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Nummer 54
Fernruf 179
Montag drn 7. März 1927
Die koloniale Frage
Vorbereitungen für eine Verständigung?
Bei den Verhandlungen in Genf haben die Verbündeten die „Berechtigung" Deutschlands-; auf Wiedererwerb von Kolonien anerkannt und beglaubigt. Nur „seien gerade keine Mandate frei" entschuldigte sich Chamberlain hinterher. Daß wir verstanden haben, zu kolonisieren, ist lange schon nicht mehr nur Wissen Eingeweihter. Und schließlich haben wir vor der anständigen Welt ein Recht auf Wiedergutmachung, nachdem die koloniale Schuldlüge gesallen ist. Dies zu bestreiten, ist unanständig.
Neulich hat es im englischen Unterhaus wieder eine „M a n d a t s a u s s p r a ch e" gegeben. Der Gouverneur des Tanganjika-Gebiets (früher Deutsch- Ostafrika) hatte sich unvorsichtig ausgedrückt, und A m e r y, der britische Kolonialminister, hatte die Ausgabe, für ihn einzustehen. Da wird immer darauf herumgeritten, ob es möglich sei, Großbritannien ein Mandat zu entziehen, und diese' Frage wird von der Regierung prompt vernein^ Sie sagt: ErsthabendieVerbündetendiedeut- schen Kolonien unter sich verteilt, und dann haben sie den Völkerbund zum Hüter ihrer „Mandate" eingesetzt. Daß sie es taten, um die Anrechnung dieser Milliardenwerte auf Kriegsentschädigung zu verhüten, sei nur nebenbei erwähnt. Sie zwangen Deutschland ausdrücklich, auf alle Rechte in und an seinen überseeischen Besitzungen usw. zu verzichten. Aber, und darauf kommt es uns an, sie begründeten die Erpressung des deutschen Verzichts mit der Schuldlllge.
Als die Frage verhandelt wurde, Togo und Kamerun an Deutschland zurückzugeben, wies Frankreich darauf hin, daß dann Englands Anteil zu klein wäre. Daß die Dinge noch im Fluß sind, beweist die Aufgeregtheit der Kenya- Siedler, die hinter den Erwartungen zurückbleibenden Aufwendungen der britischen Regierung, die Verschlossenheit der Londoner City und die immer wiederkehrenden Anfragen im Unterhaus. Was fehlt, ist der Verhandlungstisch. Nicht ohne Interesse las man dieser Tage in der belgischen Handels-Zeitschrift „Bulletin de l'Jndustrie et du Commerce", daß in kurzer Zeit die koloniale Frage wieder auf- gsrollt werden müsse; die Kolonialrevision sei eine logische, Folge von Locarno. Das Blatt schrieb wörtlich: „Die besten belgischen Kolonialmänner versichern, daß man Deutschland als Mitarbeiter in Afrika gewinnen müsse. Wäre Deutschland nicht ein guter Verbündeter? Man sollte sich noch einmal dessen erinnern, was der vorausschauende Pierre Daye schreibt: Könnte Deutschland nicht eine wertvolle Stütze gegen eine südafrikanische oder englische Invasion sein?"
Wir haben kein Interesse daran, unsere kolonialen Forderungen, zu denen uns Not und Ansehen gleichermaßen treiben, in eine Gegnerschaft gegen England durchzusetzen. Es muß aber doch gesagt werden, daß eine Verquickung der kolonialen Frage mit den europäischen Ostfragen, wie es England vielleicht möchte, zu Verwicklungen führen würde, deren Lösung nicht abzusehen ist. Allein der Weg einer diplomatisch vorbereiteten Konferenz der afrikanischen Kolonialmächte unter Einbeziehung Italiens, dessen wirtschaftliche und bevölkerungspolitische Lage der Deutschland verwandt ist, bietet Gewinn für alle. Eine solche Konferenz könnte auch besonders dann nicht unbedenkliche Reibungsflächen beseitigen, wenn ihr politischer Rahmen etwas weiter gespannt würde. Ein Funkspruch wollte vor kurzem wissen, daß Mussolini und Stresemann im Sommer eine Aussprache auch hierüber haben werden. Bestimmt drangt Italien auf Aufrollung der Gesamtfrage. Und sicherlich weiß auch Lord d'Abernon, der Stresemann in San lands verwandt ist, bietet Gewinn für alle. Eine solche Kon- war, daß einmal Ernst gemacht werden muß.
Reichsmittel für kulturelle Zwecke
Beratungen des Haushaliausschusses Berlin, 5. März, Im Haushaulksausschuß begrnndeke Erz v. Ha r n ack, der Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft die Notwendigkeit der Errichtung eines Auslands! n kti - t u t s. Durch die internationale wissenschaftliche Zufammen- arbeit werde eine unmittelbare Zusammenarbeit der deu - scheu Gelehrten erzielt. Der Ausschuß erhöht aus Antrag Schreiber (Ztr.) den Zuschuß zu den Kosten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft auf 1 100 000 RM. Nach einem Bericht des Abg. Schulz-Bromberg (Dn.) über den Ausschuß für Ostfragen beschloß der Ausschuß, die Reichsrgierung möge im Benehmen mit der preußischen Regierung ein zusammenhängendes Programm vorlegen für die wirtschaftliche und kulturelle Sicherung und Stützung der gefährdeten . >t m a r k in den kommenden Jahren. Angenommen wurde eine sozialdemokratische Entschließung, worin die Reichsreg,erring ersucht wird, im Einvernehmen mit den Regierungen der Länder die Geschichtsschulbücher nach« zuprufen, ob sie dem Art. 148 Abs. 1 der Reichsverfassung entsprechen, und eine soz. Entschließung, die die Reichsregierung um Vorlage eines Reichsgesetzes für die Lehrerbildung und eines Reichsberufsfchulgesetzes ersucht. Angenommen wurde ferner eine Entschließung Dr. Schreiber (Ztr.), worin die Reichsregierung ersucht wird, in eine beschleunigte. Priifung einzutreten, wi§ der.Notlage der be°
Tagesspiegel
eue Nachrichten
Telegrammwechsei zwischen Coolidge und Hindenburg
Berlin. 6. März. Anläßlich der Eröffnung desdeutsch - «mexikanischen Kabels fand heute zwischen dem Reichspräsidenten v. Hindenburg und dem Präsidenten Coo- lidge ein Telegrammwechsel statt. Reichspräsident o. Hindenburg telegraphierte:
Mit Genugtuung begrüße ich die Wiederherstellung der direkten Kabelverbindung zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika, und es gereicht mir zur besonderen Freude, Ihnen, Herr Präsident, und dem amerikanischen Volke anläßlich der Erössnung des neuen Emden— Azoren—Newyork-Kabels meine aufrichtigsten Glückwünsche zum Ausdruck zu bringen. Ich hoffe zuversichtlich, daß die von amerikanischen und deutschen Gesellschaften gemeinschaftlich hergcstellte neue telegraphische Verbindung immer dazu beitragen wird, das gute Einvernehmen zwischen unseren Ländern und ihre wirtschaftlichen Interessen zu fördern und zu erhalten.
Präsident Coolidge antwortete:
Mit großer Freude benutze ich die Gelegenheit der Eröffnung der direkten Kabelverbindung zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland, um Ew. Exzellenz meine herzlichsten Grüße zu senden und der Hoffnung Ausdruck zu geben, daß dieses neue Verkehrsmittel das gegenseitige Verständnis und das gute Einvernehmen zwischen den beiden Ländern fördern wird.
Räumungsbesprechungen ln Gens Die Sicherheilssrage durch Locarno gelöst
Berlin, 6. März. Die „Tägliche Rundschau" nimmt die gestern abend erfolgte Abreise der deutschen Delegation nach Genf zum Anlaß einer Vorschau auf die dort zur Sprache kommenden Probleme und behandelt besonders ausführlich die R h e i n l a n d f r a g e, die zwar nicht auf dem Programm steht, doch wahrscheinlich Gegenstand von vertraulichen Besprechungen Dr. Stresemanns mit dem französischen und englischen Außenminister sein dürfte. Man wird erwarten können, so schreibt das Blatt, daß die Lösung der Rheinlandfrage durch die Genfer Besprechungen weiter gefördert wird. Jedenfalls wird man von deutscher Seite aus versuchen, die Schwierigkeiten, die einer wirklichen Verständigung zwischen Frankreich und Deutschland immer noch im Wege liegen, nach Möglichkeit zu beseitigen- Dabei wird man allerdings im Auge bebakten müssen, daß große Entscheidungen auf diesem Gebiete in Genf nicht fallen können. Auf französischer Seite verficht man immer noch die Notwendigkeit besonderer Sicherbelten. Man denkt an die Einsetzung irgendwelcher Kontrollorgane. Es versteht sich von selbst, daß von solchen Zugeständnissen keine Rede sein kann. Deutschland ist der Ansicht, daß die Sickerbeitsfrage durch die Locarnoverträge restlos gelöst ist. Die deutsche Regierung ist der Ansicht, daß die Bedingungen durchaus erfüllt sind, die nach Artikel 131 des Versailler Vertrages zu einer vorzeitigen Räumung des besetzten Gebietes führen müssen. Auf dieser Grundlage werden wohl von unserer Seite die Verbondtunaen in Genf geführt werden, wenn auch eine nach außen bin sichtbare diplomatisch«
Fernruf 179
62. Zatzrgarrg
Aktion auf Grund des Artikels 431 zurzeit nicht beabsichtigt ist.
Die deutsche Völkerbundsabordnung ist nach Genf abgereist.
Die Reichsregrerung will dem Reichstag Vorschlägen, die ermäßigten Getreidezölle bis zum 31. Juli beizubehalten.
Zum sächsischen Innenminister wurde der Universitäts- Professor Dr. Apelk ernannt.
Das Auswärtige Amt in Mexiko erklärte, Botschafter Tellez werde nach Besuch feines kranken Bruders demnächst nach Washington zuriickkehren.
Der chinesische Kommissar in Schanghai hat die Zurückziehung der außerhalb der Konzession befindlichen englischen Truppen gefordert.
tagten oeutlcyen c-reiiresaroeiler zu neuern in uno gegevenen Falls in einem Nachtragshaushalt die erforderlichen Mittel anzusordern. In dem Artikel, der die Förderung wissenschaftlicher und künstlerischer Zwecke vorstehl, fand Abg. Berndl (Dn.) die SO 000 RM. für die Förderung der künstlerischen Handwerkskultur viel zu gering. Bei dem Etattitel, der die Förderung kultureller gemeinnütziger Einrichtungen und Vereinigungen zum Gegenstand hat, wurde bemängelt, daß nach den Erläuterungen diese Mittel ren. kirchlichen Zwecken zugute kommen sollen. Abgeord. Dr. Löwen st ein (Soz.) erklärt, die Sozialdemokratie lehne grundsätzlich derartige Fonds ab. Die von den Sozialdemokraten und Kommunisten beantragte Streichung dieses Titels wird abgelehnt, der auf 5M0Ö0 RM. bemessene Fonds entsprechend einem Antrag der Regierungsvarteien mit 11 gegen 8 Stimmen auf 1 Million Mark erhöht.
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Der neue preußische Justizminister
Berlin, 6. März. Der Ministerpräsident Braun hat den Senatspräsidenten beim Kammergericht, Dr. Schmid t, zum Staatsminister und Iustimninister ernannt. Ministerpräsident Braun' hat an den scheidenden Iustizminister Am Zehn- hoff ein in herzlichen Worten gehaltenes Dankschreiben gerichtet.
Deutschlands Neutralität
Berlin, 6. März. Aus Paris werden auf Grund angeblicher Informationen aus englischen und französischen politischen Kreisen von einer Nachrichtenagentur Darstellungen verbreitet, wonach Chamberlain in Genf beabsichtige, das ganze Ostproblem aufzurollen, um eine breite anti- russische Front herzusßllen und namentlich Deutschland zur Lockerung seiner deutsch-russischen Beziehungen zu bewegen. Als Gegenleistung werde er vielleicht seine Unterstützung der deutschen Ansprüche auf Rheinlandräumung anbieten.
Der „Berliner Börsencourier" bemerkt dazu, daß an zuständiger deutscher Sieke nicht das geringste von solchen englischen Versuchen bekannt ist, und es niemanden einfällt, diese Kombinationen ernst zu nehmen. Nicht nur der Reichskanzler hat in den letzten Tagen wiederholt darauf hin- aewiesen, daß Deutschlands Stellung zu der augenblicklichen Verschärfung der russisch-englischen Beziehungen von vornherein klar und gegeben ist. Die gesamte deutsche öffentliche Meinung ist einig darin, daß für Deutschland auf Grund der Bcrträge von Locarno, Rapallo und Berlin keine andere als üne durchaus neutrale Haltung in Betracht kommt.
Frankreichs Mobilmachungsgesetz Dienstpflicht ohne Unterschied des Alters und Gescksiechts
Paris, 6. März. Die Kammer hat die Einzelberatung des Gesetzentwurfs betreffend die Organisierung der Nation für die Kriegszeit fortgesetzt. Kricgsminister Painlevs hielt eine Rede, in der er u. a. ausführte, er sei durch den neuen Organismus der nationalen Verteidigung vollkommen beruhigt. Der Gesetzentwurf organisiere die Verteidigung mit Hilfe der ganzen Bevölkerung. Eine Regierung würde einen so umfangreichen Mobilisierungsapparat erst in Bewegung setzen können, wenn sie alle anderen Mittel erschöpft habe und der einstimmigen Zustimmung der Nation sicher sei. Die radikalen Abgeordneten Pinard und Chaumier zeigten sich in der Aussprache beunruhigt darüber, ob nicht Artikel 1 des Entwurfs einen Verzicht Frankreichs auf die Haager und Londoner Abmachungen über den Schutz der Nichtkämpfer in sich schließe. Der Abgeordnete Loucheur sprach sich für die Annahme des Gesetzes aus. Wenn Frankreich je einem Einfall ausgesetzt sein würde, dürften die Feinde Frankreichs dieses Gesetz nicht zum Vorwand nehmen, um Deportierungen von Frauen vorzunehmen. Ein kommunistischer Antrag auf Streichung des Artikels 1 wurde mit 500 gegen 30 Stimmen abgelehnt, ebenso ein Antrag des unabhängigen kommunistischen Abgeordneten Ernest Lafont, der die Streichung der Worte „ohne Unterschied des Alters und Geschlechts" in Artikel 1 verlangt.
Britisch-chinesisches Abkommen über kiukiang
London, 6. März. „Times" berichtet aus Schanghai, daß das Abkommen bezüglich der Zukunft der Kiukiang- konzefsion von O'Malley und dem nationalistischen Vertreter unterzeichnet wurde. Die frühere britische Konzession und der britische Gemeinderat verschwinden, der Polizeidienst wird von Chinesen übernommen, das britische Gemeindeeigentum wird auf den Kiukiang-Club übertragen. Die Chinesen erklären sich bereit, 40 000 Dollar für Verluste, die durch Plünderungen verursacht wurden, zu bezahlen. Kinkiczug wird somit zum Status eines gewöhnlichen Vertragshafens zurückkehren wie Futschau oder Tschefu. „Times" schreibt, es habe bereits seit einiger Zeit die Ansicht bestanden, daß kleinere Konzessionen, wie die von Kiukiang und Tschinkiang und Amoy, ohne ernstliches Bedauern preisgegeben werden können. Der Entschädigungsbetrag werde wahrscheinlich nicht einmal die Hälfte aller angerichteten Schäden decken, aber es verdiene hervorgehoben zu werden, daß die Chm- M überhaupt ein? Entschädigung zugestanden haben.
Verurteilung wegen versuchter Spionage
Leipzig, 6. März. Der 5. Senat des Reichsgerichts verhandelte unter Ausschluß der Oefsentlichkeit gegen den Polizeiwachtmeister Heinrich Keul aus Wies, baden. Keul wurde beschuldigt, im Herbst 1925 auf Veranlassung von französischen Nachrichtenoffizieren an den Manövern der Reichswehr in Thüringen teilgenommen und versucht zu haben, Nachrichten, die im Interesse der Landesverteidigung geheim gehalten werden sollen, dem französisch«" Spionagedienst zu übermitteln. Er wurde wegen versuchten Verrats militärischer Geheimnisse und versuchten Spionagevergehens nach § 348 des Strafgesetzbuches zu 7^ Jahren Zuchtbaus, 10 Innren Ehrverlust und Stellung unter Polizeiaujsicht oerurieilt.
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