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Nummer 23

Fernruf 17S

Mantao den 28. Äanuar 1929

<r»u«u>»k 178

Stall« und TroUi

ISO Trotzkisten wurden verhaftet. Man entdeckte einen Trotzkistischen Geheimbund, der in unmittelbarer Ver­bindung mit dem Ausland, also den Emigranten stehen soll. Unter den Verhafteten befinden sich der ehemalige Handels­vertreter der Sowjetunion in Paris, Mdiwani, das ehe­malige Mitglied des Kriegs- und Revolutionsrats, Pan­tra tow, und der ehemalige Chefredakteur und Mitarbeiter Lenins, Woronski. Bei den Haussuchungen sollen zahl­reiche sowjetfeindliche Schriften, eine Geheimdruckerei und viele Geheimdokumente gefunden worden sein. Die Regie- ,stt zu den schärfsten Abwehrmaßnahmen gegen die Trotzkisten entschlossen. Ja, aus Riga wird derDaily Mail" gemeldet, daß Trotzk! selbst aus seinem Verbannungsort entkommen sei und bereits einen ziemlichen Anhang hinter sich habe.

Wieviel nun auch Richtiges an diesen Meldungen sein mag, soviel ist gewiß, daß der Kampf zwischen dem alten und neuen Bolschewismus, demhundertprozentigen" Kom­munismus und dem vermittelnden Reformismus, zwischen Trotzki und StaIinin ein neues entscheidendes Stadium eingetreten ist.

Um diese beiden Gegensätze zu begreifen, muß man sich allererst die Struktur des russischen Volks vergegenwärtigen. Die Sowietunion ist ein ungeheures Agrarland von über 22 Millionen Quadratkilometer (vierzigmal so groß wie das Deutsche Reich), dessen Bevölkerung von annähernd ISO Millionen Menschen nur zu 16 Prozent in den Städten lebt, während 84 Prozent auf dem Land angesiedelt sind. Dieser fast unübersehbare Flächenraum wird geradezu unbeschrankt beherrscht von einer Industr'earbeiterschaft, die knapp zwei Millionen Kövfe zählt die zwei Millionen Arbeitslose nicht mitgerechnet.

Nun wurde bei den kleinen und mittleren Bauernbis zu einem gewissen Grad das Eigentum zugelassen. Zwar gehört der kommunistischen Theorie nach der Grund und Boden dem Staat, und es ist untersagt, ihn zu verkaufen oder zu verpfänden, aber jeder darf auf dem Land, das er bearbeitet, privatwirtschaftlich walten und schalten, wie es ihm beliebt, ja er kann seit dem Agrargesetz vom 30. Oktober 1922 auch Land verpachten, also, im Gegensatz zur sozia­listischen Lehre, sich einenarbeitslosen Mehrwert" aneig­nen. Der Bauer hat es somit hierin besser als in der zaristischen Zeit.

Was aber den russischen Bauer drückt, ähnlich wie den deutschen, nur noch in gesteigertem Maß, das ist der Hebel- stand, daß er für seine überschüssigen Erzeug­nisse die viel zu teuren Industrieerzeugnisse nicht kaufen kann. Dem könnte nun abgeholsen wer­den, entweder durch Zulassung billiger zollfreier Auslands­waren oder durch Verbilligung der heimischen Produktion. In beiden Fällen müßte aber die Industrisarbeiterschaft die Zeche bezahlen: entweder müßte die Industrie eingeschränkt oder die heimische Produktion verbilligt, also die Löhne her­abgesetzt werden, dieselben Löhne, die mit Mühe und Not innerhalb zehn Jobren knapp auf die Vorkriegshöhe hinauf­gebracht waren. Wohl hat die russische Landwirtschaft die Produktion der Vorkriegszeit erreicht, aber der Bauer weih nicht, wohin mit seinen Erzeugnissen. Der Binnenmarkt kann sie nicht hinreichend aufnehmen, und die Getreideausfuhr, früher die wichtigste Einnahmequelle Rußlands, hat gewal­tig abgenommen (1913: 750 Millionen Pud. 1927: 187 Mil­lionen. 1928 vielleicht nur 50 Millionen!).

Diesen Verhältnissen will das System Stalin Rechnung tragen. Trotzki ist Utopist (Schwärmer), der immer noch an die Weltrevolution der Arbeiter glaubt und der deshalb die Vorherrschaft des Industrie-, vielleicht auch des Bauern­proletariats voll aufrecht erhalten will. Stalin ist Real­politiker. der praktische russische Politik treiben will, nicht Weltpropaganda natürlich hofft auch er, wie jeder Kam- munist, aus eine Weltrevolution. Er weiß, daß Rußlands Stärke auf seiner Landwirtschaft beruht. Er sucht d e s- halbnach einem Ausgleich zwischenArbeiter- schast und Bauerntum. Cr muß dies um so mehr tun. als das Rote Heer, dieses Rückgrat der Regierung, zu etwa 75 Prozent aus Pauernsöbneri besteht. So ist' der Gegensatz zwischen Trotzki und Stalin letzten Endes jener alte Kampf zwischen Stadt und Land.

Die Lage -er deutschen Lan-wikUchasl

Bei der Eröffnung der 11. Hauptversammlung de:

Haupklandwirkschaftskammer jn Berlin führte

Orasidenk Dr. Brandes aus:

Die Landwirtschaft geht in verstärktem Tempo dem drohenden Zusammenbruch entgegen- Nach den Erhebungen des Reichsuntersuchungsausschusses arbeitet die Hälfte der landwirtschaftlichen Betriebs ohne Reinertrag. Die Lebenshaltung, insbesondere der bäuerlichen Bevölke­rung ist auf einen geradezu erschütternden Tiefstand ge­sunken, und der Skundenlohn des Bauern liegt weit unter dem des Land- und Industriearbeiters. Trotz dieses Raub' baus ist die Verschuldung weiter auf 13)4 Milliarden gMeaen. Dir Gründe der Unrentabilität ssnd in zu hoben

lagesfyiegel

De« Dorkltzsnbe der dmiti-bnafi-'vasen V-'-Nstaossraktion Graf Westarp und die Fraktion der preußischen Landtags hoben dem ehemaligen Kaiser telegraphische Glückwünsche zum 70 Geburtstag übersandt.

Die Aentrumsfraklion des Reichstags wählte den Abg. Skegerwald einstimmig zum Vorsitzenden. Cr wird den Vor­sitz im Deutschen Gewerkschaftsbund niederlegen.

In Berlin wurde am Samstaa die vierteGrüne Woche" von Landwirtschaft und Iaad eröffnet.

In Moskau wurde am 25. Januar ein deutsch-russisches Säüichtungsabkommen unterzeichnet, das sich auf dem TNcht- angriffs und Veukrat-kv^vertrag vom 24. April 1926 -ruf­baut. Der aus je zwei Mitgliedern bestehende Schllchtunos- ausschuß soll mindestens einmal im Jahr ilismnnientreksn, um etwaige Streitfälle zwischen beiden Ländern zu ordnen.

Aus Moskau wird gemeldet. Trotzki werde unter schärf­ster Bewachung aus keinem Verbannungsort nach Moskau aek-eachs morden. um k'ch zu ver--n1warfon. Seine Antzänaer soll-n verbannt werden. Demnach wäre die englische Meldung. Trotzki sei enkslohen nicht richtig.

Wie verlautet, hak der Amerikaner Owen Poung Vorsitz im Sachverskändiaenausschuß abgelehnt.

Lasten u: d zu niedrigen Produktenpreisen im Vergleich zu andern Waren zu suchen. Die Steuern sind um das Vierfache, die sozialen Lasten um das Dreifache, dis Zinsenlast von 600 Millionen in der Vorkriegszeit auf Iber 1 Milliarde heute gestiegen. Die Produklenpreise sind der Geld nkwerkung nicht gefolgt: sie müßten öurchschi.i tlich gegen die Vorkriegszeit um 50 v. H. höher liegen. Tat­sächlich st en aber die Eetreidepreise bei 100 bis 110, Rind- vrehpreise nur bei 100 v. H. der Vorkriegspreise. Für Schweine müßten die Preise etwa 7580 Mark b lragen, tatsächlich ergibt sich ober ein Zahresdurchschnittspreis von nur 65 2 ark; Kartoffeln sind im Herbst nahezu unver! äuf- lich gern sen. Zwischen der Meßzahl für Agrarstoffe und für ind..slrlelle Fertigwaren klafft eine Spanne von 20 bis 25 v. H- ^

Zur Abwendung des drohenden Unheils ist die Aus­stellung eines grundlegenden Rentabili­tät s p r ö g r a m m s nötig, da mit Einzelmaßnahmen nicht mehr zu Hölsen ist. Es handelt sich dabei um zwei Arien von Maßnahmen, einmal um diejenigen, die der Erhaltung der Landwirtschaft bis zum Wirksamwsrden :s neuen Pro­gramms dienen, und dann um das Rentab täksprogramm selbst. Zu der ersten Art gehört die Fortführung der Umschuldung und der Preisstützungen nach dem Notprogramm, um Senkung der Lasten, um Seuchenschutz. Verhinderung ungünstiger Handelsverträge, um Maßnah­men für zusammenbrechende Betriebe und dergleichen. Das Rentabilitätsprogramm selbst muß von dem Gedanken ge­leitet sein, die planlose, weit über den Bedarf hinausgehende Einfuhr von Vieh, Fleisch und Getreide in einer dem inländischen Bedarf angepaßken Weise und auf einer Preislage zu regeln, die für den Land­wirt lohnende und für den Verbraucher tragbare Preise gewährleistet.

Dies ist durchaus möglich, wenn man nur> einmal die Frage der Renkabilitäksmögllchkeiten für die Landwirtschaft prüft, daß dies ohne übermäßige Belastung des Staats und des Verbrauchers möglich sein wird. Dem Landwirt ist es gleichgültig, mit welchenMethoden" er zu angemessenen Preisen und tragbaren Lasten kommt, wenn er sie nur be­kommt. Andere Länder haben das Problem schon längst erkannt. Selbst das amerikanische Ackerbauministeriiim äußert sich, in seinem Jahresbericht dahingehend, daß die Lage der dortigen Landwirtschaft derart sei, daß mandie weitere Gesundung nicht dem freien Spiel der Kräfte über­lassen dürfe". Lieben der großen Frage der Wiederher­stellung der Rentabilität darf die planmäßige Förde­rn na sarb eit nicht vergessen werden. Seibst wenn in allen Beziehungen große Staatsmittel aufgewandk würden, wären dock alle Arb-ft und Kosten vergeblich, wenn die Auf­gabe der Rentabilität nicht gelöst würde.

Die Landwirtschaft in Oesterreich

Wien, 27. Januar. In der Nationalversammlung hielt Landwirtschaftsminister Thaler eine Rede über die Lage der Landwirtschaft in Oesterreich. Trotz der Ungunst der Verhältnisse nach der Revolution habe die Landwirtschaft unter äußerster Anstrengung sich gehalten und besonders seit den letzten drei Jahren sich so entwickelt, daß Oesterreich heute seinen Bedarf an landwirtschaftlichen Erzeugnissen in sehr bedeutendem Maß selbst decke. Milch habe vor drei Jahren noch eine starke Einfuhr gehabt. 1928 seien schon 40 000 Liter ausgesührt worden. Vor drei Jahren haben noch Karloffeln eingesührt werden müssen; 1928 seien 4700 Waggons ausgeführt worden. Dadurch sei das Schlagwort von der Unfähigkeit der österreichischen Landwirtschaft, die österreichische Bevölkerung zu ernähren, vollständig wider­legt. Wenn die österreichische Landwirtschaft ähnlich unter­

stützt werde wie die schweizerische, brauchten in zehn Jahren kein Hornvieh, kein Korn, keine Milch und kein Ei mehr eingeführt zu werden. Aber dieses Wollen und Können gebe der österreichischen Landwirtschaft auch das Recht auf Schutz. Ohne dies seien gewisse Zweige der Land­wirtschaft in schwieriger Lage. Die Pferdezucht werde durch den Kraftwagen verdrängt. Die Schafzucht sei durch aus­ländische Wolle und Baumwolle unlohnend geworden. Jetzt sei auch die Züchtung von Fleischschweinen durch die Ueber- schwemmung mit polnischen Schweinen gefährdet. 1928 habe Polen dovvelt so viel Fleischschweine auf den österreichischen Markt geworfen wie 1927.

Der Mißbrauch mit den deutschen Sachlieferungen

Der Betrug, der kürzlich wieder mit einer riesigen deut­schen Zuckerlieferung auf Dawssrechnung in Paris ans Tageslicht gekommen ist, ist nicht der einzige Skandal, der in diesem lotterhaft betriebenen System i.er Sachleistungen die französischen Gerichte gegenwärtig beschäftigt. Nicht weniger als 15 ähnliche Fälle sollen nach dem PariserExcelsior" bei den Gerichten anhängig sein. Der französische Staat soll durch diese Unterschlagungen um über 300 Millionen Fran­ken geschädigt worden sein. Die französische Regierung habe kein Mittel der Aufsicht über die Regelmäßigkeit der Lie­ferungsgeschäfte, sondern beschränke sich allgemein auf die Rechnungsführung. Auch der Dawesagent für dis Ent­schädigungszahlungen in Berlin könne den Wert und d:e wirklichen Lieferungen nicht überwachen. Die Betrügereien beweisen die schweren Unzuträglichkeiten eines mangelhaften Systems, da der französische Staat Abschläge von 5 bis 15 v. H. gewähren müsse, die dann von der französischen Wirtschaft getragen werden müssen. Deutschland sei ebenso wie Frankreich daran gelegen, ein Zahlungssystem abzu­schaffen, bei dem solche Unterschleife möglich seien und bei dem, auch wenn keine offenkundige Gesetzesverletzung vor» °omme, unzählige Zwischenhändler riesige Gewinne «in- treichen.

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Der nach der Schweiz geflüchtete Pariser Bankier Baron 8 a c q u e m e n t, der wegen Millionenbetrugs steckbrieflich lerfolgt wird, heißt in Wirklichkeit B a ch m a n n. Er hat unter dem falschen Namen sich in Paris niedergelassen und nne der in den letzten Jahren zahlreich entstandenen Schwindelbanken gegründet, die es nur auf die Ersparnisse >er Unerfahrenen abgesehen haben. Bachmann wird von der Schweiz ausgeliesert.

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Die Pariser Polizei hak eine weitere Schwindler- ge feilsch aft von vorläufig 14 Personen verhaftet, die eine sogenannteBleigesellschaft" zur Ausbeutung von Mi- nen, die sich angeblich in Spanien befinden sollten, gegründet hatten, und für die sie Kapitalien suchten. Es wurde er­mittelt, daß die Gesellschaft weder eine Vergwerksgerechtsam« in Spanien besitzt, noch auch nur ein Kilo Blei geschürft hat. Die Geldgeber und Sparer verlieren mehrere Millionen Franken. Einig« der Hauptschuldigen sollen In» Ausland entkommen sein.

Neueste Nachrichlen

Aus dem Reichstag

Berlin, 27. Jan. In der letzten Reichstagssitzung sükstt« Abg. Dr. Rademacher (Deutschnat.) noch aus, der gegen­wärtige Zustand im Steusrwejen sei unerträglich und unhaltbar. In seinem eigenen Betrieb habe er 1 6 ver- schiedeneSteuernan168verschiedenenTer- minen im Jahr zu zahlen. Die großen FirionzamlsbaMcn werden in West- und Süddeutschland als Zwingburgen des Reichs betrachtet. Die Vorlage der sogenannten Steuerveremheitlichung verrate durchaus sozialistische Rich­tung und sie bringe keine Vereinheitlichung und kein« Steuersenkung, sondern neue Steuern und Steuererhöhun­gen. Die unsinnige H a u s z i n s st e u e r, die eine Ent­eignung und ein Raub an dem Hausbesitz und an der Mie­terschaft sei, werde durch das Gesetz verewigt werden, und schließlich laufe der Entwurf noch aus eine weitere steuerliche Vergünstigung der Betriebe der öffentlichen Hand hinaus. Die Frage' ne nur durch einen klaren Finanzausgleich gelöst werden, der den Ländern und Gemeinden gebe, was ihnen zukommt.

Abg. Feder (Nat.-Soz.) erklärt, die Hauszinssteuer könne man nicht scharf genug verurteilen, sie sei das Un­sinnigste, was im Steuerwesen erdacht worden sei. Die nächste Sitzung wird wegen des Parteitags der Wirlschafts- partei auf Dienstag vertagt.

Polnische Unduldsamkeit auch in der Kirche

Berlin, 27. Jan. DieVossische Zeitung" meldet: Der Kattowitzer Bischof Lisiecki hat den deutschen Pfarier einen der wenigen deutschen Geistlichen tn der Diözese, seiner Pfarrstelle in Bielschowitz enthoben. Dies« Maßnahme erregt unter der heutsch-kgtbolilchen Bevölke rung