4. Sicherstellung der Verwaltung der Länder gegen Eingriffe der Reichsverwaltung:
5. Wiederherstellung einer größeren finanziellen Selbständigkeit der Länder durch Ausscheidung der Steuerquellen und Rückübertragung der Steuerverwaltung für die eigenen Steuerquellen, Erstellung eines Finanzausgleichs, der den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen entspricht und die Erhaltung der Länderselbständigkeit ermöglicht;
6. Ausbau des Reichsrats zum Gesetzgebungskörper;
7. verfassungsmäßige Sicherung aller dieser Forderungen der Länder nach Artikel 76a der Reichsverfassung, Dreiviertelmehrheit im Reichsrat für Aenderung von Bestimmungen über Länderrechte.
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Am 10. November haben in der alten japanischen Kaiserstadt Kioto die großen Krönungsfeierlichkeiten für den Mikado Hirohito in der Thronhalle des kaiserlichen Palastes begonnen. Der Kaiser erhob sich um 7 Uhr morgens und begab sich in weißem Seidenkleid mit riesigem Gefolge zu der Stelle, wo die kostbaren Kronabzeichen aufbewahrt werden. Diese wurden ihm unter großen Zeremonien überreicht. Um 9 Uhr wurde die feierliche Mitteilung der Thronbesteigung des Kaisers an seine Ahnen vorgenommen, woran sich die eigentliche Zeremonie der Thronbesteigung schloß, die bis 3 Uhr nachmittags (7 Uhr morgens mitteleuropäische Zeit) währte. Sämtliche Kriegsschiffe feuerten im Augenblick der Thronbesteigung den kaiserlichen Salut, während die Besatzungen ein dreifaches Banzai ausbrachten. Vor dem Palast hatte sich eine ungeheure Menge versammelt, die stundenlang ausharrte. Bei Beginn der Feierlichkeiten zeigte sich über den Bergen bei klarem Himmel ein Regen- bogen, der als günstiges Zeichen betrachtet und allgemein mit größter Freude begrüßt wurde. Die Massen, die sich schon in den Vormittagsstunden versammelt hatten, waren in Feiertagsstimmung, aber trotz des Fehlens aller polizeilichen Vorkehrungen vollkommen in Ordnung.
Die Festlichkeiten werden nahezu drei Wochen dauern. Der Mikado wird daher erst Ende November in die Hauptstadt Tokio zurückkehren. ^
Es ist dem europäischen Geist nahezu unmöglich, sich die Wichtigkeit vorzustellen, die das japanische Volk den Feiern beimißk. Wir denken gewöhnlich nur daran, daß Japan sich weit der westlichen Zivilisation geöffnet und daß? es sich alle unsere modernen Erfindungen mit staunenswerter Schnelligkeit angeeignet hat. Wir vergessen über alledem allzuleicht, daß der japanische Geist in einem uralten Kulturboden wurzelt, der mit dem europäischen ilo gut wie gar nichts gemeinsam hat. Fester als in jedem andern Staat ist die Monarchie in Japan gegründet durch die Vorstellung, daß die Familie des Kaisers unmittelbar von den Göttern abstamme. Ist er also auf der einen Seite ein konstitutioneller Herrscher mit politischen Pflichten und Verantwortlichkeiten, so ist er doch gleichzeitig auch eine religiöse Persönlichkeit, die jedem Japaner instinktiv Ehrfurcht einflößt, solange er nicht den Ahnenkult aus seinem Denken und Empfinden gänzlich ausgemerzt hat, was selbst heute wohl nur von wenigen Japanern gesagt werden kann. Man kann im Gegenteil feststellen, daß die Ve-rehrung der Ahnen in den Kultformen, in denen sie in Japan erfolgt, geradezu als eine moderne Religion gilt, der selbst ein überzeugter Freidenker anhängen könne. In fast jedem Hause befindet sich ein kleiner Schrein, der den Ahnen geweiht ist und ihre Namen enthält. Der Kaiser aber ist das Haupt des Volkes, seine Ahnen sind die Ahnen der ganzen Nation, und in deren Namen bringt er ihnen jetzt in Kioto nach uraltem Zeremoniell seine Huldigung dar.
Neueste Nachrichten
Das deutsch-rumänische Abkommen
Berlin, 12. Nov. Am 10. November ist das deutschrumänische Abkommen in Berlin unterzeichnet worden. Danach bezahlt Deutschland an Rumänien 75,5 Millionen Goldmark in vier Jahresraten, während
Me Schuld
Roman von R. Koylrausch. koPyrIght by Greiner L Co., Berlin NW 6.
23 (Nachdruck verboten.)
Dabet fiel ihr erst wieder ein, wie das gekommen war. Dov ein paar Jahren, an einem Weihnachtsabend, als ein schöner, stiller Festfrtede im Hause herrschte, hatte ihr Mann sie gebeten, ihm die Briefe wiederzugeben; er wolle sie gern öfters einmal durchlesen, um sich dadurch so ganz in die Zeit ihrer Verlobung zurückzuversetzen. Gern hatte sie seinen Willen getan, und seit jenem Abend hatten du Briefe zusammen mit ihren eigenen aus der gleichen Zeit in dem alten Sekretär verwahrt gelegen.
Sie sagte das alles offen dem Kommissar, der ihre Mitteilung schweigend mit einem feinen, klugen Lächeln begleitete. Dies Lächeln blieb ihr im Gedächtnis, auch als er fort war; der Ausdruck seines Gesichtes war so be- deutungsvoll gewesen. Merkwürdig gütig, aber zugleich mer-kwürdig schlau.
Sobald am Abend Elli schlafengegangen mar, nahm Hedwig die Briefe vor und las alle noch einmal durch. Langsam, Wort für Wort, mit einer Aufmerksamkeit, an dev es ihr in den frohen Tagen einer glücklichen Braut- zeit gefehlt hatte. Das Leid hatte in ihr das Verständnis für Unterströmungen in der Menschenseele geweckt; leise, doch deutlich klangen sie nun aus den beschriebenen Papieren, deren vergilbte Ränder leise Zeichen beginnenden MterS wiesen gleich ersten Runzeln in einem Gesicht.
Jetzt gewannen Worte darin Bedeutung, über die sie früher leichtherzig hinweggelesen hatte. Sie wunderte sich selber, daß es ihr damals nicht aufgefallen war, wie häufig in diesen Briefen Bruno davon sprach, daß er durch sie ein anderer Mensch werden müsse, schon ein anderer Mensch geworden sei.
„Du sollst mein guter Geist sein," so hieß es in einem der Schreiben, „der alle bösen Geister verscheucht". Also gab es böse Geister in seinem Leben, die verscheucht werden mußten, Geister, die schon vor vielen Jahren ihn bedrängt hatten. Das Geständnis einer auf seinem Leben lastenden Schuld klang wieder in ihr Ohr und gewann erhöhte Bedeutung, indem sie die Worte der Briefe danebenhielt. Und es war in ihr ein versöhnendes Gefühl, daß i
Rumänien den Rest des deutschen Privateigentums, soweit er nicht schon längst zwangsweise verkauft worden ist, zurückgibt und für die in deutschem Besitz befindlichen rumänischen Vorkriegsanleihen wieder Zinsen bezahlt. Die Deutsche Reichsbank und deutsche Privatbanken werden sich nunmehr an der großen Anleihe beteiligen, die Rumänien zur Befestigung seiner Währung aufnehmen will.
Der gewinnende Teil bei diesem Abkommen ist vor allem Rumänien. Die Banca Generals in Bukarest hatte unerhörterweise (ähnlich wie Belgien) für die von der deutschen Heeresleitung während des Kriegs in Rumänien ausgegebenen Geldnoten einen Ersatz von einer Milliarde Mark verlangt und Rumänien erhielt diese Forderung auch dann noch aufrecht, nachdem im Dawesvertrag ausdrücklich festgesetzt worden war, daß in der Dawes-Regelung alle Entschädigungsverpflichtungen Deutschlands inbegriffen seien. Die Reichsregierung hat dem Drängen Rumäniens schließlich nachgegeben und dieses hat den weit-wen Vorteil, daß es außer der Abfindungssumme von 75,5 Millionen noch Millionen von deutschen Banken erhält, um seine gänzlich zerrüttete Währung wiederherzustsl! m. (100 rumänische Lei oder Franken in Noten haben heute einen Kurswert von 2,55 Mark.) Der verhältnismäßig bescheidene Rest des in Rumänien noch faßbaren deutschen Eigentums besteht in der Hauptsache ans Anteilen deutscher Banken oder Finanzgesellschaften an Erdöl-Unternehmungen.
. Ehrung Hans Delbrücks durch den Reichssrü-.dersten
Berlin, 12. Nov. Der Reichspräsident hat dem Univsrst- tätsprofessor Geh. Regierungsrat Dr. Hans Delbrück zu seinem 80. Geburtstag mit einem Glückwunschschreiben den Adlerschild des Reichs verliehen.
Antrag der Zenkrumsfmkkion
Berlin, 12. Nov. Die Zentrumsfraktion hak im Reichstag ncch den Ankrag eingebrachk, die Reichsregierung zu ersuchen, schon jetzt von sich aus Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, einer Wiederholung von Auseinandersetzungen, wie sie in der nordwestlichen Gruppe der Eisen- und Stahl- mdnskriellen eingekreten sind, bei künftigem Ablauf von- Tarifverkrägen von Ähnlicher Bedeutung vorzubeugen."
Zusammenlegung der deutschen Zeitungen in Nordschleswig
Apenrade, 12. Nov. Am 1. Februar 1929 wird eine Zusammenlegung der in Nordschleswig (jetzt dänisch) bestehenden deutschen Zeitungen zu einem gemeinsamen Organ erfolgen. Diese deutsche Einheitszeitung, die in Apenrade herausgegeben wird, wird den Namen «Nordschleswigsche Zeitung" führen.
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Das neue Kabinett Poincarä
Paris, 12. November. Am Sonntag abend wurde felgende Ministerliste bekanntgegeben: Ministerpräsident (ohne Portefeuille): Po in care; Justiz: Barthou; Auswärtiges: Briand; Inneres: Tardieu; Finanzen: C h e- ron; Krieg; Painleve; Marine: Leygues; Unterricht: Marrand; Oesfentliche Arbeiten: Forgeot; Handel: Bonnefou; Landwirtschaft: Jean Hennesy;
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diese Schuld vielleicht schon weit, weit in der Vergangenheit lag, in jener Zeit, als er sie noch nicht gekannt hatte. Darüber war er ihr wohl keine Rechenschaft schuldig, und wenn er jetzt sich doch hatte Hinreißen lassen, die Kunewka zu besuchen — nein, daran wollte sie nicht mehr denken. Sie wollte sich an diese Briefe halten, deren Worte so beruhigend waren, ans denen dieses Mannes Liebe zu ihr so warm, so ehrlich, so überzeugend hervorklang.
Er hatte sie lieb, von Herzen lieb — diese Gewißheit gaben ihr die vergilbten Papiere. Vielleicht war es darum gewesen, daß er die Briefe von ihr zurückerbeten hatte, um sich zu stärken in diesem Gefühl, wenn einmal eine Versuchung an ihn herantrat.
Sie war immer viel zu stolz auf ihn gewesen, um es für unmöglich zu halten, daß auch andere Frauen ihm Neigung zeigten. Aber so wie sie selbst, konnte doch keine andere ihn lieben! Sie atmete tief ans, als dies Gefühl jetzt in der einsamen Stunde sie packte mit seiner Posten, leidenschaftlichen Gewalt, aber zugleich fand sie sich erhoben, erwärmt, befreit tn dieser großen Empfindung. Unerschütterlich wollte sie nun an den Mann glauben, der "ähig gewesen war, ihr diese Briefe zu schreiben, der einen "iiten Geist in ihr sah und verehrte, den sie liebte wie nichts anderes ans der Welt!
Mit einer lebhaften Bewegung stand sie auf. Der Wunsch war ihr gekommen, auch ihre eigenen Antworten ani diese Briefe aus der Verlobung noch einmal zu lesen. Sie lagen sicher in dem altertümlichen Sekretär, wo diese hier gelegen hatten. Sie war ja dabeigewesen, als der Kommissar sie fortgenomineii hatte, und kannte die Schub- tade genau, wo sie verwahrt gewesen waren.
Sie ging-über den Korridor in Brunos Arbeitszimmer.
Tie leere Stille des Raumes, dem sein Bewohner fehlte, durchschanerte sie, doch waren ihre Gedanken zu sehr auf das bestimmte Ziel gerichtet, um sich für längere Zeit von ihm ablenken zu lassen. Sie trug die Schlüssel de- sich, die Bruno ihr beim Scheiden gegeben hatte, und östnete das Fach des altmodischen, ihr seit frühesten Tagen vertranten Möbelstücks, das noch von ihrem Vater stammte. Da war in der Mitte der offene, mit einem griechischen Giebelchen aus Mahagoniholz überdachte Raum, den zwei kleine Säulen, den Giebel tragend, flankierten. Da waren rechts und links davon aus ieder Seite sechs braune
Kolonien: Maginot; Arbeit: Löücheur; Luftfahrt: Eynac; Pensionen: Anteriou.
Als Üpterstaatssekretär im Arbeitsministerium ist der der elsässischen Volkspartei untreu gewordene Oberkirch bestätigt.
Weitere Unterstaatssekretäre sind d'e Abg. Germcnn Martin für Postwesen, Pate für körperliche Ertüchtigung und Francois-Poncet für Unterricht und ^unstpflege.
Der soz. „Populaire" sagt: Das ist nicht einmal m-chr nationale Einigung, das ist der nationale Block. — Die „Volonte" sagt: Der Kadaver der nationalen Einigung ist zu Grabe getragen. Der Poincare-Mythus ist zusammengebrochen.
Der Lohnkampf
Der Feskslellungsklage vor dem Duisburger Arbeitsgericht stalkgegeben
Duisburg, 12. Nov. 3n der heutigen Verhandlung üb r die Feststellungsklage des Arbeitgeberverbands der nordwestlichen Gruppe der Eisen- und Stahlindustrie gab dos - Arbeitsgericht Duisburg dem Klagebegehren in materieller wie in formaler Beziehung statt und verkündete folgenden Spruch: Es wird festgestellt, daß ein Tarifvertrag auf Grund des gestellten Schiedsspruchs vom 26. Oktober nicht besteht. Die Kosten des Verfahrens, die 500 Mark betragen, nachdem als Wertobjekt eine Million eingesetzt worden war, haben die Beklagten (Gewerkschaften) zu kragen.
Eine Erklärung der Firma Krupp
Essen. 12. Nov. Die Firma Krupp hat an die noch im Betrieb befindlichen Angestellten und Arbeiter des Essener Werks ein Merkblatt verteilen lassen, in dem sie die Beteiligung an der Aussperrung begründet: „Nachdem die Firma Krupp ihre Monopolstellung in der Herstellung von Kriegsmaterial verloren hat, sind ihre Produktionsbedingun- gen nicht andere wie für jedes sonstige Stahlwerk oder jede Maschinenfabrik; sie liegen eher noch ungünstiger, namentlich hinsichtlich der geographischen Lage des Werks. Für die Gußstahlfabrik würde bei einer Lohnsumme von 57,3 Millionen Reichsmark in den letzten 12 Monaten sich bei Einhaltung des Schiedsspruchs eine Erhöhung der Unkosten um rund 3 Millionen Reichsmark jährlich ergeben. Nachdem die Gußstahlfabrik im verflossenen Geschäftsjahr erstmalig seit Kriegsende ohne Verlust gearbeitet bot, wird man verstehen, was diese Ziffern bedeuten: die Wiederkehr der Verlust Wirtschaft. Eine lange Dauer des Arbeitskampfes würde nicht nur den einzelnen Arbeiter jetzt schwer treffen, sondern auch künftig durch Verlust der Kundschaft die Beschäftigungsmöglichkeit für viele Werksangehörige vernichten."
Die Unterstützung in Essen
Essen, 12. Nov. Die Stadt Essen will am Dienstag in den Räumen von 25 Volksschulen die Unterstützungsanträge der Ausgesperrten entgegennehmen. Für diesen Zweck sind 350—400 Beamte notwendig. Man rechnet mit etwa 25 000 Unterstützungsanträgen. Die der Stadt erwachsenden Kosten werden bei vierwöchiger Dauer der Aussperrung auf zwei Millionen Mark geschätzt.
Der Kreisausschuß des Landkreises Düsseldorf will zur Deckung der durch die Unterstützung der ausgesperrken Arbeiter notwendigen Mittel einen vorläufigen Kredit von 500WO Mark aufnehmen.
Bei einer kommunistischen Kundgebung in Essen am Samstag kam es zu argen Ausschreitungen. Ein Polizeimajor und 6 Beamte wurden durch Skeinwürse verletzt.
Regierungspräsident Bergemann vermittelt
Düsseldorf, 12. Nov. Regierungspräsident Bergern a n n hat von sich aus die am Tarifvertrag der nordwestdeutschen Eisenindustrie beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer, zunächst getrennt, die Arbeitgeber vormittags und die Arbeitnehmer nachmittags, für Dienstag, den 13. Nov., zu einer unverbindlichen Aussprache eingeladen. — Bergemann war selbst Mitglied der freien Gewerkschaften.
Der Christliche Mekallarbeiterverbanh erklärte sich mit» den Bermitklungsverhandlungen einverstanden.
Schubladen mit weißen Knöpfen aus Horn, da war ganz »nie» rechts die gesuchte Schublade, aus der die Briefe stammten. Sie sprang wie ein vorquellendes, nragendeS Architektnrglied in gebogener Linie um ein Stück weiter vor als die anderen; der Knopf an ihr war abgesprungen, »nd nur noch sein Stiel aus Horn gestattete das Herausziehen.
Rasch hatte Hedwig die Schublade vorgezoaen und schaute hinein. Ja, da war die leere Stelle, wo die Briefe gelegen hatten. Und ganz hinten sah sie auch das Paket mit Papieren, ^.e sie selbst beschrieben hatte. Da eS locker mtt einem roten Bande gebunden war, fielen einige von den Briefen heraus, und Hedwig mußte die Schublade ganz weit vorziehen, um auch diese Blätter noch fassen zu können.
Stehend begann sie zu lesen. Doch je mehr sie laS, „ui so mehr umwölkte sich ihr Gesicht. Unzufrieden schüttelte sie ein paarmal den Kopf und murmelte dabei: ,Mie kalt — wie förmlich — wie fremd!" Mit anerzogen steifer Zurückhaltung hatte sie die warmen, überquellend berz- lichen Worte des Verlobten beantwortet. Wie ein Spiegel waren ihr diese Briefe, worin sie das eigene Bild erblickte, und sein Anschauen beschämte sie. Die Augenblicke des Lesens waren Augenblicke der Selbsterkenntnis für sie. Zum erstenmal fühlte sie ganz, was ihrem Manne die langen Jahre der Ehe hindurch an ihr gefehlt haben mußte.
Sie mochte nicht weiterlesen, das weiche, schöne Gefühl, das Brunos Briefe wachgerufen hatten, ihrer Seele nicht rauben. Rasch legte sie die eigenen Briefe zusammen, gab ihnen wieder den alten Platz ganz hinten und schob mit einer zornigen, unsicheren Bewegung die Schublade wieder hinein.
Aber es war sonderbar — sie wollte sich nicht schließen lassen. Es war, als wenn sie auf ein Hindernis träfe.
Hedwig zog sie noch einmal vor und schob sie wieder hinein, aber der Zustand blieb unverändert.
Irgendetwas mußte sich hinten hineingeklemmt haben, und Hedwig zog die Schublade ganz heEvus, daß der viereckige'Raum, in dem sie lief, sichtbar wurde. Zuerst konnte sie auch hier kein Hindernis entdecken; erst niederkniend sah sie, daß tief aus dev Höhlung etwas Weißes bervorimtnuuerte. Vorstckitia ariff sie hinein, zog es heraus.
(Fortsetzung folgt.)