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63. Jahrgang

Montag de» 19. März

Fernruf 17V

Nummer 66

Fernruf 17S

ragessyiegel

Line politische Betrachtung

Wer in der Beurteilung öffentlicher Angelegenheiten nicht objektiv zu sein vermag, weil eigene Interessen von ihm damit verbunden sind, sollte sich aus Gewissenspflicht von ihrer Mitgestaltung fernhalten. Leider aber erleben wir, daß das bei uns nicht geschieht. Viele Mitge­stalter unserer staatlichen, kommunalen und überhaupt öffentlichen Angelegenheiten sind in ihrer Person nicht frei vom Interesse an dem Wie und Was der zu treffenden Entscheidungen. Solcher Zustand, von dem die Erkenntnis von Tag zu Tag in weitere Kreise eindringt, beginnt eine Unlust zur Mitarbeit am Ordnen unseres gesellschaftlichen Nebeneinanderlebens zu erzeugen und ein Mißtrauen gegen die Regelung und Verwaltung der öffentlichen Angelegen­heiten zu verbreiten, die zur Abwendung wertvollster Schichten unseres Volkes, nicht zuletzt auch bei der großen Masse der handarbeitenden Bevölkerung, von der Teil­nahme an allem Politischen zu führen drohen. Wer sich um- hört, stößt immer wieder aus die resignierende Aeußerung: An die Stelle von Politikern und Staatsmännern sind bei uns Funktionäre getreten." Aus Erbitterung übertrieben, bezeugt doch diese Aeußerung eine schon tief wurzelnde Un­zufriedenheit, aber auch einen Mangel an Achtung vor un­seren öffentlichen Gewalten.

Wie konnte es dahin kommen, zumal in einem Gemein­wesen wie das Reich, das der Bevölkerung die weitest­gehende Gelegenheit zur Mitbestimmung geben wollte? Nicht etwa nur die Krise, die sich in die jetzige Staatsform nicht hineinfinden können oder wollen, ziehen sich in resig­nierender Bitterkeit zurück, vielmehr auch in den Kreisen überzeugten Republikanertums stößt man auf jene Aeuße­rung mangelnden Vertrauens. Welches sind die Ursachen? Die Grundursache wurzelt in dem Glauben, daß Macht­haber bei uns einen zu großen Einfluß haben, deren Ent­schließungen und Handlungen nicht rein objektives Betrach­ten der Dinge zugrunde liegt, sondern ebenso sehr Zweck­mäßigkeitserwägung mit Bedacht auf die eigene Person oder auf die Partei. Den Nährboden für diesen Glauben bildet einerseits das Hinschwinden jeglicher persönlichen Beziehung zu den nach Parteilisten gewählten Abgeord­neten, andererseits das Erkennen eines Zustandes über­wiegender Rücksichtnahme auf Wählermassen, die, in großer Zahl berufsmäßig vereinigt, als Mittel zur Macht­gewinnung und Machterhaltung gebraucht werden. Das erweckt den Eindruck von M angel an Unparteilich­keit und untergräbt das Ansehen der auf solche Weise zur Macht Gelangten. Diese sollten sich nicht darüber täuschen, daß selbst in den Kreisen, auf welche sie sich stützen, die Achtung vor ihnen im Schwinden ist, weil das Empfinden sich festsetzt, man werde als Mittel auch selbstsüchtiger Zwecke benutzt, und es werde in bald nicht mehr erträg­licher Weise mit der Wahrheit Mißbrauch getrieben in der schon fast unverhüllten Absicht, Zufriedenheit nickt aufkom- men zu lassen, die vielen den Boden erlangter Stellungen entwgen.

Weite Kreise ferner sind angewidert von dem Par­teiengezänk und empfinden es als einen Mißbrauch anoertrauten, aus Volksmitteln bezahlten Amtes oder Man­dats, daß ein großer Teil zur Arbeit verpflichtenden Zeit vergeudet wird auf die Austragung parteipolitischer Eitel­keit von Parteigrößen, die zwar mit Redegewandtheit, aber mit sonst keinen erkennbaren Vorzügen ausgestattet sind.

Viele andere, und diese gehören zu den wertvollsten Gliedern unseres Volkes, deren freudiges Mitarbeiten am wenigsten entbehrlich ist, ficklen sich dadurch abgestoßen, daß die Behandlung des rein Materiellen zu einem Grade in den Vordergrund gerückt ist, wie man es früher nicht kannte. Sie erblicken darin einen Raub an idealen Volks­gütern, die nicht minder lebensnotwendig sind als Brot, und deren Vernachlässigung weiten Kreisen unseres Volkes das Köstlichste nimmt oder vorenthält, innere Zufrieden­heit und das Mittel eigener Erziehung zum Heranbilden eines auch ethisch hochstehenden Volkstums. Dieser Bor­wurf ausschließlicher Hervorkehrung des Materiellen bei den breiten Schichten unseres Volkes ist die schwerste Anklage gegen die Bildner einer neuen Gesellschaftsordnung bei uns. .

Groß ist ferner, zumal in jüngster Zeit, die Zahl derer geworden, die in der Allmacht der Parlamente und damit in einem übergroßen Einflüsse ihrer Mitglieder, der Ab­geordneten, in ständig zunehmendem Maße die Gefahr eines Uebergreisens von der Legislative, die ihr einziges, ganz ausschließliches Betätigungsfeld bilden sollte, auch auf die Exekutive sehen. Die Politisierung der die Gesetzes- anwendung besorgenden Behörden begründet deren per­sonelle Abhängigkeit von der Gunst und Ungunst der Par­teien, selbst schon einzelner Parteiangehöriger. Das aber muß schließlich zur Untergrabung des Pertrauens zur Ob­jektivität der staatlichen Organe führen.

Andere, die infolge Uebung im politischen Denken schon tiefer in die Dinge einzudringen vermögen, können sich nicht damit abfinden, daß, obwohl unter der demokratisch­sten Verfassung lebend, In der Hand eines Partei»

Großadmiral von Tirpih hat dem Vorsitzenden der Deutschnationialen Volksparlei mitgekeilt, daß er bei den nächsten Reichskagswahlen nicht wieder zu kandidieren ge­denke.

Der Führer der zurzeit in Berlin weilenden russischen Handelsabordnung, Schleifer, ist nach Moskau berufen worden.

Der Sowjetbokschafler Kreskinski in Berlin hat in Mos­kau telegrahisch um die Erlaubnis nachgesucht» persönlich über >en ungünstigen Eindruck der Verhaftung der deutschen 3n- zenieure zu berichten.

In der italienischen Kammer wurde gestern der Geseh- mkwurf über die Wahlreform mit 216 gegen 15 Stimmen angenommen.

sührers eine Macht liegt wie größer bei keinem Monar­chen der neueren deutschen Geschichte. Dieser Parteiführer, der in der Reichstagsfraktion seiner Partei eine ganz über­ragende Stellung einzunehmen scheint, ist doch in Wirk­lichkeit bestimmend bei der Bildung unserer Regierungen, da ohne seinen Willen keine Regierung im Reiche gebildet werden kann. Darin liegt die Gefahr, daß parteipolitische Zweckmäßigkeitserwägung die Ueberhand gewinnt gegen­über rein objektiver Abwägung der Mesamtvolksinteressen.

Wann ist ein Wandel in diesen Zuständen erhoffbar? Man wäre Illusionist, wollte man auf Aenderung in naher Zeit rechnen. Alles Unvollkommene jedoch wirtschaftet einmal von selbst ab, dann nämlich, wenn auch die mit ihrer Weisheit am Ende sind, die aus dem Unvollkommenen für sich Nutzen ziehen. Diese sehen jetzt ihre Aufgabe darin, zum vermeintlichen Vorteil gewisser Volksschichten, denen sie sich tributpflichtig fühlen, weil sie in ihren Stellungen von ihnen abhängen, die Quellen der Ernährung aller zu verstopfen. Sie merken noch nicht oder wollen noch nicht merken, daß sie durch die Gefährdung des Bestandes unserer Wirtschaft, deren durch sie mitver­schuldetes Kranksein sie in oft unverantwortlicher Verken­nung bereits offenkundiger Tatsachen nicht sehen wollen, selbst den Ast absägen, auf dem sie noch sitzen. Ein Wandel wird erst, wenn nicht ein außergewöhnlicher Vorgang ihn herbeiführt, eintreten, nachdem auch die große Masse derer die Unzulänglichkeiten am eigenen Leibe als solche erkannt und verspürt haben werden, die heute aus Unverstand noch glauben, sie brächten ihnen Vorteile, die von Dauer sein könnten. Dann werden sie die jetzt noch als ihre vermeint­lichen Wohltäter Gepriesenen als das erkennen, was sie sind, nämlich schlechte Hüter des ihnen anvertrauten Pfundes.

Neueste Nachrichten

Dr Russenkonflikt vor dem Auswärtigen Ausschuß

Berlin, 17. März. Der Auswärtige Ausschuß des Reichstages ist heute vormittag zusammengetreten. Reichs­außenminister Dr. Stresemann nahm hierbei Gelegenheit, dem Ausschuß ein Bild der gegenwärtigen außenpolitischen Lage zu geben. Dr. Stresemann ging von den Verhand­lungen in Genf aus. Hieran schloß sich eine Aussprache über den Konflikt mit Rußland. Diese Aus­sprache wurde jedoch nach kurzer Zeit vertagt, da die deutsche Regierung zunächst einmal die russische Antwort auf die deutschen Vorstellungen abwarten will. Irgend­welche Kundgebungen des Auswärtigen Ausschusses, die zur Verschärfung der Angelegenheit beitragen könnten, sollen vermieden werden. Wie wir jedoch hören, hat die bisherige Haltung der Reichsregierung in dem Konflikt die einmütige Zustimmung der Ausschußmitglieder ge­funden.

Tschikscherin lehnt den deutschen Einspruch ab

kowno, 17. März. Wie amtlich aus Moskau gemeldet wird, hatte Außenminister Tschitscherin gestern abend mit dem deutschen Botschafter Graf- Brockdorss-Rantzau eine Unterredung über den Abbruch der deutsch-russischen Wirt- schaftsverhandlungen. Tschitscherin Habe darauf hingewiesen, daß die Anregung, Verhandlungen mit dem Ziele einer weiteren Förderung der Handelsbeziehungen und einer Steigerung des Warenaustausches aufzunehmen, von der deutschen Regierung im November vorigen Jahres vor Eintritt der deutschen Regierungskrise erfolgt sei. Die Sowjetregierung sei auf diesen Vorschlag eingegangen. Die Regierungskrise in Deutschland, die mit den Handelsver­tragsverhandlungen zusammengefallen sei, habe anscheinend die Möglichkeit einer weiteren Förderung der Perhand­lungen verhindert. Diese Tatsache sei auch von der deut­schen Presse während der Verhandlungen hervorgehoben worden. Jetzt habe Deutschland die Verhaftung einiger deutscher Ingenieure, die beschuldigt würden, an der wirtschaftlichen Gegenrevolution teilgenommen zu haben, dazu benutzt, die Berliner Verhandlungen abm- brechen. Damit habe Deutschland die Verantwortung für die Folgen des Abbruches übernommen. Daß die Verhaf­

tung einiger deutscher Ingenieure nicht als Grund für den Abbruch der Verhandlungen dienen könne, sei selbstver­ständlich.(!) Alle Versuche, einen Druck auf die sowjet­russischen Gerichte auszuüben, seien von vornherein zum Mißerfolg verurteilt.

Freilassung des Oberingenieurs Goldstein

Berlin. 17. März. Der Oberingenieur der A-E-G, Gold­stein, hat in einem Telegramm mitgeteilt, daß er von den Sowjekbehörden freigelassen worden ist. In Berliner poli­tischen Kreisen wird die Freilassung Goldsieins naturgemäß begrüßt. Es verlautet aber, daß die durch die Verhaftung herbeigeführte politische Situation dadurch keineswegs eine grundlegende Aenderung erfahren habe. Die Forderungen, die der'Reichsaußenminister dem hiesigen Sowjetbotschafker und die der deutsche Botschafter in Moskau der Sorojek- regierung unterbreitet hat, werden weiter aufrecht erhalten und bilden nach Ansicht von unterrichteten politischen Kreisen die einzige Möglichkeit für einen befriedigenden Ausgleich.

Die deutschen Wirtschaftsorganisationen erheben Einspruch

Berlin» 17. März. Eine vom Reichsverband der Deut­schen Industrie einberufene Versammlung, an der die Ver­treter der führenden Wirtschaftsorganisationen teilnahmen, faßten zur Verhaftung der deutschen Ingenieure in Ruß­land einmütig eine Entschließung, in der es heißt: Die Ver­treter der deutschen Wirtschaft erheben nachdrücklich Pro­test dagegen, daß bewährte Personen, die im Interesse der russischen Wirtschaft tätig sind, unter Vorenthaltung von Gründen ihrer Freiheit beraubt und in Kerkerhaft genom­men werden. Sie bitten die Reichsregierung, die sofortige Freilassung der Verhafteten zu erwirken und den betroffe­nen Personen Genugtuung zu verschaffen.

Die Vefoldungsvorlage im Finanzausschuß

Stuttgart, 17. März. Bei der Abstimmung über Gr. 4 a der Besoldungsordnung wird der Antrag des BB. mit 7 nein gegen 5 ja (VB. und Komm.) abgelehnt. Angenommen wird ein Antrag Scheef (Dem.), die Amtsbezeichnung Oberamtmann" (statt Landrat) wieder herzustellen. Alle sonstigen Anträge werden teils zurückgezogen, teils abge­lehnt, so daß es bei der Fassung der Vorlage bleibt. Gr. 3 sieht Grundgehälter von 6000 bis 9000 Mark vor. In der Reichsbesoldungsordnung ist diese Gruppe nicht ent­halten. Es sollen in sie jene Stellen der alten Gr. 12 her­untergestuft werden, die den anderen Spitzenstellen der alten Gruppen an Bedeutung nicht gleichkommen. Der Antrag des BB., im Tarif die Endzahl 9000 zu streichen und also mit 8600 Mark zu endigen, wird mit 8 ja (3 BB., 2 Soz.,

2 Komm., 1 Dem.) gegen 6 nein bei einer Stimmverwei­gerung angenommen. Mit 7 ja gegen 6 nein wird nach einem Antrag Roos beschlossen, den Vorstand der Hauptbücherei der Technischen Hochschule in die Gr. 3 zu überführen, die im übrigen nach der Vorlage unter Ableh­nung einiger Anträge der Abg. Hartmann (DVp.) und Dingler (BB.) genehmigt wird.

Die Gr. 2 (7000 bis 9700 Mark) entspricht der Gr. 2 - der Reichsbesoldungsordnung und umfaßt im wesentlichen die Beamten der alten Gr. 12. Auch hier wird der Antrag Dingler (VB.) auf Senkung des Tarifs von 9700 au, 9300 mit dem oben bei Gr. 3 angeführten Stimmenverhält­nis angenommen. Auf Antrag des Berichterstatters Bock (Ztr.) wird die Gewährung von ruhegehaltsfähigen Zulagen auf den Vertreter des Landgerichtspräsidenten in Stuttgart, sowie auf den Vorsitzenden des Landesarbeits­gerichts in Stuttgart ausgedehnt.

Man geht über zur Beratung der festen Gehälter. Die Gehälter der Gr. 6 3 (Ministerialdirektoren, Gesandter in Berlin, Staatsräte usw.) will ein Antrag Winker von 18 000 auf 15 000 Mark, ein Antrag Dingler auf 16 000 Mark her­absetzen; der letzte Antrag wird angenommen, der erste ab­gelehnt. Besoldungsgruppe 8 3 (Generalstaatsanwalt, Ge­sandter in München, Präsidenten usw.) wird nach dem An­trag Dingler (BB.) von 14 000 auf 13 000 Mark gekürzt. Die Gruppe L enthält die Besoldungssätze der Hochschullehrer und wird ohne Aussprache nach der Porlage genehmigt. An­lage 1 zur Besoldungsordnung (Wohnungsgeldzuschuß) wird ohne Aussprache angenommen; Anlage 3 (Dienstbezüge der Veamtenanwärter) wird im Zusammenhang mit dem Beamtengesetz erledigt werden. Damit ist die erste Lesung der Besoldungsvorlage erledigt. Nächste Sitzung am Diens­tag, 20. März, nachm. 3 Uhr. ^

Graf Dernstorffs Erklärungen vor dem Abrüstung»- H ausschuß

Genf, 17. März. Der vorbereitende Abrüstungsaus­schuß hat gestern nachmittag die Aussprache über das Er­gebnis der Arbeiten des Sicherheitskomitees begonnen und abgeschlossen. Außer dem Berichterstatter Politis ergriffen nur die Führer der sowjetrussischen, der französischen und der deutschen Delegation das Wort. Eine Beschlußfassung wurde für eine spätere Sitzung zurückgestellt. Graf Bernstorff als letzter Diskussionsredner betonte zunächst die Verständigungsbereitschaft, die im Sicherheitskomitee ge­herrscht habe und di'e er als ein gutes Anzeichen für die Arbeiten des Abrüstungsausschusses'aussasse. Die deutsche

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