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H ^Nummer 222 Fernruf 179 Freitag, den 23. September 1927 Fernruf 179 62. Jahrgang
Die Rohstoffgrundlage der Wirtschaft
134,58 Menschen auf dem Geviertkilometer, diese statistische Feststellung der Volkszählung von 1925 — die heute schon wieder durch neuen Zuwachs überholt ist — umschließt den eigentlichen Kern des deutschen Wirtschaftsproblems. Je dichter gedrängt die Bevölkerung, um so intensiver muß die Arbeit sein, damit auf der so eng begrenzten Fläche ein ausreichender Ertrag, ein dem hohen Kulturstand angepaßtes Volkseinkommen erzielte werde. Qualitätsindustrie ist das wohlberechtigte Schlagwort dieser Zeit, und eng damit verbunden ist die Parole der Exportvermehrung. Denn der Zusammenhang ist ja ganz klar, je mehr unsere Tätigkeit sich auf hochwertige Güter des Weltbedarfs spezialisiert — desto weiter greift die weltwirtschaftliche Verflechtung unserer Produktion, die Notwendigkeit, unsere Fertigwaren gegen ausländische Rohstoffe und Lebensmittel einzutauschen. An sich geht das ja anderen Industriestaaten ganz genau so. Auch sie sind ungewöhnlich dicht bevölkert, können das Gleichgewicht ihrer Wirtschaft nur durch engste Tauschbeziehung mit der Außenwelt erhalten. Hierbei waltet aber doch ein wichtiger Unterschied zwischen ihnen und uns. Sowohl Frankreich und England als auch Italien, Belgien und Holland verfügen über ausgedehnten Kolonialbesitz. Für die Aufnahme ihres Fertigwaren-Üeberschusses stehen Absatzmärkte offen, die von ihnen politisch durchaus abhängig sin.d Ebenso haben sie in den Kolonien ihre sicheren Rohstoff- und Lebensmittel-Lager.
Es soll nicht behauptet werden, daß das Kolonialsystem den weltwirtschaftlichen Jdealzustand darstelle. Wahrscheinlich wird die Menschheit noch wesentlich besser fahren, wenn einst die heute bevormundeten Länder ihre volle Selbständigkeit erlangen und sich auf gleichberechtigtem Fuß mit den anderen Nationen verständigen werden. Solange aber der Kolonial-Jmperialismus sich noch am Leben erhält und die überseeischen Märkte zum großen Teil willkürlich als Vorrecht einiger weniger Mächtegruppen behandelt, ist es für einen Industriestaat ersten Rangs, ist es für Deutschland von bitterstem Nachteil, von jeglichem Kolonialbesitz vorläufig ausgeschlossen zu sein. Selbst Amerika, das auf seinem landwirtschaftlich und geologisch so reich gesegneten Boden heute nur erst eine Bevölkerungsdichte von 13,49 Menschen auf dem Goviertkolimeter aufweist, fühlt sich nicht gesättigt und streckt seine Hand nach neuen Auslandsbesitzungen aus. Um so krasser wirkt demgegenüber unsere Lage.
Es wäre schon viel erreicht, wenn man sich endlich dazu verstehen wollte, die Schutzzollmauern in den verschiedensten Ländern wenigstens auf einen gewissen Prozentsatz zu reduzieren und vor allem auch die Rohstoffversorgung von allen Ausfuhrverboten, Produktionseinschränkungen (Valv- risationen) zu befreien. In der Richtung hat ja auch die Weltwirtschaftskonferenz in Genf die ersten Schritte getan. Aber die Aussichten auf eine praktische Verwirklichung bleiben doch vorläufig gering.
Den Erdölmarkt beherrschen Amerika und England. Der Kupfermarkt ist ebenfalls amerikanische Domäne. Wie ist es mit der Baumwolle? Wenn Amerika, Aegypten und Britisch-Indien als Hauptproduzenten sich über das Ausmaß des Anbaus und Preisforderung einig sind und genügende Kapitalsmacht zur Durchführung der Transaktion aufbringen, fo können sie uns nach Belieben die Daumenschrauben ansetzen. Anders wäre das, wenn uns Ostafrika noch gehörte,um dort eine vom Ausland unabhängige Vaum- wollkültur aufzubauen. Aber in unserer heutigen Lage fehlt uns jeder Rückhalt, den die Eigenproduktion gegen monopolistische Gelüste fremder Produzenten gewährt. Unsere Wollversorgung ist auf Australien, Südafrika und Argentinien angewiesen. Unser Brotpreis hängt von der Chicagoer Weizenbörse ab. Die Gummireifen unserer Automobile richten sich im Kostenpunkt nach den Maßregeln der englischen Gummipflanzer in Hinterindien. Amerika läßt sich ja dies englische Gummi-Monopol heute nicht mehr gefallen. Auf den Philippinen richtet es sich jetzt eigene Kautschukplantagen ein. Deutschland aber muß solchen Rückhalts völlig entbehren. Für unser Wirtschaftsleben bedeutet die Tatsache, daß unsere Rohstoffgrundlage zum großen Teil in fremden Händen ist, eine ständige Gefahr. Wohl haben wir Kohle reichlich im eigenen Land. Wohl haben wir Wasserkräfte zur Elektrizitätsversorgung, das größte Kalilager der Welt und die weitaus größte Erzeugung der wichtigsten chemischen Grundstoffe. Um so empfindlicher sind aber unsere Lücken auf anderen Gebieten.
Drei Aufgaben sind daher unserer Weltwfttschaftspolitik in erster Linie gestellt: Vor allem die Bemühung um Neuzuteilung des uns entzogenen Kolonialbesitzes, vornehmlich unter dem Gesichtspunkte der vom Ausland unabhängigen Rohstoffversorgung. Zweitens der Abschluß internationaler Verträge über die Freizügigkeit der Rohstoffe, über die Unzulässigkeit von Ausfuhrverboten und Ausfuhrzöllen und über die gemeinsame internationale Bekämpfung von willkürlich verteuernden Spekulationsmanövern. Auch müßten staatlich verfügte Anbaubeschränkungen und staatlich finanzierte Aufftapelungsmaßnahmen — „Valorisationen" — vor einem internationalen Schiedsgericht anfechtbar sein. Die dritte Ausgabe ist schließlich der Einsatz aller Mittel zur Verbreiterung der Rohstofsgrundlage im eigenen Land. Wir können
Tagesspiegel
Wie verlautet, wird Dr. Stresemann nicht vor Mitte nächster Woche aus Genf nach Berlin zurückkehren.
Der memelländische Landtag soll aus 15. Oktober einberufen werden.
Der 3. Ausschuß der Völkcrbuudsversammlung hat die vom Redakkionsarrssckmß vörgetegke Fassung der Abrustungs- entschließungev sin der Harwtsache nach dem französischen Vorschlags angenommen und der Vollversammlung über geben. — Der französische Vorschlag läuft bekanntlich auf das von der englischen Regierung unbedingt abgelehnke Gen fer Protokoll hinaus. England will sich nicht als Bürgen weiterer „Sicherheiten" als des Locarno-Vertrags verpflichten und in seiner eigenen freien Entscheidung über Krieg und Frieden, soweit das Reich dabei in Betracht kommt, ein schränken lassen.
meyr I5evensmittei proouzieren, wenn wir Sie innere Kolonisation fördern und unsere Landwirtschaft mit Hilfe ausreichender Kredite auf zeitgemäße technische Grundlage stellen. Wir können den Rohstosfwert unserer Kohle wesentlich erhöhen, wenn wir die modernen chemischen Veredelungsverfahren weiter ausbauen. Wir müssen den Erfindergeist fördern, der uns heute, wie die Kunstseide beweist, einen vollwertigen Ersatz für ausländische Rohstoffe aus eigenem Material liefert. Die Kunstseide, die ihren Ursprung, auf, das Holz des, deutschen Waldes zurückführt, befreit uns iu gleichem Maß, wie ihre Produktion zu nimmt, wenigstens zum Teil aus der heutigen hilflosen Abhängigkeit von amerikanischer Baumwolle, australischer Wolle, französischer Seide.
Bedeutsame Reden Wallraffs und Keudells
' Königsberg, 22. Sept. Von den Reden, die auf dem Reichsparteitag der Deutschnationalen Volkspartei in Königsberg gehalten wurden, sind noch von programmatischem Interesse die Ausführungen des Staatsministers a. D. W a l- raff und des Äeichsministers des 3nnern v. Keudell. Reichstagsabg. Walraff erklärte, im besetzten Gebiet feien noch keine wesentlichen Erleichterungen eingetreten. Man hatte erwartet, daß in Genf auch über die schwere Ent - tauschung Deutschlands über die Entwicklung der Dinge ein Wort gesprochen würde. Die Außenpolitik habe den Kampf gegen die K r i e g s s ch u l d l ü g e mit Entschieden- heit aufzunehmen. Deutschland müsse verlangen, daß ihm endlich bekannt gegeben werde, wievielesanKriegs- e n t s ch ä d i g u n g z u z a h l e n habe. Die Kriegs schäden seien langst bezahlt; mit den Daweszahlungen werden die neuesten K r i e g g r ü st u n g e n bezahlt. Das sei keine „Kriegsentschädigung" mehr. In keinem SchulLverhältnis der Welt ist es üblich, daß der Schuldner jahraus jahrein zahlen muß, ohne die Endsumme zu kennen. Das ist kein Schuldverhaltnis mehr, sondern Sklaverei, der Sklave ohne Aussicht auf Ende fronen muß. Die neueste Methode der Linken, die schwarz-weiß-rote Fahn» zu achten, zwinge zum schärfsten Widerstand.
Reichsminister v. Keudell führte aus: Der Parteitag
über die Ausführungen des Reichskanzlers Dr. Marx in Tannenberq und Königs- verg zum Ausdruck gebracht und er werde diese Kundgebun- gen im Namen des Parteitags übermitteln. Man dürfe nicht m^Eiseln, daß eine Persönlichkeit von der Reinheit ^Vornehmheit des Charakters des Reichskanzlers auch Nnx„ was er durchzuführen für notwendig
Flaggenfrage erklärte der Reichsminister, Reichswehrminister Geßler habe ihm (Keudell) versichert, feinen bekannten Flaggenerlaß an die Reichswehr inr Reichskabinett zur Sprache zu bringen und be- ^len zu lassen. Durch politischen Vertrauensbruch » Eliten sii aber der Erlaß vorzeitig in die Oeffentlich- reit gebracht und so das Kabinett verhindert worden, zu dem Stellung zu nehmen. Man dürfe in diesem Kamps oie Ruchnht auf die junge Reichswehr nicht außer acht lassen, um sre dem politischen Kampf fern zu halten. Auch zu den ansern Flaggensragen (Hotels, preußische Regierung) kann r - ^ uicht Stellung nehmen. Aber seien Sie per-
„„x wird die Zeit kommen, wo wir
Zustimmung).) Wir gedenken des p/° 3 en Schlieffens. unter dem der alte General
stab gearbeitet hat: „Mehr sein als scheinen!" Wir ringen darum, daß es von uns einmal in unserer Geschichte heißen möge: Sie waren mehr als sie schienen. (Stürmischer Beifall.)
sprach sich mit Entschiedenheit f ü Reichsschulgesetzentwurf aus.
r den
Neue Nachrichten
Der Dank des Kaisers an hindenburg Berlin. 22. Sept. Kaiser Wilhelm hat an GenerMM-
marschall von Hindenburg folgendes Telegramm anläßlich der Weihe des Tannenberg-Denkmals gesandt: „Bei der Weihe des Denkmals für die Schlacht von Tannenberg bin ich in tiefer, unauslöschlicher Dankbarkeit bei allen denen, die zu diesem gewaltigen Cannae beigetragen haben. Von mir mit dem Auftrag entsandt, koste es, was es wolle, vom Feind zu befreien, gelang es I h r e r -und General Luden» dorfss überlegener Führung, unterstützt durch die hingebende Mitwirkung Ihrer Unterführer und Gehilfen, der Meisterschule meines alten Generalstabs, des Grafen Schliessen, mit unseren unvergleichlichen, von Opferfreudigkeit und Tapferkeit beseelten Truppen diesen herrlichen Sieg zu erkämpfen. Tannenberg zeigte der Welt von neuem, wozu deutsche Kraft unter starker zielbewußter Führung fähig ist. Möchte der Heldengeist von Tannercherg unser zerrissenes Volk durchdringen und einigen. Dann wird er wiederum Wunder wirken und die Tapferen, denen das Denkmal ersteht, werden nicht umsonst gefallen sein. Dann wird es mit Gottes Hilfe wieder aufwärts gehen."
Fraktionsberatung
Berlin, 22 . Sept. Heute vormittag traten die Führer der Regierungsparteien zu einer Besprechung der Neuregelung der Veamtenbefoldung zusammen, an der der Reichs- sinanzminister und anhere Kabinettsmitglieder teilnahmen. Die für den Nachmittag anberaumte Kabinettssitzung wurdt abgesagt.
Die Vorschüsse auf dieBeamtenbesoldung
Berlin, 22. Sept. 3m Haüshältsaüsschuß des Reichstags wukd.echeufe einstimmig folaender Vorschlag des Reichsfinanzministeriums über die Vorschußzahlungen an die Beamten angenommen: Mit Wirkung vom 1. Oktober sollen bis zur Verabschiedung des neuen Besoldungsgesetzes an monatlichen Vorschüssen erhalten: die Beamten der Besoldungsgruppen 1 bis 5: Verheiratete 25 -K, Ledige 20 Gruppen 6 bis 8: Verheiratete 30 Ledige 35 -N, Gruppen 9 bis 10: Verheiratete 50 -K- Ledige 40 -K- Gruppen 11 und höher: Der- heirakeke 70, Ledige 60 -4l, außerplanmäßige Beamte 20 -lt, Warkegeld- und Ruhegehalksempfänger, sowie Empfänger von Hinkerbliebenenbezügen 10 Proz. für Wagegelder usw., aber unter Ausschluß der Frauen- und Kinder,Zuschläge.
Offiziere und Soldaken der Reichswehr sowie Polizei- beamke des Reichswasserschuhes in Besoldungsgruppen 1 bis 2: Verheiratete 5 -4(, Gruppen 3 bis 8: Verheiratete 15 °4(, Gruppe 9: Verheiratete 30 -R, Gruppe 10 (Haupkleuke usw. mit mehr als 2 Dienstjahren): Verheiratete 50 -K, Gruppe 11: Verheiratete 50 «si, Ledige 35 -si, Gruppe 12 und höher: Verheiratete 70, Ledige 60 <4i.
Die neue Strafrechtsvorlage
Berlin, 22. Sept. Der Strasrechtsausschuß des Reichstags begann gestern mit der Beratung des Entwurfs einer Aenderung des Strafrechts. 8 1 lautet: Line Tat kann nur dann mit einer Strafe belegt werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Der Artikel wurde unverändert angenommen, ebenso 8 2: Die Strafe bestimmt sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt. Dasselbe gilt für Nebenstrasen und Nebenfolgen. Angenommen wurde auch 8 3: Aendert sich das Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt, vor der Aburteilung, so ist das für den Täter günstigste Gesetz anzuwenden. Der zweite Absatz: Vorschriften, die wegen besonderer tatsächlicher Verhältnisse erlassen worden waren, sind auf die während ihrer Geltung begangenen Taten auch noch anzuwenden, nachdem sie wegen Wegfalls dieser Verhältnisse außer Kraft getreten sind — wurde zunächst zurückgestellt. Für § 4 wurde die Formel beschlossen: lieber die in § 55 genannten „Maßregeln der Besserung und Sicherung" ist nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt. — „Maßregeln zur Besserung und Sicherung" sind: 1. Unterbringung des Straffälligen in einer Heil- oder Pflegeanstalt, 2. Unterbringung in einer Trinkerhellanstalt oder Erziehungsanstalt, 3. Schutzaufsicht, 4. Reichsverweisung. Die Unterbringung in einem Arbeitshaus und Sicherungsverwahrung wurden nach einem sozialdemokratischen Antrag von der Ausschußmehrheit gestrichen.
Umtauschfrist für die Reubesitzanleihen der Länder, und Gemeindeanleihen
Berlin, 22. Sept. Die Regierungen der Länder haben übereinstimmende Verordnungen erlassen, durch die die Frist für den Umtausch der Markanleihen neuen Besitzes der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände und der diesen gleichgestellten öffentlich-rechtlichen Körperschaften auf die Zeit vom 1. Oktober 1927 bis zum 14. Januar 1928 festgesetzt wird. Die Anleihen sind bei einer Vermittlungsstelle (Bank, Sparkasse, Genossenschaft) zum Umtausch einzureichen. Markanleihen, die innerhalb der Umtauschfrist nicht zum Umtausch angemeldet werden, werden wertlos.
Abbau der Orkssenderzulagen im befehlen Gebiet
Berlin, 22. Sept. Im Reichsfinanzministerium finden nach einer Blättermeldung Verhandlungen mit Beamtenverbänden des besetzten und besetzt gewesenen Gebiets über den Abbau der örtlichen Sonderzulagen statt. Das Ministerium steht auf dem Standpunkt, daß nach der allgemeinen §15