruhrort bis zur Reichsgrenze zu bauen und damit zu einem Werk beizu- tragen. das geeignet wäre, den deutschen Nordseehäfen schwersten Schaden zuzufügen.
Nicht minder groß ist aber auch das Interesse De lisch- lands, an der Frage des Limburger Lochs, die mit der Scheldefrage in engem Zusammenhang steht. Velgen erstrebt, von Frankreich unterstützt, den Besitz der holländischen Provinz Limburg. Es will stch da- wirch mit Frankreich zusammen eine erweiterte Ananfts- grundlage gegen Deutschland schaffen.
Wird Prime de Wem sich durchsetzen?
neuesten Meldungen ist das gesamte spanische Ar ti l l e r t e k o r p s aufgelöst und die Artilleriekasernsn sind ohne Zwischenfälle (?) von den Offizieren anderer Truppengattungen übernommen worden. Von dieser Maßregelung sind nicht weniger als 1984 Offiziere, die sich auf 13 Stäbe verteilen, betroffen.
Diese Nachricht genügt, um die Tatsache zu erörtern, daß Spanien von seinen letzten politischen Erdbeben immer noch nicht zur Ruhe gekommen ist. Von keinem Land« Europas, Rußland ausgenommen, sind wir, dank der scharfen Zensur, politisch schlechter unterrichtet als von Spaniep. Dis Regierung dep Diktator, svxgt ängstlich und
Montag den 4. März 1S29
Fernruf 17V
64. Jahrgang.
peinlich dafür, daß möglichst keine ungünstigen Nachrichten
Pyrenäen stberfliegen.
Trotzdem hat man ungeachtet aller Friedenstauben, die Primo de Rivera in Madrid aus aufsteigen ließ, den unwiderstehlichen Eindruck, daß die Opposition, deren Führung von jeher in den Händen der bevorzugten Artilleristen lag, nicht bloß sich auf einzelne Standorte beschränkt, sondern daß sie in weitem Boden Fuß gefaßt hat, ja daß sie sogar In ausgesprochen konservativen Klubs — man denke an den früheren Ministerpräsidenten Sanchez Guerra und den früheren Kriegsminister de Llano — eingedrungen ist.. Die Artilleristen, die nun zum zweitenmal gemaß- regelt werden, sind nicht die einzigen unsicheren Kontonisten, sondern es gibt deren genug auch in der Marine, in politischen und parlamentarischen Kreisen.
Ob auch im Volk? Die Spanier sind in der Mehrzahl
politisch indolent. Ihr Bildungsgrad steht tief unter Null. Man zählt heute 55 Prozent Analphabeten unter den 24 Millionen Einwohnern des spanischen Königreichs. Schon dieser geistige Tiefstand erklärt die Erscheinung, daß die „Union patriotica", die Primo de Rivera nach dem Vorbild des italienischen Faschismus ins Leben rief, nicht auf dem dürren Boden anwurzelte und noch weniger gedeihen konnte. Abgesehen davon, daß ein Mussolini staatsmännisch doch noch eines Hauptes länger ist als sein spanischer Kollege, ist eben doch der Italiener intelligenter und begeisterungssähiger als sein lateinischer Bruder aus der iberischen Halbinsel. Kommt dies doch schon in der Tatsache zum Ausdruck, daß immerhin nur 20 Prozent (für deutsche Verhältnisse allerdings noch viel zu viel) Analphabeten unter den 42 Millionen Italienern sind.
Wie nun auch der Kampf zwischen dem Diktator und der zweifellos nicht kleinen Opposition enden mag, die Verdienste Primo de Riveras in diesen fünfeinhalb Jahren um die Konsolidierung der politischen Verhältnisse und um die Sanierung der Wirtschaft Spaniens sind unbestritten. Mit eisernem Besen hat dieser Herkules den Augiasstall der parlamentarischen Korruption ausgefegt, Ordnung in die Finanzen des Staats gebracht, das Fau- lenzertum unter den ungezählten Pensionären abgebaut, den Marokkokrieg, der nach und nach ein chronisches Uebel zu werden drohte, liquidiert, die Tangerfrage, die wie eine Seeschlange immer wieder an die Oberfläche trat, zum Abschluß gebracht, Spanien eine achtunggebietende Rolle im Völkerbund und damit auch in der Völkerwelt gesichert u. a. m. Wird aber Primo den Kürzeren ziehen müssen, dann wird der zersetzende Parlamentarismus wieder in Spanien feinen Einzug halten und die nationalen Selbständigkeitsbestrebungen, wie der C a t a l o n e r, wieder Oberwasser bekommen.
Wir haben heute vier Diktaturen: in Italien, in Spanien, in der Türkei und in Jugoslawien, Staaken ln denen das Parlament ausgeschaltet ist. Wer von diesen ieren wird zuerst stürzen?
Neue Nachrichten
Die Rumpfreyierung bleibt
^er Reichskanzler beim Reichspräsidenten. — Keine Umbildung der Reichsregierung
Berlin, 2. März. Der Reichskanzler berichtete heute vormittag dem Reichspräsidenten über seine Bemühungen, eine Regierung auf breiter Grundlage zu schaffen; nach den Verhandlungen mit den beteiligten Fraktionen habe er feststellen müssen, daß zurzeit eine solche Umbildung der Reichsregierung nicht möglich ist. Der Reichskanzler schlug daher dem Reichspräsidenten vor, daß die Neichsregierung ohne Veränderung ihrer gegenwärtigen Zusammensetzung im Amt bleibe. Der Reichspräsident stimmte diesem Vorschlag zu.
Abreise der deutschen Delegation nach Genf
Berlin. 2. März. Die deutsche Delegation für die März- lognng des Bölkerbundsrates, deren Zusammensetzung le- reits bekannt gegeben wurde, ist gestern abend um 8.20 Uhr unter Führung des Reichsaußenministers Dr. Skre sein a n n von Berlin nach Genf abgereist. Zum Abschied hatten sich am Bahnhof verchiedene deutsche und ausländische Diplomaten eingefunden.
Der belgische Kronprinz ans Niederländisch-Indien zurückberufen
» ^ März. Me aus Brüssel gemeldet wird,
ist das belgische Kronprinzenpaar, das sich zur Zeit auf einer Reife in Niederlandich-3ndien befindet, offiziell a u f- r d e n, die Reise abzukürzen und ftir die Rückfahrt nicht einen holländischen Dampfer zu benutzen.
Marschrichtung Lannsta«
deAin, 3. März. Aus dem genauen Wortlaut der ^ V Aeneralstabsdesv rechungen vom 1927 wird jetzt erst bekannt, daß die,« Bergbrsknyissn auch Würtfsmb exg Lnmlhtek^ar
berühren, denn in dem Artikel 5 des lsitzungsprototous heißt es: „Die im Jahre 1922 angenommenen Richtlinien werden aufrechterhalten, was die Operationen der französischen Truppen in der Richtung Cannstatt einerseits und Heidelberg andererseits betrifft." Durch die Entwaffnungsbedingungen des Versailler Vertrags ist bekanntlich Württemberg zum größten Teil ohne jeden Festungsschutz und z. B. Stuttgart ohne weiteres den feindlichen Fernfeuergeschützen schutzlos preisgegeben. Man sieht, wie schneidend solche Bestimmungen selbst für das friedliche Schwaben sich erweisen.
Zu den neuen Enthüllungen des „Itkrechtsch Dagblad"
Rotterdam. 2. März. „Nieuwe Rotterdamsche Courant" ichreibt zu den neuen Enthüllungen des „Utrechtsch Dagblad", daß nunmehr nur noch sehr wenige Menschen an der Echtheit des Stückes zweifeln könnten. Allerdings bleibe im Hinblick auf die im englischen Parlament gegebene Regierungserklärung auch nach der gestrigen vollständigen Veröffentlichung des Geheimdokuments noch ein Punkt unaufgeklärt, nämlich die Frage des belgisch-englischen Militärabkommens vom Jahre 1927, das in dem Dokument mehrfach erwähnt werde.
Pregers Nachfolger?
Berlin, 3. März. Dem „Berliner Tageblatt" zufolge ver. lautet, daß als Nachfolger für den bayerischen Gesandten von Pregerin Berlin der Abgeordnete und frühere Justizminister Emminger in Aussicht genommen sei. Allerdings sind noch eine ganze Reihe weiterer Kandidaten cor- Händen, jedoch werden die Aussichten Emmingers als recht gut bezeichnet.
1S6 Millionen mehr eingenommen
Berlin, 2. März. Im ordentlichen Haushalt haben im Januar die Einnahmen des Reichs betragen (alle Angaben in Millionen RM.) 1144,2, die Ausgaben 958.2, so daß sich eine Mehreinnahme von 185 ergeben hat. Im außerordentlichen Haushalt stellen sich die Einnahmen auf 1,7, die Ausgaben auf 63,4, so daß eine Mehrausgabe von 61,7 verbleibt. Unter Einrechnung der Vorträge aus dem Vorjahr (ordentlicher Haushalt 647,1 Ueberschuß und außerordentlicher Haushalt 430,3 Defizit) ergibt sich am 31. Jan. eine Mehrausgabe in beiden Haushalten von insgesamt 612,5 gegen 768,4 am 31. Dezember 1928.
Der Kelloggpakl von der französischen Kammer angenommen
Paris, 2. März. Die Kammer hat heute abend nach Absch uß der Debatte über den Kelloggpakl den Pakt mit 570 gegen 12 Stimmen angenommen. Dagegen gestimmt haben die Kommunisten.
Zateski über die Ahelnlandräumuag
Warschau, 2. März. Außenminister Zaleski beantwortete gestern im auswärtigen Ausschuß des Senats gelegentlich der Aussprache an ihn gerichteter Fragen. Cr erklärte u. a., daß er auf die Einzelheiten der Angelegenheit einer vor- zeitigen Rheinlandräumung nicht eingehen könne, da die Verhandlungen hierüber noch geführt würden. Tr warne jedoch vor einer Ueberschähung dieser Angelegenheit, da die Räumung auf jeden Fall im Jahre 1935 erfolgen müsse. Der Handelsvertrag mit Deutschland, so erklärte der Minister weiter, sei auf gutem Wege. Die wirtschaftlichen Forderungen der beiden Seiten würden nutz, auf diplomatischem Wege geprüft. Es handle sich darum, eine solche Form zu finden, die eine Verschlimmerung der Handelsbilanz beider Parteien verhütet. Politische Fragen seien bei den Verhandlungen ansgeschaltet. Zur kommenden Min- derheiksdebatte im Völkerbundsrat stellte Außenminister Zaleski fest, daß Ihm nur der Antrag des kanadischen Senators Dandurand bekannt sei. Hingegen wisse er nicht, waS Reichsaußenminister Stresemann vorschlagen werde.
Neue Aufstandsbewegung in Spanien?
London, 2. März. Der Sonderberichterstatter der „Mor- ningpost" meldet von der spanischen Grenze: Die spanische Regierung hat von einer neuen Verschwörung Kenntnis erlangt, deren Hauptquartier in Barcelona ist. Es ist zur Zeit noch zweifelhaft, ob die Regierung in der Lage sein wird, genügend Verhaftungen vorzunehmen, um den erwarteten Aufstand innerhalb weniger Tage vollkommen zu unterdrücken, denn die Bewegung ist verbreiteter als die vorherige. Eine große Zahl unzufriedener 3n- fankerieossiziere und die Mannschaften machen gemeinsame Sache mit der nach der Erhebung von Ciudad Real entlassenen Artilleristen. Die Flotte wird wahrscheinlich der Regierung loyal bleiben. Alle Schisse werden in Eile mit voller Kriegsausrüstung für gewisse Notfälle versehen. Es ist nicht wahrscheinlich, daß Unruhen während des augenblicklichen Besuches der britischen Flotte ausbrechen werden.
De Lage ln Spanien
Paris, 3. März. Havas meldet aus Aendaye: Grat Ro- manones, Bugallal und Sanchez de Toca hatten beim Könitz von Spanien eine Audienz nachgesucht, offenbar um ihn aur die dringliche Notwendigkeit der Wiedereinführung eines nertolsui, eismäßiaen Regimes auf-