Dollar, sondern 4800 Dollar, und trotz dieses Kostenauf­wands waren die Häuser derart gebaut, daß sie bald wieder zerfielen. Sogar ein Schwimmbad und Sportplätze wurden angelegt. Und doch folgte Fehlschlag auf Fehlschlag. Als die Bewässerungsanlage in Betrieb genommen werden sollte, arbeitete sie nicht, wodurch der größte Teil der erwarteten Ernte verlorenging. Einmal lieferte auch die Bank das Saatgut. Zum Unglück der Siedler bestand es aber aus amerikanischem Weizen, der in dem dortigen Klima nicht aufgehen wollte, was zur Folge hatte, daß wieder keine Ernte erzielt wurde. Nichts ließen die Siedler unversucht. Zu einer Zeit, da Zwiebeln sehr hoch !m Preis standen, baute man große Mengen davon an und erhielt gewaltige Erträge. Aber das ganze Land hatte eine glänzende Zwiebelernte, und so ging der Preis sehr bald herunter. Aehnlich ging es mit einer Kartoffelernte. Der Anbau von Weizen schien noch die sichersten Erfolge zu versprechen, und so warf man sich schließlich in der Hauptsache auf diesen. Man erzielte Erträge, aber es stellte sich bald heraus, daß auch in Atequiza nicht mitRieseuernten" aufjungfräu­lichem" Boden zu rechnen war. Als schließlich die Bank kein Geld mehr hergeben wollte oder konnte, kam der Zusann- menbruch. Von den rund 300 Siedlerfamilien waren noch 12 deutsche und 100 mexikanische Familien vorhanden.

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Skuttgark, 11. November.

Todesfall. Der frühere Leiter der chirurgisch-orchopä- dischen Abteilung des Kinderhospitals .Olga-Heilanstalt", Prof. Dr. Ernst Müller, ist nach längerer Krankheit im Alter von 72 Jahren gestorben. Er stand der Abteilung 18 Jahre lang vor und hat auch während des Weltkriegs an Lazaretten hervorragend gewirkt.

Lehrberechtigung. Dem Gerichtsassessor Dr. Ernst Köh­ler in Tübingen ist die Lehrberechtigung für deutsches und bürgerliches Recht und Handelsrecht an der rechts- und wirt­schaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen erteilt worden.

Kakkeen-Ausstellung. In den Ausstellungshallen am Platz des früheren Interimstheaters wurde am Samstag eine in­teressante und reichhaltige Ausstellung mexikanischer und afrikanischer Kakteenarken eröffnet. Die Ausstellung wurde von den Firmen E. Eberhardt und H. Wagner sowie Gartenarchitekt H. Aldinger veranstaltet.

8 Eine Falschmeldung. Gelegentlich der Zeppelinfahrt war in einigen württ. Blättern die Behauptung verbreitet worden, der Fahrgast bei der Amerikafahrk, Herr Dr. Rei­ner aus Weehawken (Nürtinger Bürgerssohn) habe sich ungünstig über die Luftschiffahrk ausgesprochen. Wie wir einem Telegramm Dr Reiners an deutsche Verwandte und Freunde entnehmen, ist gerade das Gegenteil der Fall. Er war von der Fahrt so begeistert, daß er ent­schlossen ist, bei Reisen nach und von Europa nur noch das Luftschiff zu benützen, sobald dieser Luftverkehr eingerichtet sein wird.

Stuttgart. 11. Nov. Rettungsmedaille. Der Staatspräsident hat dem Werkmeister Albert Wörner in Marbach am Neckar die Rettungsmedaille verliehen.

Die Stuttgarter Lichtschau wurde am Samstag abend eröffnet. Bei der Einleitungsfeier im großen Sitzungssaal des Rathauses wies Oberbürgermeister Dr. Laute-n- schlager darauf hin, daß am 10. Novenlber vor 169 Jah­ren im nahen Marbach mit der Geburt Schillers, des größ-°" ten Sohns des Landes, eine Lichtquelle von unvergleichlicher Glanzfülle sich dem deutschen Geistesleben erschlossen habe. Der Eröffnungsfeier wohnten die Minister Dr. Bazille und Dr. Dehlinger, Generalleutnant v. Stülpnagel, Beamte, Vertreter des Landtags, der Kollegien, der Presse usw. an. Der Verkehr auf den beleuchteten Plätzen und in den Straßen war ungeheuer. Von auswärts waren Tau­sende nach Stuttgart gekommen. Die Lichtwirkungen sind außerordentlich schön, besonders hob sich die herrliche Iohanniskirche im Feuersee in der Bestrahlung durch zahl­reiche Scheinwerfer, ergänzt durch Bogenlampen im Innern des Turms, wundervoll ab.

Sekretärprüfung. Auf Grund der in den Monaten September und Oktober 1928 vorgenommenen Allgemeinen Sekretärprüfung sind 84 Anwärter für befähigt erklärt worden.

Anschlag auf einen Schnellzug. Unweit des Bahnhofs Mindelaltheim (Schwaben) wurde am Freitag abends ein Kilometerstein auf die Schienen gelegt. Ein Beamter, der zufällig an diese Stelle kam, beseitigte das Hindernis, kurz bvor der Schnellzug StuttgartMünchen vorbeikam.

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Aus dem Lande

Lorch, 11. Nov. Besuch des, Reichswehrmini, sters. Auf der Durchreise besuchte Reichswehrminister Gröner das Kloster Lorch, wo er sich längere Zeit mit seinem Stab aufhielt, um dann die Fahrt nach Gmünd fort­zusetzen.

Welzheim, 11. Nov. Ein Betrüger. Kürzlich kam da ein angeblicher Kulturbauassistent in eine Gemeinde aus dem Walde und mietete sich in einem Gasthof mit Verpfle­gung ein. Täglich werden dieVermesfungsarbeiten" ge­macht. Bei Handwerksmeistern wurden Kleider und Schuhe auf den kommenden Gehalt bezogen. Beinahe wäre auch noch ein Landwirt hereinqefallen, bei dem er ein Reitpferd zu seinen Vermessungsarbeiten entlehnen wollte. Als der Vogel bemerkte, daß man ihm an den Kragen wollte, nahm er Reißaus auf ein Nimmerwiedersehen, ohne seine Schulden zu bezahlen.

Oberndorf a. N., 11. Nov. Ein Farren vom Zug zermalmt. Donnerstag abend geriet auf der Bahnlinie AltoberndorfOberndorf ein aus der Stallung des Speise­meisters Baier entlaufener Farren unter den von Rottweil kommenden Eüterzug.v Das Tier wurde von der Maschine erfaßt und etwa 100 Meter geschleift. Da etwa 15 Wagen über das Tier hinweggingsn, wurde es vollständig zer­malmt. Auch am Zug selbst ist einiger Materialschaden ent­standen, insbesondere an der Luftbremsvorrichtung, wodurch

auch das Anhalten des Zuges erschwert wurde. Der Zug konnte nach etwa einer halben Stunde, nachdem das Tier aus den Rädern und dem Bahnkörper entfernt war, die Fahrt fortsetzen. Schon in früheren Jahren kamen dem­selben Besitzer frei herumlaufende Schafe unter den Zug.

Die Arbeiten zum Neubau des Amtskörperschaftsgebäu­des sind begonnen worden.

Schmiden. OA. Waiblingen, 11. Nov. Gefaßter Uebeltäter. Vor einiger Zeit wurde eine Frau um die Mittagsstunde auf der Straße CannstattSchmiden, an der Straße, die nach Hofen abzweigt, von einem Unhold über­fallen und in den Straßengraben geworfen. Den Bemüh­ungen der Landjägermannschaft ist es nun gelungen, den Täter in der Person eines 38jährigen Mannes zu fassen und dem Gericht zu übergeben.

Marbach a. Neckar, 11. Nov. Vom Schiller-Na­tionalmuseum. Am gestrigen Geburtstag Friedrich Schillers konnte das Schiller-Nationalmuseum in Marbach am Neckar die'Feier seines 25jährigen Bestehens begehen. Zu der Gedächtnisfeier im Festsaal des Museums hatten sich Gäste aus dem ganzen Reich in großer Zahl eingefunden, darunter als Vertreter der württembergischen Staatsregie­rung Kultusminister Dr. Bazille, Finanzminister Dr. Dehlinger, außerdem Vertreter des Landtags, der Uni­versität Tübingen, der Technischen Hochschule Stuttgart, der Stadt Weimar, der schwäbischen Dichtung und die Nach­kommen der Familie Schiller. Der erste Vorsitzende des Schwäbischen Schillervereins, Geheimrat Dr. v. G ü n t t e r, hielt die Festansprache. Die Grüße der Regierung über­brachte Kultusminister Dr. Bazille, der darauf hikwies, daß kein einziger deutscher Volksstamm auch nur entfernt so viele Dichter hervorgebrachk habe, uns das kleine Land Würt­temberg. Die Feier wurde beschlossen mit einer Huldigung vor Schillers Geburtshaus.

Mainhardt. OA. Hall, 11. Nov. Hunde im Schüf­st f e r ch. Der Schäfer Ehr. Kuhn von Neuenstadt kam mit seiner aus 68 Schafen bestehenden Herde nach Hohenstraßen, wo er imGrünen Baum" übernachtete. Die Schafe wur-

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den im anstoßenden umzäunten Garten untergebracht. Nachts brachen aber Hunde in den Garten ein. Am andern Morgen waren nur noch 5 Schafe da, davon eines tot, ein anderes schwerverletzt. Die geängsteten Tiere hatten den Zaun durchbrochen und waren geflüchtet. In der Umgebung fand man noch 51 Tiere, von denen aber 11 so zugerichtet waren, daß sie geschlachtet werden mußten. 12 Schafe wer­den noch vermißt. Den Hunden ist man auf der Spur.

Tuttlingen, 11. Nov. DieHohentwielfrage. Der Gemeinderat erklärte in seiner letzten Sitzung, die Abtren­nung des Hohentwiels und des Bruderhofs (die an Baden kommen sollen) von der Markung Tuttlingen wäre für die Stadt ein großer Schaden, um so mehr, als bei der in 30 oder 50 Jahren zu erwartenden Schiffbarmachung des Ober­rheins der Umschlagshafen an das Gelände des Bruderhofs angrenzen würde. Als Ersatz müßte mindestens Baden die Gemeinden Jmmendingen und Möhringen an den Bezirk Tuttlingen abgeben, und zwar so, daß Möhringen nach Tutt- Ungen eingemeindet würde.

Giengen a. Br., 11. Nov. Gasfernversorgung. Der Gemeinderat hat in seiner letzten Sitzung einstimmig den Anschluß an die Gasfernversorgung von Heidenheim be­schlossen.

Buchau a. F.. 11. Nov. Großer Gelddieb st ah l. Einem hiesigen Zandwerksmann wurden aus seiner Woh­nung 1500 gestohlen.

Dom Bodensee, 11. Nov. Sparsamkeit am fal­schen Platz. In Kürze wird ein neues Dieselmotorschiff Mainau" in Konstanz in Dienst gestellt werden. Das Schiff weist eine Länge von 38 Meter auf und wird mit zw"i Motoren ausgerüstet sein, die von einem Maschinisten ol s Gehilfen bedient werden. Statt der bisher an Bord eines Dampfers vorgeschriebenen Besatzung von 7 Personen sollen auf dem neuen Schiff nur drei Mann verwendet werden, obwohl die höchst zulässige Personenzahl 300 beträgt.

Lindau, 10. Nov. Die Pfänderbahn. Die Pfän­derbahn hat seit 4 Wochen Urlaub, der ihr nach den großen Anstrengungen des Sommers zu gönnen ist. Die Außer­betriebssetzung erfolgte aus Gründen der Auswechslung von Maschinenteilen, deren Ersatz noch nicht eingetroffen ist. Vom 1. Januar bis 15. September hat die Bahn rund 190000 Fahrgäste, davon 106 000 bergauf und 85 000 tal­abwärts, befördert.

Von der bayerischen Grenze, 11. Nov. Tödlicher Sturz. Der Landwirt Weber von Thalfingen fiel von der Tenne herab und verletzte sich so schwer, daß er bald darauf verschied.

Vom bayerischen Allgäu, 10. Nov. Die Nebelhorn­bahn macht erfreuliche Fortschritte. Das Bergstations­gebäude auf dem Nebelhorn wurde dieser Tage im Rohbau fertig. Sämtliche Fundamente für die Hauptbahnstützen sind errichtet. Die Talstation ist ebenfalls im Rohbau fertig. Auf der Mittelstation an der Seealpe dürften die im Bau befindlichen Gebäulichkeiten ebenfalls noch vor Winter­eintritt fertiggestellt werden können.

Die kirchlichen Verhältnisse in Württemberg. Bei den Volkszählungen auf 1. Dezember 1910 und der letzten auf 16. Juni 1925 wurde neben den Mitgliedern der evangelischen Landeskirchen, den Katholiken und Jsrealiten auch die An­gehörigen der verschiedenen Sekten des Landes verzeichnet, während die dazwischen liegenden Volkszählungen von 1916, 1917 und 1919 eine Befragung der Bevölkerung nach den Religionsbekenntnissen nicht kannten. Diese Befragung hatte nun 1925 und 1910 folgendes Ergebnis: Mennoniten waren es 729 (411), Baptisten 1674 (1682), Neuapostolische 12 732 (2855), Adventisten 1298 (309), Sonstige 1282 (1058). Es haben hiernach die Neuapostolischen am stärksten unter den evangelischen Sekten zugenommen mit 9877. Die Adven­tisten nahmen um 989 und die Mennoniten um 318 zu. Angehörige der griechisch-russischen und ortientalisch-ortho- doxen Kirchen wurden 267 (57), Altkatholiken und ver­wandte Religionsgesellfchaften 600 (196), Angehörige der sonstigen christlichen Religionsgesellschaften 1375 (121) ge­zählt. Von anderen Religionen und ohne Religionsangeln schrieben sich in die Zählliste ein 16 642 (1551). Dies gibt eine sehr starke Zunahmeziffer von 15 091. Abgenom- men haben allein die Baptisten um 8 Bekenner und die Israeliten um 1155. Die beiden christlichen Konfessionen sind mit 1 722 295 Evangelischen gegen 1 670 135 von 1910, dazu 12 469 Methodisten aeaen 6149 von 1910 ldie Methodisten

Ntte Schuld

Roman von R. Kohlrausch.

Copyright by Greiner L Co., Berlin NW 6.

22 (Nachdruck verboten.)

Hedwig verbarg sich angstvoll vor den Augen der Welt. Es war ihr, als wenn sie sich in einen tiefen, dunklen Winkel verkriechen müßte, Ivo niemand sie sah. Neben dem heißen Schmerz, der bangen Sorge um ihres Mannes Ge­schick quälte sie dies am meisten: die Furcht vor dem Urteil der Menschen . Sie war ans einer Gegend von Deutschland, wo man immer zuerst fragt:Was werden die Leute sagen?" Wo man sich scheut, es auszusprechen, daß man krank, arm oder unglücklich ist. Wo man den äußeren Schein des Daseins über seinen Inhalt stellt.

Und auf die große, furchtbare Katastrophe folgten jetzt wirklich zahllose kleine Nadelstiche des Lebens. Fräulein Hegewisch machte den Anfang damit, ihre Stellung auf- zulündigen. Sie kam am Tage nach Düringers Verhaftung ins Zimmer, eine aufgefaltete Zeitung in den Händen, und erklärte, sie könne nicht in einem Hause bleiben, von dem solche Tinge hier im Blatt ständen. Hedwig vermochte kaum die Zeitung zu fassen, die Worte zu lesen die dort standen. Die Notiz war nur kurz, war diskret und rück­sichtsvoll gehalten, aber die Tatsache der Verhaftung war doch mitgeteilt morden. Ein brausendes Geräusch von auf- geregtem Blut war in Hedwigs Ohren; sie hörte die Worte des Fräuleins nur halb, das mit beleidigender Herab- lassung sagte, der Herr Regierungsrat werde ja vielleicht seine Schuldlosigkeit beweisen können, obwohl sie selbst ihn vor dem Hause der Schauspielerin gesehen hätte, sie müsse aber doch aus ihren guten Ruf Rücksicht nehmen und gehen.

Endlich hatte Hedwig verstanden. Der beleidigte Stolz gab ihr Kraft und Haltung zurück. Sie stand auf, trat vor das kleine, hagere Fräulein hin, dessen blanke Mäuseaugen verlegen zu zwinkern begannen.

Sie wollen gehen? Es ist gut. Aber Sie gehen bann gleich, verstehen Sie? Das Ihnen zukommende Gehalt gebe ich Ihnen, dann aber verlassen Sie mein Haus, noch heute, noch in dieser Stunde, sofort."

Verschüchtert, wortlos ging Fräulein Heaewksch hinaus. Rach einer halben Stunde schon war sie fort. Aber ihr

Beispiel wirkte. Auch das Hausmädchen kündigte, auch sie wurde sofort entlassen. Hedwig besorgte sich lediglich eine kleine HaushaUShilse.

Nun selbst tm Hause zugreifen zu müssen, sich mit körperlicher Arbeit betäuben zu können, war Hedwig nur iieb. Denn schwer lastete auf ihr neben den Zweifeln und Sorgen, die sie quälten, auch die Wahrnehmung, daß etn- zelne aus ihren Kreisen anftngen, sich von ihr znrückzu- ziehen. Und sie war so wenig allein, mußte so vieles ver­bergen! Sie litt unter dem beinahe beständigen Zusammen­sein mit Elli wegen der vielen Fragen, die das Kind an sie richtete. Zuweilen besprach es ganz harmlos die Reise, die der Vater machen müsse. Ob er weit fort sei, wann er urückkomme, was er ihr wohl mitbringen würde. Bei lesen harmlosen, heiteren Plaudereien litt Hedwig am schwersten. Ein paarmal mußte sie aufstehen und aus dem Zimmer gehen, um ihre Tränen zu verbergen. Einmal, als Elli von einem Spaziergang mit einer etwas älteren Freundin zurückkam, war sie zuerst in sich gekehrt und still:, dann sagte sie plötzlich:

Du, Mutter, ich gehe nicht mehr mit Klara."

Warum nicht?"

Nein, sie hat gesagt, Vater hätte was Böses getan. Da habe ich sie stehen lassen und btn fortgelausen. Vater tut nichts Böses I"

Diesmal verbarg Hedwig ihre Tränen nicht. Sie nahm das Kind ln die Arme und küßte sein Gesicht mit weinenden Augen.

Ich danke dir, Elli", sagte sie leise.

Des Kindes Worte hatten sie wunderbar getröstet. ,^8ater tut nichts Böses" war es nicht wie eine Bot­schaft von diesen unschuldigen Lippen, an die sie glauben sollte? War es nicht eine Mahnung, ebenso fest an ihres Mannes Unschuld zu glauben, wie dieses Kind es tat? Sie war nicht eigentlich wankend geworden in diesem Glauben, aber eine dumpfe Betäubung hatte sie gelähmt und ihr die Kraft geraubt, solchen Glauben in hilfreiche Tat umzusetzen.

Nun erst kamen ihr die eigenen Worte klar tnS Ge- dächtnis zurück, die sie beim Abschied zu ihrem Manne gesprochen hatte:Wenn tch etwas für dich tun könnte!" Sie vertiefte, vergrub sich tu diesen Gedanken. Er gab tür einen schwachen Trost tn ihrer angstvollen Abge­

schlossenheit ° vor der Welt. Etwas sür ihn tun, ihm betstehen, ihm helfen, seine Schuldlosigkeit zu beweisen! In der Hoffnung aus solche Möglichkeit allein lag schon Stärkung und Wohltat. Aber was konnte sie tun? Sie ganz allein! Denn sie hatte niemand, den sie hätte fragen, der ihr hätte raten können. Ihrer Mutter hatte sie ge­schrieben, sie wolle kommen, aber Hedwig hatte gleich telegraphiert, und gebeten, sie einstweilen allein zu lassen. Sie scheute sich selbst vor dem Anblick der geliebten, gütigen Frau.

Wenn sie Rittners Aufenthalt hätte herausbringen können! Wenn es ihr möglich gewesen wäre, diesen Mann herbeizurusen, der mit ein paar Worten imstande sein sollte, des Verhafteten Unschuld widerspruchslos zu be­weisen! Aber sein Sonderlingsdasein und Reiseleben hin­derte jede Verbindung mit ihm. Er hatte in Deutschland keine feste Wohnung, nahm immer nur tn Pensionen Auf­enthalt, und wenn er fortging, ließ er niemals eine Adresse zurück, um keine Briefe nachgeschickt zu erhalten. Denn Briefe galten ihm als höchst überflüssige Dinge. Sie zermarterte sich den Kops, aber sie fand kein Mittel, ihn zu erreichen, das nicht ihr Mann schon vergeblich ver­sucht hatte. Nein, hier zeigte sich kein Weg, der ihr offen­gestanden hätte das war all ihres Grübelns trauriges Ergebnis.

Ein unerwarteter Zufall war ihr hilfreich. Air dritten Tage nach Brunos Verhaftung ließ Polizeikom- wissar Brennert sich wieder bei ihr melden. Sie wollt« sich zuerst verleugnen lassen, um den verhaßten Boten bei Unheils nicht wieder vor sich zu sehen, dann überlegte su aber doch, daß es ihre Pflicht sei, den Mann zu empfange«.

Der Kommissar war sehr höflich, und sein Bestich dauerte nur kurze Zeit. Er brachte die Briefe zurück, dt! bei brr Haussuchung mit Beschlag belegt worden waren, sich aber tatsächlich als ganz harmlose Privatsachen er­wiesen hatten. Brennert stellte sie Hedwig in voller Anzahl wieder zu, doch tat er eine Frage dabei. Wie es gekommen sei, daß nicht sie selbst, an die doch die Briefe gerichtet wären, sie verwahrt hätte, sondern ihr Mann.

(Fortsetzung folgt.)