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Nummer 49 Fernrufes

Mittwoch den 27. Februar 1929 Fernruf i?s 64. Jahrgang.

Sar wahre Gesichl

Aum französisch-belgischen Kriegspakt

Das deutsche Volk macht seit Monaten einen Anschau­ungsunterricht durch, der geeignet ist, uns auf den Boden der Wirklichkeit zurückzuführen. Hinter dem Phrasen- und Wortnebel, den man uns vorgemacht hat, erscheint wieder jene haßverzerrte Grimasse, an deren Existenz wir nicht mehr glauben wollten. Mit den englisch-französischen Ma­növern im Rheinland, deren strategisches Ziel ein gemein­samer Angriff gegen Deutschland war, begann es. Da wurde man zum erstenmal bei uns stutzig. Dann aber ging es Schlag auf Schlag: Räumungsoerweigerung, endgültige Abrustungssabotage, Brandrede Briands alles auf dem Hintergrund der nicht mehr zu bestreitenden neuen englisch- französischen Entente. Dazu die praktische Verkuppelung von Räumung, Dauerkontrolle und Kriegstributen. Bei all dem Belgien, teils willenloser Vasall, teils noch Antreiber Frankreichs.

Damit war das Vertragsgebäude von Locarno aufs schwerste erschüttert. Welche Erwartungen konnten im Ernst noch auf eine unparteiische Haltung Englands am Rhein gefetzt werden, nachdem britische und französische Truppen gemeinsam den Aufmarsch gegen Deutschland durchgeübt und die Generalstäbe und Admiralstäbe beider Länder wieder in engste Verbindung getreten waren?

Zur endgültigen Klärung der Lage kann nun der in Holland enthüllte Wortlaut des geheimen belgisch-franzö­sischen Kriegspakts beitragen. Er bringt eigentlich, so un­geheuer an sich die einzelnen Artikel des Vertrags und vor allem auch das Zusatzabkommen aus dem Jahr 1927 sind, für niemand eine besondere Ueberraschung, der das fran­zösisch-belgische Verhältnis in seinen Auswirkungen auf- merksam beobachtet hat. Schon lange war ja in eingeweihten Kreisen bekannt, daß die Bestimmungen der französisch-bel­gischen Militärallianz außerordentlich weitgehend waren. Darauf deuteten auch die strategischen Eisenbahnbauten Belgiens mit aller Klarheit hin. Paßte sich doch Belgien hierbei völlig dem französischen Festungssystem gegen Deutschland an.

Aber der französisch-belgische Kriegspakt vom Jahr 1920 geht noch sehrviel weiter. Es hat wohl kaum jemals einen Bündnisvertrag gegeben, der so von An­griffsgeist erfüllt ist wie dieser Pakt. Die beiden Län­der, die Deutschland als Verbrecher behandelt wissen wollen, weil es nach vollzogener Gesamtmobilmachung der russischen Riesenheere endlich zu den Waffen griff, verpflichten sich zur sofortigen Mobilmachung, sobald eine andere, alz Gegner in Betracht kommende Macht auch nur die Absicht er­kennen läßt, zu mobilisieren. Und es wird hinzugefügt, daß die Mobilisierung von selbst die Aufstellung der Heere mit sich bringen müsse. Besonders wichtig ist es daß Deutschland ohneweiteres als Feinv an­gesehen werden soll, wenn Frankreich oder Belgien sich mit einer Macht im Kriegszustand befinden, dieauf irgendwelche Weise" durch Deutschland unterstützt wird. Damit sind die Vertragsbestimmungen hier so dehnbar und ausiegungsfähig, daß das entwaffnete Deutschland gegebenen­falls nach Willkür überfallen und besetzt wer­den kann. Eine Probe für derartige gemeinsame französisch­belgische Aktionen gegen Deutschland ist ja dann wenige Jahre später der Ruhreinfall gewesen.

Dieser Kriegspakt stellt sich als ein mehrfacher Bruch übernommener völkerrechtlicher Verpflichtungen Frankreichs und Belgiens dar: seine Geheimhaltung verstößt gegen das Verbot aller Geheimverträge durch den Völkerbund, und seine Aufrechterhaltung trotzLocarno- u n d K e l l o g g - P a k t ist eine vertragliche Unehr­lichkeit schlimmster Art. Es ist kaum anzunehmen, daß man sich inLondon über die Intimität dieser Beziehungen im unklaren war. Vielleicht erklärt gerade diese Tatsache die Schwäche und Hilflosigkeit der britischen Politik, seitdem die Spannung mit den Bereinigten Staaten und die un­sicheren Verhältnisse im britischen Imperium Englands Handlungsfreiheit erheblich beschränken. Wo bleibt aber die englische Behauptung, daß die Neutralität Bel­giens unter allen Umständen aufrechterhalten bleiben Müsse, eine These, die doch als Grunlt für Englands Kriegs­eintritt galt und die später jeden rechtzeitigen Friedens- Muß angeblich unmöglich machte? Auch von diesem Ge» t^punkt aus wirft der französisch-belgische Kriegspakt ein kE,» "Ä wichtige Kriegs- und auf die Kriegsschuld- Niemand wird heute mehr behaupten können, irischen Vorkriegsabmachungen zwischen Bel- gien, Frankreich und England, die auch schon Einzelheiten des Zusammenwirkens vorsahen, harmlos gewesen seien.

Ist doch Artikel 6 des neuen Kriegspaktes kaum etwas anderes als eine Erneuerung der damaligen geheimen Ab- kLÜLll!

Schon 1920 das geht aus dem Wortlaut des Pakts hervor hat man in Paris einen Krieg mit Italien und in Brüssel einen Krieg mit Holland ins Auge aekaßt 1927 wird das noch deutlicher. Und die Vertrags­klauseln lassen unzweifelhaft die Absicht erkennen, in diesem Falle sofort Deut ckland (und wahrscheinlich auch Hollands niederzuschlagen und zu besetzen, M« MSstcht darauf, xd »ir al« Mver Gegner üherhaupt

lageMeiel

Reichspräsident v. hindenburg hat die Erklärungen der Skahlhelmbundfiihrer Seldke und Düsterberg mit Befrie­digung zur Kenntnis genommen und dem Reichskanzler und dem Reichsminister des Innern von dem Verlauf der Unter­redung Kenntnis gegeben mit dem Hinzufügen. er finde nunmehr keinen Anlaß, seine Ehrenmitgliedschaft beim Stahlhelm niederzulegen.

Zur Beseitigung der Hochwassergefahr dürfen Reichswehr- kommandos in der entmilitarisierten Jone verwendet werden.

Der deutsche Gesandte Feigel hat mit zwei anderen Deutschen Kabul im Flugzeug verlassen und ist in Peschawar eingeiroffen.

2n Kabul befinden sich noch 3035 Deutsche, von denen einige dort zu bleiben gedenken.

in Betracht kommen. Daher Artikel s, wonach mir oen ver­fügbaren Truppengleichzeitig und in alstr Eile" eine kräftige Offensive begonnen werden soll.

Die Veröffentlichung dieser Absichten, die im schärfsten Gegensatz zu allen internationalen Verpflichtungen Frank­reichs und Belgien stehen, rollen also Fragen von welt­historischer Bedeutung aus. Frankreich und Belgien sind als Feinde des europäischen Friedens ent­larvt. Man wird gespannt sein dürfen, welches Echo diese Enthüllungen in den Vereinigten Staaten finden werden, die vor wenigen Monaten mit Frankreich den Kellogg-Pakt in gutem Glauben schlossen. Zuglesch wird jetzt niemand mehr ernsthaft bestreiten können, daß wir in Locarno und noch später in der gewissenlosesten Weise betrogen und zum Be st en gehalten worden sind. Denn daß auch Vanderveide, genau wie Briand, den Inhalt dieses Geheimvertrages kannte, steht wohl fest. Wie will sich der deutsche Außenminister mit der Tatsache abfinden, daß der Kriegspakt zweiJahrenach Locarno noch bestätigt und vervollständigt worden ist, ja, daß damals sogar ausdrücklich ein neuer Einfall ins Ruhrgebiet vorgesehen worden istl

Nirgends wird die Echtheit der holländischen Veröffent­lichungen bezweifelt. Die Ableugnungen aus Paris oder Brüssel werden also entsprechend gewertet werden müssen. Deutschland, Italien, Holland und sogar Spanien werden durch den Kriegspakt direkt bedroht. Aber auch gegen England wird eine direkte Drohung ausgesprochen. So ist die flandrische Küste, die England niemals deutscher Kon- trolle überlassen wollte, heute zu einem Stützpunkt für fran­zösische Flugzeugangriffe auf die englische Küste gewor­den ... Hunderttausende britischer Soldaten sind vergeblich gesallen.

Die holländische Regierung läßt anfragen

Die holländische Regierung hat ihre Gesandten inParis und Brüssel beauftragt, bei den dortigen Regierungen anzufragen, ob die Veröffentlichung desUtrechtsch Dagblad" begründet sei. Die Antwort kann man sich im Haag natür­lich im voraus abfingern.

Die holländische Presse

bezeichnet die Veröffentlichung desUtrechtsch Dagblad" als ein politisches Ereignis ersten Rangs und äußern die schärfste Entrüstung über den Vertrag, dessen Echtheit von keinem Blatt bezweifelt wird. Es wird darauf hinqewiesen, daß Frankreich und Belgien bereits 1919 politisch und diplo­matisch darauf hingearbeiiet haben, Holland wirtschaft­lich so viel wie möglich zu schädigen: die Arbeit der beiden General st äbe habe nur dieses Werk fortgesetzt, wofür ihre Regierungen voll verantwortlich seien. Man habe einenK r iegsfall" gegen Holland schaffen wollen. Für die Köche, die hier am Werk seien, bedeuten aber offen­bar der Beitritt Deutschlands zum Völker­bund und Locarno nicht mehr als Luft.Het Volk" sagt: Dasselbe England, das 1914 die angebliche deutsche Verletzung der angeblichen Neutralität Belgiens zum Kriegs- vormänd nabm, scheue sich nicht, fasse nunmehr in skandalöser Weise die Verletzung der holländischen Neutralität ins Auge. (England ist schön lange lüstern nach den indischen Kolonien Hollands, wie es früher nach den blühenden deutschen Kolo- nien lüstern war.)

Das Geheimbündnis und der Völkerbund

Das französisch-belgische Militärabkommen ist im Välker- bundsekretariat seit Herbst 1920 bekannt. Allerdings ist bei dem Generalsekretär nur ein Schriftwechsel zwischen dein damaligen Staatspräsidenten Mille rand und dem bel­gischen Kriegsminister Janfsen hinterlegt worden. Es wird in Genf di« Frage besprochen, ob ein solcher Vertrag nach den Satzungen des Völkerbunds zulässig sei, zumal da­nach (Art. 12) die Völkerbundsstaaten sich verpflichten, in keinem Fall vor Ablauf von drei Monaten nach erfolgtem Schiedsspruch zum Krieg zu schreiten, während in dem französisch-belgischem Vertrag der sofortige Angriff vereinbart ist. Außerdem verbürgt Art. 10 sedem Mitglied di« gebietlich« Unversehrtheit. Es sei ferner ein Verstoß «gen Art. 18, daß der eigentsiche Gebeimvertraa nicht beim WkerdM niidrrgelegt kvorhrn sei. Endsich wixo di» FrM

erhoben, ob der Bündnisvertrag mit dem Locarno- Vertrag vereinbar sei.

Die Füchse in der Falle

Das französische Außenministerium läßt durch die Havas- Agentur die Veröffentlichungen desUtrechtsch Dagblad" alsapokryph" (rätselhaft) bezeichnen. Die beiden Regie­rungen hätten unterm 2. Noo. 19^0 die Briefe (Mil­lerands und Janssons), die über ein am 7. September abgeschlossenes Militärabkommenzur Vertei­digung" gewechselt worden seien, beim Völkerbund nieder­gelegt. Seitdem sei kein weiteres Bündnis mehr unterzeich­net worden.

Poincarä und Briand geben also doch zu, daß ein Bündnis, das sieVerteidigung" nennen, abgeschlossen worden und daß es satzngswidrig nicht beim Völkerbunds- sekretariat niedergelegt worden ist, sondern nur ein Brief­wechsel. der natürlich die Sache möglichst verschleiern oder harmlos und nur zurVerteidigung" bestimmt darstellen sollte.

Die belgische Regierung hat, wie bereits berichtet, die Enthüllung grobschlächtig für einegrobe Fälschung" erklärt. Sv einfach ist aber das Sich-Herauslügen denn doch nicht.

Englands Doppelgesicht

Die ganze Niedertracht des französisch-belgischen An­griffsvertrags vom 7. September 1920 wird erst ins rechte Licht gerückt durch die Ergänzung, die der Ver­trag im Juli 1927 gefunden hat Konnte man 1920 allen­falls noch jenes bekannteNachzittern des Kriegsgeistes", mit dem so viele Scheußlichkeiten bis zum Ruhreinfall be­schönigt wurden, anführen, so ist die Ergänzung und Ver­schärfung von 1927, neun Jahre nach dem Kriegsende, damit schlechterdings nicht mehr zu erklären. Kurz nach dem Locarnovertrag, dem auch England als Garant bei- getreten ist. Das Zusatzabkommen von 1927 enthält u. a. den Satz:Das belgische Heer wird an seinem linken Flügel durch englisch» Truppen ver­stärk t."

Derselbe Staat, der in Locarno als Garantiemacht für die Sicherheit Deutschlands auftrat, hat sich damit fast in demselben Atemzug auf die Seite des einen der beiden Ver­tragspartner gestellt. Während also Deutschland die A^^^btl-eueEnglandszurfelb st verstand.

liehen Voraussetzung machte, brach basfetbe Eng­land unter demselben Minister des Aeußern den Der- "trag, in dem es die Rolle eines Schiedsrichters (vielen iotlts,

Uche PrLsie wehrt sich bereits mit Händen und Füßen da- gegen. Wir vernehmen bekannte Töne: Es seikeinerlei derartige Verpflichtung" einaegangen. Wie war es doch im vergangenen Jahr, als die Unterzeichnung des Kellogg- Vertrags mit dem englisch-französischen Militärabkom- men zusammenfiel? Auch damals waren eskeine eng- lischen Bindungen". Aber uns interessiert gar nicht so sehr der Buchstabe. Was wir wissen wollen, ist: Hält Eng-

landsichan seine Verpflichtungen gebunden,

die es in Genf einging, in Locarno, in Paris beim Kellogg- Vertrag? Verpflichtungen, die in gerader Linie zur Ver­ständigung, zum Frieden führen müssen? Oder geht die englische Diplomatie den genau entgegengesetzten Weg? Die Militärabkommen mit Belgien 1927 und mit Frankreich 1928 stehen im schärfsten Gegensatz zur offiziellen Politik, weil sie den Kriegsgeist aufrechterhalten und alle Anstrengungen Deutschlands, zum Ausgleich zu kommen, zunichte machen. Sind die Veröffentlichungen des holländischen Blattes auch nur dem Sinne nach richtig, und daran scheint °eder Zweifel ausgeschlossen, treibt England mit dem Vertrag von LocarnograusamesTheater.

Wenn es noch einer Warnung für die kommenden Rau- mungsverhandlungen bedurft hätte, so hat ein freundlicher Zufall sie uns jetzt gegeben. Die Geheimverträge sind für Frankreich Sicherheit genug. Trau­rig, daß sie bestehen. Wir können sie nicht ändern. Deutsch­lands Bedrohung liegt klar vor den Augen der Welt. Lächsr- lich, jetzt immer noch Sicherheiten von uns zu fordern. Locarno ist «in Anfang kein Ende," sagte einmal Eham- berlain. Er hatte unrecht. Locarno war nicht einmal ein Anfang.

Das Berliner Reuter-Büro wird von London aus beauf­tragt, die Behauptung, es bestehe einGeheimabkommen" zwischen England und Belgien, füraus der Lust .^griffen" zu erklären.

Die konservativeMorningpost" orakelt: was an der Ent. hüllung wahr ist, ist nicht neu. und was daran neu ist, ist nicht wahr. Sehr einfach und doch dunkel'

Stresemann über die Krisen

Berlin, 28. Febr. Im Hotel Esplanade in Berlin be­gann heute die Hauptvorstandssitzung der Deutschen Volks- Partei. Der Parteivorsitzende Dr. Stresemann stellte fest, daß sich nach den Neuwahlen das Zentrum gegen eine stärkere Vertretung im Kabinett gesträubt, sie dann ober stürmisch gefordert habe und auf Grund der letzten Per» brmdlunaen an, der Nsastrunä M»k>«>sMn sH. Ppn »rkK«