Nr. 241
Amts- und Anzeigeblatt für den OberamtsbezirL Calw
S8. Jahrgang.
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U/tONlttv» l^k» I-sLü. ohne Bestellgeld. Einzelnummer HOOOOOO Mk.— Schluß der Anzeigenannahme 6 Uhr vormittags.
Neueste Nachrichten.
Der Reichstag nahm am Samstag das Ermächtigungsgesetz an. Auch die bayrisch« Bolkspartei stimmte für das Gesetz.
Der oielumstrittene Brief des ReichstagsaLgcorvyeten u. Grog- industriellen Stinnes an den Reichskanzler anläßlich der Aufgabe des passiven Widerstandes wird nun veröffentlicht. I« dem Brief werden im Namen der Ruhrindustriellen Anfragen bezüglich der Erleichterung des Wiederbeginns der Arbeit gestellt, sowie bezüglich des Verhaltene gegenüber den Besatzungsbehörden. Auch die Stellungnahme -er Reichsregierung zu einer Erhöhung der Arbeitszeit wird gewünscht. Der Reichskanzler hat auf den Bries geantwortet, -atz die sinan. ziellrn Leistungen des Reichs durch unsere Lage begrenzt seien, und daß die Arbeitszeit im Bergbau durch gemeinschaftliche Verhandlungen geregelt «erden solle. Zn einer dem Berliner Vertreter der .Köln. Ztg." gewährten Unterredung erklärte der Reichskanzler, daß die Ruhrindustriellen der Reichsegie- . rung alle Unterlagen über die Verhandlungen mit den Fran- zosen zur Verfügung gestellt hätten. Bon einer Ausschaltung der Reichsrcgierung — da» wußten -ie Franzosen wohl — könne keine Rede sein, denn di« Verhandlungen der lokalen Behörden wie der Organisationen würden immer im Einvernehmen mit -er Reichsregierung geführt.
Belgien hat den Alliierten „Studien" zum Reparationsproblem vorgelegt, auf Grund deren ein gemeinschaftlicher Reparationsplan erwogen werde» könne. Die Alliierten haben ^»gestimmt, daß die Studien der Reparationskommission zur Prüfung unterbreitet werden. Sollte das dje Ankündigung eines neuen Plans der Entente sein?!
AMchoie der EmWiWMsehv.
Berlin, 13. Okt. Der um 1 Uhr beginnenden Reichstagssitzung, die die Entscheidung über das Ermächtigungsgesetz bringen soll, wird mit großer Spannung entgegengesehen. Seit den frühen Morgenstunden finden sich zahl- reiche Personen vor dem Reichstagsgebäude ein, um Einlaßkarten zu der heutigen Sitzung zu erlangen. Die Regierungsparteien verfügen insgesamt über 340 Stimmen» könnten somit die für die Zweidrittelmehrheit notwendigen 306 Stimmen ausbringen. Alle auswärts befindlichen Mitglieder wurden von ihnen nach Berlin gerufen. Die Sozialdemokraten versuchen in einer noch andauernden Fraktionssitzung, die Opposition ihrer -Fraktion zur Teil- nahm« an der entscheidenden Sitzung zu bewegen. Wieviel Mitglieder der übrigen Regierungsparteien in Berlin eingetroffen sind, läßt sich noch nicht zahenmäßig angeben. Eine Reihe von Abgeordneten trifft erst mit den Bormittagszügen ein. Das Ergebnis der Abstimmung wird von ganz wenigen Stimmen abhängen. .Die Bayerische Volkspartei, deren Stellungnahme von größter Bedeutung ist? ist soeben um die Mittagsstunde zu einer Fraktionssitzung zusammengetreten.
Berlin, 13. Okt. Der Reichstag blieb vor dem Schicksal der Auflösung bewahrt durch die Annahme des Ermächtigungsgesetzes. Die Abgeordneten waren hierzu ?ast vollzählig erschienen. Ein Antrag der Unabhängigen auf Aussetzung der Abstimmung fand keine Unterstützung. Die BayerischeVolkspartei schwenkte um und erklärte sich für dieAnnahme. Bei der Ankündigung der namentlichen Gefamtabstimmung strömen alle Deutschnationalen, Kommunisten und Unabhängigen aus dem Saal. Im ganzen wurden 347 Karten abgegeben. Die Sichtung ergibt 316 Ja, 24 Nein, 7 Enthaltungen. Es ist damit die Bedingung erfüllt, daß zwei Drittel der abgegebenen Stimmen sich für das Gesetz erklärten, womit dessen Annahme gesichert ist. Die Kommunisten können sich damit nicht einverstanden erklären, und in einer vom Abgeordneten Frölich abgegebenen Erklärung wird die Arbeiterschaft aufgerufen, sich mit der Waffe in der Hand und mit dem Generalstreik gegen eine militärische (?) Diktatur zu verteidigen. Zuletzt findet noch das Gesetz über Vermögenssteuerstrafen und Bußen Annahme, worauf Lobe die Ermächtigung erhält. Tag und Tagesordnung der nächsten Sitzung selbst festzusetzen. Voraussichtlich findet der nächste Zusammentritt Ende nächster oder Anfang übernächster Woche statt mit dem Arbeitszeitgesetz als Beratungsgegenstand .
IicAnsWe vo» Sllimer an den Reichskanzler.
Berlin, 15. Okt. In Anbetracht des außerordentlichen Interesses, das das Schreiben des Abgeordneten Stinnes an den Reichskanzler vom 7. Oktober ds. Js. in der Oeffentlichkeit her- I vorgerufen hat, werden nachstehend dieses Schreiben, sowie die vom Reichskanzler Herrn Stinnes übermittelte Antwort der Reichsregierung im Wortlaut wiedergegeben. Das Schreiben des Herrn Stinnes an den Reichskanzler Dr. Stresemann vom 7. Oktober 1923 lautet:
Sehr geehrter Herr Stresemann! Ich nehme Bezug auf dis Besprechung mit Ihnen und Herrn von Maltzahn über die im Westen zu ergreifenden Maßnahmen. Die Vertreter der rheinisch-westfälischen Kohlenindustrie bitten, am Dienstag die grundsätzliche Entscheidung der deutschen Regierung darüber zu erhalten, ob die Regierung bei den mit Frankreich zu führenden Verhandlungen selbst etwa durch sofortige Aufnahme der Verhandlungen mit der Reparationskommission die notwendigen Vereinbarungen für die westlichen Gebiete, insbesondere denen der rheinisch-westfälischen Kohlenindustrie, überlassen will, einen „modus vivendi" mit den Besatzungsmächten zu treffen, um die Ernährung der Bevölkerung und den Bestand der Werke nach Möglichkeit zu sichern. Dies vorausgeschickt, ist die Beantwortung folgender Fragen für uns notwendig: 1. Ist die Regierung bereit, die beschlagnahmten Kohlen und anderen Materialien einschließlich der Aufladekosten zu bezahlen und die Zechen und Werke zu ermächtigen, darüber möglichst günstige Abkommen mit den Besatzungsbehörden zu treffen? Nach den erhaltenen Erklärungen werden in diesem Falls« mit Ausnahme der wenigen in die Regie übernommenen Zechen die Zechen von der Besatzung fieigegeben werden. 2. Ist die Regierung bereit, den Zechen die von den Franzosen verlangten s-conto-Zahlungen für die Kohlensteucrn zurückzuvergüten, und den Zechen die Ermächtigung zu geben, über die Restzahlungen auf die Kohlensteuern bestmögliche Abmachungen zu treffen? 3. Hst die Regierung ferner bereit, mit rückwirkender Kraft oder mindestens mit sofortiger Wirksamkeit allgemein und im besonderen im besetzten Gebiet die Kohlensteuer aufzuheben, um den verhandelnden Zechen- und Werksvertretern eine Grundlage für die Verhandlungen mit den Besatzungsbehörden zu geben, die nicht von vornherein ein Wiederaufleben der Kohlen- und sonstigen Wirtschaft im besetzten und unbesetzten Deutschland unmöglich macht? 4. Ist die Regierung bereit, die Reparationskohlen an die Zechen in dem Umfang zu vergüten, wie die Zechen ihre Lieferungen mit der Reparationskommission vereinbaren müssen? 5. Ist die Regierung mit der bevorzugten Belieferung des besetzten Gebiets nach der Verfügung der Besatzungsbehörden einverstanden? 6. Ist die Regierung mit der Aufhebung des Reichskohlenkommissariats und des Kohlenwirtschaftsgesetzes im ganzen und für das besetzte Gebiet einverstanden, sodaß die Zechenvertreter mit den Besatzungsbehörden unabhängig vom Koh- lensyndikat und Reichskohlenkommissariat Vereinbarungen treffen können? 7. Ist die Regierung damit einverstanden, daß die von der Kohlenindustrie einstimmig gewählte Kommission, bestehend aus den Herren Janus, Klöckner, Lübsen, von Velsen, Vögelcr und Hugo Stinnes, evtl, ergänzt für das rheinische Braunkohlengebiet durch Herrn Dr. Silberberg, Verhandlungen soweit wie möglich mit den Besatzungsbehörden führt? 8. Ist die Regierung damit einverstanden, daß die Kommission oder einzelne beauftragte Mitglieder sofort mit Herrn Tirard und erneut mit Herrn General Degoutte die Fühlungnahme ausnehmen, um festzustellen, welche Instanzen und Auffassungen in Frankreich zur Zeit als die maßgeblichen angesehen werden können? 9. Welche Stellungnahme hat die rheinisch-westfälische Kohlenindustrie der Eisenbahnregie gegenüber zu beobachten und inwieweit ist es erwünscht, daß sie der baldigen Umwandlung der Regie in eine Detricbsgesellschaft Vorschub leistet und Einfluß auf diese zu gewinnen sucht, sei es für das Reich, für Preußen, für das Rheinland oder für Westfalen? 19. Können wir auf wohlwollende Unterstützung der Regierung rechnen bei: ol der Durchführung der Arbeitszeiterlängerung auf Stunden im besetzten und unbesetzten Gebiet, bl der sofortigen Beseitigung der Demobilmachungsbestimmungen und der Bestimmungen, die aus Anlaß der Besetzung des Ruhrgebiets bezüglich der Kündigung der Arbeiter und Angestellten getroffen sind?
Ich darf darauf aufmerksam machen, daß die eigentliche Lage der Unternehmungen teilweise überaus kritisch geworden ist.
Mit hochachtungsvoller Begrüßung ihr ergeb. Hugo Stinnes.
Da» Antwortschreiben de» Reichskanzlers
vom 12. Oktober hat folgenden Wortlaut: Sehr geehrter Herr Stinnes! Auf Ihr Schreiben vom 7. Oktober erwiderte ich
Ihnen gleichzeitig im Namen der Reichsregierung folgendes: Wie Sie wissen, war für die Aufgabe des passiven Widerstandes ausschlaggebend die finanzielle Notlage der Reichsrcgierung, die eine Wetterführung der reichsseitigen Finanzierung auch nur für eine kurze Zeit unmöglich machte. Diese finanzielle Lage diktiert uns auch jetzt zwangsläufig den Weg unserer Entschlüsse. Die Reichsregierung hat aus ihrem dringenden Wunsch, in höchstem Umfange der Wirtschaft des besetzten Gebietes die durch den von ganz Deutschland geführten AbwehrkamA ihr entstehenden Schwierigkeiten zu erleichtern, für eine Uebergangszeit noch auch Ihnen bekannte und endgültig begrenzte Zuschußleistungcn auf das Reich übernommen, strotzdem sie die finanziellen Verhältnisse des Reiches auf das schwerste erschüttern. Darüber hinaus etwas zu leisten, ist leider völlig unmöglich. Wir kämpfen um die nackte Existenz des deutschen Volkes und müssen diesem Gesichtspunkt alles andere unterordnen. Aus diesem Grunde ist es uns auch nicht möglich, Lieferungen für Reparationskohls wie bisher zu finanzieren. Durch die Mittel der Notenausgabe kann die Finanzierung nicht erfolgen. Die Frage, ob Deutschland eine internationale Anleihe erhalten kann, ist bisher völlig ungeklärt. Die Markentwertung schreitet in rasendem Tempo weiter fort. Wir haben die Verordnung vom 13. Januar über das Reparationslieferungsverbot aufgehoben und dadurch unsere grundsätzliche Bereitwilligkeit erklärt, Reparationslieferungen dann wieder aufzunehmen, wenn die finanzielle Lage des Reiches es gestattet. Gegenwärtig kann von einer solchen Möglichkeit nicht gesprochen werden. Die Reichsrcgierung kann deshalb bis auf Weiteres Ihnen und Ihren Freunden gegenüber weder eine Garantie für die Zahlung der Reparationskohle, noch für einen Ersatz für die Kohlenstcuerbeträge übernehmen.
Dagegen hat sich die Reichsregierung schon vor der Aufgabe des passiven Widerstands mit der Frage beschäftigt, ob nicht -die allgemeine Wirtschaftslage eine Aufhebung der Kohlenzölle nötig macht. Die Kohlenpreise sind die Grundlage für die gesamte Entwickelung der Wirtschaft. Eine Senkung sowohl für die industriellen Bedürfnisse, wie auch für den Bedarf des Hausbrandes ist eine Notwendigkeit. Daher hat sich die Reichsrcgierung nunmehr zur Aufhebung der Kohlensteuer entschlossen, die aber abhängig gemacht wird von der Senkung der Kohlenprcisr in der Ihnen bekannten Art und Ausdehnung.
Die Situation, die sich bei der Neuordnung für die Zechen des besetzten Gebietes ergibt, veranlaßt die Reichsregierung, sich mit einer weitgehenden Freiheit der Unternehmungen einverstanden zu erklären. Um den Zechen die Möglichkeit zu geben, über die von ihnen -seitens der Besatzungsmächte angeforderten Brennstoffe Lieferungsverträge abzuschließen, ist die deutsche Regierung damit einverstanden, daß das Kohlensyndikat die hierfür erforderlichen Mengen freistellt. Auch der Kohlenkommissar wird in solche Lieferungen nicht eingreifen. Bei der Behandlung der Frage, in welchem Umfange die Kohlen im besetzten Gebiet verbleiben und in das unbesetzte Gebiet hinausgehen, ist zu vermeiden, daß durch etwaige Abmachungen» Bedingungen für die Reischregierung entstehen. Die grundsätzliche Behandlung der Frage muß Gegenstand der Verhandlungen zwischen den Regierungen bleiben Es kann -er Reichsregrernng nicht zugemutet werden, sich mit noch zu treffenden Verfügungen der Besatzungsbehörden einverstanden zu erklären, ohne dabei selbst mitzuwirken. Da Verhandlungen zwischen den Regierungen über diese Frage gegenwärtig nicht stattfinden, so ist die Reichsregierung damit einverstanden, daß die wirtschaftlichen Organisationen ihrerseits Verhandlungen wegen der Wiederingangsetzung der Wirtschaft führen und damit ihre Vertrauensmänner beauftragen. Die Reichsregierung muß ihrerseits jedoch unbedingt Gewicht darauf legen, daß hierbei keinerlei Verhandlungen oder Vereinbarungen über Fragen getroffen werden können, dir staatliche Rechtst, insbesondere Hoheitsrechte, betreffen. Es ist selbstverständlich, daß nach der Aufgabe des passiven Widerstandes die Regiebahnen durch die Industrie benützt werden können. Ebenso selbstverständlich ist es aber, daß sich aus der Tatsache des Reichseigcntums an den Bahnen ergibt, daü seitens der Vertreter wirtschaftlicher Organisationen keine l'- r ingen abgegeben werden-, die eine Auslegung dahin zn.las' -. daß die Wirtschaft sich an einer Beschlagnahme dieser D.".mLgensstiicke des Reiches beteiligen könne.
Was endlich die Regelung der Arbeitszeit betrifft, gelten hierfür lediglich die gesetzlichen Bestimmungen des Reiches. Daß «ine gesetzliche Neuregelung der Arbeitszeit in allernächster Zeit geplant ist, darf als bekannt vorausgesetzt werden.
Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebener
(gez.): Dr. Stresemann.