Nr. 246
Amts- und Anzeigeblatt sür den Oberamlsbezirk Calw.
98. Jahrgang.
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Samstag, den 20. Oktober 1923.
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Neueste Nachrichten.
Die Reichsregierung beabsichtigt, einige Bataillone Reichswehr nach Sachsen zu legen, zur Beruhigung der Bevölkerungsteile, die sich durch die vorgekommenen Terrorakte („Requirierungen" bei den Besitzenden und Lohnerpresinngcn bei Arbeitgebern) bedroht fühlen. Die Erklärungen, des sächsischen Ministerpräsidenten über angebliche Reichsrvehranssüllung werden in Berlin als die änderen Beziehungen Deutschlands sehr schädigend bezeichnet. Innerhalb d«r sächsischen Sozialdemokraten scheint sich eine Spaltung zu vollziehen. Der rechte Flügel scheint die Politik der Radikalen nicht mehr mit- machen zu wollen.
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Im Ausland scheint man schon auf den Ausrinanderfall des Deutschen Reichs wie aus etwas Sicheres zu warten. Der dänische Ministerpräsident hat für diesen Fall erklärt, daß Dänemark sich kein weiteres Land mehr holen wolle, aber es müsse verlangen, daß die Danen im deutschen Schleswig bester behandelt werden. Solche Anmaßungen eines kleinen Staats mutz sich das deutsche Volk gefallen laste«. Sollte das nicht auch ein Anlaß sein, daß die inneren Zersetzungselrmente, die nur Haß gegenüber den eigenen Volksgenossen zu predigen wissen, zur Selbstbesinnung kommen?!
Im Ruhrgebiet muß infolge der Sabotage der Wiederaufnahme der Arbeit seitens der Franzose» vj« Entlassung einer großen Anzahl von Arbeitern stattfinden. Da die Reichsregierung die Erwerbsloseuunterstntzung nicht fortführen kann, — schon «eil die Gelder skrupellos von den Franzosen geraubt werden — so sind die schwersten Erschütterungen der Versorgung der Bevölkerung zu gewärtigen. Auch im weiteren besetzten Gebiet nimmt infolge der französischen Berschleppungspolitik die Zahl der Arbeitslosen dauernd zu.
Belgien hat die deutsche« Bemerkungen zu den belgische» „Studien" über das Reparationsproblem der Reparationskommission zur Prüfung überwiese«.
Me BegkSudung des ArkeilszeilMM.
Die bevorstehende Neuregelung der Arbeitszeit wird vom Reichsarbeitsministerium wie folgt begründet: Die Rettung Deutschlands vor dem völligen Untergang erfordert schleunigste Durchführung währungs-, sinanz- und wirtschaftspolitischer Maßnahmen. Auf allen diesen Gebieten soll gleichzeitig gehandelt werden. Eine Verordnung übei^. die Steuerentrichtung in Gold ist bereits erschienen. In den allernächsten Tagen wird sich die Reichsregierung mit einschneidenden Maßnahmen gegen die Preiskonventionen und Preistreibereien der Kartelle wenden. Auch von der Seite der Arbeitsleistung sind Opfer zur Rettung des Volkes vor Hunger und Elend unvermeidlich. Die rechtlichen Voraussetzungen dazu soll der Reichstag schaffen. Zu dem Ende hat die Reichsregierung im Reichsrat den „Entwurf eines vorläufigen Gesetzes über die Arbeitszeit" vorgelegt.
Der Entwurf beruht auf Abmachungen der Koalitionspar- teien, die am 5. dieses Monats getroffen wurden. Der Zweck soll erreicht werden durch „restlose Ausnutzung technischer Fortschritte, durch organisatorische Verbesterungen unserer Wirtschaft und durch emsige Arbeit jedes einzelnen". Daneben wird in der Entschließung der Parteien die „Neuregelung der Arbeitszeitgesetze" verlangt. Sie soll sich vollziehen „unter grundsätzlicher Festhaltung des Achtstundentags als Normalarbeitstag". Gleichzeitig aber sott die „Möglichkeit der tariflichen «der gesetzlichen Ueberschreitung der jetzigen Arbeitszeit im Interesse einer volkswirtschaftlich notwendigen Steigerung und Verbilligung der Produktion" vorgesehen werden. Für die öffentlichen Verwaltungen sollen ähnliche Grundsätze zur Anwendung gelangen. So der Beschluß der Parteien. Nach diesen Normen ist di« Regierungsvorlage ausgearbeitet und vom Kabinett verabschiedet worden. Sie schafft den volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten freie Bahn, ohne die sozialpoli- itischen Belange beiseitezuschiebcn. Sie kehrt keineswegs zur Arbeitszeit der Vorkriegszeit zurück und lehnt erst recht ein ungehemmtes Sichauswirken der Macht der Unternehmer gegenüber Min schwächer« Faktor Arbeit ab. Die Vorlage knüpft an die «Verordnung vom 23. November 1918 an und stellt im tz 1 den Grundsatz des Achtstundentages und der Achtundvierzigstunden- nvoche voran. Dieser Grundsatz erleidet Einschränkungen sbei Notfällen (Zisf. K der Verordnung vom 23. November 1918 And 8 3 der neuen Vorlage). Ferner bei unvermeidlichen Vor- siereitunos- und Abschlußarbeiten zur Bewachung und Ingang
setzung von Betriebsanlagen, zur Beaufsichtigung usw. (8 1). Ferner soll den Arbeitgebern zur Anpassung an die Konjunktur die Möglichkeit gegeben werden, an einer beschränkten Zahl von Tagen Mehrarbeit leisten zu lassen (8 3). Derartige Einschränkungen dieser Art sind im Grunde genommen nichts Neues. Ueber deren Berechtigung war man sich schon längst grundsätzlich einig, höchstens das Matz war strittig. Eine weitgehend« Ueber- einstimmung bestand auch schon lang« darüber, daß für den Fall „erheblich«! Arbeitsbereitschaft" eine längere als achtstündige Arbeitszeit vorgesehen werden müsse. Diesem Erfordernis trägt der Entwurf in 8 2 Rechnung.
Förmliche Ausnahmen vom achtstündigen Arbeitstag sind in der Vorlage auf zweifachem Wege vorgesehen 1. Durch Tarifvertrag (8 5). Dazu hatten sich bei den bisherigen Beratungen der Arbeitszeitfrage im Reichswirtschaftsrat die Arbeitnehmer einhellig bereitgefunden. Für d«n Fall, daß es zu solchen tariflichen Abmachungen aus irgendwelchen Gründen und Umständen nicht kommt, daß aber auf der andern Seite eine volkswirtschaftliche Notwendigkeit zur Leistung der Mehrarbeit besteht, steht die Vorlage 2 auch Ausnahmen durch behördliche Maßnahmen vor (8 6). Dieser Weg ist unvermeidlich, wenn eine gewisse Eleichmäßigket gewahrt werden soll. Er entspricht auch den Abmachungen der Koalitionsparteien. Sowohl gegenüber den tariflichen, wie den behördlichen Ausnahmen zieht die Vorlage aus Rücksicht auf Gesundheit und Leben der Arbeiter, sowie auf die Schwere der Arbeitsleistung klare Grenzen (8 7 bis 9). Für den Bergbau unter Tage sowie für alle Arbeiter, „die in außergewöhnlichem Grade der Einwirkung von Hitze, giftigen Stoffen, Staub und dergleichen uusgesetzl sisto", nkütz aill Achtftundenrag festge- halten werden Hier ist höchstens vorübergehende Ueberarbeit in dringenden Fällen ermöglicht. Für den Bergbau sind an besonders schwierigen Betriebspunkten noch weitere Verkürzungen vorgesehen (8 8). Endlich find, abgesehen von der Arbeiterschaft, für alle Ausnahmen, sowohl auf tariflichem wie auf behördlichem Wege, zehn Stunden als Höchstgrenze einschließlich der Mehrarbeit bestimmt (8 9). Für Betriebe der Körperschaften des öffentlichen Rechts steht die Ausübung der den Behörden übertragenen Befugnisse der Vorgesetzten Dienstbehörde zu (8 12).
Es wird nunmehr Aufgabe des Reichstags sein, diese Vorlage baldmöglichst zu verabschieden. Dadurch würde den Tarifparteien der Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Möglichkeit gegeben, ohne schwere Kämpfe die Verständigung über die unerläßliche Mehrarbeit zu finden und das deutsche Volk über die- gegenwärtige Wirtschafts- und Staatskrise allerschlimmster Art hinwegzufllhren. Was auf diesem Wege von der Arbeiterschaft an Mehrleistung gefordert wird, soll den breiten Volksmassen wieder zugute kommen. Mehrarbeit soll den Giiteroorrat vermehren, die Waren verbilligen, die Konsummöglichkeiten steigern und dadurch letzten Endes auch die Arbeitslosigkeit bekämpfen.
Einigung der Koalitionsparteie» über das Arbeitszeitgesetz.
Berlin, 18. Ott. Die Sachverständigenkommission der Koalitionsparteien hat heute im Reichstag die Verhandlungen über das Arbeitszeitgesetz abgeschlossen. In allen wesentlichen Punkten ist eine Einigung erzielt worden. Es wird also voraussichtlich bestimmt, daß unter grundsätzlicher Aufrechterhaltung des Achtstundentages im Bergbau und in besonders gesundheitsschädlichen Betrieben eine Arbeitszeit bis 8 Stunden, in den übrigen Betrieben Ueberstun- den bis 9 oder 10 Stunden zugelassen werden. Beseitigt wurde die Bestimmung in dem Regierungsentwurs, daß die Gewerbeaufsichtsbeamten in besonderen Fällen Ausnahmen von den Beschästigungsbeschränkungen (sür Frauen, Jugendliche und Kinder) zulassen können. Wo die verlängerte Arbeitszeit zulässig ist, mutz sie durch tarifliche Vereinbarungen, evtl, auf dem Wege des Schlichtungsverfahrens oder letztinstanzlich durch den Arbeitsminister angeordnet werden. Voraussichtlich am Mittwoch wird die Vorlage vom Plenum des Reichstages dem sozialpolitischen Ausschutz überwiesen und bereits am Donnerstag dem Plenum zur zweiten Lesung vorgelegt werden.
Die Nuhr- und Neparationsfrage.
Gegen französische Entstellungen.
Berlin, 19. Okt. Von französischer Seite ist behauptet worden, daß der Reichsverkehrsminister die französische Regie anerkannt und die deutschen Bahnen bereit» übergebe« habe. Dies«
Behauptung trifft in keiner Weise zu; vielmehr hat der Reichs- verkehrsminister, als er an das Eisenbahnpersonal di« Aufforderung richtete, sich zur Aufnahme des Dienstes bei den Dienststellen der Regie zu melden, namens der Reichsregierung ausdrücklich festgestellt, die die Regie nur als eine vorübergehende Verwaltung angesehen werden könne und daß der gegenwärtige Betrieb durch die Regie die Rechte des Deutschen Reiches an den besetzten Bahnen nicht berühre.
Belgien und die deutschen Anregungen.
Brüssel, 20. Oli. Die Agence Beige meldet, die belgische Regierung werde ebenfalls der Reparationskommission die Bemerkungen der deutschen Negierung zu den belgischen technischen Studien Mitteilen. Es sei Sache der Reparationskommisfion, sie zu prüfen. Die belgische Negierung gedenke nicht, darüber mit Berlin in eine gemeinsame Besprechung einzutreten. Nur eine gründliche Prüfung der deutschen Bemerkungen werde die Feststellung ihres Wertes und ihrer Bedeutung ermöglichen.
Englische Kohlenkredite für Deutschland.
London, 19. Okt. „Evening Standard" zufolge sollen nach Deutschland sehr grotze Kohlenkredite in Höhe von mehreren Millionen Pfund Sterling gegeben worden fein, um ihm zu ermöglichen, über die Wintermonat« hinwegzukommen.
Lloyd George in Amerika.
London, 19. Okt. Einem vom „Manchester Guardian" veröffentlichten Telegramm aus Minneapolis zusolge er- klärte Lloyd George in einer Unterredung mit einem Senator, seiner Ansicht nach habe Deutschland aufrichtig versucht, Reparationszahlungen zu leisten. Es habe über 400 Millionen Pfund Sterling bezahlt. Wenn in Deutschland der Bolschewismus die Oberhand erhielte, so würde er über viele der angrenzenden Länder hinwegfegen.
Kriegsrüstung der Hauptverhandlungspunkt der englischen Reichskonserenz.
London, 19. Okt. Der „Times" zufolge erwartet man, dah sich die Reichskonferenz auf ihrer heutigen Sitzung in der Hauptsache mit der Reichsverteidigung auf dem Lande und zu Wasser befassen wird. Gestern traten die Mitglieder der Konferenz in der Admiralität zusammen, um verschiedene mit der Verteidigung zur See zusammenhängende Punkte zu besprechen.
Bevorstehende Einstellung
der Arbeit im Ruhrgebket.
Berlin, 19. Okt. Nach einer Meldung des „Berliner Tageblatts" aus dem Ruhrgebiet stellt die Reichsregierung von Beginn der nächsten Woche ab die Lohnbeihilfen für die Industrie und den Bergbau vollkommen ein. Da die einzelnen Werke nur sür wenige Tage Zahlungsmittel besitzen und da dies« Mittel nur unter schweren Bedingungen, wenn überhaupt zu beschaffen find, so werden in den kommenden Wochen Feierschichten in großem Umfang« eingelegt werden müssen. Eine Entlassung der Arbeiter wird von den Werken und Zechen nicht beabsichtigt, trotzdem die Erwerbslosenfürsorge für sie in Anspruch genommen werden müsse. Auch ist eine durchgehende Stillegung der Werk« in einem gegebenen Moment nicht geplant. Werk« wie Krupp müssen 35 000 Mann sür die Erwerbslosenfürsorge bei der Stadt Essen anmelden.
Die Zahl der Arbeltslosen 1« Köln.
Köln, 19. Okt. Wie die „Rheinische Zeitung", das hiesige Hauptorgan der Vereinigten sozialdemokratischen Partei, schreibt, erfuhr man im Laufe der gestrigen Kölner Stadtverordnetenversammlung zum erstenmal von amtlicher Stell«, wie groß die Zahl der Arbeitslosen und Kurzarbeiter allein im Stadtbezirk Köln ist. Neben 89990 voll Arbeitslosen stehen annähernd 100 999 Kurzarbeiter. Das bedeutet, daß von 709 099 Einwohnern Kölns jeder Dritte nicht mehr voll beschäftigt ist. _
Zur auswärtigen Lage.
Dänische Unverschämtheit.
Hoffnung auf den Zerfall des Deutschen Reichs.
Kopenhagen, 20. Okt. Im Folkething bemerkte gestern Ministerpräsident Reergaard zu der vorgestrigen Rede des Abgeordneten Schmidt-Modder: Der Abg. Schmidt scheint anzunehmen, datz, falls die Verhältnisse in Deutschland sich in katastrophaler Richtung entwickeln würden, aus dänischer Seite die Neigung vorhanden sein könne, aus dem Unglück des Nachbarlandes Nutzen zu ziehen und die bestehenden Grenzen zu ändern. Ich sagte es schon früher und wiederhol« es hier, datz die Grenze fest liegt. Es wird