Morrrcrn Fettung
des Mttdvtrder Tagvlatt
Nv 3S Mrldvcrd den S Mar 1928
Haß aus Liebe.
Roman nach dem Englischen von Hugo Falkner.
Copyright by GreSner *- Comp. Berlin W 30.
Nachdruck verboten.
20 Fortsetzung.
„Ihre Mutter spricht wahr, obschon es einigermaßen grausam erscheint, eine gedemütigte Feindin auch noch mit Füßen zu treten," entgegnete Lola; danlZ wendete sie sich mit einer bittenden Gebärde an Gertruds. „Kind," sprach sie, „lassen Sie die ganze Welt gegen mich wüten, ich verdiene es, sie mögen sagen, was sie wollen, sie mögen mich beleidigen, verhöhnen, schmähen — Alle — nur Sie sollen es nicht tun, von Ihnen vermöchte ich es nicht zu ertragen. Andere mögen mich bestrafen für das Unrecht, das ich begangen, Sie aber, seien Sie gütig mit mir, wie Ihr Vater es war und immer unter allen Verhältnissen geblieben wäre. Wollen Sie mir das versprechen?"
Gertruds kämpfte einen harten Kampf, wie sollte sie versprechen können, was Lola von ihr forderte, wenn sie des toten Vaters, wenn sie des lebenslangen Leidens ihrer Mutter gedachte? Und doch hatte auch diese unglückliche Frau, auf der ihre Blicke hafteten, nur einen Traum im Leben gehabt und das war die Liebe zu dem Manne, den Gertruds v. Allanmore „Vater" nannte.
Gertruds neigte sich voll milder Anmut nieder zu dem schmerzdurchfurchten Antlitz der einsamen Frau. „Ich will Sie gewiß durch kein einziges Wort verletzen," sprach sie leise. „Wollen Sie mir nun sagen, wo die Gebeine meines Vaters ruhen?"
»Ja, Ihnen, aber auch nur Ihnen allein, Gertruds, Sie und ich, wir wollen jetzt gleich zusammen hingehen, aber allein."
Harry blickte beunruhigt empor; war es nicht gewagt, ein zartes, schwaches Mädchen den Händen dieser Frau anzuvertrauen? Doch Gertruds sah ihn mit offenem, freiem Blick unerschrocken an.
- -- „Ich fürchte mich nicht, Harry," sprach sie, „Fräulein de Ferras und ich, wir wollen zusammen fortgehen und werden bald wieder hier sein. Inzwischen senden Sie ein Kelegramm an meine Mutter nach der Villa Baira in Florenz, sagen Sie darin nichts anderes, als daß das Rätsel gelöst sei und sie sofort kommen möge."
„Ich werde alles tun, wie Sie es wollen, aber um Himmels willen, geben Sie aus sich acht, Gertruds."
Mit stolzer verächtlicher Gebärde wendete sich Lola ihm zu.
„Sie haben mich verfolgt. Sie haben mich zur Gefangenen gemacht, aber ich lasse es nicht gutwillig ge- schehen, daß Sie mir jede beliebige Last auferlegen; ich will das Antlitz der Frau nicht sehen, die ich gehaßt, der ich schweres Unrecht zufügte."
„Ich fordere es nicht von Ihnen, Sie sollen darin volle Freiheit haben."
„Mein Kind," sprach Lady Fielden zu Gertruds, als diese einige Minuten später zu ihr kam, „ich fahre heim, dein eigenes Herz wird dir am richtigsten angeben, was mit diesem elenden Geschöpf zu tun ist. Gedenke ich des Glends, das sie über deine arme Mutter gebracht, so bitte , ich, laß sie mir nie mehr vor die Augen kommen."
Mittlerweile war Lord Fielden nach Deeptng gefahren, um das Telegramm nach Florenz abzuschicken. Bianca , konnte es noch am selben Tage erhalten und vierzig Stunden später auf Schloß Fielden eintreffen.
Nie im Leben vergaß Gertruds jenen Gang an der Seite der seltsamen Frauengestalt, die so entscheidend in die Lebensschicksale ihrer Eltern eingegriffen hatte. Wenn Gertrude weniger nervenstark gewesen wäre, hätte sie vor Angst vergehen müssen, denn die Frau an ihrer Seite gebärdete sich gleich einer Wahnsinnigen, wildes Feuer glühte in ihren Äugen, jeder Zug ihres Antlitzes bebte vor innerer Erregung.
„Sehen Sie dort jenen Baum," sprach sie in leisem Flüsterton, „wir sind an jenem verhängnisvollen Abend dort vorübergegangen: Sie sehen die Bank — er setzte sich auf dieselbe, um zu ruhen. An der weißen Gartenpforte lehnte er auch eine Zeitlang. Von jenem üppig wuchernden Jasminstrauch hat er Blütenzweige abgerissen. O Himmel, wenn ich nur einen Augenblick sehen könnte, wie ich ihn damals sah. Gesundheitsstrotzend, schön, wohlgemut hatte er sein Heim verlassen, die blauen, guten Augen blickten hell und froh, und er ist nie, nie mehr nach Hause zurückgekehrt; auf mir aber, aus mir allein lastete ein Geheimnis, vielleicht das ärgste, das ein Frauenherz jemals getragen hat.
So ging Lola de Ferras weinend und wehklagend durch die einsamen Waldpfade dahin an der Seite des Mädchens, das ja Fleisch und Blut von dem einzigen Mann war, den die jetzt so gänzlich vereinsamte Französin jemals geliebt hatte. >
Der Morgen war lieblich, der Himmel wolkenlos, die Luft balsamisch, die Sonne schien warm, doch die Weinende hatte kein Auge für die Schönheiten der Natur.
Vom Hellen Sonnenschein traten sie endlich in das düstere Waldesdunkel. Als Lola die Landschaft wiedersah, die ihre Augen so lange nicht geschaut, da erbleichte sie uno mir seslem drucke umfaßte sie Gertrudens Hand^ gelenk.-
„Ich liebte ihn mehr denn alle Welt," wehklagte sie, „und ich muß an seinem Grabe stehen! O Gertrude, Gertrude, wie lange Jahre liegt er nun schon im dunklen
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Schoß der Erde, 0 / ich fürchte mich, Gertrude, Kind, hilf mir!" und schluchzend sank sie in die Knie. Das mutige Mädchen kniete nieder und schlang die Arme um den Nacken der schwergebeugten Frau.
„Fräulein de Ferras," sprach sie sanft, „versuchen Sie, sich aufzuraffen, um meines Vaters willen. Ohne Ihre Aussage können wir ja nicht einmal seine Gebeine finden und ihn beerdigen lassen."
Um seinetwillen! das war die Zauberformel, die diese wilde, unbändige, seltsame Natur allein zu beruhigen vermochte. Sie raffte sich empor und schwankte nach der verhängnisvollen Stelle, an der der dunkle Schoß der Erde den Mann in sich ausgenommen, den sie so heiß geliebt. Gertrude schauerte in sich zusammen, je näher sie kamen. Rechts befand sich eine Gruppe mächtiger, zum Himmel emporragender Pappelbäume, links, abseits vom Pfade, war der verräterische Schacht.
Niemand hätte ahnen können, daß unter dieser üppig wuchernden, allem Anscheine nach dicht verwachsenen, grünen Oberfläche ein tiefer, todbringender Abgrund gähne.
Schweigend, mit raschen Schritten trat Lola an den äußersten Rand des Schachtes, ihr war es, ach, nur zu wohlbekannt, wie weit sie sich vorwagen könne; schaudernd stand sie endlich still, Verzweiflung, wildes, hoffnungsloses Weh sprach aus ihren Zügen. Nach einer Weile wendete sie sich an Gertrude und legte die Hand auf die Schulter des Mädchens.
„Hier ruht er seit Jahren still und regungslos", sprach sie leise. „Sehen Sie, wie dieser schwarze Schlund jäh in die Tiefe abstürzt? Hier ist er vor langen, langen Jahren meinen Blicken entschwunden. Kommen Sie!"
Langsam löste sie die Schlingpflanzen, so daß es möglich wurde, tief hinabzusehen.
„Gertrude," sprach sie leise, „hier ist das Grab Ihres Vaters! —"
Vereint knieten die beiden Frauengestalten und sahen lange hinab, dann endlich gab Gertrudens mühsam aufrechterhaltene Selbstbeherrschung nach und sie weinte, als sollte ihr das Herz brechen.
„Hier am Grabe des Mannes, den ich geliebt, verspreche ich, gutzumachen, was sich noch gutmachen läßt. Glauben Sie mir, wenn ich auch damals vor Jahren noch Hilfe gesucht hätte, sie wäre doch zu spät gekommen, um ihm das Leben zu retten. Der Gedanke der Rache war mir süß, ach so süß. Gertrude, wollen Sie mir gestatten, hier einige Worte zu Ihnen zu sprechen, ehe ich Sie für immer verlasse? Ich kann mehr nicht tun, ich habe die volle Wahrheit bekannt, eine gerichtliche Untersuchung des Tatbestandes wird dies Nachweisen. Es ist kein Grund vorhanden, weshalb ich länger hier bleiben sollte, Lord und Lady Fielden mögen sagen, was sie wollen, vor dem Buchstaben des Gesetzes habe ich kein Verbrechen begangen, ich habe seinen Tod nicht herbeigesührt. Mein Unrecht hat darin bestanden, daß ich das geheim hielt,, was ich von Sir Karls Schicksal wußte, weil mir daran gelegen war, das Herz Ihrer Mutter zu brechen, indem ich ihr den Glauben einimpfte, Karl v. Allanmore sei mit mir geflohen. Die Strafe für dies Vergehen hat mich ereilt, ich bin einsam und liebeleer.
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Ei« edles Frauenreben.
Roman von Carola Weiß.
Copyright by Greiner L Comp. Berlin W 3V.
Nachdruck verboten.
12. Fortsetzung.
Elisabeth wußte nicht, wie lange sie gestanden, der Ton einer Violine unterbrach die märchenhafte Stille. Es reihte sich Ton an Ton und die Melodie eines Liedes klang klar und deutlich zu ihr hinauf. Das konnte nur aus den Zimmern des Grafen Geza kommen. Sie lagen im unteren Stockwerk in der Richtung der ihren. Graf Palsy hatte ihr ja erzählt, daß er zuzeiten leidenschaftlich gern spiele. Hatte ihr Spiel an diesem Abend die alte Lust in ihm geweckt?
Elisabeth lauschte, es waren merkwürdige Melodien, die in der Stille der Nacht zu ihr heraufklangen. Ein ftemder Ge,st wehte in ihnen, der sie seltsam berührte. Waren diese jähen Uebergänge von höchster Lust zu tief- stem Leid ohne jedwede versöhnende Vermittlung das Nationale in den Liedern, oder waren es Phantasien des jungen Mannes, die ebenso wild und regellos wie sein ganzes Wesen waren, seiner Seele entströmten? Und doch, welche Gemütstiefe und welches Seelenvolle lag in den weicheren Partien! Konnte das der Mann mit den rohen, leichtfertigen Sitten denken?
Sie lauschte lange, da brach plötzlich das Spiel mit einer schrillen Dissonanz ab, und tiefe Stille war wieder um sie.
Als Elisabeth am andern Morgen nach kurzem Schlaf erwachte, erinnerte sie sich, ihr Medaillon nicht abgelegt zu haben. Sie griff nach dem Halse, es war nicht dort. Sie durchsuchte das Zimmer und fand es nicht; sie mußte es im Saale verloren haben. Der Schmuck war ihr besonders teuer; er enthielt die Bildnisse ihrer Eltern. Rasch kleidete sie sich an und ging nach dem Salon hinunter.
Als sie hineintrat, stand der Rittmeister bei einem der offenen Fenster und betrachtete etwas in seiner Hand. Ms er sie erblickte, trat er auf sie zu:
, „Sch trugen gestern et« Medaillon, da- diesem glich."
„Es ist meines, ich habe es gestern verloren," sagte sie, und griff mit einer freudigen Bewegung danach.
„Es fehlte an Ihrem Halse, als Sie gestern den Saat verließen," sagte er, ohne sie anzusehen.
Sie dachte nach, wo er sie hatte sehen können, da sie ihn nicht gewahrte. Doch bei der großen Zahl von Gästen, die sich zum Abschied rüsteten, war es wohl möglich, daß sie ihn übersehen.
«Ich ging noch gestern in den Saal zurück und fand es be,m Klavier liegen," fuhr er fort. „Gestern konnte ich es Ihnen nicht mehr zustellen. Ich erwartete Sie heute hier, wie Sie sehen, weil ich wußte, daß Ihr erster Gang hierher sein werde, und ich nicht wollte, daß Sie sich umsonst ängstigen."
Sie wurde doch betroffen von dieser Aufmerksamkeit. Und wie ruhig bescheiden heute seine Art war!
„Ich danke Ihnen, Herr Graf," sagte sie nach einer Weile.
Er sah sie an. „Das Wort kommt Ihnen wohl sehr schwer an."
„Wenn ich die Wahrheit sagen soll, ja."
Eine Pause trat ein. Er hatte sich abgewendet und nagte in heißem Zorn an seiner Unterlippe. Sein altes, wildes Naturell rang mächtig gegen etwas Neues, Unerklärliches, gewaltig auf ihn Einstürmendes.
„Ihr Vertrauen zu meinem besseren Selbst muß doch ein sehr großes sein," sagte er dann, sich langsam zu ihv wendend. „Ich bin der Sohn, der Herr des Hauses, ich kann Ihnen Ihre Stellung sehr erschweren, bis ins Unerträgliche steigern," fügte er mit tiefem Zorn hinzu.
„Und ich kann jeden Tag gehen, Herr Graf; mich halten in dieser Beziehung keine Bedingungen."
Er erschrak offenbar, dann wurde er ganz bleich.
„Nein, nein! Sie haben nichts zu befürchten . . . Es war nicht so gemeint. Ich bin ein wilder, jähzorniger Mann, wenn ich gereizt werde! . . . Fräulein Werner!" fuhr er fort, und sein Ton wurde fast bittend, „wie soll ich Ihnen die Meinung beibringen, daß ich kein solch grundverdorbener Mensch bin, für den Sie mich halten?"
„Was liegt Ihnen an meiner Meinung, Herr Graf?"
sagte sie nach einer Weile. „Ich will Ihnen einen Aus
spruch ins Gedächtnis zurückrufen, nicht um mich zu rächen, ich kenne dies Gefühl nicht, auch war es zu kleinlich, um mich beleidigen zu können, ich tue es nur, um Sie — an Ihre Prinzipien zu erinnern: „Eine Erzieherin ist ein zu geringfügiger Gegenstand, um nur des Erwähnens wert zu sein . . ." Den Satz über das Bügertum erlasse ich Ihnen, ich finde es unter meiner Würde, ihn zu wiederholen." Damit verbeugte sie sich leicht und verließ den Salon.
Er starrte ihr sprachlos nach, dann schlug er sich wild vor die Stirn.
„Es ist wahr, es ist wahr; sie hat zu viel gegen mich! Mich hat damals der Teufel geritten!"
Und in wilder Wut rannte er durch den Salon.
„Was will ich eigentlich?" fragte er plötzlich und blieb stehen . . . „Soll sich der Fluch noch einmal wiederholen! . . . Nein, nein, es ist nur das alte Gelüste, ein neues Gesicht. Ich will ausreiten."
Er ging nach den Ställen und ließ sein wildestes Reitpferd satteln.
War er zu aufgeregt, um den Gurt festzuziehen, oder saß der Bügel nicht fest genug, er schwankte im Sattel, als er sich aufsetzte.
„Hund!" rief er seinem Burschen zu, „wie hast du das Pferd gezäumt?"
„Wie immer, gnädiger Herr."
„Wie immer? Das hast du für dein wie immer." Und schon sauste die Reitpeitsche des Grafen über das Gesicht des Erschrockenen, was im Ungarn jener Tage nichts Außergewöhnliches war. Sie fuhr aber nur einmal nieder; als er zum zweiten Male ausholte, hob er wie magnetisch den Blick nach Elisabeths Zimmer. Sie öffnete gerade ein Fenster, um die kalte Morgenluft einzulassen. Wie gelähmt sank sein Arm.
„Es ist eine Bestimmung," preßte er zwischen den Zähnen hervor, „sie muß mich sehen, wenn der Dämon in mir ist." Er drückte dem Pferde die Sporen in die Weichen und jagte wie der Sturm aus dem Schloßhof.
(Fortsetzung folgt.).