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Fernruf !7d
Donnerstag, drn 27. Januar 1927
Fernruf 17S
62. Jahrgang
Um die Ministersitze.
Berlin, 26. Jan. Reichspräsident v. Hindenburg empfing heute vormittag den geschäftsführenden Reichskanzler Dr. Marx zum Bericht über die Verhandlungen zur Regierungsbildung. Daraus fand eine Besprechung mit den in Frage kommenden Parteien im Reichstagsgebäud« statt. Vermutlich wird es sich um die Besetzung des Kabinetts handeln.
Nach der „D. Tagesztg." beanspruchen die Deutschnationalen entsprechend der Stärke der Fraktion drei bis vier Sitze im Reichskabinett.
Die demokratische Fraktion wird sich nach dem B- T. , nicht an der Regierung beteiligen, doch wäre Dr. Reinhold (Dem.) bereit, Reichsfinanzminister zu bleiben, doch ist es nicht wahrscheinlich, daß die anderen Parteien darauf eingehen werden. — Auch der Aeichswehrminister Dr. Geßler gehört bekanntlich der Demokratischen Parkei an.
Nach einer Dresdener Nachricht soll dem bisherigen Reichsinnenminister Dr. Külz (Dem.), der jedenfalls ai« dem Kabinett ausscheidet, das sächsische Innenministerium angebofen worden sein.
Gestern abend verhandelte der Reichskanzler noch mit den Führern verschiedener Parteien.
Einigung über die Richtlinien.
Berlin, 27. Jan. Als Ergebnis des gestrigen Tages ist die nunmehr unumstößliche Tatsache zu buchen, daß das Zustandekommen der bürgerlichen Regierung mit Einschluß der Deutschnationalen gesichert ist. Die Deutsche Volkspartei, das Zentrum und die Deutschnationalen
haben sich heute über die Richtlinien geeinigt, welche für das Zusammenarbeiten in der Koalition maßgebend sein sollen. Die Richtlinien umfassen 5 Punkte und werden durch protokollarisch niedergelegte Interpretationen zum Teil ergänzt. Die 5 Punkte drehen sich um bisher strittig gewesene Fragen der Innenpolitik, der Verfassung, der Reichswehr, um Kulturfragen und um sozialpolitische Fragen. Die Richtlinien sind eine brauchbare Grundlage für ein ersprießliches Zusammenarbeiten der neuen Koalitionsparteien und erscheinen auch für die Deutschnationalen durchaus tragbar.
*
Regierungskrise und Außenpolitik Berlin, 26. Jan. Der Vertreter der Londoner „Times" berichtet über eine Unterredung mit Dr. Stresemann, der ihm gesagt habe: Die gegenwärtige Regierungskrise sei ausschließlich in i n n e r politischen Ursachen begründet. Wenn jetzt die Deutschnationale Volkspartei die Opposition gegen die Locarnopolitik aufgebe und wieder in die Regierung eintrete, so bedeute dies, daß sich seit Oktober 1925 in Deutschland ein bedeutender Wandel vollzogen habe und daß jene Politik auf eine ganz überwiegende Mehrheit sich stützen könne. Es komme darauf an, daß das in Locarno begonnene Werk nur gedeihen könne, wenn es unabhängig von Parkeigruppierungen sei, vorausgesetzt, daß sich in jedem Vertragsstaat die an der Regierung befindliche Mehrheit unzweideutig zum Locarnowerk und seiner Fortführung bekenne. — Von Frankreich scheint dies Dr. Stresemann noch nicht ganz überzeugt zu sein.
Tagesspiegel
Rach einem amtlichen Bericht belaufen sich die Aufwendungen des Reichs für das Rokstandsarbeilsprogramm für das Haushalkjahr 1926 auf rund 630 Millionen Mark. Die Aufwendungen konnten bis jetzt noch ohne Anleiheaufnahme flüssig gemacht werden.
In Berlin wurde ein Sozialversicherungsabkommen zwischen dein Reich. Danzig und Polen unterzeichnet.
Der Oberpräsident von Hannover, Roske, hat eine Reife nach Westindier» angelreken.
Die belgische Regierung lehnt eine Volksabstimmung in drn Rheinlandbezirken Euxn und Malmedy ab; es müsse bei der völkerbundsmäßigen Volksbefragung (die bekanntlich ein unerhörter Betrug war) verbleiben.
Das eidgenössische Schwurgericht in Genf verurteilte den Iwan Iicklh, unbekannter Herkunft, zu 24 Tagen Gefängnis- 500 Franken Geldstrafe. 10 Jahren Verweisung aus der Schweiz und 360 Franken Gerichtskosten. Iusth hakte den ungarischen Vertreter im Völkerbund, Gras Bethlen, im Völksrbundsgebäude übersatten und ihm einige Aomstschläge verseht.
Das norwegische Stört hing bewilligte 40 Millionen Kronen jährlich für die Reuordnung des Heeres und 7.5 Millionen für einmalige Reuanschafsungen.
Die Pariser Blätter stellen fest, daß die Garibaldis nach den Satzungen der Ehrenlegion nicht befugt seien, den Orden zurückzugeben. Dagegen werde der französische Minister des Innern den Großkanzler der Ehrenlegion ersuchen. Ricciokti Garibaldi aus der Mitgliederliste zu streichen. Auch der in Paris lebende Bruder Sänke Garibaldi soll aus Frankreich ansgewiesen werden. — Unrühmliches Ende einer Aden teurer-Familie. die seil dem Anfang der italienischen Em- heikskämpfe 1848 in aller Welt Munde war.
Aus Marokko wird von einem heftigen Kampf zwischen Franzosen und Rifleuten bei Taza berichtet.
Die Einwanderungsausschüsse der beiden Häuser des amerikanischen Kongresses sind in die Beratung der Vorschläge eingetreten, die das Inkrafttreten des neuen Einwanderungsgesetzes um ein Jahr hinausschieben wollen, damit noch Abänderungen der Einwandererquoten aus Grund -er Rassenabstimmung möglich gemacht werden können.
" Der amerikanische Senat hat den Lntschließungsankrag Robinson, der die Schlichtung des Streiks mit Mexiko durch ein Schiedsgericht fordert, angenommen.
: llm neun Milliarden !
Am Freitag ist im Haag das in dem Londoner Abkommen über die Ausführung des Dawesplans vorgesehene Schiedsgericht zusammengetreten, um zum ersten Male über dis Auslegung des Dawesplans in einer Frage zu entscheiden, bei der es sich um Milliardenbeträge für den deutschen Staatssäckel handelt^ Der Sachverhalt ist kurz folgenden Zwischen Deutschland und seinen Gläubigern aus dem Versailler Vertrag und dem Dawesplan besteht Streit über die Frage, ob die Entschädigungen, die das Reich an seine Angehörigen für Enteignungen auf Grund des Versailler Vertrags zu zahlen hat, von den Jahresleistungen des Dawesplans zu bestreiten sind, oder eine Son- d « 1 l a st des Deutschen Reichs n e b e n den Entschädigungen bilden. Das Reich hat nach dem Diktat von Versailles im wesentlichen für folgende vier Schadens-Arten Ersatz zu leisten: erstens für die Einbehaltung und Liquidation deutscher Vermögenswerte und -rechte in den Gebieten der „alliierten und assoziierten Mächte", einschließlich Elsaß- Lothringens, zweitens für den Verlust der deutschen Kapital- anteile an der marokkanischen Staatsbank, drittens für den Raub der deutschen Rechte an der Schantu'ngbahn und vkr- tens'für die „Uebertragung aller deutschen Rechte und B«. teiligungen an öffentlichen Unternehmungen oder Kon- Zessionen in Rußland, China, Oesterreich, Ungarn, Bulgarien der Türkei öder in Gebieten, die früher Deutschland gehört haben.'. Die Gesamtsumme, die für diese Schäden jetzt noch an deutsche Staatsangehörige zu bezahlen ist, wird von der deutschen Regierung mit nicht weniger als 9223 Milt io- nen Reichsmark angegeben.
Der deutsche Standpunkt in dieser Streitfrage geht nun dahin, daß diese Summe von über 9 Milliarden aus den Lrawesleistungen zu bezahlen ist, da der Dawesplan ausdrücklich hervorhebt, daß die in ihm vorgesehenen Jahres» Zahlungen „Deutschlands gesamte Verpflichtungen gegenüber den alliierten und asso. ä'/^lenMächten hinsichtlich der durch den Krieg ver- urjachten Kosten umfassen, einschließlich Kriegsentschädigung, Rückerstattung aller Kosten der Besatzungstruppen, de» Ausgleichsverfahrens bis zur Höhe der Beträge, ^ deutsche Regierung durch Rechtsspruch der ^luschddigungskommissiori endgültig belastet wird, ferner - » ^ Kontroll- und Ueberwachungskommissionen
usw. Der deutsche Anivruck. die Liamdationsichäden aus
dem Konto des Generalagenten zu decken, erscheint demnach, durchaus gerechtfertigt, da der Dawesplan Zahlungen dieser Art selbst als Bestandteil der JahreÄeistungen bezeichnet. Sollte jedoch dieser Satz des Dawesplans über die Kosten des Ausgleichsverfahrens noch irgendwelchen Auslegungskünsten zugäng'ich sein, so bliebe die Frage offen, ob die ^deutschen Entschädigungslasten als „Verpflichtungen getzmuber den alliierten und assoziierten Machten zu betrachten sind. Auch, diese Frage ist offenbar durch den Versailler Vertrag wird Deutschland von den Alliierten die Verpflichtung zu ^mschädigungszahlungen auferlegt, und in dem Vertrag sMst wie auch in einer Note der Alliierten vom 16. Juni 1919 wird die Beschlagnahme deutschen Vermögens gleich- lam als Vorwegnahme und Pfand für die deutschen Ent- schadigungszahlungen betrachtet. In diesem Sinn wird der deutsche Standpunkt von Professor Kaufmann im Haag vertreten.
Dem Ausgang des Verfahrens vor dem Haager Schteds. gericht darf man mit Spannung entgegensehen. Es handelt sich ja dabei nicht allein um einen trockenen Iuristenstreit über Paragraphen und ihre Auslegung. Zur Entscheidung steht vielmehr die Frage, ob auch für die besonderen Ent- schädigungsverpslichtungen aus dem Versailler Vertrag di« Gründe der wirtschaftlichen Moral und des gesunden Menschenverstands ihre praktische Anwendung finden sollen, unter di- von den Mitgliedern de, Dawesausschusses seinerzeit die Verhandlungen gestellt wurden. Und diese Gründe gebieten eine Anerkennung des deutschen Standpunkts, eine Ablehnung neuer Milliarden, lasten für den deutschen Reichshaushalt aug Versailler Tributverpflichtungen auch dann noch, wenn juristisch di« Paragraphen des Versailler Vertrags und das Dawesplans eine enge und für Deutschland ungünstige Auslegung zu erlauben scheinen. Denn der Sinn dieses Plans besteht darin, daß sämtliche finanzielle Verpflichtungen Deutsch« lands aus dem Versailler Vertrag, die bis zum 1. Sept. 1924 noch nicht erfüllt waren, in fest begrenzten Jahreszahlungen lusammengefaßt und unter ein Zahlungssnstem gestellt wurden, das eine Schädigung der deutschen Währung durch wirischastl'ch ungerechtfertigte Ansprüche an den Devisenmarkt und den Reichshaushalt ausschließt. Es hieße diesen gesunden wirtschaftlichen Sinn des Plans umkebren, wenn man eine bestimmte Grupp« finanzieller Verpflichtungen durch den Versailler Vertrag aus diesem System lösen und zu einer Sonderlast für den deutschen Reichshausbalt werden lassen wollte. Die Entscheidung der Streitfrage sollte daber nach diesen Erwä- aungen erfolgen, gleichgültig, ob sich die strittigen Ent- schEgungszahlungen in eine Gruppe von Verpflichtungen einstigen läßt, die der Dawesplan im einzelnen aufzahlt oder nicht.
Neu» Nachrichten
Das Reichskuratorium für Wirtschaftlichkeit Berlin, 26. Jan. Der Reichshaushaltplan für 1927 fordert für das R eich skuratorium zur Hebung der Wirtschaftlichkeit der aewerblichen und in erster Linie d«r 1L«
dustriellen Erzeugung (Rationalisierung) einen Reichs- beltrag von 1,2 Millionen an. Auch die Industrie leistet ejnen Beitrag. In der Beratung im Haushaltausschuß des Reichstags beantragten die Kommunisten die Streichung des Postens. Der Antrag wurde abgelehnt. Abg. Lejeune- Iung (Dntl.) erklärte, er wolle die Tätigkeit des Reichs-, kuratoriums nicht verkleinern, doch sollte die Sache mehr der Privatunternehmung überlassen und weniger Bürokratismus getrieben werden. Abg. Schmid t-Berlm (Soz.) wies darauf hin, daß die Rationalisierung in Amerika nicht durch eine Verständigung der Fabriken untereinander, sondern dadurch zustande komme, daß eine einzelne Fabrik einen bestimmten Gebrauchsgegenstand in ungeheuren Mengen herstelle und zu billigem Preis auf den Markt werfe. Ein Kuratorium mit seiner riesigen Papierarbeit brauche man nicht. Abg. Dietrich (Baden) beantragte dagegen, den angeforderten Betrag auf 2,4 Millionen zu erhöhen. Der Antrag wurde dem Unterausschuß überwiesen.
Gegen die weitere Anforderung von 750 000 Mark zur Zinsverbilligung für Darlehen an Ausfuhrgeschäfte werden von verschiedenen Parteien Bedenken erhoben. Die Forderung wurde ebenfalls dem Unterausschuß überwiesen.
Anweisungen für den Bürgerkrieg
Jena, 26. Jan. In der kommunistischen Buchhandlung in Jena wurden in einem Versteck 1000 Anweisungsbücher für den Bürgerkrieg entdeckt und beschlagnahmt. Zugleich wurde ein großes Lager gefälschter Ausweispapiere mit den dazu gehörigen Stempeln usw. gefunden. Der Leiter der Buchhandlung, Herz er, wurde verhaftet. Die Kommunisten haben ihre Liste für die bevorstehenden Landtagswahlsn zurückgezogen.
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Bund der evang. Kirchen ln der Tschechoslowakei
Prag, 26. Jan. Einer Korrespondenzmeldung zufolge wird am 2. Februar die Gründung des „Bundes der evang. Kirchen in der Tschechoslowakei" vorgenommen werden. Der Bund wird die Angehörigen der in der Republik bestehenden sechs evangelischen Bekenntnisse —zurzeit 600 000 Seelen — umfassen. Die deutschen evang. Kirchen, die Reformierte und die Freie reformierte Kirche, bleiben vorläufig außerhalb dieses Verbands.
Die Lage in China
London. 26. Jan. Der englische Zollinspektor in Schang- Hai, der sich geweigert hatte, die chinesischen Zuschlagszölle einzuführen, ist von der Regierung in London angewiesen worden, der chinesischen Forderung zu entsprechen; den Kaufleuten wurde geraten, die Zolle zu zahlen.
Die englisch-indischen Streitkräfte in China wurden dem Generalmajor Duncan unterstellt. Dieser soll nach dem „Evening Standard" erklärt haben, der britische Reichsgeneralstab babe vorläufig nicht die Absicht, einen „Oberbefehlshaber -zu ernennen, da dies einen Kriegszustand bedeuten würde, der noch nicht bestehe. „
Der diplomatische Mitarbeiter des „Daily Telegraph" schreibt, die britischen Truppen werden sich zwar nicht wider», setzen, wenn die Kantontruppen in die chinesische Innenstadt Schanghai eindringen sollten, aber, sie werden es nW