Das Urteil im FemeproZetz
Das Urteil des außerordentlichen Schwurgerichts in Berlin-Mo-abit, wodurch vier im sogenannten Wilms-Prozeß angeklagte frühere Mitglieder der „Arbeitskommandos" -um Tod verurteilt wurden, erregt größtes Aufsehen. Wegen des Mords an dem Feldwebel Walter Wilms aus Neumünster (Holstein) im Juli 1923 sind der Oberleutnant a. D. Friß Fuhrmann, die Feldwebel Peter Umhofer und Erich Klapproth und wegen Anstiftung dazu der Oberleutnant a. D. Paul Schulz zum Tod, drei weitere Angeklagte wurden freigesprochen. Die Leiche des Wilms wurde am 24. Juli 1923, mit Eisen beschwert, in der Havel gefunden: als Todesursache wurde Kopfschuß festgestellt. Der Prozeß hat am 11. März unter dem Vorsitz des Landgerichtsdirektors Siegert begonnen. Ein Antrag der Verteidigung, die Verhandlung vor das ordentliche Schwurgericht zu verweisen, wurde abgelehnt-
In dem Prozeß ist wieder das Bestreben zutage getreten, die Reichswehr mit den Verbänden, denen die sogen. Fememorde zur Last gelegt werden, in Verbindung zu bringen, was übrigens in der Urteilsbegründung zurückgewiesen worden ist. Auch im Reichstag hat der Abgeordnete Dr. Wirth, unter dessen Kanzlerschaft seinerzeit die „Schwarze Reichswehr" oder die Arbeitskommandos zum notwendigen Schutz gegen das Bandenunwesen im Osten gegründet worden sind, die diesbezüglichen Anschuldigungen des Abg. Scheidemann gegen die Reichswehr widerlegt-
Die Arbeitskommandos wurden gebildet, um eins Abwehr besonders gegen die immer zahlreicher werdenden Angriffe polnischer Banden auf Oberschlesien in der Hand zu haben. Daß diese Verbände über ihren natürlichen Daseinszweck hinaus sich betätigten, kann der Reichswehr nicht zur Last gelegt werden: auch nicht der Umstand, daß in ihnen Ausschreitungen vorkamen, die nun seit Jahren Gegenstand von parlamentarischen Untersuchungen und von Gerichtsprozessen sind. .Beides war durch die besonderen Umstände jener traurigen Zeit bedingt. Eine eigentümliche Mischung von Existenzen fand sich in diesen Verbänden zusammen. Neben Idealisten, die ihrem Vaterland in schwerer Bedrängnis in Geheimverbänden zu dienen glaubten, stellten sich die Landknechtsnaturen ein, die das Kriegshandwerk um seiner selbst willen'liebten. Entwurzelte Existenzen, die im Krieg mit Ehren gedient hatten und nach der Auslösung des großen Heers vor dem Nichts standen, suchten nach irgend welchen Daseinsbedingungen. Daneben viele, die bereits mit dem Strafgesetzbuch in Berührung gekommen waren und die kein Bedenken empfanden, die Bindungen des Rechtsstaats zu durchbrechen, denen auch ein Mord keine Gewissenssorgen machte; er wurde zwischen Saufereien und anderen Vergnügungen erledigt. Man begreift heute kaum mehr, wie idealistisch und vaterländisch eingestellte Männer sich längere Zeit in dieser Umgebung aufhalten konnten. Freilich, die Errichtung der „Arbeitskommandos" war eine durchaus gesetzmäßige, von der damaligen Reichsregierung veranlaßte Angelegenheit. Die Beteiligten durften daher annehmen, daß ihre Umbildung zu Kampfverbänden nicht nur das Einverständnis der Reichswehr, sondern auch der politischen Stellen im Reick und in Preußen gefunden habe, daß es dagegen unter allen Umständen geboten sei, die Umbildung vor dem Ausland geheim zu halten. In übersteigerter Einschätzung ihrer nationalen und militärischen Bedeutung glaubten die Führer, zu ihrer Sicherung gegen Verräter die Justiz selbst in die Hand nehmen zu müssen. Tatsächlich wurde damals vielfach Verrat geübt. Nur aus dem Geist jener Zeit sind diese Erscheinungen nationalen Elends zu begreifen, die man an sich scharf verurteilen muß. Da sie jetzt glücklicherweise mehrere Jahre hinter uns liegen, wäre es sehr zu wünschen, daß um der Ruhe des Volks willen dieses Kapitel, eines der traurigsten der Nachkriegszeit, bald geschlossen werden könnte.
Das Sondergericht in Moabit hat aus solchen Erwägungen heraus den vier Verurteilten diebürgerlichenEhren- reckte nicht abgesprochen und weiter beschlossen, ein Gnadengesuch für sie einzureichen. Der Angeklagte Fuhrmann hat für sich und die anderen Verurteilten erklärt, daß sie Revision beim Reichsgericht einlegm werden.
Die Beurteilung des Falls in der Presse ist ja nach der politischen Einstellung sehr verschieden. Die völkische „Deutsche Zeitung" sagt, man habe es versäumt, die Rechtsgrundlagen für die „Schwarze Reichswehr" zugleich mit deren Errichtung zu schaffen und finde nun nicht den Mut, für die Opfer des damaligen amtlichen Systems einzutreken. — Die „Kreuzzeitung" des Grafen Westarp mißbilligt die Todesurteile: es sei bedauerlich, daß man jetzt nicht auch den letzten früher über die Arbeitskommandos gebreiteten Schleier habe fallen lassen. Nicht bloß der Krieg, sondern auch die Revolution habe ihre Grausamkeiten. Es sei kein Zweifel, daß die Verantwortung für das, was sich in den Arbeitskommandos 1923 ereignete, weiter hinauf reiche als bis zum Oberleutnant Schulz. Die staatlichen Stellen sollten sich endlich zu ihren Maßnahmen bekennen und den Mut aufbringen, nicht Verbrechen zu decken, sondern denen, die darüber zu Gericht zu sitzen haben, vor Augen zu führen, welche Lage und welche menschlichen und sachlichen Verhältnisse solche Zustände ermöglicht
Tagesspiegel
Von der Oberreichsamvalischaft ist gegen den zweite« Bundesvorsihenden des Reichsbanners, hölkermann. ein Verfahren wegen Landesverrats eingeleitek worden. Hölter- mann hakte einige Rundschreiben über Kleinkaliberschießen in Ostpreußen in der Reichsbannerzeikung veröffentlicht.
haben. Daraus sei erst v>e wirkliche, die menschliche Beurteilung der Vorfälle möglich. — Die „Deutsche Tagesztg." erklärt, das Urteil sei ungeheuerlich. Es beruhe auf der höchst schwankenden Grundlage zweifelhafter Verdachtsgründe und lasse die Zeitumstände vollständig außer acht. — Der „Lokalanzeiger" sagt, schwerlich werde die Ansicht des Sondergerichts, daß die Angeklagten der Tat überfüh't seien, überall geteilt werden. Wenn trotzdem vier Todesurteile gefällt wurden, so könne man kaum eine andere Erklärung dafür finden, als daß die fanatische Hetze gegen die Reichswehr ihre Beeinflussungskraft auch auf den Gerichtshof leider nicht verfehlt habe. — Der „Vorwärts" schreibt, jene Banden wären bald ausgeräuchert worden, wenn ihnen der amtliche Schutz der Reichswehr nicht zur Seite gestanden hätte. Ein großer Teil der Berliner Schutzpolizei habe darauf gewartet, die Arbeitskommandos in ihren Verstrecken in Löberitz und Spandau zu packen. Die preußische Regierung und besonders der Minister Severin g haben damals die volle Auswirkung der Putschgefahren verhindert. Die Hauptsache sei, daß nun vor aller Oeffentlichkeit die Fäden aufgedeckt worden seien, die von der „nationalen Verteidigung" zu dem Mordsystem der „nationaikommunistischen Hausen" führten.
Die Neuregelung der Invalidenversicherung
Der Sozialpolitische Ausschuß des Reichstags beriek am Samskag die beabsichtigten Veränderungen in der Invalidenversicherung. linker Ablehnung aller weitergehenden Anträge der Linksparteien wurde ein Initiativ-Gesetzenkwurf der Regierungparteien über Leistungen und Beiträge der Invalidenversicherung durch Mehrheitsbeschluß angenommen. Dieser Gesetzentwurf, der am 1. Juli in Kraft treten soll, sieht folgende neuen Lohn Klassen und Beiträge vor:
Klasse
Wochenlohn
Beitrag
I
bis zu
6 Mark
30 Pfennig
ll
von mehr als 6 „ „
12 „
60
III
„ „ ,. 12 „ „
18 „
so
IV
.18 „ .,
24 „
120 „
V
2-1
30 „
ISO
VI
I so I I
36 „
180 „
VII
,. „ „ 36 Mark
200
, Entgegen dem bisherigen Zustand wird nach dem gefast ten Beschluß ab 1. Juli die Witwenrente bei vollende tem,65. Lebensjahr auch dann gewährt, wenn keine Arbeitsunfähigkeit der Witwe vorliegk. Die Zusahsteigerungen aus den bis zum 30. September 1921 gültigen Lohnklassen betragen für jede Beitragsmarke ab 1. Juli in der Lohnklasse I 2 -Z, in II 4 -Z, in HI 8 H, in IV 14 Z und in V 20 sind also verdoppelt. Ferner wurde beschlossen, daß auch diejenigen Witwen, die durch das Cinführungsgesetz zur Reichsversicherungsordnung vom Bezug der Hinterbliebenenrente ausgeschlossen waren, ab 1. April die Hinterbliebenenbezüge erhalten, soweit Anspruch auf die Invalidenrente bis 1. Jan. 1925 bestand. Für die bis dahin bestehenden Ansprüche auf Invalidenrente wird auch der Kinderzuschuß vom 1. April an gewährt. Die Besprechung der übrigen Bestimmungen des Antrags der Regierungsparteien wurde vertagt.
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Die Invalidenversicherung beansprucht von den Ueber- schüfsen der Angestellkenversicherung 40 Millionen, und die Reichsregierung hat diesen Anspruch anerkannt und die 40 Millionen als Teil ihres gesamten Finanzprogramms in den Haushalt eingestellt. Die Angestellkenversicherung steht dagegen auf dem Standpunkt, daß sie nur 1)4 Millionen abgeben könne, lieber diesen Streitpunkt wurden Vertreter der beiden Versicherungsanstalten als Sachverständige vernommen, aber eine Ilebereinstimmung war nicht zu erzielen. Zur Bearbeitung der Frau wurde ein Unterausschuß gebildet, der am beitung der Frage wurde ein Unterausschuß gebildet, der am nicht dem Arbeitsministerium gelungen ist, mit den beteiligten Versicherungsanstalten zu einem billigen Ausgleich zu kommen.
Nene Nachrichten
Streitfall zwischen Kirche und Polizei
Berlin, 28. März. Ende Januar lief bei der Berliner Kriminalpolizei ein Schreiben aus dem osthavelländischen Dorf Königshorst ein, worin der dortige Ortspsarrer Schnoor verdächtigt wurde, im Dezember 1918 seinen Schwager, den damals 23 Jahre alten Leutnant Wirth, vorsätzlich erschossen zu haben. Die Staatsanwaltschaft ließ
durch die Polizei Ermittlungen anflellen. Ein Kriminalkommissar und ein anderer Polizeibeamter holten den Pfarrer nach Berlin zur Vernehmung. Generalsuperintendent O. Dr. Dibelius nahm nun anläßlich eines Gottesdienstes in Königshorst Veranlassung, gegen die Polizei scharfe Beschwerde zu führen. Es sei eine Ungeheuerlichkeit, einen Pfarrer, der ein durchaus unbescholtener Mann sei, bei Nacht und Nebel zu verhaften. Die Berliner Polizei habe dieses Unrecht bis zum heutigen Tag nicht wieder gut gemacht. Es sei zu erwarten, daß der Landtag die Zustände im gegenwärtigen Polizeiwesen gründlich bespreche. Der Leutnant Wirth sei seinerzeit von Kommunisten erschossen worden. — Das Polizeipräsidium erklärt, Ende vorigen Jahrs sei von einem Einwohner von Königshorst die Anzeige eingelaufen, die Ermordung Wirths stehe im Zusammenhang mit gewissen häuslichen Verhältnissen des Pfarrers. Der Pfarrer sei aus Aufforderung freiwillig zur Vernehmung nach Berlin gekommen. Das Polizeipräsidium habe bei der obersten Kirchenbehörde Vorstellungen erhoben, daß I). Dibelius in -in ickwebendes Verfahren eingegriffen habe.
Die Anerkennung für 46jährige Beamtendienste
Berlin, 28. März. Den Beamten, die auf eine 40jährige Dienstzeit zurückblicken können, soll künftig ein vom Reichspräsidenten unterzeichnetes Anerkenn- nungsschreiben ausgestellt werden. Bei den Behörden sollen nun Zweifel darüber entstanden sein, ob bei der Erteilung dieser Urkunden auch solche Beamte in Frage kommen, die abgebauk oder inzwischen in den Ruhestand versetzt worden sind. Dagegen wird in Beamken- kreisen Einspruch erhoben, weil jeder Beamte gerecht behandelt werden solle, jedenfalls solle man die in Frage kommenden abgebauten oder in den Ruhestand versetzten Beamten fragen, ob sie die Urkunde wünschen oder nicht. Es werde wenige solche Beamte geben, die nicht z. B. eine von dem Reichspräsidenten v. Hindenburg Unterzeichnete Urkunde haben möchten.
Neue Aheinbrücken
Berlin. 28. März. Im Reichstag ist zum Haushalt des Ministeriums für die besetzten Gebiete eine von allen Par.- teien mit Ausnahme der Kommunisten Unterzeichnete Entschließung eingegangen, die die Aeichsregierung ersucht, auf eine beschleunigte Inangriffnahme der Vorarbeiten zum Bau von Rheinbrücken in Ludwigshafen, Speyer und Maxauim Zusammenwirken von Reichsregierung» Reichsbahnhauptverwaltung, den beteiligten Ländern und Gemeinden hinzuwirken.
Der zweite Prozeß wegen Beleidigung Dr. Stresemanns
Plauen, 28. März. Vor dem hiesigen Schöffengericht begann heute die zweite Verhandlung in dem Prozeß gegen den Rechtsanwalt Dr. Otto Müller in Plauen wegen Beleidigung des Reichsaußenminiskers Dr. Stresemann. Im November vorigen Jahres hatte vor dem hiesigen Schöffengericht die erste Verhandlung stattgefund'en. Diese wurde nach vierstündiger Dauer vertagt, da der Angeklagte Dr. Müller weitgehende Beweisanträge gestellt hakte. Reichs- minisker Dr. Stresemann hak sich der Klage als Nebenkläger angeschlossen.
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Werbungen für eine englische Fremdenlegion
Belgrad, 28. März. Amtlich wird bestätigt, daß der englische Konsul in Agram (Kroatien) in der letzten Zeit Leute für das englische „K o l o n i a l h e e r", besonders für China, angeworben hak. Die Regierung hak weitere Anwerbungen verboten.
Die Ereignisse in China
M Schanghai, 28. März. Der südchinesische Oberbefehlshaber, General Tsch a n g k a i s ch e k, ist in Schanghai eingetroffen und empfing den Besuch des Altersführers des diplomatischen Korps, des norwegischen Generalkonsuls, sowie des russischen Konsuls. Tschangkaischek verlangt in einer den Vertretern der Mächte übergebenen Denkschrift die Abschaffung der Fremdenvorrechte und der ungerechten, China seinerzeit aufgezwungenen Verträge.
Fünf japanische Kriegsschiffe sind den Jangtse stromauf, warts nach Nanking abgefahren. Die italienische Streitmacht in Schanghai wird auf 1000 Mann verstärkt.
Nach der „Daily Mail" kreuzen 4 Panzerkreuzer, 17 Kreuzer, 19 Zerstörer und 7 Tauchboote der japanischen Marine an der chinesischen Küste nördlich des Jangtse.
Ein amerikanischer Zerstörer brachte 39 Amerikaner, 22 Frauen und 6 Kinder aus Nanking nach Schanghai. Sie waren in Nanking unter dem Schutz kantonesischer Soldaten auf das Schiff gebracht worden.
In ganz China herrscht größte Empörung über die rücksichtslose Beschießung der Stadt Nanking durch die englischen und amerikanischen Kriegsschiffe. Weit über 1000 Chinesen sollen getötet und verwundet worden sein, während bei dem Kampf am Hügel nur 25 englische und amerikanische Matrosen gefallen sind.
Der Befehlshaber der französischen Schutztrupfien
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62. Jahrgang
Dienstag den 29. März 1927
Nummer 73
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