Noch einiges aus Wilsons Tage­büchern

Misc.ns vernichtende Kritik.

Aus den Tagebüchern des verstorbenen englischen Feld­marschalls Sir Henry Wilson er wurde im Juni 1922 in London vor seinem Haus von zwei irischen Sinn- feinern ermordet ist noch einiges Interessante nachzu­tragen.

Das Tagebuch ist eine vernichtende Kritik an der englischen Kiegführung von Anfang bis zu Ende. Kein Ansehen wird geschont. Die ganze Reihe der führenden Männer auf seiten des Verbands in der großen Zeit wird an den Pranger gestellt. Sogar derRetter des Vaterlandes", Lloyd George, muß sich sagen lassen, daß der Krieg schließlich nicht wegen, sondern trotz seines Eingreifens gewonnen worden sei. Die Tagebücher , sind eine Aufzählung einer ununterbrochenen Reihe von Streitereien zwischen Militärs und Politikern, zwischen Führern und Untergebenen, zwischen den Machthabern in London und den ausführenden Organen im Feld, zwischen Engländern und Franzosen; eine Schilderung von Feh­lern, Jrrtümern, Zweifeln, Unfähigkeit, Mißtrauen und Ränkewirtschaft.

Sehr interessant ist im Hinblick auf die Kriegs­schul d f r a g e die aus dem Tagebuch sich ergebende Tatsache, daß der Krieg schon jahrelang vor Ausbruch in Paris und London vorbereitet wurde.

Eintragung vom 11. September 1911:Nicolson (damals ständiger Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt) sagte mir, Kitchener habe sich ihm gegenüber ge­äußert, unser (das englische) Heer sei nicht schlagbereit, sei schlecht vorbereitet und ,.rn!teo" (faul). England würde nach Kitchener schreien und fordern, daß ihm der Ober­befehl übertragen würde. Ich hatte eine lange Unter­redung mit Lloyd George (damals Schatzkanzler). Er war ganz für den Krieg. Lloyd George erzählte mir, Lord Kitchener habe ihm gesagt, das französische Heer sei rotten", und das unsere sei nicht viel besser."

Wilson und Foch standen schon lange vor Kriegsaus­bruch in Verbindung und arbeiteten die Pläne für die Zusammenarbeit des englischen und des französischen Heeres im Kriegsfall aus. Wilson erzählt in seinem Tagebuch, daß er alsPrivatmann" 17 mal mit dem Fahrrad von der Nordsee bis zur Schweiz gefahren sei und das Gelände studiert habe, auf dem der kommende Krieg ausgesuchten wer­den würde.

Durchaus im Einklang mit der Tätigkeit Wilsons in den Vorkriegsjahren stand die Rolle, die er in den Ta­gen kurz vor der englischen Kriegserklä­rung spielte. Eintragung vom 1. August 1914:Ich hatte eine Zusamenkunft mit Panouse (damals Militär­attache bei der französischen Botschaft in London) und riet ihm, Cambon (französischer Botschafter) zu veran­lassen, heute abend zu Grey zu gehen und ihm zu sagen, daß er die Beziehungen abbrechen und nach Paris zurück kehren werde, wenn wir nicht mitmachen würden."

Kurz nach Eröffnung der deutschen Verdun- Offensive kommt Wilson wieder nach London. Lloyd George läßt ihn rufen, und fragt ihn, ob er noch immer glaube, daß die Verbündeten die Deutschen schlagen könn­ten.Ich erwiderte, ich Hütte nicht den geringsten Zwei­fel daran, vorausgesetzt, daß er uns die nötigen Soldaten schicke, um zwei große Offensiven gleichzeitig einzuleiten. Zu meinem Entsetzen antwortete Lloyd George:Wir werden die Boches nie schlagen".

Einige Tage später:Lord Milner ist soeben von einem zehntägigen Besuch der Front zurückgekehrt. Er ist voller Bewunderung für die englische Luftwaffe und für die Wirksamkeit der militärischen Maschine als Ganzes. Aber er glaubt nicht, daß wir die Boche-Armee schlagen können. Nach dem Frühstück hatte ich eine längere Unter­redung mit Lloyd George. Ich sagte ihm. ich hätte seit meiner Rückkehr von der Front keine einzige Persön­lichkeit in leitender Stellung getroffen, die noch damit rech­nete, daß wir die Boches schlagen würden."

Wenn also Wilson damals noch eine hohe Meinung von Lloyd George hatte, so hat er lie später jedenfalls nicht aufrechterhalten. Das Tagebuch wimmelt von Sei­tenhieben auf Lloyd George wegen seiner Einmischung in militärische Angelegenheiten, seiner Ideen von Strategie und wegen des gefährlichen Spiels, das er mit der Unter­ordnung des britischen Oberkommandos unter das franzö­sische Oberkommando triebe.

Bei Beginn der großen deutschen Frühjohrsoffensive 1918 ist Wilson wieder in London Lloyd George läßt ihn zu sich kommen und fordert ihn auf, noch am selben Abend mit ihm an die Front zu reise». Wilsons Tage­buch berichtet:Ich erklärte dem Vremierminister in ge­messenem und nachdrücklichem Tonfall, daß es Augen­blicke gebe, in denen chie Anwesenheit eines Premiermini­sters nichts anderes sei als ein« infernalische Be­lästigung". Lloyd GeoM ging nicht an die Front.

Reichspräsident v. Hindenburg empfing den preußischen Ministerpräsidenten Braun.

Den Länderregierungen sind die Vorschläge zur Neu­gestaltung der Beratungsstelle für Ausländsanleihen bereits vom Reichsfinanzministerium zugestellt.

Am 11. Oktober hak ein englisches Infanleriebakaillon von 600 Mann gemäß den Abmachungen vom 5. September den Standort Idstein im Taunus verlassen.

Die spanische Nationalversammlung wurde in Gegen­wart des Königs und der Minister feierlich eröffnet.

Zum Schluß noch eine Eintragung vom m. novemver 1918:Hatte Essen mit Lloyd George in Nr. 10, Downing Street. Nur Winston und F E. Smith (Lord Birkenhead) anwesend. Wir- erörterten eine Reihe von Angelegenhei­ten, hauptsächlich die bevorstehenden Neuwahlen. Lloyd Georg? ist dafür, den Kaiser zu erschießen F. E. ist der ielben Meinung. Winston ist dagegen."

Die Finanznot Bayerns

Desoldungserhöhung Aenderung des Finanzausgleichs

München. 11. Oktober. Im bayerischen Landtag, der gestern nachmittag wieder zusammentrat, berichtete Finanz­minister Dr. Schmelzle über die Finanzlage Bayerns, be­sonders unter den Auswirkungen der Besoldungserhöhung. Wie jedes Land im Reich, befinde sich Bayern hier in einer Zwangslage, da es nach dem Gesetz ebenfalls die Beamten­besoldungen, erhöhen müsse, wenn das Reich damit voran­gehe. Es wäre besser gewesen, wenn das Reich sich vorher mit den Ländern verständigt hätte, ehe es selbst vorging. Nun müssen die Länder schauen, wo sie die Millionen her­nehmen. Für Bayern mache die Besoldungserhöhung für den Staat allein 58 Millionen Mark im Jahr aus, für Württemberg 20 Millionen. Dazu kommen die Mehrausgaben der bayerischen Gemeinden mit etwa zwei Drittel des Staatsbedarfs, also etwa 38"/l Millionen, zusam­men fast 100 Millionen Mark im Jahr. Die An­weisung von Vorschüssen vom 1. Oktober an erfordern einen monatlichen Mehrbedarf von 2,5 Millionen. Die gegen­wärtige Staatsschuld Bayerns belaufe sich auf rund 335 Millionen Mark; deren Verzinsung verschlänge für 1927 bereits 21 Millionen, 1928 24,2 Millionen und von 1929 ab 34 Millionen. Die Erhöhung der Reichspost­gebühren verursache dem bayerischen Staat allein einen Mehraufwand von 2,5 Millionen, ein Umstand, der den Ver­lust der eigenen bayerischen Post recht schmerzlich in Erin­nerung bringe, dagegen lassen die Einnahmequellen viel zu wünschen übrig. Es sei unerträglich, daß das Reich für die bayerische Post, die Eisenbahn und die Fi­nanz- und Zollgebäude noch immer im Rückstand sei. Durch die Schuld Preußens seien die Verhandlungen über die Postabfindung stecken geblieben. Obwohl Preußen an der Postabfindung nicht beteiligt ist, stellt es sich der Bereini­gung mit der Forderung in den Weg, wenn Bayern und Württemberg für ihre abgetretene Post vom Reich etwas bekomme, so verlange Preußen Entschädigung für seine Eisenbahnen und die im Versailler Vertrag abgetre­tenen Landesteile Da das Reich sich dazu außerstande er­klärt, bleibe Bayern und Württemberg ihr durch Staats­vertrag verbrieftes Recht vorenthalten. Württemberg ver­langte im vorigen Jahr für seine Post vom Reich eine Ab­findung von mindestens 150 Millionen Mark. Dies ergäbe für Bayern eine Abfindung von mindestens 375 Millionen Mark, oder bei einer 4^prozentigen Verzinsung einen jähr­lichen Zinsenanfall von mindestens 16,8 Millionen Mark. Daraus ergibt sich der Schaden, der Bayern heute noch jähr­lich erwächst. Eine Verbesserung des Haushalts sei zu erhof­fen von Einsparungen durch Verminderung der ver­anschlagten Ausgaben, durch Nichtbesetzung erledigter Stel­len und Hinausschiebung von Beförderungen.

Als Folge der Besoldungserhöhung befürch­tet der Minister eine Preiserhöhung, die ja bereits begonnen habe, und zu einer Verteuerung aller Verwal­tungsausgaben, sowie zu einem erhöhten Bedarf für die öf­fentliche Fürsorge führe. Selbst im günstigsten Fall bleibe für 1927 wie auch für 1928 ein erschreckend hoher Fehlbedarf bestehen, der sich ermäßigen würde, wenn das Reich seine Abfindungsverpflichtungen erfüllte. Aus eigenen Kräften vermöge das Land diesen Fehlbetrag nicht zu decken. Neue Steuern können ebensowenig in Frage kommen. Eine Deckung sei nur möglich durch Eröffnung neuer Einnahmequellen durch das Reich. Natürlich werde sich auch für die G e m e i n d e n ein ungeheurer Fehlbetrag ergeben, den diese allein ebenfalls nicht decken können. Der Staat kann ihnen auch nicht helfen; also müsse das Reich beispringen. Auch im Reiche müssen die Steuererträgnisse der reichen Länder zur Deckung der Bedürfnisse in den är­meren beitragen. Das sei die Folge der heutigen Regelung der finanziellen Regelung im Reich, das sei die Folge der Verreichljchung" der wichtigsten Steuerquellen der Einzel­

länder. Die bayerische Regierung habe im Reichsrat ven Antrag gestellt, den Finanzausgleich dahin abzu- ändern, daß der Anteil der Länder an Einkommen- und Körperschaftssteuer von 75 Prozent auf 80 Prozent erhöht und der sogenannte Entbehrungsfaktor von 20 auf 10 Pro­zent herabgesetzt werde. Die Erfüllung der bayerischen För­derin! n sei eine moralische und rechtliche Verpflichtung des Reichs.

Neue Nachrichten

Der Besuch des Reichskanzlers im besetzten Gebiet Koblenz, 11. Okk. Nach der Festsitzung im Nathans machte Reichskanzler Dr. Marx einen Besuch im Ober­präsidium. Oberpräflöenk Dr. Fuchs sagte in seiner An­sprache, der unbestreitbare Anspruch Deutschlands auf Räumung sei nicht erfüllt worden. Besonders drückend für das besetzte Gebiet und darüber hinaus sei das Ber- ordnungswesen, das den Machkansprüchen der Ver­bündeten Tür und Tor öffne. Wie immer seien auch in diesem Jahr große Manöver der fremden Truppen auf deutschem Boden abgehalten worden, wozu der deutsche Bauer Quartier, Feld und Acker zur Verfügung stellen mußte. Die Bevölkerung des besetzten Gebiets werde aber ausharren bis die Stunde der Befreiung schlägt.

Reichskanzler Dr. Marx erwiderte, die schwere Last der Besatzung dauere nun schon fast 9 Jahre. Das Reich befinde sich in äußerst schwierigen Finanzverhältnissen, da­her wohl die Hilfsmaßnahmen nicht allgemein befriedigt ha­ben mögen. Die zugesagte Verminderung der Besatzung um 10 000 Mann bedeute eine Erleichterung, aber an dem Ge- samitatbestand der Besetzung werde nicht viel geändert. Im deutschen Volk, das so viel Unrecht zu ertragen hat, sei die Sehnsucht nach Freiheit besonders tief. Möge der Tag der Freiheit bald beschicken sein.

Beim Empfang der Vertreter der Presse sagte der Reichskanzler, es werde unvergessen bleiben, daß der Kampf um die Freiheit und gegen die Sonderbündler den Angehöri­gen der Presse schwere materielle Opfer und leider fast nicht wiedergukzumachende persönliche Leiden gebracht habe.

Reichskagsbeginn am IS. Oktober Berlin, 11. Okt. Der Reichstag ist auf Dienstag, den 18. Oktober, nachmittags 3 Uhr einberufen worden Erster Gegenstand der Tagesordnung ist die Regierungsvorlage des Schulgesetzes. Man glaubt, daß die erste Lesung mindestens zwei Tage beanspruchen wird, ehe sie einem be­sonderen Ausschuß zur Weiterberatung übergeben werden kann.

Deutsch-österreichische Zusammenarbeit aus dem Verkehrs-

gebiete

Berlin, 11. Okt. In Verfolg der Bestrebungen zu mög­lichst einheitlicher Gestaltung des deutschen und österreichischen Rechts, die erst jüngst den Reichsjustizminister Hergt nach Wien geführt haben, empfing heute Reichsverkehrsminister Dr. Koch die Vertreter des österreichischen Ministeriums für Handel und Gewerbe. Die Vertreter weilen zurzeit in Ber­lin zwecks Durcharbertüng möglichst einheitlicher Entwürfe für die beiderseitigen EisenbahnverkehrsorÄnungen.

Das Internationale Arbeitsamt ln Berlin

Berlin, 11. Okt. Anläßlich des Besuchs des Direktoriums des Internationalen Arbeitsamts in Berlin veranstaltete die Vereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände einen Empfangsabend, an dem auch verschiedene Minister teilnahmen. Dr. Stresemann sagte in einer Ansprache: Der Weltkrieg werde viel zu viel gewertet nach Schlachten und militärischen Gesichtspunkten, statt nach den geistigen Umwandlungen und Umwälzungen. Das Suchen nach, dem sozialen Frieden sei die Ergänzung des Suchens nach wirt- schafilicher Verständigung in der Weltwirtschoftskonferenz. Teutlchland werde jeden Weg gehen, der zum sozialen Frie­den führe. Die Bestrebungen des Internationalen Arbeits­amts münden in die großen Grundlinien der auswärtigen Politik Deutschlands ein. Sie seien gegeben durch den Ge- danken der Verständigung.

Der Versitzende des Internationalen Arbeitsamts, Albert Thomas (Franzose) sagte, der Vertrag von Ver­sa i l l e s Habe bestimmte Aufgaben festgesetzt, deren Lösung die Arbeit des Internationalen Arbeitsamts aelre.

Es werden nur 5000 Franzosen zurückgezogen Berlin» 11. Okt. Der Oberkommandierende aller De- setzungstruppen hat, wie hier verlautet, in einem Schreiben an den deutschen Vertreter bei der Rheinlandkommission bestätigt, daß nicht 8000, sondern nur 5000 Fran­zosen zurückgezogen werden, dadurch die Neuordnung der Stäbe und durch Krankheitsfälle" bereits 3000 Mann abbefördert seien. Wer kann dies nachprüfen!

Streik der Berliner Hoch- und llnkergrundbahner Berlin, 11. Okk. Bei der Hoch- und Untergrundbahn-Ge­sellschaft sind heute früh etwa 5000 Mann vom Fahr- und technischen Personal in den Ausstand gebeten. Nur Not- standsarbeiken werden verrichtet. Der Verkehr da-

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Wohnung

Bismarckstratze 237

Nummer 238

Mittwoch, den 12. Oktober 1927

62. Jahrgang

17S

Fernruf 179

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