Nr. 257

Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

S8. Jahrgang.

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Neueste Nachrichten.

Der Reichskanzler ist erkrankt. Er hat aber trotzdem die sozial­demokratischen Führer empfangen, ihnen jedoch erklärt» daß vor Anhörung der Führer der andern Koalitionsparteien keine Stellung zu den Forderungen der Sozialdemokratie ge­nommen werden könne.

Die gegen die sächsische Regierung gerichtete Verordnung des Reichspräsidenten vom 29. Oktober, wonach jene zwecks Er­langung verfassnngsmätziger Zustände abgesetzt worden ist, ist wieder aufgehoben worden. Das neue Kabinett steht jedoch auf schwanken Fichen, da innerhalb der sächsischen Sozialdemokratie geteilte Meinungen vorhanden sind, und die deutsche Volks­partei ihre anfänglich gegebene Zusage der stillschweigenden Unterstützung nach Bekanntgabe der Ministerliste wieder zu­rückgezogen hat.

Die Frage der Einberufung eines Sachverständigenausschusfes zur Prüfung der Zahlungsfähigkeit Deutschlands wird nach den üblichen Verschleppungsmethoden fortgesetzt, indem die Angel­sachsen immer wieder von Zeit zu ZeitAnregungen" n»d Vorschläge" machen, während sie Frankreich ablehnt. In sei­ner letzten Rede hat Poincare wiederum den Pfänderstand­punkt vertreten, und ebenso die Ansfassung, dah der Sachver­ständigen« usschuh keine Beschlüsse fasten dürfe, die von der Reparationskommisston eine Revision ihrer Beschlüsse bezüglich der Höhe der Neparationssumme verlangen, und die die deutsche Zahlungsfähigkeit ans unbestimmte Zeit vertagen. Frankreich will nur über eineaugenblickliche" Zahlungs Unfähigkeit ver­handeln.

Zn Amerika wird einstweilen wie seit Jahren darüber theoreti- . fiert, ob man in die europäische Frage eingreifen soll oder nicht. Wir diii^en die herübergekabclten Auseinandersetzungen nicht so ernst nehmen, denn es handelt sich für die amerikanischen Politiker um eine genau so aufregende Sache wie bei einem Boxerkamps, bei dem die Parteien sicherlich in größere Auf­regung geraten.

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Die Ruhr- und Reparationsfrage.

Die neueste Lügen- und Heuchelrede PolnearL's.

Paris, 1. Nov. In Revers hielt am heutigen, dem Gedenken der Toten geweihten Festtag Ministerpräsident Poincarö aus Anlaß der Enthüllung eines Kriegerdenkmals wiederum eine Rede. Er beschäftigte sich mit dem angeblichen Versuch Deutsch­lands, sich zahlungsunfähig zu machen. Lange bevor man nach dem Ruhrgebiet gegangen sei und Pfänder erschlaffen habe, habe Deutschland systematisch seinen Bankerott organisiert. In gleicher Weise wie die französische Presse sucht« Poincarh dies zu be­gründen. Er behauptete auch, daß Deutschland den Geist der Re­vanche und des Haffes gegen Frankreich in seinen Schulen ver­breite, daß die Reichswehr und die Schupo in Deutschland eine unabhängige und furchtbare Macht darstelle. Diese Anarchie habe vor der Nuhrbesetzung bestanden. Man habe Pfänder neh­men müssen, die man erst nach vollkommener Bezahlung frei­geben werde. Trotzdem Deutschland der Reparationskommission erklärt habe, es könne die Sachlieferungen nicht bezahlen, er­höhten sich täglich di« Lieferungen, die es sich selbst kostenlos ge­sichert habe. Frankreich beginne jetzt den Lohn seiner Mühen zu ernten. Wie am letzten Sonntag erklärte Poincars, zulasten zu wollen, daß die Reparationskommission di« derzeitige deutsche Zahlungsfähigkeit und darüber hinaus auch die Zahlungsfähig­keit Deutschlands für eine kurze Zeitspanne prüfe und daß sie die neuen Zahlungsmodalitäten festsctze. Dagegen dürfe man von der Neparationskommission keine Revision ihrer Beschlüste über die Höhe der Rcparationsschulden und keine Festlegung ans unbe­stimmte Zeit verlangen. Schließlich betonte Poincarä auch, er wolle mit Deutschland freundschaftliche Beziehungen (!) unter­halten: aber am Vertrag laste er nicht rütteln.

Im Anschluß modifizierte Poincarö nochmals eingehend sein« Stellung zur Frage der Nachprüfung der Zahlungsfähigkeit Deutschlands wie folgt:Wir beginnen, den Lohn unserer An­strengungen zu ernte». Das ist nicht der Augenblick, in dem wir unsere Haltung ändern werden. Wir wollen, daß man auf die Summe unserer Forderungen zurückkommt. Die Reparations­kommission kann wohl feststellen, was Deutschland in diesem Augenblick oder in der nächsten Zukunft zahlen kann. Sie kann sich selbst dabei von Experten beraten lasten, die sie selber er­nennt. Es ist auch die Aufgabe der Kommission, die Zahlungs-

modaliäten festzusetzen und die Mittel zu suchen, die zur Hebung der deutschen Finanzen und zur Wiederherstellung einer richtigen Währung im Reich führen könnten. Aber man darf von ihr nicht verlangen, daß sie die Bestimmungen widerrufe, die sie selbst betreffs der Höhe unserer Forderungen getroffen hat, und ebensowenig, daß sie sich für alle Zukunft binden soll. Welche Ungerechtigkeit und Gefahr liegt darin, wenn Deutschland mor­gen von einem Teil seiner Schulden befreit wäre und wenn es in einigen Jahren uns wieder gegenüber treten könnte, völlig wie­derhergestellt und bereichert, um uns mit seiner Macht zu be­drohen und seine Vorherrschaft zu errichten. Wir wollen nicht, daß man uns in eine Falle locke." Schließlich sagte Poincarä noch, daß Frankreich mit seinen Verbündeten seine freundschaft­lichen Beziehungen aufrecht zu erhalten und mit Deutschland selbst in einem guten nachbarlichen Verhältnis zu leben wünsche. Nur an dem Vertrage, der mit dem Blute der Toten be­siegelt sei, dürfe nicht gerüttelt werden.

DerStreit- i« Amerika um die Teilnahme Amerikas an dem Sachverstöndigenansschuß.

Paris, 1. Noo. Nach einer Meldung derChicago Tribüne" aus Washington hat die Opposition des Senators Mac Kormick gegen die Beteiligung der Vereinigten Staaten an den Arbeiten des geplanten Sachverständigenausschusses zur Untersuchung der deutschen Zahlungsfähigkeit in den Reihen der Unversöhnlichen keine große Unterstützung gefunden. Insbesondere setzte sich Se­nator Borah dafür ein, daß der Regierung freie Hand gegeben werde. Senator Borah, der gestern eine längere Unterredung mit Loolidge hatte, habe erklärt, daß er gegen die Beteiligung Amerikas keinen Einspruch erheben würde, obwohl er allerdings persönlich die stärksten Zweifel hege, daß das Verfahren zum Ziel führe und beispielsweise die Unterstellung des Sachverständigen- ausschusses unter die Reparationskommission, die von Frankreich verlangt worden sei, für ein unüberwindliches Hindernis halte. Die Regierung hat unterdessen nach derChicago Tribüne" gestern halbamtlich mitgeteilt, daß sie von den erzielten Fort­schritten hinsichtlich der Organisation des Sachverständigcnans, schustcs in vollem Umfange befriedigt sei.

Die französische Brutalität und Rechtsverletzung kennt keine Grenzen.

Mainz» 1. Nov. In der Nacht zum Dienstag wurden etwa 150 Arbeiter und Erwerbslose, die der Stadtverwal- tung seitens der Gewerkschaften zum Schutze der Noten­presse in der betreffenden Druckerei zur Verfügung gestellt worden waren, um weiteren räuberischen Absichten der Se­paratisten vorzubeugen, angeblich wegen llebertretung der französischen Verordnung (Ruhestörung) von französischen Kriminalisten und bewaffneten französischen Soldaten nach den schwersten Mißhandlungen nach dem Eerichtsgefängnis verbracht. 3 Beamte derMainzer Tageszeitung" und des Wolffschen Büros, die um diese Zeit Nachtdienst verrichte­te», und gleichfalls unter schwersten Mißhandlungen ins Gefängnis gebracht wurden, sind nach 1 bzw. Ltägiger Hast auf Reklamation entlassen worden, desgleichen 2 Polizei­beamten. Wegen der Freilassung der übrigen unschuldig Verhafteten sind die Verhandlungen noch im Gange.

Paris, 1. Nov. Nach einer vomPetit Journal" ver- öffentlichten Meldung aus Mainz verlautet aus guter Quelle, daß dieNationalisten" in Hinsicht auf die sopara- tistische Bewegung gestern abend in Ludwigshafen das Be­zirksamt besetzten. Bis jetzt wurden keine Zwischenfälle gemeldet. (Die französischen Nachrichtenagenturen nennen die treugebliebenen Rheinländer Nationalisten.) (An­merkung des W.T.B.: Anscheinend in der Erwartung eines Ueberfalls der Sonderbündler hatten sich heute nacht zum Schutz von Leben und Eigentum bewaffnete Bürger eingefunden. Die Franzosen haben diese heute früh ver­haftet. jedoch nach Feststellung ihrer Personalien wieder entlassen.

Die Zwangseinführung des französischen Tranken im Rheinland.

Essen, 1. Nov. General Degoutte hat eine neue Verfügung erlassen, wonach die Regie der Eisenbahnen im besetzten Gebiet ermächtigt ist, für in französischen Franken abgeleistete Trans­porte Gutscheine zu begeben. Die Verordnung wird begründet mit Schwierigkeiten, die durch die Fortdauer des Sturzes der Mark hervorgerufen seien, und die den Betrieb der Regie ge­fährden könnten. In diesem Zusammenhang muß auch auf die merkwürdige Eeschäftsgebahrung hingewiesen weiden, die zu einer Zeit, in der der französische Franc 3,tz Milliarden notierte,

deutsches Geld im Ruhrrevier zu einem Kurs von 10 Milliarden für den Franc umrcchnete. In den weitaus größten Teilen des altbcsetzten Gebietes werden bekanntlich nur noch Franken an­genommen. Weiterhin hat es in den Kreisen des rheinischen Publikums großen Unwillen erregt, daß Kleingeld in vielen Fällen überhaupt nicht herausgegeben wird. Das reisende Pu­blikum sieht sich gezwungen, um sich vor großem Schaden zu bewahren, Franken in den von den Franzosen eingerichtete,'. Wechselstuben zu kaufen. Allerdings wird die Bevölkerung au.'' hier wieder überoorteilt, indem der französische Franc mit 7.ö Milliarden verkauft, aber nur mit 4 Milliarden umgewechsel: ro'.rd.

Trankennoten der französischen Eisenbahnregie.

Paris, 1. Nov. Nach einer Blättermeldung aus Main- wurden die in Franken ausgestellten Noten der Eisenbahn- regie heute, am 1. November, in den Verkehr gebracht. Die Scheine der Regie, die sich vorläufig auf Stücke von 5 Een times bis 10 Francs beschränken, sollen zur Bezahlung al ler an die französisch-belgische Eisenbahnregie geschuldeten Summen für den Personen- und den Güterverkehr usw, dienen.

Der systematische Raub von Reichsbankgeldern.

Berlin, 1 . Nov. Die Franzosen haben heute einen für die Neichsbanknebenstelle Röhr bestimmten Eeldtransport im Betrag von drei Billionen, neunhundert Milliarden Mark fortgenommen. Der Gesamtbetrag der von den Fran­zosen und Belgiern beschlagnahmten Reichsbankgelder hat damit die Ziffer von Kvü Billionen überschritten.

Die seumtistlsche BewWiiz im Rheinland.

Groß-Gerau, 31. Okt. Gestern Abend wurde hier das Kreisamt und die Post von den Sonderbündlern mit Hilfe der Besatzung besetzt.

Köln, 1. Nov. Einen neuen Beweis für die Unter­stützung Ler Separatisten durch die Besatzungsbehörden bil­det die Tatsache, daß die Separatisten in ihrem Haupt­quartier in der Duisburger Turnhalle von der belgischen Besatzungsbehörde verpflegt werden. Das Esten wird warm in großen Kesseln zur Turnhalle transportiert.

Köln, 1 . Nov. DieKölnische Zeitung" meldet aus Crefeld: Unter dem Druck der bewaffneten Stoßtrupps der Sonderbündler bilden sich die unglaublichsten Verhältnisse heraus, unter denen besonders die Geschäftsleute und die Lädenbesitzer schwer zu leiden haben und durch die sie so­gar unter Umständen zugrunde gerichtet werden. Trupps bewaffnete Sonderbündler nehmen Requisitionen vor, bei denen Kleidungsstücke, Schuhe usw. im Werte von vielen Billionen gegen Hinterlegung wertloser Scheine mitge­nommen werden. Auch die Kohlentransporte für die städ­tischen Gas- und Elektrizitätswerke wurden geplündert. Der dadurch entstandene Schaden wird auf 30 bis 50 Bit lionen geschätzt. Ferner wurde Vieh weggetrieben und aus dem städt. Schlachthof abgeschlachtet.

Smeet» zieht sich zurück.

Paris, 1. Nov. Smeets hat in einer Unterredung mit dem Kölner Sonderberichterstatter desExcelsior" erklärt, daß er mit dem Tun und Treiben der augenblicklich all: ven Sonderbündler im höchsten Grade unzufrieden sei und sich in nächster Zeit nach Lothringen begeben werde. Wenn es möglich sei, werde er eines Tages zurückkehren.

Belgische Heuchelei im Ausland.

Amsterdam, 2. Nov. Die belgische Gesandtschaft im Haag erläßt eine Mitetilung an die Presse, in der es heißt, die belgischen Zivil- und Militärbehörden im Rheinland hätten gegenüber der separatistischen Bewegung eine voll­kommen neutrale Haltung (?) eingenommen.

Die Krifis im Innern.

Die Krifis in der Reichsregierung.

Noch'keine Entscheidung über die Bedingungen der Sozialdemokratie.

Berlin, 2. Noo. Die Entscheidung über die Annahme oder Ablehnung der Forderungen der Sozialdemokratie durch das Reichskabinett ist gestern noch nicht gefallen. Nach einer Sitzung am Krankenbett des Kanzlers, in der, den Blättern zufolge, die Verhandlungen zur Beratung stan­den, die von Hugo Stinnes und verschiedenen anderen Ver­tretern des bergbaulichen Vereins mit den Franzosen und