Mnrtgvlcrtt uni» ÄlrrzetgeV MV DSttdvui» unk» das over e Enztal

Nummer 302 Fernruf 17 S Montag, den 24 Dezember 1928

Der lärmende Tag ruht. Herauf aus dem dunklen Zeitenschoße kam die Nacht. Sie dehnt sich über das Land und weit und breit ist nur Nacht und Dunkelheit. Schwer legt sie sich auf des Menschen Brust und läßt ihn seufzen nach Wärme und Helligkeit, nach einem Weg aus der Fin­sternis. Da beginnen in der Ferne Glocken zu lauten. Erst leise klingen sie, dann aber tönen sie immer mächtiger und erfüllen endlich die ganze Welt mit ihrem Klang. Und mitten in der Nacht teilt sich am anderen Ende der Welt der Himmel. Ein Meer von Glanz und Licht bricht her­nieder auf die harrende Erde. Die Luft beginnt zu er­beben unter dem wohllautenden Gesang der Engel:Euch ist heute der Heiland geboren," so rufen ihre Stimmen in die Finsternis. Die Nacht mutz weichen vor all der Helle, all der Hoffnung, all dem verheißungsvollen Glück, das auf die Menschheit niederströmt. Mit Ergriffenheit schaut sie empor in das Licht und neu erfüllt sich das Herz mit der heiligen, göttlichen Gewißheit, daß das Licht die Nacht be­siegt, daß Liebe stärker ist als Haß. Nun entflammen da und dort hinter den Fenstern der Häuser die Kerzen am Weihnachtsbaum. Immer mehr Helle Fenster werden es. Immer mehr Menschen vereinigen sich unter der Tanne des Lebens und um die kleine Krippe in Hoffnung und Freude. Der Heilige Abend ist gekommen.

Es ist eine dunkle Zeit, die über den Landen lastet. Das Gespenst der Not ist bei Millionen unserer Volksgenossen eingekehrt und will sie nicht mehr verlassen. Haß und Un­einigkeit trennen die, die Brüder sein sollten. Der Herr der Finsternis schreitet durch die Dörfer und Städte und sät Zwietracht und Neid. In seinem Gefolge ist Plage und Elend, Streit und Kampf. Aber das Kindlein in der Krippe ruft uns das Zauberwort zu, mit dem wir alle Düsterkeiten bannen können.Die Liebe ist das Höchste!" Ja, an Liebe fehlt es uns, an der großen, alle eigenen Selbstsüchte übertönenden, an der gebenden, schenkenden, die Not des Mitmenschen lindernden Liebe. Darum laßt uns heute unsere Herzen öffnen und Liebe ausströmen allen denen, die ihrer bedürfen.

!

.MM

Sie weihe der Rächt

Nächtliche Stille!

Heilige Fülle,

Wie von göttlichem Segen schwer.

Säuselt aus ewiger Ferne daher.

Was da lebte,

Was aus engem kreise Auf ins Weitste strebte.

Sanft und leise

Sank es in sich selbst zurück

Und quillt aus in unbewußtem Glück.

Und von allen Sternen nieder Strömt ein wunderbarer Segen,

Daß die müden Kräfte wieder Sich in neuer Frische regen.

Und aus seinen Finsternissen Tritt der Herr, so weit er kann.

Und die Fäden, die zerrissen,

Knüpft er alle wieder an.

Friedrich Hebbel.

Vom Himmel rieselt leise der Schnee, weich umsäumt e^, was sonst so scharf und kantig ist. Vornehm ziert er, was sonst so staubig und unansehnlich ist; weich bedeckt er, was sonst so hart und knarrend ist. Es ist, als wolle er Stille gebieten.

Und siehe! Eben stellen sich am Straßeneck die Musikan­ten auf und spielen. Niemand bleibt stehen; denn jeder hat es eilig. Aber wohl jeder freut sich über sie und summt mit, was er hört. Niemals wird Musik mehr bejaht als die un­seren Musikanten in diesen Tagen. Ungezählte glauben, lieben und singen dasselbe, was sie spielen; zwei altbe­kannte Lieder sind es, uns vertraut seit unserer Kindheit Tagen, und lieb und wert auch im Reifen und Altern: Stille Nacht, heilige Nacht", undO du fröhliche, o du selige".

Es gibt Kritker, die zu sagen wissen, daß in diesen Lie­dern Wort und Weise nicht das Höchste darstellen, was zum Geheimnis der Weihnacht gesagt werden kann. Das mag richtig sein; aber ein Zufall ist es gewiß nicht, daß gerade diese beiden Lieder sich das Herz der Welt, vor allem der germanischen, erobert haben. In ihnen klingt vielmehr et­was auf; in ihnen singt etwas zusammen, was unverlier­bar zu Weihnachten gehört und so eben nur in diesen Lie- dern gesagt ist.

Was ist das? Was ist überhaupt das Geheimnis unseres Festes? Warum feiern wir? Geschichtskennner sagen uns, daß dem Weihnachtsfeste uralte Sitten zugrunde liegen, vor allem das römische Scistirnalienfest. Und zum Teil ist

e

WeihnachWoiLkn. wieder, wieder fWigt und WMwt ihr mich. Kommt, o kommt, ihr hohen Lieder: nehmt mich, öderwriltigt mich!

DlH ich in die Knie fallen, daß ich wieder Kind sein kann, wie als Kind Herr Nfus lallen und die Hönde falten kann.

Denn ich slihl's, die Liebe lebt, lebt, die mit ihm geboren wurde, ob sie gleich von Tod zu Tod schwebt, obgleich er gekreuzigt wurde.

FW's wie alle Brüder werden, wenn wir hilflos, Mensch zu Menschen stammeln: «Friede sei auf Erden und ein Wohlgefall'n am Menschen!"

M

es wahr: Man feierte im heidnischen Rom, wenn man nur an das Schenken denkt, ähnlich wie heute, im übrigen aber doch ganz anders. Man dachte damals an eine Sage, an die Sage vom goldenen Zeitalter, wo noch alles gut und schön war und kein Streit und Unterschied die Menschen trennte, und feierte diese Erinnerung in einem lustigen Fest. Man stülpte, für einen Tag wenigstens, das Leben um und tat, als ob die Welt eine andere wäre. Freundliche Ge­schenke erhöhten die Lust; aber die Welt war und blieb doch die alte. Aber diese Gedanken haben unser Weihnachtsfest nicht geschaffen, auch nicht die germanische Sonnenwend­feier, wenn man natürlich auch gern zugibt, daß mancher Brauch aus jenen Festen in unsere Weihnachtsfeier über­nommen ist., Nein, Weihnachten lebt von einer anderen Wurzel, die bis in die Ewigkeit hinüberreichk und nicht im Grunde der Sage endet, sondern in der Wahrheit und Wirk­lichkeit des göttlichen Lebens selbst. Diese Wahrheit aber ist die, daß sich der Baker des Himmels der Menschen erbarmt hak. Der Gedanke ist der, daß Gott uns sucht. Die Idee des Festes strahlt in dem Licht, daß wir wir, die Staub- geborenen, die Sterblichen, die von Not und Schuld erdrück­ten Menschen Gotkeskinder heißen sollen.Sehet, welch' eine Liebe hat uns der Baker erzeigt, daß wir Gottes Kinder sollen heißen!" In diese Worte hat einst der greise Johannes die Idee des Weihnachtsfestes gefaßt, obwohl das Fest zu seinen Zeiten noch gar nicht existierte. Gibst es etwas Größe­res als diesen Gedanken, etwas Schöneres als diese Wahr­heit? Wir, die Schuldigen: wir, die Irrenden; wir, die Ster­benden trotz allem Gottes Kinder! Schon die Idee allein müßte uns zum Jauchzen stimmen; aber es ist eben nicht nur Idee, wovon wir an Weihnachten singen, sondern Wirklich­keit. And das ist der Grund des Festes, alles Feierns!

Denn was sind Ideen, die nicht Wirklichkeit werden? Was hilft ein Gedanke, der nicht verkörpert ist? Was hilft eine Wahrheit, die nicht ins Fleisch geht? Ach, Ideen an sich sind blaß wie der Tod und kraftlos wie der Schatten. Gedanken aber, die erfüllt werden, denen sich ein Leben weiht, um sie zur Wirklichkeit zu gestalten, die können Ret­tung werden. Darum warten alle Ideen auf das Leben, das ihnen die Wirklichkeit schenkt Und so hat Gott gehandelt. Der Ewige hat die größte Idee zur heiligen Wirklichkeit gestaltet. Gott hat die Liebe zur Tat gemacht; er hat sich selbst der Welt gegeben, hat sich in seinem Sohn den Men­schen geschenkt. Das ist die Wahrheit des Weihnachtsfestes und seine Wirklichkeit; dadurch hat es die Welt erobert.

Vernunft kann es nicht begreifen, und das menschliche Wort nicht klarlegen; nur der Glaube kann es schauen und das Lied besingen. In unserer Sprache aber, und aus Not und Erleben unserer Zeit heraus, tun das in ergreifender Weise die Lieder, die wie Bruder und Schwester nebenein­ander stehen und nicht mehr getrennt werden können:O du fröhliche"Stille Nacht".

In einem Gebirgsdorf ist dieses letzte Lied entstanden. Am 24. Dezember des Jahrs 1818 war es, daß im Dorf­kirchlein eines Gebirgsdorfs bei Salzburg ein junger Hilfs­priester mit seinem Organisten zum erstenmal das Lied sang. Einige Freunde gesellten sich dazu. Da die Orgel alters­schwach war und den Dienst versagte, hat die Gitarre die Begleitung gesungen. Der Priester hatte das Lied gedichtet, der Organist die Weise erfunden. So ist es entstanden, in der Stille eines Gebirgsdorfes, wo die Sterne Heller leuch­ten, wenn sie über den schneeigen Tolgrund flimmern und ihr Licht von den eisbedeckten Bergen widerschimmert. Lau­schende Ehrfurcht also hat das Lied geschaffen in derStille der Nacht."

Aber wie merkwürdig: immer wieder setzt man wie un­willkürlich neben dieses Lied das andere: .,'O du fröhliche". And doch ist dieses in einem ganz anderen Land entstanden, aus ganz anderen Empfindungen heraus geboren. Weimar

Fernruf 17 S 63. Jahrgang

ist sein 'Geburtsort und der frühere Theoköge und späten Legationsrak Falk sein Dichter. Die Zeit freilich war ekwc dieselbe, in der jenes andere Lied entstanden ist. In bei Not des Franzosendrucks, also auch vor mehr denn Hunden Jahren, ist Falks Lied gedichtet worden. Falk war damalt der Vermittler zwischen den Franzosen, die das Land besetz; hielten, und der armen Bevölkerung, auf der der Feindes­druck lastete. Entsetzlich wurde deren Not nach der Schlacht von Jena; jammervoll war vor allem die Lage der Kinder, die oft umherirrken, vaterlos und mutterlos, von allen ver­lassen. Wie nun die Alken mit ihren Sorgen zu dem gütigen LegakionSrat kamen, der so oft den Druck der Feinde lin­derte, so taten es auch bald die heimatlosen Kinder. S's klopften an der Tür des gütigen Mannes an und flehten um Hilfe, und das nicht umsonst. Falk war von Gott zu- bereiket, diese Not auf sein Zerz zu nehmen; denn sein Herz war leer geworden; ihm war sein Glück zertrümmert, seine Freude geraubt worden. Seine vier Kinder waren ihm durch die Seuchen des Kriegs entrissen worden. Da schenkte er nun den anderen seine Liebe. Er gründete ein Heim für die verlassenen Kinder, das erste dieser Art, dem ungezählte andere folgten. And für diese Kinder also, aus solcher Not heraus, hat er das Lied gedichtet: ,.O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit". Wahrhaftig, auch in die­sem Lied flimmern Sterne, wenn auch ganz anderer Art: Tränen sind es, in denen sich das Licht der Liebe spiegelt. So steht in Eintracht das protestantische Lied neben dem kaiholischen. Deutscher Sinn aber Hot beide ausgenommen und nebeneinander gestellt als sich ergänzende Deutungen der Heiligen Nacht. Weihnachksstille und Weihnachkskraft, Gokkeskak und Menschenjauchzen, das künden uns diese Lie­der, und darum sind sie uns wert. Könnten sie doch das Weihnachtsgeheimnis gerade unserer Zeit tief in die Seele singen. Wir haben jetzt so schwere Tage! Bolk und Vater­land leiden unter dem Druck des Feindes, und im Innern steigt die Not. In Industrie und Handwerk, in Geschäft und Handel drohen Verwicklungen, die uns mit größter Sorge erfüllen. Es ist, als ob sich Kampfscharen überall sammeln wollen. Webe, wenn dieser Kampf ausbrichi!

Sollte nicht stakt dessen die Liebe etwas wirken dürfen, die Liebe, die Gott uns bewiesen hat? Wenn schon Gott die Menschen seine Kinder heißt, sollten wir nicht als Brüder die Brüder lieben? Kein Zweifel, wenn dieser Geist der heiligen Socke Wirklichkeit würde, nicht nur vor Gott, son­dern durch Menschen, dann würden wir mit Grund und Jubel singen können:O du fröhliche, o, du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit".

Veihnachkrstiillmmig

Es ist etwas Eigenes um Stimmung. Sie kommt, sie geht, sie ist behaglich, ungemütlich, -andächtige^fetertich, frostig, je nach dem. Gute, warme Stimmung kann aus- bleiben, wenn du sie noch so gerne hättest, herzwingen läßt sie sich nicht.

So kann es auch an Weihnachten, am heiligen Abend gehen.Ich weiß nicht, aber es ist mir noch dar nicht advent- lich und weihnachtlich zumut wie sonst", las ich unlängst in einem Brief.Vielleicht", fügt die Briefschrerberin hinzu, kommt es daher, daß ich noch kaum an weihnächtliche Vorbereitungen kam." Wer sich liebend mit Weihnachts­arbeiten beschäftigt, wer sich besinnt und müht, andern mit sinnigen Gaben zu erfreuen, dem mag darüber selbst weih­nachtlich zumute werden.

Von größter Bedeutung ist die Erinnerung an unsere Kinderweihnachten. Man lese, was Monika Hunnius in ihrem BüchleinMeine Weihnachten" darüber schreibt. Wie wunderbar verstand ihre Mutter, Feste zu feiern! Wie herrlich war schon die Vorbereitung, der bunte Adventsstern, der vom 1. Advent an in unserem Zimmer hing, die Advents- und Wcihnachtslieder, die mir mit unserer Mutter sangen, und die Geheimnisse, die um uns entstanden."Und dann war plötzlich der Weihnachtsabend da! Geheimnisvoll rauschend wurde der Tannenbaum durch das Haus getragen, mit Herzklopfen lauschten mir. im Kinderzimmer eingeschlossen, wie die Zweige dis Türe streiften. Und wenn dann die Türe sich weit austat, Ge­heimnisse sich enthüllten und alles voll Glanz und Freude war!" Da war Stimmung im Hause. So etwas vergißt man nicht.

Aber wie vielen ist solch eine herrliche Erinnerung ver­gönnt? Was dort in den glücklichen Verhältnissen eines sonnigen Hauses des Valtenlands möglich war, ist das wohl allgemein hin und her in den deutschen Familien? Ich denke jetzt nicht an die Familien, wo wirtschaftlicher Druck, die Enge des Wohnraums, Not und Mangel oder häus­licher Unfriede Festfreude nicht aufkommen lassen. Ich denke daran, daß manche Mutter die Kunst nicht versteht, frohe Stimmung zu schaffen, daß nicht jeder Vater sich dazu hergibt, mit seinen Kindern fröhlich zu sein und seiner Familie in diesen Tagen zu leben.

Vor mir steht das Bild einer wackeren, fleißigen Haus­frau. Sie besorgte getreulich, was auf Weihnachten zr besorgen war. Solide, gute Dinge lagen für leden an seinem Platz. Aber es fehlte der warme, Helle Schein, der alles verklärt.Meine Kinder springen, wenn sie an Weihnachten kommen, immer ins Nachbarhaus", klagte die Mutter. Dort in einer einfachen gemütlichen Handwerkerstube sangen sie Lieder zur Zither, saßen spielend und plaudernd um den uüsch. Die Nachbarsfrau, nebenbei eine rechte Kreuz­trägerin, verstand sich eben auf junge Herzen und wußte ohne viele Umstände die Stimmung um sich zu verbreiten, rie wohltuend ist.

Monika Hunnius erzählt auch von andern Weihnachten. Zie erzählt von der kranken Schwester, die am helligen übend bleich und abgezehrt zu Belte lag, von dem Geiger, rer aus trostlosen Familienverhgftiftssen stammend, plötzlich chuchzte:Ich habe noch nie ein Weihnachtsscst gehabt, etzt weiß ich es, das war mein erstes Weihnachtsscst", von dem russischen Reoolutionsweihnachten 1905, wo unter das LiedVom Himmel hoch da komm ich der" Schüsse von der Straße ertönten, und vom letzten Weihnachten im ge- liebten Baltenland, ehe sie die Heimat verlassen mußten und sich in der Welt zerstreuten.