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Nummer 78

Fernruf 179

Montag den 2. April 1L28

Fernruf 17S

63. Jahrgang

Ein Nachwort zum Varmakprozeß

Mit dem 199. Sitzungstag ist der B a r m a t - P r o z e ß, der größte Strafprozeß, der jemals ein deutsches Gericht beschäftigt hat, zur Urteilsverkündung reif geworden. Die Anklageschrift, auf Grund von etwa 1000 Bänden akten­mäßiger Belege von sechs Staatsanwälten in neun Monaten ausgearbeitet, umfaßt nicht weniger als 618 Druckseiten in Folioformat. 11 Angeklagte, rund 400 Zeugen und 50 Sach­verständige, 5 Staatsanwälte und 17 Verteidiger bilden das Personal dieser ungeheuren Veranstaltung, deren Kosten sich auf 240 000 RM. belaufen. Daneben haben sich noch mehrere Parlamentsausschüsse um die Aufklärung der Dinge bemüht. Und das Ergebnis? Eine Entscheidung, die uns heute fast gleichgültig ist.

Die Barmats, Kutisker usw. sind eine Erscheinung der Nachkriegszeit. Es hat solche Ausbeuternaturen auch schon früher gegeben, man braucht nur an den Wiener Börsenkrach, Milliarden-Panamaskandal usw. zu erinnern, aber in Deutschland konnten sie früher nicht ankommen. Wie konnten solche Dinge wie die Ver­schleuderung eines gewaltigen Heereslagers, die Uebertöl- pelung von Staatskassen und dergleichen bei uns nur ge­schehen? Unsere Nerven müssen doch ziemlich stark an­gegriffen gewesen sein.

Die Riesen oder angeblichen Riesen der Finanz blendeten den Beamten so, daß erKredite ohne genügende Sicher­heiten gab. War aber der Fehler einmal gemacht, so mußten, sollte der Einsatz nicht verloren gehen, neue und immer neue Kredite folgen. Sehr bezeichnend ist eine Episode, die sich zwischen Kutisker und dem Geheimrat Dr. Rühe von der Preußischen Staatsbank abspielte. Bei einer Unter­redung, in der Kutisker in frechster Form neue Kredite ver­langte, soll sich Dr. Rühe händeringend beklagt haben, daß Kutisker nicht anerkennen wolle, was er (Dr. Rühe) s schon alles für ihn getan habe. Kutisker ließ sich aber durch-

i aus nicht beeinflussen. Er drohte mit seinem Bankrott und

setzte damit durch, daß er weitere Kredite bekam. Kutisker ist inzwischen als Betrüger entlarvt worden. Bei den Bar­mats ist es ähnlich. Fest steht, daß die Preußische Staats­bank an den Geschäften mit den Gruppen Kutisker und , Barmat Verluste erlitten hat, die sich nach dem Jahres­

bericht der Staatsbank für 1925 insgesamt auf rund 25 Millionen Reichsmark belaufen.

Eine besondere Note hat das Vorgehen der Barmats ch dadurch erhalten, daß sie es verstanden, nicht nur Bank-

ange st eilte vor ihren Wagen zu spannen, sondern sich das parlamentarische System durch Abgeordnete und Minister dienstbar zu machen. Der Berliner Polizei­präsident Richter, der sich durch Geschenke zu allerlei dienstlichen Gefälligkeiten gewinnen ließ, mußte die Ver­setzung in den einstweiligen Ruhestand mit reichlichem Wartegeld hinnehmen. Der ehem. Reichskanzler Bauer und der Abgeordnete Lange-Hegermann wurden wegen ihrer gewinnbringenden Betätigung für die Barmats von ihren Parteien ausgefordert, ihre Mandate niederzu­legen, ersterer allerdings nur vorübergehend. Lange-Heger­mann nahm unter der Anklage des Betrrugs neben den Varmats Platz auf der Anklagebank und der Reichspost­minister Dr. Höfle, der sich durch private Zuwendungen zu der Hergabe von Geldern der Reichspost in schwindel­hafter Höhe verleiten ließ, entging dem gleichen Schicksal nur dadurch, daß er es nicht mehr erlebte. Aber das sind nur Beispiele. Es ist erstaunlich, wie weit und fein ver- i zweigt Beziehungen jener finanziellen Scheingrößen, die

doch nur das eine Rezept kannten, die Verschlechterung des Geldes, an der das deutsche Volk dahinsiechte, zur Tilgung ihrer rechtzeitig gemachten Schulden auszunutzen, zu deut­schen Politikern bestanden.

Nun hat man diesen Sumpf trocken gelegt. Man hat . eine mühevolle und gründliche Arbeit geleistet, um

> wirklich alle Löcher zuzustopfen. Nur ist es leider mit

dem Zustopfen allein nicht getan, die trüben Quellen fließen anderswo weiter. Unerbittlich verlangt die Zeit, daß das schmutzige Wasser nicht zugeschüttet, sondern daß es gereinigt wird. Die Wege dahin führen aber nicht über Gerichte und Parlamentsausschüsse, sie erheischen eine Be­reinigung der öffentlichen Moral, erfordern einen Gesinnungswechsel, der sich nicht nur in schönen poli­tischen Reden kundgibt, sondern zu einer Angelegenheit des täglichen Lebens wird. Ansätze dazu sind überall bemerk­bar, besonders bei der Jugend; auswirken werden sie sich aber erst können, wenn der auf die Kriegsschuldlüge be- ' gründete wirtschaftliche Druck von uns genommen wird,

wenn das deutsche Volk nicht mehr durch die Fron für ein­stige Feinde gezwungen ist, hinter den Kampf um das täg­liche Brot seine kulturellen Aufgaben in der bisherigen Weise zurückzusetzen. Immer schärfer muß auch aus diesem Grunde der Kampf gegen die Kriegsschuldlüge geführt, muß die Forderung aus Aenderungdes Ver­sailler Vertrages erhoben werden. Erst wenn es auf einen neuen Gei st stößt, der ihm nicht mehr erliegen ^ karm, erst dann wird das Schiebertum in jeder Gestalt seinen

Mhrboden in Deutschland wieder verlieren.

Tagesspiegei

Im Anschluß an die Auflösung des Reichstags hak das Berliner Polizeipräsidium das seil 5. Mch 1926 bestehende Verbot der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei für Groß-Berlin aufgehoben.

Rach Aufdeckung zahlreicher grober Mißstände im Lchachty-Revier (Lonezgebiek) und im nordkaukasischen Bezirk sind das Lchachky-Büro der Kommunistischen Barkei und der Vorstand des Vergarbeikerverbands aufgelöst und zahlreiche kommunistische Gewerkschaftsfunktionäre abgesehk worden.

Das Urteil im Barmat-Prozeß

Im Barmatprozeß wurde folgendes Urteil verkündet: 1. Der Angeklagte Judko Barmat wird wegen aktiver Bestechung in zwei Fällen zu einer Gesamtstrafe von 11 Monaten Gefängnis verurteilt, wovon 155 Tage durch dis Untersuchungshaft verbüßt sind. Im übrigen wird er frei­gesprochen. 2. Der Angeklagte Henry Barmat wird wegen aktiver Bestechung in einem Fall zu 6 Monaten Ge­fängnis verurteilt, wovon 157 Tage durch die Untersu­chungshaft verbüßt sind. 3. Der Angeklagte Hellwig wird wegen fortgesetzter einfacher passiver Bestechung zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt, die durch die Untersuchungs­haft verbüßt sind. Im übrigen wird er freigesprochen. 4. Der Angeklagte Walther wird wegen Vergehens ge­gen Paragraph 108 des Gesetzes über Privatversicherungs­unternehmungen vom 12. Mai 1901 zu einer Geldstrafe von 200 Reichsmark verurteilt, an deren Stelle im Fall der Uneinbringlichkeit 5 Tage Haft treten. Im übrigen wird er sreigesprochen. 5. Der Angeklagte Stachel wird wegen eines Falls der fortgesetzten schweren passiven Bestechung zu einer Gesamtstrafe von 3 Monaten und 3 Tagen Ge­fängnis verurteilt. Im übrigen wird er freigespcichen. Dem Angeklagten Stachel wird die Fähigkeit zur Beklei­dung öffentlicher Aemter auf die Dauer von 3 Jahren ab­erkannt. 6. Die Angeklagten Klenske, Abg. Lange- Hegermann. Alfred Staub, Rabinowitz, Hugo Staub und Hahleo werden freigesprochen. Das Urieil spricht dann noch den Verfall verschiedener Geld­beträge und Sachwerte an den Staataus.

Sämtliche Mitglieder des Gerichts werden einen E r - holungsurlaub von 6 Monaten erhalten. Man spricht davon, daß die schriftliche Urteilsbegründung kaum vor Ende dieses Jahres feuiggestellt sein dürste und rechnet damit, daß der Prozeß alsdann noch weitere Instanzen durchlaufen wird In den mit rund einer Viertelmilbon berechneten bisherigen Prozeßkosten sind die Honorare der 17 Anwälte noch nicht einbegriffen. Die mündliche Urteils­begründung, die sich an Sie Verkündung des Urteils an- schloß. dauerte über 6 Siunden.

Das Gericht hat den Antrag des Staatsanwalts, die beiden Barmats sofort zu verhaften, abgelehnt.

DieMünchner Neuesten Nachrichten" äußern sich über das Urteil entrüstet. Wenn man statt Urteil Belohnung lesen würde, könnte das Erstaunen nicht größer sein. Im vergangenen Jahr habe man eine Reihe deutscher Männer als sogenannteFememörder" zum Tod verurteilt, ohne daß die Richter an die Zeitumstände dachten. Aber diese fremdenSchieber, durch deren dunkle Millionen­geschäfte Hunderte von Menschen vsr den offenen Gashahn getrieben wurden und die schlimmer seien als je der Massen­mörder Haarmann sollen mit geringen Gefängnisstrafen, davonkommen. Formell möge das Urteil korrekt sein, aber die Berliner Richter seien nicht um die Verantwortung für das Ansehen des Begriffs Gerechtigkeit, das in ihrer Hand lag, zu beneiden.

Nach dem V.D.Z. wollen die beiden Barmat gegen das Urteil auch noch Berufung einlegen.

37 Ovo Reichsdeutsche von der Tschecho­slowakei mik Ausweisung bedroht

Vor einigen Tagen ist zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei eine Vereinbarung über den Fortfall der gegenseitigen Visa zustande gekommen, nachdem vorher vom Prager Abgeordnetenhaus ein Gesetzzum Schutz des heimi­schen Arbeitsmarktes" angenommen worden war. Die so­eben veröffentlichten Durchführungsverordnungen zu diesem Gesetz zeigen nun, daß sich das Gesetz in erster Linie gegen die in der Tschechoslowakei beschäftigten reichsdeutschen Staatsangehörigen richtet.

In diesen Durchführungsverordnungen werden sämtliche in der Tschechoslowakei angestellten Ausländer in zwei Kate' gorien eingeteilt, und zwar in solche, die vor dem 1. Mai 1923 in der Tschechoslowakei ansässig waren, und in solche, die nach dem 30. April 1923 nach der Tschechoslowakei über­gesiedelt sind. Es heißt nun weiter, daß die Ausländer der ersten Gruppe von Unternehmungen in der TWchpslmyM

ohne behördliche Genehmigung 'angestellt werden können unter der Bedingung, daß sie der politischen Behörde Nach­weisen können, daß sie sich in der Tschechoslowakeiununter­brochen" aufgehalten haben. Und nun kommt der Pferde­fuß, der sämtliche Erleichterungen für ausländische Staats­angehörige hinfällig macht; denn die Verordnung bestimmt weiter, daß nur solche Unterbrechungen des Aufenthalts nach­träglichentschuldbar" sind, wenn der betreffende auslän­dische Untertan höchstens drei Wochen hintereinander oder sechs Wochen während eines Kalenderjahres insgesamt außerhalb der Tschechoslowakei geweilt hak. Wer also ein­mal länger als drei Wochen die Tschechoslowakei verlassen hat, für den gelten die Erleichterungen der ersten Kategorie nicht mehr, und er ist gezwungen, neuerlich um Aufenthalts- genehmigung der tschechoslowakischen Behörden nachzusuchen.

Was diese Einschränkung will, ist wohl ohne weiteres klar. Denn es dürfte kaum einen in der Tschechoslowakei beschäftigten Ausländer geben, der nicht in den seither ver' stoffenen fünf Jahren mehr als drei Wochen hintereinander außerhalb der Tschechoslowakei geweilt hat. Diese Ver­fügung richtet sich zweifellos gegen die reichsdeutschen Direk­toren, Ingenieure und kaufmännischen Angestellten in der Tschechoslowakei, die nach der tschechischen Statistik die Zahl von 37 000 erreichen sollen. Praktisch genommen erlangt die tschechoslowakische Regierung mit dieser famosen Durch? führungsverordnung die Vollmacht, morgen 37 000 Reichs­deutsche, wie auch alle anderen ausländischen in der Tschecho­slowakei angestellten Untertanen auszuweisen.

Es ist aber nicht zu verwundern, daß diese Verordnung nach ihrem Bekanntwerden eine ungeheure Entrüstung nicht nur bei den reichsdeutschen Staatsbürgern, sondern auch bei der von diesen Maßnahmen in erster Linie betroffenen sudekendeukfchLn Industrie hervorgerufen hat. Wie irrsinnig diese oeroiünungen sind, geht schon aus der Tatsache her­vor, daß es unzählige Direktoren, Ingenieure und kauf­männische Reifende gibt, deren Aufgabe es ist, stets außer- haw der Tschechoslowakei auf Geschäftsreisen zu weilen, und daß man sehr wohl die Tendenz dieser Verordnungen hätte korrigieren können, wenn man statt der Worteununter­brochener Aufenthalt"ununterbrochener Wohnsitz" ge­wählt hätte.

Neueste Nachrichten

Graf Bernskorff beim Reichspräsidenten

Berlin, 1. April. Der Herr Reichspräsident empfing gestern den deutschen Vertreter in der vorbereitenden Abrüstungskommission, Reichstagsabgeordneten Graf von Bernstorsf, zum Bericht über die letzte Tagung, der- genannten Kommission in Genf.

Zustimmung des Reichsraks

Berlin» 1. April. Der Reichsrat stimmte in seiner gest­rigen Vollsitzung den Beschlüssen des Reichstags zum Reichs­haushalt samt Nachtrag, sowie dem Bau des Panzerschiffs, den der Aeichsrat auf das Betreiben Preußens erst abgelehnk hatte, ohne Widerspruch zu. Es wurde festgestellt, daß der Reichstag diesmal den Regierungsvoranschlag verhältnis­mäßig nur wenig überschritten habe, während er im Vor­jahr über denselben um fast drei Viertel Milliarden Mark hinausging.

Gegenmaßnahmen Mussolinis Rom, 1. April. Der halbamtlicheIevera" berichtet, die faszistifche Regierung sei entschlossen, den ihr von Papst Pius XI. hingeworfenen Fehdehandschuh aufzunehmen. Seine Rede habe die Katholiken, aber nicht den Staat in Verwirrung gebracht. Die nächste Folge werde wahrschein­lich sein, daß alle katholischen Pfadfindervereine verboten werden, die bisher noch erlaubt waren. Neubildungen waren nur in Städten unter 20 000 Einwohnern verboten.

^ England und Aegypten

London. 1. April. Die ägyptische Regierung übergab, wie dieTimes" berichtet, dem britischen Oberkommissar die Antwort auf die Note der englischen Regierung vom 4. März (in der die englische Regierung behauptet hatte, die englische Besatzung usw. in Aegypken sei nötig zur Aufrecht­erhaltung der öffentlichen Sicherheit und zum Schutz der Fremden). Die ägyptische Note erhebt Einspruch gegen diese Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Lan­des. Zwischen Aegypten und England dürfen die diploma­tischen Beziehungen nicht anderer Art sein als mit jedem an­dern Land. Die Ordnung im Land könne die ägyptische Re­gierung und das Parlament selbst wahren.

Blutige Kämpfe in Mexiko

Mexiko. 1. April. In einem sieben Stunden dauernden Kampf bei San Franzisko del Äincon wurden 120 Auf­ständische, darunter zwei Priester und der Anführer Ro­mingo Anaya, getötet, 40 verwundet und 47 gefangen ge­nommen. Der Rest der zersprengten Aufständischen wird durch Reiterei der Regierungstruppen verfolgt.