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Nummer 262 Fernrufes

Mittwoch den 7. November 1928

Fernruf 179 63. Jahrgang

Honoer oder SM

Die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika ist praktisch und gesund in ihren Grundlinien. Volkshaus ist das Repräsentantenhaus, in das die einzelnen Staaten Abgeordnete nach der Zahl ihrer Bevölkerung ent­senden, und zwar auf Grund eines im großen und ganzen unbeschränkten Wahlrechts. Das Haus hat gegenwärtig 435 Mitglieder.

Das Staatenhaus, an parlamentarischem Ansehen dem Volkshause stark überlegen, ist der Senat. In ihn entsendet jeder der achtundvierzig Staaten je zwei Senatoren auf sechs Jahre, die von der gesetzgebenden Versammlung des Staates gewählt werden. Alle zwei Jahre scheidet aber ein Drittel der Senatoren aus, während das Repräsentanten­haus alle zwei Jahre neu gewählt wird. Durch diesen Mecha­nismus ist dafür gesorgt, daß jeder Umschwung in der all­gemeinen Volksstimmung rasch genug in der Wahl offen­kundig wird, während doch der Senat mit seiner dreimal so langen Amtsdauer eine gewisse Stetigkeit der Staatspolitik verbürgt und allzu plötzliche Uebergänge und Umschläge ver-. hindern kann. Indem aber auch der Senat alle zwei Jahre zu einem Drittel erneuert wird, ist Vorsorge getroffen, daß ein starker und tiefer Wechsel in der öffentlichen Meinung nicht spurlos oorübergeht; es wird dadurch verhindert, daß Volkshaus und Staatenhaus sich im Lauf von sechs Jahren so weit auseinanderleben, daß sie einander nicht mehr ver­stehen. Der Fortschritt der Entwicklung sowohl als auch das Recht der Ueberlieferung kommt in diesem System so weit zur Geltung, daß der gesunde Ausgleich zwischen beiden Kräften menschlicher Voraussicht nach immer gesichert bleibt.

Die Verfassung hat aber darüber hinaus Vorsorge ge­troffen, daß sich jeder Wandel im Verhältnis von Volks­haus und Staatenhaus nicht ohne weiteres und ungehemmt auf die Art überträgt, wie die politischen Geschäfte des Volkes der Vereinigten Staaken geführt werden. Zwischen dem Repräsentantenhaus mit zweijähriger und dem Senat mit sechsjähriger Amtsdauer, allerdings in drei Schichten, steht der Präsident, der auf vier Jahre gewählt wird, und zwar vom Volke selbst. Jeder Staat wählt so viel Wahl­männer, wie er Abgeordnete in den Senat und das Reprä­sentantenhaus zusammen entsendet. Das macht gegenwärtig 531 Wahlmänner im ganzen. Die Präsidentenwahl erfolgt zwei Monate nach ihrer eigenen Wahl. Da sie aber auf einen bestimmten Kandidaten festgelegt sind, so hat die eigentliche Präsidentenwahl heute nur mehr förmlichen Charakter; die Welt erfährt schon am Abend des Wahltages für die Wahl­männer, wer Präsident sein wird.

Dieser Präsident, der sein Amt wieder erst zwei Monate nach seiner förmlichen Wahl durch die Wahlmänner antritt, ist Staatsoberhaupt und Ministerpräsident in einer Person, das heißt, er bildet sich sein Kabinett unab­hängig von den Parlamenten. Und wenn seine Minister praktisch auch nicht ohne die Zustimmung des Repräsen­tantenhauses und besonders des Senats regieren können, so ist es doch praktisch ebenso sicher ausgeschlossen, daß jede Meinungsverschiedenheit zwischen einem Minister und einem der Parlamente nun schleunigst das Vergnügen einer Dauer­krise heraufbeschwören müßte. In den Vereinigten Staaten geht die Staatsgewalt tatsächlich vom Volke aus. Da das Volk sie aber nicht in jedem Augenblick selbst ausüben kann, so überträgt es die Ausübung für jeweilig vier Jahre einem Mann seines Vertrauens, dem Präsidenten. Wie sich zwischen diesem seinem Vertrauensmann und den beiden Häusern der Volksvertretung die notwendige Uebereinftim- mung herausbildet, das wird verständigerweise der Praxis überlassen.

Am 6. November dieses Jahres nun wurden nicht nur die Wahlmänner für die Wahl des Präsidenten und des Vize­präsidenten gewählt, sondern das ganze Repräsen­tantenhaus und ein Drittel des Senats, ferner die gesetzgebenden Versammlungen in den einzelnen Staaten, die Gouverneure der Staaten, städtische Körperschaften und wer weiß was sonst noch alles gewählt wird. Von über­wiegendem Interesse für die übrige Welt bleibt natürlich die P r ä s i d e n t e n w a h l. 43 Millionen wahlberechtigte Männer und Frauen sind dafür eingeschrieben. 14 Millionen mehr als bei der Wahl von 1924. Damals gab es drei Kan­didaten, die sich den Sieg streitig machten: den Republikaner Coolidge, der mit 15)4 Millionen Stimmen gewühlt wurde, den Demokraten D a w e s, der 8)4 Millionen Stim­men erhielt, und den unabhängigen Republikaner, den Senator La so Nette, auf den 4,8 Millionen Stimmen fielen. Heute geht es nur um den Republikaner Hoover und den Demokraten Smith. Ein sozialistischer Kandidat dürfte kaum eine nennenswerte Rolle spielen.

Die parteimäßigen Gegensätze zwischen Republikanern und Demokraten gehen auf den Bürgerkrieg der sechziger Jahre zurück. Die Republikaner waren die Partei der Nord­staaten, die Demokraten die der Südstaaten. Heute sind die Gegensätze mehr oder minder erstarrt. Der Ueberlieferung gemäß ist die Geldmacht der Wallstreet republikanisch, die einflußreiche Organisation von Tammany Hall demokratisch eingestellt. Gar keine Rolle spielt bei der Wahl die Außen­politik und was damit zusammenhängt.

Tagesspiegel

Der Arbeitskampf in der Metallindustrie Nordwest greift jetzt auch in den hannoverschen Bezirk über. Die Lohnverhandlungen mit der Ilseder Hütte und dem peiner Walzwerk sind ergebnislos verlaufen. Das Angebot der Arbeitgeber wurde von den Gewerkschaften abgelehnk. Der Belegschaft beider Werke wurde gekündigt. Von der Kün­digung werden rund ö000 Arbeiter betroffen. i

Wie dieGermania" erfährt, werden sich die Arbeitgeber dem Spruch des Arbeitsgerichts bzw. der höheren Instanz unterwerfen. Würde also die Verbindlichkeilserklärung des Schiedsspruchs als rechtmäßig ergangen anerkannt» dann würde die Aussperrung aufgehoben.

Die Gewerkschaften lehnen Privatsammlungen für die Ausgesperrten ab.

Der Führer des Stahlhelm, Untergau Halle» Lehrer Dennhardt in Halle, wurde auf Veranlassung der Regierung in Merseburg ohne Angabe von Gründen seines Lehramts enthoben.

Das Kabinett der Südafrikanischen Union ist zurück- gekreten und von General herhog sofort unter Ausschluß des Post- und Telegraphenministers Madeley, der sich geweigert häkle, freiwillig zurückzntreken, neu gebildet worden. Made­ley hatte vor einigen Tagen gegen den Willen des Minister­präsidenten eine Abordnung der Gewerkschaft der Kaffern- Arbeiter empfangen, und dadurch auch bei den weißen Ar­beitern Anstoß erregt. Möglicherweise wird es unter den Arbeitern nun zu einer Gewerkschaftsspaltung kommen.

Hoover, seines Zeichens Ingenieur und zuletzt Han­delsminister, isttrocken" im allgemeinen, und was seine Stellung dem Alkoholverbot gegenüber angeht, im beson­deren. Smith, der Gouverneur des Staats New Dort, ist der immer lächelnde Naturbursche, der demgemäß eine Lockerung des Alkoholgesetzes wünscht. Damit durchbricht er die grundsätzliche Plattform beider Parteien und bringt ein Element der Unsicherheit in die Vorausberechnung. Smith ist aber auch Katholik, und das schafft ein weiteres, aber entgegengesetzt wirkendes Element der Unsicherheit. Man hat den Wähler schon mit der Mär zu schrecken gesucht: wenn Smith gewählt werde, werde der Vatikan seinen Sitz von Rom nach Washington verlegen! In natürlicher Gegen­wirkung dazu fühlt alles, was nicht protestantisch ist, sich zu Smith hingezogrn. Wie sich das auswirkt, ist im voraus unmöglich, auch nur andeutungsweise zu errechnen. Den Ausschlag bei der Wahl geben mutmaßlich die Farmer des Westens und des mittleren Westens; denen beide Kandi­daten das Blaue vom Himmel herunter versprochen haben, von denen aber niemand mit einiger Gewißheit zu sagen weih, wem diese unzufriedenen Elemente ihr Vertrauen schenken werden. Ob aber Hoover oder Smith, die A u ß e n- politik der Vereinigten Staaten wird davon nicht allzu sehr berührt werden. Nicht allzusehr aber immerhin. Das Beispiel Wilsons, von dem die Demokraten noch nach­träglich abgerückt sind, hat den Beweis erbracht, was es unter Umständen bedeutet, daß der Präsident der Vereinig­ten Staaten nicht nur Staatsoberhaupt, sondern zugleich Ministerpräsident ist. Darüber werden auch wir, die wir von der Außenpolitik der Vereinigten Staaten abhängiger sind als jede andere Macht, vielleicht wieder unsere beson­deren Erfahrungen zu machen Gelegenheit haben.

Das Kabinett Poincare Kitt zurück

Paris, S. Nov. Die Minister haben beschlossen, dem Staatspräsidenten das Entlassungsgesuch des gesamten Kabi- netts zu überreichen.

In den letzten Tagen hielt die sozi a l r ad i k a l e Kartei (Link'sdemokraten) ihren Parteitag in Angers ab. Das Hauptthema der Verhandlungen war die Bekämpfung der Politik Poincares und besonders derAbrüstung" im Sinn Poincares. Es sei eine sonderbare Abrüstung, wenn das Kabinett für Heer und Flotte 1300 Milliarden verlange, 4 Milliarden mehr als bisher. Und diese Summe solle sich im nächsten Jahr noch steigern. Ehedem habe der Kavalle­rist den Siea entschieden, vorgestern noch der Infanterist, gestern der Artillerist, der Sieger von morgen werde der Gelehrte sein. Man lallte daher nicht mehr Kasernen, son­dern mehr chemis-be Laboratorien bauen. Minister Herr! ot batte Mühe, einen Beschluß abzuwenden, daß die sosialradikalen Minister (darunter Herriot) sofort aus dem Kabinett Poincare austreten, der das Kabinett durch den Barographen 71 (Wiederzulassung der geistlichen Orden) orgliltig überrumpelt habe. Es wurde ausgespro­chen, daß Poincares soaenannte Politik der nationalen Einigkeit (Koalition) den Programmforderungen der Sozial­radikalen in keiner Weise gerecht werde. Unter Milderung eines noch schärferen Antrags Caillaux wurde eine vom Innenminister Sarraut und dem Parteivorsitzenden Daladier vorgeschlaoene Entschließung einstimmig angenammeL ..Der Larteitga der Sozialradikalen Partei

nt nach Anhörung seiner sämtlichen Mitglieder, der Abge­ordneten und der Anbänger, einstimmig der Ansicht, daß die Durchführung seines Programms mit der Formel der natio­nalen Einheit nicht gesichert ist. Nur ein Zusammenschluß der Linken ist imstande, dieses Programm durchzuführen und die Hoffnungen,der D»mokraten zu erfüllen."

Poincare hatte "am Dienstag eine Unterredung mit Herriot. die nicht befriediaend verlaufen zu sein scheint, darauf verlangte er vom Ministerrat eine förmliche Vertrauenserklärung, die aber nicht einstimmig war. So entschloß er sich zum Rücktritt, umso mehr, als auch die Sozial-Republikanische Partei, der die Minister Briand und Poincar 6 angehören, in einer Entschlie­ßung die Artikel 70 und 71 des neuen Finanzgesetzentwurfs (Ordenszulastuno) scharf mißbilligt hatte, weil dadurch di« religiösen Streitigkeiten wieder entfacht würden.

Vor dem Ministerrat, der beute vormittag stattfand, haben die vier sozialradikalen Minister Herriot. Sar­raut, Oueuille und Perrier sich ins Finanzmini­sterium beaeben und eine lanoe Unterredung mit Minister­präsident Poincare gehabt. Sie teilten ihm mit, daß sie auf Grund der Beschlüsse des Parteitags von Angers sich gezwungen sehen, ihm ihren Rücktritt anzuzeigen. Poincare begab sich sofort ins Elysee zum Staatspräsiden­ten, wo der Ministerrat stattfinden sollte. Der Präsident der Republik hat die übriaen Minister allein gelassen, damit wese unter sich in voller Freibeit über die Lage beraten, die durch den Rücktritt der vier Minister geschaffen ist.

Reueste Nachrichten

Der Lohnkampf in der Schwerindustrie

Essen, 6. Nov. Der Termin für die Verhandlungen über die beim Arbeitsgericht in Duisburg eingereichke Nich­tigkeitsklage des Arbeitgeberverbands der nordwestlichen Gruppe ist auf den 16. November festgesetzt worden. Me­der bei den Arbeitgebern noch bei den Gewerkschaften ist vorläufig etwas davon bekannt, daß von dritter Seite sin Vermittlungsversuch unternommen werde.

Auf einer Konferenz des Gewerkvereins christlicher Bergarbeiter in Essen forderte Abg. Imbusch (Zenlr.) die beschleunigte Einberufung des Reichs­tags. Die Neichsregierung Hobe die Pflicht, die Am erkennung des für verbindlich erklärten Schiedsspruchs zu erzwingen.

Hilfsmaßnahmen der Skadk Dortmund für die Metallarbeiter

Dortmund, 6. Nov. Die Stadtverordneten haben be­schlossen, den ausgesperrken Metallarbeitern die gleiche Un­terstützung zu gewähren wie den Bergarbeitern bei dem Streik im Jahr 1924, d. h., es wird den Ausgesperrken keine geldliche Unterstützung gewährt, sondern sie erhallen Gut­scheine für Lebensmittel, die durch die Gewerk­schaften und Betriebsräte den Ausgesperrten zugestellt werden.

Der ..Nieuwe Notterdanffche Courant" schreibt: In England zeigt man großes Interesse für den Lohnkamps in der rheinisch-westfälischen Eisenindustrie, weil sie hoffen, der deutschen Industrie neue Absatzgebiete abgewinnen zu können. Und sicherlich werden sie von den Schwierigkeiten ihrer deutschen Wettbewerber Nutzen haben. <-

Relchskagsbeginn schon am Montag

Berlin, 6. Nov. Nach einem Beschluß des Aeltestenrats' wird der Reichstag schon am Montag nächster Woche zusammentreten. Als erster Gegenstand sind die verschiede­nen Anträge zur Aussperrung in Westdeutsch­land (Zentrum, Sozialdemokraten, Demokraten und Kom-, munisten) und auf Abänderung des Schlichtungswesens auf die Tagesordnung gesetzt. In der zweiten Hälfte der Woche soll die außenpolitische Aussprache über Genf, Entschädigungen und Rheinlandräumung mit den dazu ge­hörigen Anträgen angesetzt werden. Dr. Streseminn wird eine Erklärung der Regierung abgeben. Nach Abschluß der außenpolitischen Aussprache kommen die Anträge aus Ein­stellung des Baues des Panzerkreuzers zur Ver» Handlung.

Weitere Anträge zur westdeutschen Aussperrung

Die Reichstagsfraktion der Zentrumspartei ist auf Mitt­woch, 7. November, nachmittags 5 Uhr zu einer Sitzung nach Berlin einberufen worden, um zu der durch den Lolm- kampf in der Eisenindustrie geschaffenen politischen Lage . Stellung zu nehmen.

Krise in der westlichen Industrie für feuerfeste Gegenstände

Dortmund, 6. Nov. Für die Industrie feuer­fester Gegenstände für den Bezirk Rhein und Ruhr wurde unter dem Vorsitz des Schlichters Klostermann ein Schiedsspruch gefällt, wonach der Lohn für die Betriebs­arbeiter um 4 Pfennig und für die Handwerker um 5 Pfen­nig in der Stunde erhöht wird.

Die Arbeitgebervertreter erklärten, daß sie jede Lohn- erböhung und auch einen entsprechenden Schiedsspruch ob­lehnen. Die Forderunaen der Gewerkschaften seien nicht tragbar, da m letzter Zeit ein schlechter Geschäftsgang zu