Nr. 243

Amts» und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

98. Jahrgang.

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DUttwsch, den 17. Oktober 1I23.

vezug «prei«: In der Stadt mit DrSqerlohn U0WOW0 Mk. wvch entl. PostbezugSprei« 110600000 Mk. ohne vestellgeld. Einzelnummer LOOoöOOO Mt. -- Schluß der Anzeigenannahme 8 Uhr vormittag-.

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Neueste Nachrichten.

Die Teurungs- und Arbeitslosenunruhen in den großen Städten des Reichs dauern fort.

Das Verhältnis Sachsens zum Reich scheint durch die Erklärung des Ausnahmezustandes verschärft zu werden. Der militärische Befehlshaber in Sachsen hat Befehl zur Auslösung der prole­tarischen Hundertschaften gegeben. Diese weigern sich jedoch un­ter Hinweis aus das Beispiel Bayerns, wo die rechtsradikalen Organisationen im Einverständnis mit der Negierung be­stehen» und wo ein Zivillommissar die Macht des Militär­befehlshabers illusorisch mache. Der Militärbefehlshaber er­klärt jedoch, daß er die Organisationen mit Gewalt auflösen werde.

Der belgische Außenminister bestätigte die Einigung der Alliier­ten dahin, die neuen belgischenStudien" zur Reparations- srage der Reparationskommission zur Prüfung zu übermitteln. Es soll sich um eine Ausgleichsaktion Belgiens handeln. Un­sere Vermutung, daß die Ueberwrisnng an die Reparations­kommisston einen Sieg Frankreichs gegenüber dem englischen Vorschlag, der die Prüfung durch eine international« Kom­mission wünschte, bedeute, wird rbensalls durch den belgischen Außenminister bestätigt.

Die Berschleppungspolitik der Franzosen wird planmäßig fort- gcfiihrt; sie wenden alle Mittel an, die Wiederaufnahme der Arbeit und des Verkehrs im Ruhrgebiet zu Hintertreiben, und suche« wie üblich die Schuld an de, Verzögerung der deutsche« Negierung zuzuschieben.

Wettere verordmvn der Relchrregiermg.

Gegen Preistreibereien. Regelung der Erwerbslosenfrage.

Berlin, 16. Okt. Amtlich wird mitgeteilt: Nachdem am gest­rigen Tage bereits di« Verordnung über die Erhebung der Steuern in Gold erlassen worden ist, beschäftigte sich das Reichs­kabinett in seiner gestrigen Sitzung mit der Frage der Bekämp­fung der Preistreibereien der Kartelle und Preiskonventioncn. Die beteiligten Ressorts sind mit der Lösung dieser Frage be­schäftigt. Anschließend kamen Richtlinien für die künftige Wäh­rungspolitik zur Erörterung und Beschlußfassung. Weitere Be­schlüsse der Reichsregierung betrafen die sogenannten Demobil- machnngsverordnungen, das sind die Verordnungen über Ein­stellung und Entlassung von Arbeitnehmern (vom 12. Februar 1920) und Betriebsstillegungen. Diese Verordnungen waren von vornherein nur für eine Uebergangszeit bestimmt. Die Neichs- regierung hat sich bei ihren Beschlüssen von dem Bestreben leiten lasten, die Produktivität der Wirtschaft wieder herzustellen, ohne dabei auf den notwendigen Schutz der Arbeitskräfte zu verzich­ten. Sie hat deshalb die geltenden Vorschriften dahin ergänzt, daß eine Sperrfrist von regelmäßig 1 Wochen bei einer Betriebs­einstellung oder einer größeren Betriebseinschränkung voran- gehen muß, auch Entlassungen von Arbeitnehmern nur mit Zu, stimmung der Behörden wirksam sind und daß die Behörden Während dieser Sperrfrist auch die Streckung der Arbeit bis auf 24 Stunden wöchentlich vorschreiben können. Auf der anderen Seite hat die Reichsregierung im Art. 1 der neuen Verordnung den tz 12 der Verordnung vom 12. Februar 1920 aufgehoben. Nach dieser Vorschrift war der Arbeitgeber gezwungen, die Ar­beit in seinem Betrieb zu strecken, wenn er auch nur einzelne Ar­beiter entlasten wollte. Das bedeutete eine Belastung für die Betriebe, die mit den Grundsätzen der Produktivität schlechter­dings nicht vereinbar ist. In einer weiteren Vorschrift der neuen Verordnung werden landesrechtliche Bestimmungen über Be­triebsstillegungen und Arbeitsstreckung in den Betrieben für un­wirksam erklärt. Eine weiter« Verordnung der Reichsregierung schreibt die Erhebung von Beiträgen zu Gunsten der Erwerbs- iosenfiirsorge vor. Die Verordnung soll die Gewähr dafür bie­ten, daß die Erwerbslosenfürsorge trotz der finanziellen Notlage in dem Maße fortgeführt werden kann, als aus politischen und sozialen Gründen unerläßlich ist. Die Beiträge der Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollen eine bestimmte Höchstgrenze, 20 vom Hundert des Krankenkastenbeitrags, nicht übersteigen. Für Ge­meinden mit großer Arbeitslosigkeit treten ergänzend auch wei­terhin Reich und Länder «in. Bemerkenswert ist an der neuen Verordnung noch di« Bestimmung, nach der die Erwerbslosen gemeinnützige Arbeit gegen die Unterstützung zu leisten haben. sowei t Lir Auaendlich« Arbeitsgelegenheit nich t gegeben »ft,

haben sie sich an Einrichtungen zur Fortbildung oder Ausbildung zu beteiligen. Es ward zum erstenmal der Grundsatz aufgestellt, daß die Unterstützung nicht ohne Gegenleistung gegeben wird und es wird damit die Möglichkeit gegeben, brachliegende Ar­beitskräfte produktiv zu beschäftigen.

Sachsen und das Neich.

Die Aussprache über die Regierungserklärung.

Dresden, 17. Okt. Im ^"fischen Landtag fand gestern die Aussprache über die Regier Erklärung statt. Die Abgeordne­ten der drei bürgerlichen Parteien sprachen der Regierung ihr Mißtrauen aus, während die Redner der Sozialdemokratie und der Kommunisten der Regierung vollstes Vertrauen bekundeten. Ministerpräsident Dr. Zeigner wandte sich in scharfer Form gegen die Ausführungen der drei bürgerlichen Redner. Als er auf den Passus der Regierungserklärung zu sprechen kam, worin die Säuberung des Beamtentums verlangt wird, entstand ein ungeheurer Lärm. Der Ministerpräsident warf den Beamten vor, daß viele von ihnen ihre Haupitätigkeit in der Abhebung des Gehalts erblickten. Wegen dieses Angriffes auf einen Abgeord­neten wurde der Ministerpräsident vom Vizepräsidenten zur Ord­nung gerufen. Dr. Zeigner ging dann auf den Ausnahmezustand ein, den er scharf geiselte. Unter anderem erwähnte er, die neueste Verordnung des Generalleutnants Müller, wonach di« gesamte Polizei Sachsens dem Wehrkreiskommando unterstellt ist. Er sagte, der Staat müsse sich auch gegenüber den Militärs durchsetzen. Zu dem Putschversuch in Küstrin erklärte er, daß dieser nicht durch die Reichswehr, sondern durch Mitwirkung des Genossen Seoering mit Hilfe der Polizei niedergeschlagen wor­den sei. Schließlich wurde die weitere Aussprache über die Regierungserklärung bis heute Mittwoch vertagt.

Widerstand der proletarische« Abwehrorgani- sationen gegen die Auflösung.

Dresden, 17. Okt. Nach einer Mitteilung des Wehrkreis­kommandos IV hat der erste Kongreß der sächsischen proletari­schen Abwehrorganisationen trotz des Verbots des militärischen Befehlshabers stattgefunden. Es sei möglich, daß das Verbot der Hundertschaften und Aktionsausschüße auf scharfen Wider­stand stoße, der unter Umständen nur durch Einsatz von Truppen gebrochen werden könne. Zunächst beabsichtige der militärische Befehlshaber doch, in erster Linie di« Landespolizei hierzu zu verwenden. Blättermeldungen aus Dresden zufolge wird durch eine Verfügung des Militärbefehlshabers die gesamte sächsische Polizei und Gendarmerie dem Befehl des Wehrkreis­kommandeurs unterstellt. Widersetzliche Beamt« werden mit Dienstentlassung bedroht.

Die Reichsregierung und die Derhältniffe in Sachsen.

Berlin, 17. Okt. In den letzten Tagen gelangen über die Ver­hältnisse in Sachsen Gerüchte in die Oeffentlichkeit, die eine weitgehende Beunruhigung Hervorrufen. Von den zuständigen Stellen wird die Entwicklung dieser Verhältnisse mit der größten Aufmerksamkeit verfolgt. Die Reichsregierung wird unter allen Umständen dafür sorgen, daß die Durchführung der verfassungs- und gesetzmäßigen Zustände gewährleistet wird.

Das sozialistisch-kommunistische Kabinett in Thüringen.

Weimar, 17. Okt. In der gestrigen Sitzung des thüringischen Landtages gab der Abgeordnete Knauer folgende Miyister- liste bekannt: Inneres: Stäatsminister Herrmann (wie bisher), Finanzen: Hartmann (wie bisher), Justiz: Oberlandesgerichts­rat Kosch von Jena, Wirtschaft: Tenner (Kommunist). Im Na­men der vier bürgerlichen Parteien protestierte der Abgeordnete Dr. Neumann (D. Vp.) gegen die Ministerlist«. Abg. Frölich (Soz.) bgrühte den Schritt der Kommunisten, an der Regierung teilzunehmen und erklärte, daß seine Partei alles tun werde, um den Ausnahmezustand baldigst zu beseitigen. Die vorgeschla- gene Ministerliste wurde schließlich in namentlicher Abstimmung mit 28 Stimmen der vereinigten Linksparteien gegen 24 der bürgerlichen Parteien angenommen.

Deutschland.

Die Unruhen im Tuner«.

Mannheim, IS. Okt. Mehrere hundert Erwerbs.ose zogen heute vormittag zum Gewerkschaftshaus und von dort aus zum Rathaus. Ein« Abordnung begab sich zu Verhandlungen in da» Innere des Rathauses. Die Demonstranten umlagerten da» Ge­bäude, hielten di« Straßenbahnen an und zwangen alle» zu«

Aussteigen. Außerdem wurde» die Türen des Rathauses einge­drückt. Hierauf wurde zur polizeilichen Auflösung der verbo­tenen Ansammlung und zur Räumung des Platzes geschritten» was ohne Zwischenfall vor sich ging. Ein Teil der Demonstran­ten begab sich darauf über die Friedrichsbrücke nach dem Meß- platz in der Meinung, dort unter dem Schutze der Franzosen vor polizeilichem Einschreiten geschützt zu sein. Von dem Meßplatz zog die Menge zur Mittelstraße und plünderte dort die Filiale eines Warenhauses und mehrere Fuhrwerke mit Lebensmitteln aus. Die Polizei schritt gegen die Plünderer ein. Bis jetzt sind zwei Demonstranten als verwundet gemeldet. Mehrere Polizei­beamte wurden zum Teil erheblich verletzt. Verhaftet wurden bis jetzt wegen Plünderung zwanzig Personen.

Mannheim, 16. Okt. Die Polizeidirektion teilt mit: Heute nachmittag gegen 4 Uhr fanden auf dem hiesigen Marktplatz neue Zusammenstöße zwischen Erwerbslosen und der Polizei statt. Bis jetzt wurde, wie festgestellt wird, ein Zivilist getötet und ein Polizeioberwachtmeister schwer verletzt. Die Unruhen dauern zur Zeit (7 Uhr abends) noch an.

Mannheim, 16. Okt. Wie von der Direktion des Allg. Krankenhauses mitgeteilt wird, find anläßlich der gestri­gen Unruhen im ganzen 17 Personen in die Anstalt einge­liefert worden, darunter vier Polizeibeamte, von denen der Oberwachtmeister Nötiger den erlittenen Verletzungen be­reits erlegen ist. Die übigen drei Beamten find ebenfalls zum Teil erheblich verletzt. Von den anderen 13 Personen ist eine, der Arbeiter Schüler, gleichfalls gestorben. Heute morgen liegen noch 11 Verwundete im Krankenhaus.

Frankfurt a. M., 15. Okt. Heut« mittag 12 Uhr kam es in der Nähe des Bankenoiertels zu großen Ansammlungen, die jedoch von der Polizei ohne Mühe zerstreut wurden. Als das Gerücht bekannt wurde, daß eine große Menschenmenge nach der Börse ziehe, wurden die Räume der Produktenbörse von den Besuchern schleunigst geräumt.

Köln, 16. Okt. In Köln-Kalk kam es gestern zu Plünderun­gen. Als die Polizei eingriff, wurde sie von der Menge mit Flaschen, Steinen usw. beworfen. Auch soll ein Schutz gefallen sein. Hierauf machte die Polizei von der Waffe Gebrauch, wo­bei eine Person getötet und eine zweite verletzt wurde.

Düsseldorf, 15. Okt. Die Ausschreitungen am gestrigen Vor­mittag nahmen einen immer größeren Umfang an, so in Ober­bilk, wo, wie bereits gemeldet, am Abend vorher zahlreiche Kon­fektions-, Lebensmittel- und Schuhgeschäfte ganz oder teilweise ausgeplündert wurden. Auch in anderen Stadtteilen, besonders in der Altstadt, wurde eine Anzahl solcher Geschäfte in derselben Weise von der plündernden Menge heimgcsucht. Der größte Teil der Geschäfte konnte rechtzeitig die Läden schließen. Die Poli­zei war wegen ihrer geringen Stärke den Plünderern gegenüber machtlos. Die Geschäftsinhaber mußten Zusehen, wie die Waren geraubt wurden. Die Plünderer, hauptsächlich junge Burschen, auch Frauen und selbst Kinder, schleppten alles mit fort, darun­ter ganze Ballen Tuch, Kisten mit Margarine, Schmalz usw. Teilweise entwickelten sich unter den Plünderern Kämpfe um die gestohlenen Waren. Als später eine Abteilung französischer Infanterie und Kavallerie die Altstadt durchzog, stob die Menge auseinander. Sie sammelte sich aber bald wieder, als di« Fran­zosen nicht eingriffen und setzte die Plünderungen fort. Gegen Mittag drangen die Maßen in ein großes Konfektionshaus am Hindenburgwall ein und raubten Anzüge, Mäntel usw. In die­sem Augenblick erschien die blaue Polizei auf zwei Lastwagen und französische Besatzungstruppen mit zwei Panzerautos. Die­sen gelang es, den Plünderern den größten Teil der geraubten Sachen wieder abzunehmen. Verschiedene Verhaftungen wurden vorgenommen. Die Höhe des angerichteten Schadens konnte noch nicht annähernd festgestellt werden. Gegen 1 Uhr mittag­herrschte in der Altstadt wieder Ruhe.

Düsseldorf, 15. Okt. Die Stadtverwaltung berichtet über die gestrigen Unruhen: Zm Laufe des Nachmittags kam cs wiederholt zu Plünderungsversuchen. Etwa gegen 7 Uhr liefen bei der Polizei Nachrichten ein, daß in der Gegend des Worringer-Platzes neue Plünderungen versucht wür­ben. Darauf säuberte die Polizei das ganze Viertel. Viele Neugierige, darunter zahlreiche Frauen und Kinder, wur­den hierbei zum Teil erheblich verletzt. Zu Plünderung.'» ist es allerdings gekommen. Eine Unmenge von Waren wurde zutage gefördert. Weitere 37 Personen wurden we­gen Teilnahine an Len Plünderungen verhaftet. Ein Selbstschutz zur Unterstützung der Polizei, der Gewalttaten gegen Leben und Eigentum alymvehren hat, ist ausgestellt .rvardrr»." - .