sein, das er geführt, vermochte er kaum däs Glück zu fassen, da? ihm in seinem trauten Heim geboten wurde. Die kleine Käthe sah Bianca nicht ähnlich, sie trug die Züge der Risworth, hatte ihre dunklen Augen und Haare. Rührend war eS, den alten Baron mit seinem Enkelkinde zu sehen, für ihn war es Bianca, die, wieder zum kleinen Mädchen geworden, auf seinen Knien spielte.

Das Kind wuchs heran und gedieh, alles in Deeping Hurst schien Glück und Frohsinn zn atmen. Lord Ris­worth hatte alle nötigen Vorkehrungen getroffen, daß bei seinem etwaigen Tode sein ganzes Privatvermögen Bianca und dem Kinde gesichert bleibe, nur das Majorat mußte an einen männlichen Erben übergehen. Lola hatte manche ausführliche Schilderung des Kindes an Sir Karl geschickt: sie dachte, von dem kleinen Wesen zu vernehmen, das Bianca Mutter nannte, werde ihn am erfolgreichsten von seiner Liebe zu der Gräfin heilen. Käthe zählte noch keine zwei Jahre, als ein schweres Unglück Deeping Hurst heim­suchen sollte. Der Graf hatte sich eine heftige Erkältung zugezogen und gleich allen gesunden, kräftigen Naturen lachte er, wenn Bianca ihn bat, doch recht behutsam zu sein und sich Lu schonen.

Es sei nicht der Rede wert und werde bald vor­übergehen", meinte er.

Das Resultat seiner Achtlosigkeit war, daß sich eine heftige Lungenentzündung einstellte, die sein Leben auf das höchste gefährdete. Von der ersten Stunde der Er­krankung ihres Gatten an verließ Bianca auch nicht für Augenblicke das Zimmer; sie war die liebevollste und beste Pflegerin, die sich nur denken ließ.

Du machst mir selbst das Sterben leicht, Bianca", sagte der Lord, während der Todesschweiß schon auf sei­ner Stirn Perlte.Wir waren nicht lange vereint, aber du hast mich sehr, sehr glücklich gemacht."

Mau brachte ihm seine kleine Tochter, er nahm sie in die Arme und, das Haupt an die Schulter Biancas ge­lehnt, hauchte er seinen letzten Seufzer aus.

Der plötzliche, so vollständig unerwartete Tod des allge­mein beliebten Mannes verfehlte nicht, allerorts großes Aufsehen hervorzurufen: man vermochte im ersten Augen­blick kaum, daran zu glauben. Bianca war auf das tiefste erschüttert, ihr dünkte es, sie werde die Last des Lebens gar nicht mehr ertragen können, sie vermochte es nicht zu fassen, warum der Gatte, der ihr stets so stützend und betreuend zur Seite gestanden, nun mit einem Male von ihr genommen sei.

Mit tränenfeuchten Augen stand sie an seiner Leiche: war dies tatsächlich der Mann, der sie so heiß geliebt? Wo war sein zärtliches Lächeln, wo der strahlende Mick feiner Augen, wenn sie auf ihr hafteten? Das rätselhafte Geheimnis des Todes erfüllte sie mit Angst und Staunen; sie hatte den Tod noch nie kommen sehen, er war ihr bis nun ein unfaßbarer Begriff; sie beugte sich nieder, um die Erstarrten Lippen zu küssen.

Ich war dir treu du Guter, in Gedanken, Worten und Werken", sagte sie sich.

Tie Beisetzung des Grasen Risworth wurde mit allem Pomp begangen und aller Herzen empfanden die wärmste Teilnahme für die schöne junge Witwe.

Der Freiherr empfand den Tod seines bewährten Freundes auf das lebhafteste.

Wer hätte je gedacht, daß ich ihn überlebe", sagte er sich. Ach, er wußte ja nur zu gut, daß ohne die Großmut des Verblichenen der Kummer längst sein Herz gebrochen haben würde.

In der alten Familiengruft der Grafen Risworth wurde er zur ewigen Ruhe gebettet. Als das Testament verlesen wurde, stellte es sich heraus, daß er in der groß­mütigsten Weise für Frau und Tochter Sorge getragen hat nur Deeping Hurst mit seinen Einkünften ging an den Nesfen des Verblichenen, Walter Irving, den jetzigen ^ Grafen Risworth, über, der in Indien eine Stelle bei der Regierung bekleidete. Es mußte mindestens ein Jahr vergehen, ehe dieser kommen konnte, um von seinem Erb­teil Besitz zu ergreifen, und so schrieb er an Lady Ris­worth, es als persönliche Gunst sich erbittend, daß sie doch wenigstens bis zu dem Zeitpunkt feiner Rückkehr in Dee­ping Hurst verbleiben möge.

Sie dankte ihm für diese zarte Rücksichtnahme, die sie als Wohltat empfand. Nicht leidenschaftsvolle Liebe , hatte sie für den Gatten gehegt, nur Verehrung und Herz- I liche Zuneigung, aber sie beklagte seinen Tod aus vollem, warmem Herzen; sie wußte, daß sie an ihm ihren treuesten ! Freund verloren hatte. Die ersten drei Monate nach dem Tode des Gatten verbrachte Bianca in strengster Zurück­gezogenheit, nur ihrem Kinde lebend.

Krankheit und Tod hatte Lola de Ferras einigermaßen in Schranken gehalten, sie kam jetzt niemals nach Deeping Hurst, denn nur vom Tode reden zu hören, war ihr ent- setzlich; sie schrieb zeitweise an Lady Risworth, unterließ es dann auch niemals zu erwähnen, daß sie Nachricht von Sir Karl erhalten habe; doch die junge Witwe zu besuchen, das kam ihr nicht in den Sinn. Erst als das Auto aus Deeping Hurst wieder zeitweise in dem benachbarten Städtchen sichtbar wurde, wagte sie cs, ihren ersten Besuch Lei Bianca abzustatten.

Bianca freute sich dessen, sie war jung und ihre selbst- gewählte, vollständige Vereinsamung hatte begonnen, auf ihr zu lasten; es war wohltuend, ein altbekanntes Gesicht zu sehen, zeitweise fröhliches Lachen zu vernehmen, s Kaum weilte Lola einige Augenblicke im Schlosse, als ^die junge Mutter sie auch schon aufforderte, nach der Kinderstube zu gehen, um Käthe zu besuchen, und Lolas -erste Bemerkung war:

Wie schade, daß es kein Knabe ist!"

Weshalb?" fragte Lady Risworth verletzt;läßt sich denn reizenderes denken, als mein süßes Mädchen?"

Nein, aber ein Knabe würde auch das Majorat geerbt haben und du wärest niemals genötigt, Deeping Hurst zu verlassen."

Mir ist mein Kind lieber, als aller mögliche Reich­tum", rief Bianca, das Kind leidenschaftlich in die Arme schließend. Lola lachte.

Gemütsempfindelei ist reizend, doch ein bedeutendes Einkommen dünkt mir angenehmer. Bianca, denkst du jemals an die Zukunft? Es ist doch ein sonderbares Ge- schick, so glänzend geheiratet zu haben, nur um den Gatten rasch zu verlieren. Der beste Teil deines Lebens liegt noch vor dir; sag«, denkst du jemals an die Zukunft?"

Ich habe noch nicht daran gedacht, ich befaßte mich bis jetzt nur mit meinem Verlust, meinem Schmerz und dem Kinde; es erübrigte mir weder Zeit noch Stimmung zu anderen Gedanken."

Lola aber wiederholte, indem sie die Jugendfreundin unverwandt anblickte:

Der beste Teil deines Lebens liegt noch vor dir, du hist iuna. sckün. reich, du Last all» Vorteile deiner Stellung.

ckm L». »pr« I». H».

SSt, r»krs»k>»«5«. Lltttl. klirr«. 0d«r« Ullä v»t»r» A»imwi>i>»t«kl»»rs. LolirUilxrvvriedlll». I«ilk!«»»o S. Voll- ' taxsiodul» n« S M nm- d>> Mr «d<k

8tuttx»rt, Z7,1.

vis !oK»U«ttr. S»r Statte»rt«r k»ukwtiml»«>i»» krrlirdml»

k. rspk'Leks» Inrtitut x»,-««-, m

ohne deren Lasten kennen, du besitzest ein einziges Kind. Deine Zukunft liegt in deiner Hand und sie kann noch glänzender sich gestalten, als die Bergangenkyst es ge­wesen."

2. Kapitel.

Entweder oder.

Vierzehn Monate waren vergangen, seit der Gebieter von Deeping Hurst im kühlen Erdengrabe ruhte. Ein sonnenheller Tag war es, als Lady Risworth in Be­gleitung Käthes und der Wärterin zu ihrem Lieblingsplatz im Parke ging. Der Freiherr Pflegte seine Tochter dort oftmals zu besuchen, sie las ihm die Zeitungen vor, wäh­rend die kleine Käthe zu seinen Füßen spielte, heute aber war es nicht er, der bei der Tochter weilte, sondern Lola de Ferras; sie habe schlecht geschlafen, sagte sie und sei herübergeritten, da die Luft in Deeping Hurst ihr wohltue.

Lädy Risworth freute sich, sie zu sehen; während der letzten Monate waren sie bessere Freundinnen geworden, als je zuvor. Bianca war so sanft und liebenswürdig, daß selbst Lola es nicht über das Herz brachte, sie nicht zu mögen; ja sie fing sogar an, zu vergessen, daß sie jemals Rivalinnen gewesen; Lady Risworths Freundschaft bot ihr überdies manchen Vorteil, sie traf dort die auserlesenste Gesellschaft, die sich in Beaulieu nicht einfand, da Ma- dame de Ferras mit ihren beschränkten Mitteln nicht in der Lage gewesen wäre, diese gastlich zu empfangen. So kam es, daß die lebhafte junge Französin ein häufiger Gast in Deeping Hurst war. Heute sah sie ernster aus als sonst und beobachtete Bianca mit außergewöhnlicher Schärfe.

Wie schön doch diese alten Eichen sind; es wird dir schwer fallen, diesen prächtigen Besitz verlassen zu müssen," bemerkte sie träumerisch.

Ja," entgegnete Bianca,und nach allem zu urteilen, was uh höre, dürfte ich nicht allzulange mehr bleiben können; Lord Risworth, der neue Besitzer, soll zu Ende des Jahres heimkehren."

Ich begreife nicht, wie es dir nur möglich ist, den Namen jenes Mannes zu nennen, ich an deiner Stelle wäre es nicht imstande."

Weshalb nicht?" lächelte Bianca, die sich im Laufe oer Jahre an die halb oberflächliche, halb leidenschaftliche Art und Weise der Freundin gewöhnt hatte.

Denke nur, was er dir nehmen wird."

Es war niemals mein und gehört jetzt ihm von Rechts wegen, weshalb sollte es mich da verdrießen können?"

Ich weiß, daß ich meinen Groll nicht beherrschen könnte, ich würde ihn entweder hassen oder ihn heiraten."

Es ist nicht gar so leicht, jemand zu heiraten."

Tie Worte waren oberflächlich, nur so in den Tag hin­eingesprochen, ohne besondere Deutung; Lola aber wurde dunkelrot, als sie dieselben vernahm. Sie wußte ja nur zu gut, daß man nicht immer gerade jenen heiraten konnte, den man gern wollte.

Lola blickte die Freundin sinnend an.

Bianca, warum heiratest du ihn nicht selbst, du brauchtest dann nichts zu verlieren."

Lady Risworth sah überrascht auf.

Ich? Nein, Lola, nichts auf Erden könnte mich dazu bewegen, mich ihm zu vermählen. Mir ist der Gedanke an eine solche Verbindung geradezu unfaßlich."

Lola seufzte, sie hätte sich viel sicherer gefühlt, wenn sie hätte annehmen dürfen, daß Bianca dem Verwandten ihres Gatten zu ehelichem Bunde die Hand reichen würde, doch sie sah ein, daß auf diesem Wege nichts zu erreichen sei und änderte klug ihren Feldzugsplan.

Ich scherzte ja nur," sprach sie leichthin,es wäre auch gar nicht schön, wenn du zum zweiten Male eine der besten Partien der Umgegend dir aneignen wolltest, Lady Fielden würde dirs nimmer verzeihen."

Nun, ich kann mit vollster Gemütsruhe versichern, daß ich mir solches Unrecht nie zu Schulden kommen lassen werde."

Lola war emsig beschäftigt, eine Rose zu entblättern, sie blickte nicht empor, doch ihre Wangen färbte plötzlich tiefes Rot.

Ich für meine Person finde eine zweite Heirat stets unrecht," sprach sie, ohne Bianca dabei anzusehen.Ich finde, daß der überlebende Teil durch eine Wiederver­mählung wenig Pietät für die oder den Dahingeschiedenen an den Tag legt."

Ich bin nicht deiner Meinung, Lola; begräbt man in dem Gatten den Jugendgeliebten, an dem man mit jeder Faser des Seins gehangen, so kann allerdings eine zweite Ehe nur aus Convenienz geschlossen werden oder eine auf Freundschaft m nd Hochachtung basierte Verbindung sein, aber nicht nur entschuldbar, sondern sogar begreiflich ist auch diese. Mir dünkt, es gäbe viele Fälle, in denen eine Wiedervermählung natürlich und sogar geboten sei."

Möglich, ich aber möchte nimmer die zweite Frau sein, ich möchte keinen Witwer heiraten," rief Lola leb­haft.Und du, Bianca," fuhr sie erregt fort,du, die du dein Kind hast, um es zu lieben und von ihm wieder ge- liebt zu werden, würdest du den Gedanken an eine Wieder­vermählung jemals zu erfassen imstande sein?"

Weiß ichs? Ich habe niemals auch nur flüchtig daran gedacht. Du vergißt, wenn du in deiner Weise zu mir sprichst, wie neu mir mein Verlust noch ist."

Wäre ich an deiner Stelle, ich würde niemals heiraten; du hast alles, weswegen die Menschen heiraten, Rang und Reichtum."

Ist das alles, vergißt du der Liebe ganz?"

- ^be geheiratet und nach deiner

eigenen Theorie kann man das nicht zweimal tun."

Lady Niswortb iand kein Wort der Entgegnung.

(Fortsetzung folgt.)

«mpli«Üt »«1a»

- Mu,tr,«,i-r b» v,n<t .

Politische klundschau

Die 49. Tagung des Völkerbundsrats wurde am letzten Samstag geschlossen. Sie hat nicht lange gedauert. Chamberlain und Briand hatten Eile. Sie hatten wahr­scheinlich Wichtigeres zu tun, als in Genf allerlei kleinere Sachen zu registrieren. Die Hauptsache ist, daß man sich wieder einmal gesehen und gesprochen hat. Das ist sicher­lich vorteilhafter, als der schriftliche Verkehr von Botschaft zu Botschaft. Und so scheinen die Genfer Ratstagungen sich nach und nach zu einer politischen Börse auszuwachsen, auf der die europäischen Diplomaten die außenpolitischen Kurse für die nächsten Monate festlegen.

Am besten abgeschnitten hat Ungarn. Gleich zu An­fang der Tagung sah der arme Sünder auf der Anklage­bank. DieKleine Entente", Ungarns böse Nachbarin, be­zichtigte ihn des Waffenschmuggels, d. h. der verbotenen Einfuhr von Maschinengewehren. Eine Sendung wurde im Szent Gotthard beschlagnahmt. Es fehlte der Frachtbrief. Niemand wollte wissen, woher die Gewehre kamen und für wen sie bestimmt waren. Und so schrie die Kleine Entente nachInvestigation", nach einer außer­ordentlicher Militärkontrolle durch den Völkerbund. In Paris hörte man das Echo gerne. Aber wie es drauf und dran kam, hat auch Briand nachgegeben. Der Rat beschloß, keine Investigation vornehmen zu lassen. Ein Dreieraus­schuß solle der Sache nachforschen, bis die 50. Tagung im Juni dazu Stellung nehmen werde.

Das war Graf Apponyis, des ungarischen Mi­nisters, Verdienst. Ebenso auch der glückliche Ausgang des ungarifch-rumänischenOptantenstreits, d. h. er ist nichtaus", sondern wurde, wie es nun einmal zum guten Ton in Genf gehört, auf das nächstemal vertagt. Es handelt sich um eine angemessene Entschädigung der ungarischen Grundbesitzer, die Rumäniens Staub von ihren Füßen geschüttelt hatten. Ungarn und Rumänien streiten sich darüber nun volle fünf (!) Jahre vor dem Völkerbund. Ietz tsoll ein Schiedsgericht aus 5 Köpfen, von denen 3 neu­tralen Mächten angehören, einen endgültigen Vorschlag machen. Ungarn ist damit einverstanden, Rumänien nicht. Hoffentlich kommt's endlich zu einem Schluß in dieser nach­gerade langweilig werdenden Sache. Andernfalls riskiert der Völkerbund, wie Dr. Stresemann in Genf meinte, seine Bankerotterklärung.

Wir Deutsche waren diesmal nur insofern unmittelbar bei den Ratsbeschlüssen beteiligt, als in die Regierungs­kommission des Saargebiets an Stelle des ausgespro­chen deutschfeindlichen Belgaers Lambert der Finnländer Ehrenrott, von dem eine unparteiische Haltung erwar­tet wird, gewählt wurde. In Paris hat man natürlich we­niger Freude an diesem Personalwechsel.

Der Afghanenkönig Aman Ullah hat nun den deut­schen Boden verlassen. An Ehren und Geschenken hat man es nicht fehlen lassen. Jetzt sieht er sich London an. Als Nachbar von Indien wurde er stark mit britischem Miß­trauen beehrt. Vielleicht wird das in Zukunft besser. Da­gegen macht ein anderer westasiatischer Despot den Eng­ländern um so mehr Sorge: Jbn Saud, der Herrscher Arabiens, ehemals Emir der Wayabiten in Nedj, jetzt König von Hedschas, allwo Mekka und Medina, die heiligen Stätten des Islam, liegen. Jbn Saud klopft heute unsanft an den Pforten seiner beiden Nachbarn, des Königs Abdallah von Transjordanien und Königs Fisal vom Irak, den beiden getreuen Falallen Englands. Er will, wie er versichert, keinen Krieg gegen England führen. Aber wie oft schlägt man den Esel und meint dabei den Treiber. Und so ist es gar nicht unmöglich, daß der ebenso kluge wie kriegstüchtige Wüstenfohn auch dem großen Briten den Fehdehandschuh vor die Füße wirft. Freilich, leicht wird er es nicht haben. Denn auch die tollkühnste Tapferheit kann nicht gegen Tanks und Flieger aufkommen.

Ja, diese britische Weltmacht! Sie hat heute ihre schwe­ren Sorgen. Die Aegypter wollen absolut nicht mehr parieren. England bietet dem uralten 300-Msilionen-Kultur- volk eine neue Verfassung an. Aber sie wollen sie nicht aus den Händen der S i m o n - K o m m i s s i o n, einer von Lon­don entsandten, nur aus Engländern zusammengesetzten Studienkommission, annehmen. Indien strebt nach größerer Selbständigkeit. Warum soll es hinter Kanada und Austra­lien und Südafrika stehen? Die haben es zuDominions" mit selbständiger Gesetzgebung und Verwaltung gebracht. Was dem einen recht ist, das ist dem andern billig. Aber England weiß, daß Indien keine Nation, sondern ein Sam­melbecken verschiedener Sprachen, Völker und Religionen ist, die einander in den Haaren liegen. Und wo sich zwei zanken, da freut sich der Dritte und herrscht.

In Polen wurde am letzten Samstag nun auch in den Senat gewählt. Auch hiebei hat Pisudski, Polens allmächtiger Diktator, gut abgeschnitten. Seine Partei ist nun in beiden gesetzgebenden Körperschaften die stärkste, wenn auch nicht mit absoluter Mehrheit. Daß der Erfolg zu einem guten Teil auf das Konto des amtlichen Hochdrucks zu setzen ist, wird niemand bestreiten. Der Deutschenhaß steht in Polen immer noch hoch im Kurs. Und doch möchten beide Teile, daß der schon so lange dauernde Zollkrieg ein Ende nähme. Das ist allerdings keine so einfache Sache. Denn erstens wollen die Polen den Deutschen die Nieder­lassung möglichst erschweren. Zweitens wollen die Ost­preußen und Pommern, deren Landwirtschaft mit den größten Sorgen ringt, ihren Wettbewerb mit den polnischen Kartoffeln und Schweinen gesichert wissen. Ueberhaupt ruft allüberall in den deutschen Gauen der Bauer nach Hilfe: nach billigerem Kredit, nach besserem Absatz seiner Erzeug­nisse, nach Verbilligung seiner Produktionsmittel, nach wirk­samem Zollfchutz u. a. Den mächtigen Kundgebungen in Berlin, Mecklenburg, Stuttgart sind am letzten Sonntag solche in Bayern, Hohenzollern, Schlesien, in Thüringen und in der Provinz Brandenburg erfolgt. Solche elementaren Ausbrüche eines notleidenden Standes sind keinekünstliche Mache", sondern blutige Wahrheit. Im Bauernstand liegt die Wurzel unserer Volkskraft. Wehe uns allen, wenn die Wurzel abstirbt

Den Haushaltsausschuß beschäftigte eine böse Sache: die Phöbus-Angelegenheit. Der Hauptschuldige ist Kapitän Lohmann, aber nicht der einzige, der gefehlt hat. Seine Schuld ist, nicht etwa sträfliche Profitsucht für seinen Geldbeutel, sondern eine unverantwortliche Eigen­mächtigkeit, die mit untauglichen Mitteln vaterländische Zwecke sichern wollte. Im Nachtragshaushalt für das Jahr 1927 werden zur Abwicklung der Phöbusgeschäfte insgesamt 7 Millionen erbeten, trotzdem zu erhoffen steht, daß der Schaden unter diesem Betrage bleibt. Aber auch so ein höchst bedauerliches Vorkommnis. V^. tck.