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Nummer 252
Fernruf 17S
Freitag, den 28. Oktober 1S27
Fernruf 179
62. Jahrgang
Der Untergang der „Mafalda"
Die Berichte über den Untergang des italienischen Dampfers „Principessa Mafalda" laufen spärlich und widersprechend ein. Mit Vorbehalt kann folgendes wiedergegeben werden.
Das Unglück ereignete sich am 25. Oktober abends 7 Uhr, als die Reisenden beim Abendessen versammelt waren. Der französische Dampfer «Formosa" leistete die erste Hilfe. Der französische Kapitän bestreitet, daß die Mafalda auf ein Riff gefahren sei, was von einem andern Rettungsschiff bestätigt wird. Vielmehr sei die S ch r a u b e der «Mafalda" schon seit einigen Tagen nicht mehr in Ordnung gewesen, es war daher schon einige Tage überfällig. Schließlich sei die Schraubenwelle gebrochen, wobei der Schiffsrumpf leck wurde. Das eindringende Wasser habe eine Keffelexplosion herbeigeführt. Die Besatzung des Dampfers einschließlich des italienischen Kapitäns habe vollständig den Kopf verloren, so daß der französische Kapitän den Befehl über die Mafalda übernehmen mußte. Der italienische Kapitän habe die Frauen und Kinder der Zwischendecksreisenden einsperren lassen, damit zuerst die Reisenden der 1. und 2. Kajüte gerettet^werden könnten.
Um die Rettungsboote, die Schwimmgüvtel und die Schiffstrümmer, an die sich die Schiffbrüchigen klammerten, habe ein wilder Kampf stattgefunden. Das Schiff hatte 52 Reisende erster, 89 Reisende zweiter Kajüte und 827 Zwischendeckfahrer, letztere meist Auswanderer nach Argentinien. Es wird berichtet, daß die «Mafalda" zu wenig Rettungsboote gehabt habe und daß sie überhaupt nicht für Auswanderung eingerichtet gewesen sei. An der Rettung waren zehn Schiffe beteiligt.
Daß nicht alles in Ordnung war, Meint dadurch eine Bestätigung zu erhalten, daß die Nachrichten der italienischen Behörden mit denen der Rettungsschiffe nicht übereinstimmen und teilweise auch widerlegt sind. Der italienische Gesandte in Rio de Janeiro soll die brasilianische Regierung ersucht haben, die Meldungen über das Unglück unter Zensur zu stellen. Das römische Blatt „Jl Niccolo", das am Mittwoch eine Sonderausgabe über das Unglück veröffentlichte, wurde von der Sicherheitspolizei beschlagnahmt. Daß das Sinken des Schiffes auf eine Kesselexplosion zurückzuführen ist, wurde übrigens auch von den in Bahia in Rettungsbooten eingetroffenen geretteten Reisenden bestätigt.
Das Schiff war bei italienischen Gesellschaften mit 1,6 Millionen Mark versichert. Die Gesellschaften hatten sich aber in London rückversichert, so daß ein großer Teil des Verlustes englische Gesellschaften trifft. Auch die Ladung war mit einer hohen Summe versichert.
Sichere Berichte über die Zahl der Geretteten liegen noch nicht vor; nach einer Meldung aus Rom sollen nur 60 bis 70 Menfchen umgekommen sein. Die Schiffsbesatzung habe sich entgegen anderen Berichten besonnen und mutig gezeigt. Der Kapitän ließ (nach der amerikanischen „Associated Preß") das Schiff auf die nahe der Küste liegenden Abrolhos-Klippen zusteuern, während die Musikkapelle zur Beruhigung der Zwischendeckreisenden spielte. Ein Rettungsschiff fuhr so dicht an die „Mafalda" heran, daß viele Reifende sich von Deck zu Deck retten konnten. Dann begann die „Mafalda" rasch zu sinken. Boote, die von der Küste kamen, nahmen eine große Zahl der im Meer treibenden Schiffbrüchigen auf. — Mit der Fracht gingen 500 000 Maskenkoftüme der Geschwister Laccarini unter, die in Rio de Janeiro ein Kostümgeschäft besitzen und die sich selbst auf dem Unglücksschiff befanden.
Das Unglück ist eines der größten seit dem Untergang der „Titanic" im April 1912. Das Schiff war benannt nach der 1902 geborenen Prinzessin Mafalda, der Zweitältesten Tochter des Königs von Italien, die seit September 1925 mit dem Prinzen Philipp von Hessen vermählt ist. Der Dampfer war in Genua beheimatet.
Unter den Reisenden der „Mafalda" befanden sich auch einige Deutsche. Genannt werden der Verwaltungsdirektor des Zirkus Hagenbeck. Vollrath, der 26 Jahre alte Tugen Schneider aus S ch r a m b e r g, der nach Amerika auswandern wollte, der 29 Jahre alte Herr von Lucken aus Braunschweig und der 30 Jahre alte Richard Kappus aus Pforzheim. Letztere drei hatten Karten nach Argentinien. Bis jetzt ist nur die Rettung Vollraths bezeugt.
Eisenbahnunglück bei Mostar
Belgrad, 27. Oktober. Gestern abend stürzte auf der Linie Serajewo—Mostar in der Nähe der Station Bradina eine Eisenbahnbrücke ein, als ein mit zwei Maschinen bespannter Güterzug darüber fuhr. Der Zug stürzte zum Teil in den 50 Meter tiefen Abgrund. Ein Lokomotivführer und ein Bremser wurden getötet, ein Heizer schwer oerletzt. Der Sachschaden ist sehr groß. Die Brücke war aach dem amtlichen Bericht seit längerer Zeit schad- h a f t, die Ausbesserung habe aber „wegen Mangels an Gerüsten" nicht ausgesührt werden können. — Serbien ist mit der Unterdrückung der Mazedonier viel zu sehr in Anspruch genommen, als daß es Bagatellen wie Gerüstebe- lchaffung und Brückenausbesserung Aufmerksamkeit schenken konnte. ^
Tagerspiegel
Brakianu hat über Bukarest das Standrecht verhängt, das über ganz Rumänien ausgedehnt werden soll. Die Anhänger des Prinzen karol sind sehr tätig. Die Lage ist aufs äußerste gespannt. Der Führer der Bauernpartei, TUaniu. wurde unter Polizeiüberwachung gestellt, es gelang ihm aber zu entfliehen.
Reichsbankpräsidenk Schacht über die Beratungsstelle für Ausländsanleihen
Berlin, 27. Okt. Im Haushaltsausschuß des Reichstages wurde die Aussprache über die Finanz- und Wirtschaftslage fortgesetzt. Dr. Schacht wies darauf hin, daß die Beratungsstelle für die Ausländsanleihen nur ein Notbehelf und kein geeignetes Instrument sei, um alle in Betracht kommenden Fragen zu lösen. Gewiß hätten die Gemeinden in Deutschland große produktive Aufgaben, und die Reichsbank habe sick niemals einer Aufnahme von Ausländsanleihen durch die Privatwirtschaft widersetzt. Die Sperre für Ausländsanleihen sei nur gedacht, uni auszuprobieren, wie die Senkung der inländischen Zinssätze sich auswirkte. Alle Maßnahmen der Reichsbank laufen darauf hinaus, die Festigkeit der Währung unbedingt aufrecht zu erhalten. Dies werde auch gelingen, wenn die Reichsbank weiterhin unabhängig bleibe.
Das Hochverraisserfahren gegen Iustizrat Claß eingestellt
Leipzig, 27. Okt. In der Strafsache gegen Iustizrat Claß wegen «Vorbereitung zum Hochverrat" hak der vierte Strafsenat des Reichsgerichts auf Antrag des Oberreichs- anwalks beschlossen, das Haupkverfahren wegen des mangelnden Beweises nichtzueröffnen und den Angeschuldigten außer Verfolgung zu sehen. Die seinerzeit bei Claß und an anderen Stellen beschlagnahmten Schriftstücke wurden freigegeben.
Das Hochverratsverfahren gegen den Führer des Alldeutschen Verbands wurde im Zusammenhang mit der Klage des preußischen Innenministers Severing gegen die Bünde Wiking und Olympia im Mai v. st. eingeleitet und zwar mit der Anschuldigung, daß die Schaffung einer «völkischen Diktatur" vorbereitet werden soll.
Tagung des internationalen Verbandes der bei Arbeiks- unfällen Geschädigten
Brüssel, 27. Okt. Der internationale Verband der bei Arbeitsunfällen Geschädigten ist hier zu einer Tagung zusammengetreten. Es sind anwesend 6 belgische, 5 deutsche, 4 französische, 2 österreichische, 1 holländischer und 1 elfäffi- scher, von der französischen Organisator unabhängiger Delegierter, sowie ein Vertreter des internationalen Arbeitsamtes.
Englischer Gewerkschaftskonflikt
London, 27. Okt. Den Blattern zufolge hat gestern der Generalrat des Gewerkschaftskongresses beschlossen, den Feemannsverband aufzufordern, binnen 14 Tagen seine Absicht aufzugeben, die nichtpolitischen Bsrgarbeiterverbände finanziell zu unterstützen. Im Falle der Nichterfüllung dieses Verlangens werde die Ausschließung des 80 000 Mitglieder zählenden Seemannsverbands aus dem Gewerkschaftskongreß erfolgen. „Westminster Gazette" zufolge hat der Verband der Postamtsangestellten seinen Austritt aus dem Generalrat erklärt, was eine Verminderung um 200 000 Mitglieder bedeutet.
Südflawiens Wettbewerb an der Adria
Mailand, 27. Okt. Die Mailänder Blätter melden aus Fiume, die Nachricht von dem endgültigen Beschluß der Belgrader Regierung, in Suschak (dem südslawischen Teil Fiumes) ein Freihafengebiet zu errichten, habe in den italienischen Handelskreisen von Fiume tiefen Eindruck gemacht. Fiume werde schwer geschädigt, denn es verliere das Monopol gewisser Warentransporte, das es bisher besessen habe. Die südslawische Maßnahme hänge mit dem unermüdlichen Kampf zusammen, den Südslawien seit Jahren führe, um den Wettbewerb Italiens in der Adriaschiffahrt niederzuringen.
Eisenbahnzusammsnstosz. In der Nähe von Lowie, (Polen) stieß ein Güterzug mit einer Lokomotive zusammen Beide Lokomotiven wurden ezrtrümmert. 10 Wagen enk gleisten, 12 Personen, sämtlich Eisenbahner, erlitten Ver letzungen. Der schuldige Eisenbahnbeamte wurde verhaftet
Banknokenfälscher. In Warschau wurde eine Fälscher Werkstatt festgestellt, in der Fünfzloty-Noten hergestellt wurden. 10 Personen wurden verhaftet.
..Stuttgart. 27. Okt. R e ch n u n g s e r g e b n i s des "^"-Staatshaushalts "25. Nach der dem wurtt. Landtag vorgelegten Nachweisung der Rechnungs- eraebmste des Württ. Staatshaushalts vom RechnuvasiLbr
1925 (1. April 1925 bis 31. März 1926) ergab sich im Ordentlichen Dienst eine bare Mehreinnahme von 4 237 296,18 ein Mehrbetrag der Einnahmereste von 445 330,52 und demzufolge eine Mehreinnahme (Ueberschuß) von 4 Millionen 682 626,70 RM.
Aus dem würkl. Landtag. Wie die Süddeutsche Zeitung Hort, ist der württ. Abgeordnete Pfarrer Dr. Steger aus der Fraktion des Völkisch-Sozialen Blocks ausgetreten und hat sich zunächst als Gast der Fraktion von Bauernbund- Bürgerpartei angeschlossen. Die Rechtsfraktion im württ. Landtag zählt nunmehr 26 Stimmen.
Todesfall. Oekonomierat Karl Warth ist im Alter von 82 Jahren gestorben. Er stand 40 Jahre lang im Dienste der Stadt Stuttgart. Lange Jahre war er auch Vorstand des Württ. Weinbau-Vereins.
Fahrplanänderung. Infolge der Aenderung der Arbeitszeit in Böblingen und Sindelfingen erfährt der Fahrplan für die Strecken Stuttgart—Böblingen—Herrenberg und Dettenhausen—Böblingen—Renningen—Weil der Stadt, sowie die Triebwagen Böblingen—Vaihingen a. F.—Stuttgart ab Montag, den 31. Oktober, verschiedene Aenderungen, die auf den Stationen zu erfragen sind.
Gegen die preußischen kupeewagen. Bürgerpartei und Bauernbund haben im Landtag folgenden Antrag gestellt:
Der Landtag wolle beschließen: das Staatsministerium zu ersuchen bei der Verwaltung der Reichsbahn dahin wirken zu wollen, daß im württ. Eisenbahnverkehr die preußischen Kupeewagen vierter Klasse durch die Durchgangswagen altwürttembergifcher Art ersetzt werden, da die württ. Bevölkerung seit alter Zeit an diese Wagenart gewöhnt ist, wodurch sich auch eine bessere Abwicklung des Verkehrs ermöglichen läßt.
Die Arbeitsmarktlage im Arbeitsnachweisbezirk Stuttgart hat sich gegenüber der Vorwoche wenig geändert. Am 18. Oktober waren im Arbeitsnachweisbezirk Stuttgart 912 und am 25. Oktober 923 Arbeitslosenunterstützungsempfänger. In der Krisenunterstützung standen am 18. Oktober 728 und am 25 Oktober 689 Personen.
Auskunft über rvärmewirtschaftliche Fragen. Der Württ. Wärmewirtschaftsverband E.V. in Stuttgart erteilt als unparteiische, amtlich anerkannte Sachverständigenstelle für die Wärmewirtschaft des Hausbrands und des Kleingewerbes jeden Freitag 10—12 Uhr im Landesgewerbemuseum, Zimmer 106, Beratungen und Auskunft in allen wärmewirtschaftlichen Fragen, sowohl bautechnischer als auch heizungstechnischer Natur, an Behörden, Fachverbände, einzelne Gewerbetreibende und Private. Es werden aber auch schriftliche Anfragen beantwortet. Die Tätigkeit des Wärmewirtschaftsverbands ist im allgemeinen unentgeltlich: für umfangreichere Gutachten werden mäßige Gebühren erhoben.
Stuttgart, 27. Okt. Vom Landtag. Die Kleine Anfrage des Abg. Dr. Häcker betr. Erteilung von Rentenbescheiden an Unfallversicherte aus der Landwirtschaft hat das Wirtschaftsministerium wie folgt beantwortet: Die Württ. Landw. Berufsgenossen- schaften sind bemüht, die Erteilung der Rentenbescheide in der Unfallversicherung tunlichst zu beschleunigen. Ausnahmsweise Verzögerungen sind teilweise auf verspätete Anzeige des Unfalls und vielfach auf Len verspäteten Ein- >>. gang der ärztlichen Gutachten zurückzuführen. Letzterem Uebelstand versuchen die Berufsgenossenschaften nach Kräften zu begegnen. Das Wirtschastsministerium hat die Versicherungsträger auf die Wichtigkeit beschleunigter Erteilung der Rentenbescheide hingewiesen. _^
Aufhebung von 2 Polizeibereilschafken. Infolge der Verminderung der Schutzpolizei hat das Innenministerium die Schuhpolizeibereitschaft Tübingen mit Wirkung vom 1. Dezember dieses Jahres aufgelöst. Die Schuhpolizeibereikschaft Weingarken soll zu Beginn des kommenden Jahrs aufgelöst und die Polizeischulabteilung Sigmaringen nach Weingarten verlegt werden.
Vom Tage. In einem Hause der Gebelsbergerstraße erschoß sich ein 46 Jahre alter Mann mit einer Zimmerflinte.
Aus dem Lande
Eßlingen, 27. Okt. Verbandstag. Der Verein württ. Bankiers hielt im alten Rathaus hier seinen 10. Verbandstag unter der Leitung seines Vorsitzenden, Kommerzienrat Schwarz, Stuttgart ab. Die Herren folgten zunächst einer Einladung des Fabrikanten R. Weiß zur Besichtigung der Sektkellerei G. C. Keßler und Co. In der Bürgerstube fanden dann die geschäftlichen Verhandlungen statt.
Hechingen, 27. Okk. Verurteilter Brandstifter.
Das Schwurgericht verurteilte den ledigen, 27 Jahre alten Landwirt Konrad Schüler aus Schlatt wegen zwei Verbrechen der Brandstiftung zu 3 Jahren, 3 Monaten Zuchthaus, abzüglich 3 Monaten Untersuchungshaft und 5 Jahren Ehrverlust. Der Verurteilte hatte im Juni die Gebäude des Felix Pflumm und des Hermann Schüler und im Juli das Anwesen der Witwe Schüler in Schlatt in Brand gesteckt.