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Nummer 225
Fernruf 17S
Dienstag, den 27. September 1S27
Fernruf 179
62. Jahrgang
Vom Völkerbund
Stresemann für Abrüstung ohne weitere Sicherheitsbürgschaften
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Genf, 26. Sept. In der Nachmittagssitzung der Völker« bundsversammlung wurde der Bericht des 3. Ausschusses (für Abrüstung) entgegengenommen. Nach einer Empfehlung der Ausschuß-Entschließung durch den belgischen Senator de Brouckere und den holländischen Außenminister L o u- don ergriff das Wort
Reichsminister Dr. Stresemann,
der ausführte:
In Uebereinstimmung mit andern Rednern dieser hohen Versammlung bin ich der Auffassung, daß in der Frage der Abrüstung die wichtigste Aufgabe des Völkerbunds liegt. In sachlich mächtigen Worten ist der Welt verkündet worden, daß der durch den Weltkrieg herbeigeführten Abrüstung derjenigen Staaten, die sich den Friedensbedingungen ihrer Gegner unterwarfen, die freiwillige Beschränkung der Rüstungen anderer Völker folgen würde. Der Völkerbund wird in der Weltöffentlichkeit danach beurteilt werden, wie er sich mit dieser Frage auseinanderseht, und wie er Worte, die eine Erlösung bedeuten sollten, in die Tat umzusetzen vermag.
Deutlich trat in der Aussprache das Empfinden der Versammlung hervor, daß der Völkerbund infolge dieser Sache geradezu in ein kritisches Stadium seiner Entwicklung eingetreten ist, daß er sich entscheiden muß, ob er einer wirklich fruchtbringenden Zukunft entgegengeht. Zwei Grundsätze scheinen sich zunächst gegenüberzustehen.
Von Deutschland ist stets mit Nachdruck die Auffassung vertreten worden, daß es nicht angängig sei, den Beginn der allgemeinen Abrüstung noch von der Schaffung neuer Sicherheiten abhängig zu machen. Das war auch der ganz eindeutige Standpunkt, auf den sich die Versammlung in ihrer vorjährigen Entschließung gestellt hat. Demgegenüber schien sich neuerdings die Ansicht geltend zu machen, daß neue Bürgschaften aus dem Gebiet der Sicherheit die Voraussetzung für den Beginn der Abrüstung bilden müßten. So ist es erklärlich, daß in der Oeffentlichkeit vielfach der Eindruck entstand, als ob der Völkerbund durch das Entwaffnungsproblem in eine gefährliche Sackgasse geraten sei.
In der Entschließung des Ausschusses haben wir ein Programm vor uns, in dem die beiden Grundsätze der Abrüstung und der Sicherheit zu einander in das richtige Verhältnis gestellt werden. Es ist selbstverständlich, daß Deutschland den Wunsch und Willen hat, bei den in Aussicht genommenen Arbeiten tatkräftig mktzuwirken. Die Gedanken, die in den Verträgen von Locarno für den Westen und den Osten verwirklicht worden sind, werden sich in gleicher oder ähnlicher Gestalt unter Anpassung an die jeweiligen Umstände auch für die Verhältnisse in anderen Gebieten verwerten lassen. Die Verhandlungen in den verschiedenen Kommissionen haben aufs neue gezeigt, welcb bedeutsame Rolle hierbei der Entwicklung des Schiedsgerichksgedankens zufallen wird.
Die Entschließung stellt fest, daß die erste Entwaffnungs- konferenz einzuberufen ist, sobald die Vorarbeiten rein technischer Ärt zum Abschluß gebracht worden sind. Sobald die allgemeine Abrüstung nur erst einmal auf allen Gebieten wirklich begonnen ist, werden die weiteren Schritte der Welt von selbst neue Faktoren der Sicherheit bringen. Rüstungen können und dürfen nicht die Grundlage der Sicherheit sein! Sie sind nicht einmal mehr der sicherste Schutz, und sie haben überdies unvermeidlich die Wirkung, den Rachbar zu bedrohen. Wir in Deutschland sind heute oft versucht, unseren Nachbarn das Wort zuzurufen, das einst einem Bürger des alten Rom auf dem Forum entgegenklang. Als er, bis an die Zähne bewaffnet, unter einer friedlichen Volksmenge erschien und feine Rüstung mit der FuE vor Ueberfällen zu rechtfertigen suckte, stellte man ibm einfacb die Frage: „Wer hat dir denn erlaubt, dich so zu fürchten!"
Der Glaube der Menschen an eine bessere Zukunft ist eine Macht und eine Kraff, die gerade der Völkerbund am höchsten sckntzen sollte. Lassen Sie diesen Glauben nicht erschüttern! Wenn das Land, das einst als die stärkste Militärmacht der Welt galt, heute abgerüstet ist, so sollte es für die anderen Staaten viel leichter sein, ihm jetzt zu folgen.
Die Ausführungen Dr. Stresemanns wurden mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgt und riefen allgemeinen Beifall hervor.
Nach Dr. Stresemann sprach Lord Onslow (England). Die Verhandlungen hakten gezeigt, daß der vorbereitende Abrüstungsausschuß keine wesentlichen Fortschritte erzielen könne, wenn die internationale Sicherheit nicht wei- ter entwickelt werde, etwa durch Verträge nach Art des Locarno-Vertrags. Indessen haben nicht der Nat, sondern i die einzelnen Staaten zu bestimmen, wie und wann die Re- j . gierungen zur Ankerstützung des Nats mit Auskünften t i über ihre Maßnahmen bereit seien. Paul-Boncour U (Frankreich) warnte vor einer „Aeberstürzung" der Ab- x rüstungsarbeiken.
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TagesspiegeL
Dr. Stresemann hakte mit dem belgischen Senator Brouckere eine Unterredung wegen der Rede Iaspars. Mau glaubt, daß er auch mit Driand darüber sprechen werde.
Wie verlautet, besteht die Absicht, im Reichstag einen kommunalpolikischen Ausschuß ins Leben zu rufen.
In München fand eine Tagung der neuen Vereinigung der deutschen Bauernvereine statt.
Peinliche Ueberraschuna durch die Rede Iaspars
Genf, 26. Sept. Als die Rede des belgischen Erstministers Ja spar in Ostende am Sonntag abend in Genf bekannt wurde, war man in Völkerbundskreisen überwiegend verstimmt und peinlich berührt. Am Montag sollte ein Bericht des belgischen Vertreters Brouckere über „Die Vorlegung der belgischen Freischärlerkämpfe vor ein Schiedsgericht entgegengenommen werden, nun aber war eine ganz neue Lage geschaffen. Es wird erwartet, daß die deutsche Reichsregierung nunmehr eine bestimmte Anfrage an die belgische Regierung richten werde, ob sie bereit sei. die Freischärlersache durch ein Schiedsgericht untersuchen zu lassm.
Neue Nachrichten
Besoldungsresorm und Löhne
Essen, 26. Sept. Die Zeitschrift des Gewerkvereins christlicher Bergarbeiter „Der Bergknappe", schreibt zur Neuregelung der Beamtenbesoldung, das Verhalten der Reichsregierung hinsichtlich ihres Bemühens, die Kaufkraft der deutschen Währung zu halten, sei widerspruchsvoll. Während sie im Kohlenbergbau die Preiserhöhung ablehns, lasse sie der Preisentwicklung auf anvern Gebieten freien Lauf und verursache selbst Preistreiberei, wie die Erhöhung der Posttarife und die Besoldungsretorm, die Preissteigerungen zur Folge haben werde.
Eine Konferenz des Eewerkvereins christlicher Bergarbeiter in Essen stellte die Forde-una auf, daß mit dem Inkrafttreten der Beamtenbesoldungscrhöhung gleichzeitig eine allgemeine Lohnerhöhung eintreten solle.
In der Versammlung der Industrie- und Handelskammer Düsseldorf führte der Geschäftsführer Dr. Wilden in seinem Bericht u. a. aus: Die neue Besoldungsresorm werde für Reich, Länder und Gemeinden eine Mehrausgabe von etwa 1,5 Milliarden Mark verursachen. Die Besoldungserhöhung werde die Wirtschaft günstig beeinflussen, aber nur dann, wenn nicht zugleich die Erzsugungs- und Geschäftsunkosten der Wirtschaft unangemessen steigen. Während die Löhne und Gehälter der Arbeiter und Angestellten seit 1924 um 21 bis 30 o. H. gestiegen seien, seien die Besoldungen zurückgeblieben. Generaldir. Köngeter führte aus: für die öffentliche Verwaltung werden zurzeit 25 v. H. des Volkseinkommens verbraucht (in Amerika 12 v. H.). Durch die Besoldungserhöhung werden die Verwaltungskosten auf 28 v. H. steigen, die die Wirtschaft wieder erarbeiten müsse. Es sei daher eine ernste Sorge des Reichsfinanzministers und der Wirtschaft, das Notwendige möglich zu machen.
Ein Brief des Kronprinzen an den Kanzler Michaelis
Berlin. 26. Sept. Die „Welt am Montag" will in der Lage sein, einen vertraulichen Brief, den der Kronprinz am 18. Juli 1917 an den damaligen Reichskanzler Dr. Michaelis richtete, zu veröffentlichen. In dem Brief wird an dem Verhalten des damaligen Chefs des Zivilkabinetts, Valent ini, dem Chef des Militärkabinetts, v. Lyncker, und dem Chef des Marinekabinetts, Admiral v. Müller, offene und scharfe Kritik geübt. Es heißt darin:
Die unerhörte Politik des Herrn v. Beth- m a n n - H o l l w e g, die ihre Krönung in den dem König von Preußen vom deutschen Reichstag abgetrotzten demokratischen Wahlrechtsreformen in Preußen gefunden habe, wäre niemals möglich gewesen, wenn Valentin! schon feit Jahren seine Pflicht getan und den Kaiser über die wirklichen Stimmungen im Volk unterrichtet hätte. Valentin!, der sich jedesmal mit einem Lächeln über seine, des Kronprinzen, Warnungen hinweggesetzt habe, habe es nie verstanden, welche schwere Besorgnis ihn bei dem Gedanken an das Erbe beseelt habe, das er dermaleinst an- treten sollte. Die Klagen, die dem Kronprinzen aus allen Kreisen der Bevölkerung seit Jahren zugingen über die Abschließung des Kaisers — die (»genannte chinesische Mauer — seien durchaus berechtigt gewesen, und alle seine Versuche, den Kaiser wieder in nähere Beziehungen zu den führenden Leuten im Volk zu bringen, seien infolge des unheilvollen Einflusses Valentin is gescheitert. Die Eigenart seines Vaters sei für eine Entwicklung der Dinge in dieser Richtung leider sehr geeignet gewesen. Es sei ihm sehr viel be
quemer gewesen, mit seinen Kabinettchefs zu arbeiten, als die Vorträge seiner Minister entgegenzunehmen, von denen z. B. der frühere Minister des Innern ihm einmal gesagt habe, er hätte nur einmal im Vierteljahr einen Vortrag beim Kaiser gehalten. Die mancherlei Enttäuschungen und Mißerfolge, die man während der Regierungszeit seines Vaters erlebt habe, hätten letzten Endes ihre Wurzel in diesem Uebelstand. Das deutscke Volk habe ein sehr feines Gefühl für diese Zustände. Die Dinge hätten niemals eine so bedauerliche Wendung genommen, wenn die Kabinettckefs und in erster Linie Valentini ihre Pflicht getan hätten. Der Kronprinz knüpft hieran die Bitte an Michaelis um Beseitigung dieses Mannes, als dessen Nachfolger er den früheren Oberpräsidenten in Ostpreußen, v. Berg, vor- scklägt und gibt zum Schluß folgende Punkte an, die nach feiner Ansicht wesentliche Bedeutung haben: Feste Siegeszuversicht nach außen, Geschlossenheit, Vertrauen und Frieden im Innern, starke Einwirkung auf die Presse, jede Erörterung zu unterlassen, die im Ausland den Schein der Zwietracht im Innern erwecken könnte, rechtzeitige Versorgung der großen Städte mit Nahrungsmitteln, sveziell Ber> ^ lin, und unbedingte Sicherstellung der Kohlenversorgung.
Kanzler Dr. Michaelis antwortete nach dem Blatt unterm 26. Juli u. a.: „Durch meine Auslegung der berüchtigten Friedensresolution des Reichstags („fo, wie ich sie auffasse") habe ich ihr die größte Gefährlichkeit geraubt. Man kann schließlich mit der Entschließung jeden Frieden
machen, den man will.-Durch Cxz. Helfferict> werde
ich wesentlich entlastet und habe ihn verfügbar für die systematische Vorbereitung der Friedensverhandlungen, an der ich mich aber selbst stark beteiligen werde, um das Auswärtiae Amt in die Hand zu bekommen.
Die gewonnene Zeit will ich namentlich zur Ausrechterhaltung der Verbindung zwischen dem Hauptquartier und mir benutzen.
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Sollte der Brief des Kronprinzen echt sein, so würde er nur wieder beweisen, wie richtig er stets die Lage und den unheilvollen Einfluß der nächsten Umgebung des Kaisers beurteilt hat. Das Verhältnis zu seinem Vater war daher immer ein gespanntes.
1875 Millionen in den Dawes-Rachen
Berlin, 26. Sept. Am 27. September sind die ersten Entschädigungszahlungen im Rahmen des vierten Dawes- Jahrs zu leisten, dazu 55 Millionen Eisenbahnzahlungen und 20 Millionen aus der Veförderungssteuer als Restzahlung für das eben abgeschlossene dritte Entschädigungsjahr. Die Entschädigungszahlungen werden sich dann zu Ende jedes Monats wie folgt abwickeln: Die Eisenbahnzahlung beträgt allmonatlich 55 Millionen, fo daß jährlich 660 Millionen herauskommen, die Beförderungs- steuer ist auf monatlich 24 166 000 Mark und aus jährlich 310 Millionen festgelegt. Der Reichshaushalt trägt allmonatlich 41 666 666 Mark, also jährlich 500 Millionen. Dazu kommen aus dem Reservefonds allmonatlich bis zum Mai nächsten Jahres rund 81s Millionen Mark, zusammen 76,2 Millionen Mark. Die Industriezahlungen werden am 28. April nächsten Jahrs und am 28. August des nächsten Jahrs mit je 150 Millionen Mark geleistet. Die Gesamt- entschädiqungsleistung im Jahre 1927/28 beträgt für uns nach dieser Aufstellung 1875 Millionen Mark.
Trennung der Pfalz von Bayern ^
München. 26 Sept. Die Bayr. Landesbauernkammer erhob namens der pfälzischen und der gesamten bayrischen Land- und Forstwirtschaft Widerspruch gegen die von der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosensur- sorge beabsichtigten Vereinigung der Pfalz mit Württemberg und Baden zu einer Landesanstalt. Die Korrespondenz der Bayrischen Volkspartei führt aus, der Antrag bedeute einen Versuch, die Verbindung zwischen dem rechts- und dem linksrheinischen Bayern unter dem Vorwand von Zweckmäßigkeitsgründen zu lockern. Auch pfälzische Blätter treten aus praktischen und staatspolitischen Gründen der Trennung entgegen.
Tagung des badischen Zenkrumsausschusses Freiburg, 26. Sepk. In einer streng vertraulichen Sitzung des Zauptausschusses der badischen Zentrumspartei wurde laut ^Tagespost" dem starken Befremden Ausdruck gegeben, daß der Neichstagsabgeordnete Dr. Wirkh der Sitzung ferngeblieben sei, statt seine Angriffe gegen das Neichssch ulgesetz — dessen Entwurf vom Hauptausschuß als geeignete Grundlage gebilligt wurde — mannhaft zu verteidigen. Weiter wurde die Erwartung ausgesprochen, daß die badischen Zentrumsabgeordneten bei der in Aussicht stehenden Reichswahlrechtsreform für die Beseitigung der Mißstände eintreten werden.
Die katholischen Lehrer zum Reichsschulgeseh
Karlsruhe, 26. Sept. Eine Vertreterversammlung der katholischen Lehrer und Lehrerinnen von Baden, Hessen, der Pfalz und des Saargebiets hat sich für den Entwurf des Reichsschulgesetzes ausgesprochen, der die freie Entfaltungsmöglichkeit der Bekenntnisschule allgemein sichere und dem verfassungsmäßigen Elternrecht Geltung verschaffe.