dem kleinen "Kreis Er bat um ihre Nachbarschaft beim Souper: sie war noch frei, die schon ältere aber lustige und unterhaltende Tarne war ihm gerade recht. Er brauchte an ihrer Seite nicht viel zn reden, konnte sich in seinen Gedanken vertiefen.
Unter den Klängen des EinzngsmarscheS aus dem „Tannhäuser" schritten die Paare in langem Zuge über die beiden Arme der Freitreppe in den tiefer gelegenen Speisesaal hinab. TaS sticht von oben war hier sanfter, dafür leuchteten die weihen Tischtücher. Metall und Glas woben aus unzähligen kleinen Blitzen ein feines Netz darüber, und Sträuße von frischen Blüten unterbrachen sein schimmerndes Gewebe mit geschlossenen, kraftvollen Farbenflecken.
Ta? Mahl begann, Musik, aus dem oberen Saale leise lterabklingend. und Wein steigerten den Frohsinn. Die zuerst gedämpften Reden wurden lauter, Heller das Lachen der vielen Frauenstimmen. Tie Gläser klangen, Messer und Gabeln gaben ein leises Konzert auf den Tellern.
Türinger hatte seinen Platz am Anfang vom Saal, nicht fern von der Freitreppe. Seine Frau saß ihm zur Linken. Am nächsten Tische, ganz nahe den untersten Treppenstufen, hatte die Kunewka ihren Platz. An einer Schale mit starkduftenden Hvazinthen vorüber konnte Düringer durch eine Lücke zwischen den Menschenköpfen zuweilen ihr Gesicht erspähen. Mitunter traf ihn ein rascher, vorsichtiger Blick, lachend, strahlend, verheißungsvoll. Mit einem dusteren, beinahe zornigen Ausdruck antworteten seine Angen. Zuletzt riß er sich gewaltsam los, wandte sich" ganz der Nachbarin zu und vertiefte sich in ein Gespräch mit ihr, ohne innere Anteilnahme, doch mit äußerer Lebhaftigkeit.
Als er dann kurz vor dem Schlüsse des Mahles doch wieder hinnberschaute, kam unwillkürlich ein Gefühl des Erschreckens über ihn. Ter Platz war leer, wo die Künstlerin gesessen hatte. Stockend fragten seine Lippen:
„Wo ist die Kuucvka?"
Seine Frau sah ihn mit einem leichten, besonderen Lächeln an, dann sagte iie. die Hand nach links erhebend:
„Sieh hin, dort ist sie."
In diesem Augenblick erfüllte ein ungeheurer Jubel den Saal. Mit Händeklatschen, Tücherwehen, schallenden Zurufen begrüßten alle das oben auf dem Balkon zwischen den Treppenarmen sichtbar gewordene liebliche Bild. Verwandelt, in sieghafter Schönheit und Jugendpracht stand sie dort oben. Sie hatte den Domino abgeworfen und enthüllt, was darunter verborgen gewesen war. Der Genius der Frühlings, die blumenbekränzte Frauengestalt aus Botticellis Frllhlingsbilde, war unter der Hülle hervorgekommen» Ein leichtes Florgewand mit etngewirkten Blüten umfloß den Körper, ein Blumenkranz lag im Haar, ein anderer legte sich um den schlanken Hals, das Gewand begrenzend, ein dritter umschloß als Gürtel den Leib. Neben der lichten, blütenüberschütteten Gestalt hielt ein Page in braungoldener Renaissancetracht einen großen Korb, der ganz mit Rosen gefüllt war. Ter Genius hatte die eine Hand leicht aus die Schulter des Pagen gestützt und' blickte stumm einen Augenblick in den Saal hinab, auS dem ein Meer der Begeisterung zu ihm hinan brandete.
Dann hob die Kunewka die Hand, und mit einemmal verstummte der subelnde Tumult. Eine tiefe, plötzliche Stille 8er Erwartung trat ein, und nun begann sie zu reden. ES waren keine bedeutenden Worte, die sie zu sprechen hatte, doch ihre Stimme, die von verborgenem Feuer ganz erfüllt schien, durchwärmte und veredelte sie. Dom Winter sprach sie, der draußen lauerte, von einer kalten, tiefen Nacht, in der die Menschheit voll vergeblicher Sehnsucht nach der Sonne spähte. Von einem Lichte, baS ganz von ferne leuchtete, bis es allmählich näher kam, größer wurde, zu wärmen begann. Von der Hoffnung auf neuen Frühling, die niemals ersterben dürfe, die jedes Leid und alle dunklen Tage freudvoll ertragen lehre. Und jetzt begann ihre Stimme zu jubeln:
Ich bin die Göttin, auf deren Winken Frisch sich die Erde mit Blüten umhüllt.
Ich stieg hernieder, euch zu begrüßen.
Zeig' euch die Hoffnung, die sich erfüllt.
Ich bin der Frühling, ich bin das Leben,
Ich bin das Lachen, ich bin das Glück,
Scheuche die Sorgen, scheuche den Kummer Fern in die finsteren Tiefen zurück.
Ich bin der Frühling, ich bin das Leben,
Nehmt sie, die Blüten, fröhlich erblüht.
Freut euch der Sonne,, freut euch der Liebe,
Tie euch da? Dasein sonnig durchglüht!
Mit beiden Händen griff sie hinein in den Rosenkorb, streute die leuchtenden Blumen hinab in den Saal, warf sie mit sicherem Schwung auf die Tische, nahm endlich den beinahe geleerten Korb und schüttete den letzten Nest seines blühenden Inhalts in die begierig, sehnsuchtsvoll emporgestreckten Hände. Mit anmutsvollem Abschiedswink war sie dann plötzlich verschwunden, und kein Jnbelruf, kein lautes Verlangen vermochte sie, noch einmal zu erscheinen. Die Frühlingsgöttin gehorchte nicht irdischem Beifall.
Gerade vor Türinger war eine große, voll erblühte Rose niedergefallen auf das weiße Tischtuch. Er hatte sie schnell ergriffen, hielt sie nun in der Hand und sah stumm darauf nieder. Dann hob er sie empor und atmete den süßen, heißen, aus blutroten Blättern emporsteigenden Duft.
ES war am Abend des nächstfolgenden TageS.
Von einem Ausgang heimkehrend begrüßte Frau Re- gierungsrat Türinger ihr Töchterchen:
„Guten Abend. Elli. Wo ist Fräulein?"
„Gleich, Mutter, gleich."
„Nein, erst mußt du mir antworten, wenn ich frage Hinterher kannst du weiterlesen."
„Auf ihrem Zimmer ist sie. Und meine Arbeiten Und schon lange fertig."
„Dann ist es ja gut."
Das Kind saß im Wohnzimmer des Düringers,l,c» Hauses. Der warme Lichtkreis einer mit rotem seidenem Schirm umschatteten Krone fiel auf sie, der hellste Glanz auf ihr Haar und ihr Gesicht. Sie las mit glühendem Eifer in einem Buch und sah nicht auf, als die Mutter, die das Gemach in Straßenkleidung betreten hatte, für einen Augenblick ins Nebenzimmer ging, um Hut und Pelz abzulegen. Mit einem bedauernden Seufzer schloß nun Elli das Buch und sah umher.
Ihre Mutter kam zurück, hatte jedoch keinen Blick für die brennenden Wangen und Augen ihres Kindes. Eine unruhige Spannung war in ihrem Wesen. Sie aina ans
FKflSv llnv schaute hinaus, dann zur Tür, wo sie ein paar Sekunden stehen blieb.
„Vater war doch nicht hier?" fragte sie plötzlich.
„O nein, der ist ja schon um vier Uhr fortgegangen."
„Ja, ja, ich weiß, gewiß."
Wieder schritt sie unruhig im Zimmer auf uud ab, von der Tür zum Fenster, vom Fenster zur Tür, Ihre Bewegungen waren gemessen wie stets, aber ein leichtes, nervöses Zucken in ihrem ruhigen Gesicht verriet eine tiefe innere Bewegung. Nach einiger Zeit erst bemerkte sie, daß Ellis Augen ihr mit beobachtender Aufmerksamkeit folgten: sie nahm sich zusammen, trat neben den Lisch, wo die Kleine saß,, und fragte: „Was hast du denn gelesen?"
„Mein Sagenbuch, Mutter, mein wunderschönes Sagen- buch, das Großonkel Hermann mir zu Weihnachten ge- schenkt hat."
Ein leichtes, freundliches Lächeln milderte den Ausdruck tn Frau Düringers Gesicht.
„Aber das kannst du sicher schon auswendig."
„Ja, beinahe schon. Aber so wie heute habe ich es noch nie gelesen."'
„Wieso denn und wespalb?"
„Weil du doch vorgestern die Genoveva gewesen bist, Mutter, und weil ich da bei der Geschichte von Genoveva immerfort an dich habe denken müssen."
„Ach, deswegen." Tas Lächeln auf ihren Zügen wurde noch milder. Es war, als wenn des unschuldigen KindeS Geplauder ihre Nnrnhe besänftigte.
,-Ja, deswegen, und ich bin ganz furchtbar traurig gewesen, wie die arme Genoveva so viel Schreckliches hat leiden müssen. Immer ist es mir gewesen, als wenn dir das passierte. Aber ich muß dich um etwas fragen, Mutter."
, Nun?"
„Nicht wahr, Vater ist doch dein Mann?"
Tas Lächeln wurde zum Lachen, zum leichten, leisen, beinahe tonlosen Lachen.
„Freilich, das ist er."
„Aber vorgestern, da war doch Vater der Rattenfänger von Hameln."
„Gewiß."
„Tann war Vater also vorgestern nicht mehr dein Mann?"
Frau Düringers Gesicht veränderte sich auf merkwürdige Weise. Seine Muskeln zogen sich zusammen wie vor körperlichem Schmerz, und für einen Moment preßten sich die oberen Zähne sichtbar auf die Unterlippe. Dann erst antwortete sie:
„Nein, vorgestern abend war er wohl nicht mehr mein Mann."
„Und einen anderen Mann hast du auch nicht gehabt?"
„Nein, auch nicht."
„Und wer war der böse Golo?"
„Ten gab es gar nicht."
„Und Schmerzenreich und die Hirschkuh — waren die nicht da?" i
„Nein, die haben auch gefehlt." '
Das Kind schüttelte mißbillig seinen blonden Kopf. Es hatte die Haare der Mutter, aber die schwarzen Augen des Vaters.
„Tas gefällt mir nicht. Nein, Mutter, dann bist du auch nicht die richtige Genoveva."
„Tie richtige, nein. Und es ist auch wohl besser so/'
Die Kleine sprang plötzlich empor.
„Da kommt Vater!"
„Ich habe nichts gehört."
„Doch, doch, ich weiß es, ich fühle es, wenn er kommt. Im Sommer, wenn die Fenster offen sind, höre ich seinen Schritt von unten heraus, schon ganz von weitem."
Sie stürmte zur Tür, die sich öffnete.
Düringer trat ein,- er hatte die Straßenkleidung schon draußen abgelegt. Er faßte des Kindes nach ihm ausgestreckte Arme, hob es empor, hielt es an sich gepreßt.
„Vater, Vater! Du bist so lange fort gewesen, ich habe mich so nach dir gesehnt. Nicht wahr, Vater, du bist doch der Allerbeste?"
„Wenn du es sagst, muß es wohl so sein. Lieb Hab' ich dich, lieb!" Er küßte die Kleine mit leidenschastlicher Innigkeit. Nun erst begrüßte er auch seine Frau: „Guten Abend, Hedwig." § .
„Guten Abend, Bruno." ?
Er ließ das Kind aus die Erde gleiten. „So, Schatz, jetzt ist es genug. Wir bekommen sonst Schelte von Mutter."
„Ach nein, gewiß nicht. Gib ihr doch auch einen Kuß, dann darf sie nicht schelten." ,
Er lächelte und ging aus seine Frau, mit ausgestreckten Händen zu. /
„Wie war' es, Hedwig'?" ' '
Er wollte sie in die Arme ziehen, sie aber wich vor ihm zurück. ,
„Nicht vor dem Kinde", sagte sie leise.
Mit einem Seufzer wandte Düringer sich ab. Elli fah verwundert auf die beiden. Ihr Vater ging langsam zu dem Tische, über dem der Leuchter brannte, und setzte sich nieder. Im Hellen Lichte war sein Gesicht heute von einer gelblichen Blässe, die der schwarze Rahmen des Haares noch stärker hervorhob. Ein paar Sekunden lang sah er starr vor sich hin; das Kind hatte sich wieder an ihn geschmiegt, doch schien er es kaum zu bemerken. Plötzlich hob er den Kopf.
„Was ich noch sagen wollte, Hedwig. Können wir heute nicht ein wenig zeitiger essen?" F ^
„Gewiß, warum?" ^ ^
„Es ist — ich habe noch eine Sitzung heute abend/' „Eine Sitzung?" ^
za."
„Das kommt doch aber sonst nicht vor." is „Nein, es ist eine Ausnahme. Wegen einer eiligen Sache."
„Gut, ich will Anna Bescheid sagen. Komm, Eilt, dü kannst so lange zu Fräulein gehen."
Sie nabm das Mud bei der .üand — eS verließ den Vater offenbar nur ungern — und nahm es mit stch hinaus. Düringer blieb aus seinem, Platze, brütete vor sich hin und strich sich nur zuweihen mit aneinandergepreßten Fingerspitzen über die Stirn, als wenn er störende Gedanken jortwischen müßte. - v
Stirn trat seine Frau wieder ein. Sie warf einen be^ obachtenden Blick auf ihn, tat aber keine Frage, sondern trat abermals ans Fenster und blickte hinaus tn die mit Nebelkreisen umsponnenen Laternenltchter auf der Straße. Nach einer Weile wandte sie sich nun wie mit plötzlichem Entschluß, atmete tief und fragte: -
„Bruno, hast du mich vorhin wirklich nicht gesehen?" „Ich dich? Wo denn?" i ^
„Aus der Kurfürstenstraße, in der Nähe des Theaters-" „Dort bin ich nicht gewesen. Wann soll es gewesen lein, «i welcher Stelle?" . 1 j ^
' „ES war vor ungefähr einer Stunde. Ich ging in bis Stadt, um ein paar Besorgungen zu machen, und kam dabet durch die Anlagen in der Mitte der Kur- fürstenstraße. Dort sah ich dich in geringer Entfernung auf einem Wege, der sich mit meinem kreuzte, rasch vor- übergehen."
„Mich - mich?"
„Ganz deutlich. Du warst es, ich sah dein Gesicht, deine Kleidung. Ich kenne doch deinen Pelz, deinen braunen Plüschhut. Ich rief dich an, aber wohl zu leise, du hörtest mich nicht und gingst weiter."
„Die Anlagen sind nur schwach beleuchtet; dort ist eine Täuschung leicht möglich."
„Das dächte ich auch, wenn ich dich nur dort gesehen hätte. Aber als ich am Ende von den Anlagen, die mir deine Gestalt rasch wieder verdeckt hatten, tn den schmale- ren Teil der Kurfürstenstraße etntrat, sah ich dich wieder."
„Es war eine Täuschung, Hedwig."
„Nein, es war dort ganz hell. Du standest aus der andern Seite der Straße und schautest nach den Fenstern eines Hauses hinauf." Sie zögerte einen Augenblick, holte noch einmal tief Atem und fügte dann hinzu: „Es war das Haus, tn dem die Kunewka wohnt."
Er hatte sie bisher ziemlich ruhig angehört, fuhr aber vor ihren Worten zurück, als wenn sich plötzlich ein Abgrund vor ihm ausgetan hätte. Seine Augen wetteten sich. Er wollte sprechen, doch gelang es erst beim zweiten Versuch.
„Dort, dort hast du mich — willst du mich gesehen haben?"
„So deutlich, wenn auch nicht so nahe, wie jetzt tn diesem Augenblick. Dir gerade gegenüber stand ich aus der andern Sette der Straße, und ich wäre gleich zu dir herangekommen, wenn ein dichter Strom von Fahrzeugen und Autos mir nicht eben den Fahrdamm versperrt hätte. Als ich dann doch glücklich yinüberkam, war von dir nichts mehr zu sehen, und ich mußte die Hoffnung aus- geben, dich in dem dichten Gewühl der Kurfürstenstraße um diese Zeit wiederzufinden."
Sie wartete auf eine Antwort von ihm, doch sprach er nicht. Er war ganz in sich zusammengesunken, als wenn ihm eine schwere Last auf die Schultern gelegt worden Wäre, hatte die Hände krampfhaft ineinandergepreßt und schaute unverwandt vor sich hin aus den Boden, wo die mannigfaltigen Farben des Perserteppichs i,n gedämpften elektrischen Licht matt ineinander flösse». Doch sahen seine Augen offenbar nichts davon; sie schienen tn einen dunklen Winkel seiner Seele hineinzuspähen. Die Außen- Welt war ihm tot und stumm tn diesen Minuten lastendangstvollen Schweigens.
Ein leises Erbeben ging bei feinem Anblick durch Heb- wigs Gestalt. Sie stand und wartete; zuletzt ertrug sie die drohende Stille nicht mehr.
„Sprich doch, Bruno — was fehlt dir?"
„Wie — was — entschuldige — was hast du gejagt?"
„Du bist sonderbar. Es ist ja doch kein Unglück, wenn du mich nicht gesehen hast. Ich hätte gar nichts davon
gesagt, aber" —
„Du hast dich getäuscht, Hedwig. Glaube mir, es ist ein Irrtum. Du kannst mich nicht gesehen haben, ich war nicht in der Kurfürstenstraße." Er hatte sich wteder- gefunden und sprach verhältnismäßig ruhig.
„Aber, Bruno, ich habe doch meine guten Augen. Wo warst du denn, wenn du dort nicht gewesen fein willst?"
„Wo ich war? Ich — warte einmal, ich bin so ver- wirrt. Ich war im Stadtwalde."
„Dort — in — der — Dunkelheit?"
„Ja, zu der Zeit, um die es sich handelt."
„Allein?"
„Allein."
,-öerzeih' ich will dich nicht aussragen. Aber es klingt mir so wunderbar, daß du an diesem häßlichen dunklen Nebelabend tm Stadtwalde gewesen sein willst."
„Ich hatte mancherlei zu durchdenken. Ich hatte das Bedürfnis, allein zu sein."
Sie wandte sich ab und ging von ihm weg, langsam und schweren Fußes. Vor einem Blumentisch mit Palmen blieb sie stehen, faßte den Wedel von einer der Pflanzen und sah so angespannt auf ihn hinab, als wenn ein Geheimnis davon abzulesen wäre. Das Blatt erzitterte in ihrer bebenden Hand.
Nach einer Weile hob sie den Kopf und kehrte stch wieder zu ihrem Manne. „Bruno," sagte sie leise, „wir hatten uns doch versprochen, wir wollten einander immer vertrauen."
„Ich vertraue dir ja."
„Nein. Vertrauen bedeutet Wahrheit. Heute hast du mir aber die Wahrheit nicht gesagt."
„Glaube mir, Hedwig."
„Einen Augenblick. Laß mich erst reden. Es wird mir ja so schwer, manches zu sagen. Tie Worte könnten mir wieder verloren gehen. Sieh, du mußt nicht glauben, ich würde dich nicht verstehen. Ich weiß ganz gut, was dir an mir fehlt — ich bin dir zu nordisch, zu kühl, zu stumm. Ich kann mich nicht anders machen und muß es tragen, wenn dir dann einmal eine Frau besser gefällt als ich, deine Frau. Eine andere, die hat, was mir fehlt — die sagen und ausdrücken kann, was in ihr ist — eine, die Feuer im Blut und in den Augen hat wie diese — diese Kunewka."
Sie schwieg für einen kurzen Moment, aber da er nicht sprach, fuhr sie gleich wieder fort. „Ich verdenke dir's ja gar nicht, wenn sie dir gefällt. Als ich sie vorgestern dort oben stehen sah, wie sie die Rosen herabschüttete und die Verse sprach, da mußt ich zu mir sagen: ja, das ist eine Verkörperung von Frühling und Leben, und ein'Mann, der ihr widersteht, wenn sie seine L,ebe haben will, der muß tapfer sein und sehr treu. Bet dir aber habe ich das Gefühl, sie will deine Liebe. Ich weiß nicht, wie es kommt — ein Blick von ihr, den im! ausfing, hat mir's verraten. Darum kann ich es AR begreifen, daß ich dich vorhin vor ihrem Hause lM- 'versteh' mich recht, ich mache dir keine Vorwürfe, wenn es mir auch vielleicht ein wenig" —
Sie brach ab mit erstickter Stimme.
„Was wolltest du sagen?" .. ^
„Ach, nichts. Nur um Wahrheit wollte ich dichb'tten, um Wahrheit und Vertrauen. Das kann eine Frau ihrem Manne verlangen, meine ich." .
„Ich sage dir die Wahrheit, Hedwig, ich war nicht
,n der Kurfürstenstraße."
Sie preßte die Lippen fest aufeinander, ein harter, versteinerter Ausdruck trat aus ihr Absicht.
„Nun gut, so wollen wir es ruhen lassen," sagte fle nacb einer Weile und aina zur Tür-
(Fortsetzung folgt.)