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NüMMLr 19

Fernruf 179

Dienstag, den 25. Januar 1927

Fernruf 179

62. Jahrgang

Was ist national?

Was ist des Deutschen Vaterland? Vor mehr als hundert Jahren hat Arndt die Frage aufgeworfen, aber sie wird heute noch verschieden beantwortet. Der Engländer kennt den BegriffVaterland" überhaupt nicht, und doch hat er ein Vaterland, groß und stark und stolz, und es ist überall, wohin er seinen Fuß setzt. Die Deutschen haben das Wort und streiten sich seit Jahrhunderten um seinen Sinn. Das ganze Deutschland soll es sein! Gut, aber das Vaterland ist nicht nur ein geographischer und wirtschaftlicher, es ist noch mehr ein kultureller und sozialer Begriff.

Die Neigung des Deutschen zur itio in partes (Zer­splitterung in Parteien), von der Bismarck sprach, ist im Grund nichts anderes als die Sucht, sich besser zu dünken als seine Brüder. Besser nicht nur in der wirtschaftlichen Und sozialen Stellung, sondern auch in der Gesinnung. Man möchte meinen, daß die Opfergemeinschaft des Weltkriegs ein starker Kitt wäre. Aber lange schien es, als ob der Deutsche nur einen Feind Habe, nämlich den DeuMen. Das ist jetzt etwas besser geworden, aber die jahrelange Verhetzung, deren beschämende Folgen wir kennen, wirkt noch heute nach und zeitigt immer wieder üble Früchte. Wer ist in Deutschland nicht schon einVolksfeind" oder einVatsrlandsverräter" gewesen! Erst kürzlich mutzte sich der Führer des Jungdeutschen Ordens auf einer Tagung in Leipzig gefallen, daß er aus seinen eigenen ReihenLandes­verräter" genannt wurde, weil er den Gedanken aus­gesprochen hatte, daß es zwischen 7Schwarz-Weiß-Rot" und Schwarz-Rot-Gold" schließlich doch ein Zusammenarbeiten geben müsse. Und in dem Verfassungsstreit der Deutschen Studentenschaft wird bereits zwischennationaler" und republikanischer" Front unterschieden, als ob die beiden Begriffe Gegensätze darstellten und als ob es sich in diesem Streit um eine Frage der Gesinnung und nicht vielmehr um eine Frage des Rechts und der politischen Vernunft handelte. Wo die Begriffe sich so verwirren, ist es oft recht schwer, einen Augsgleich zu finden.

Und doch muß dieser Ausgleich gefunden werden. Der Deutsche bekundet wahre nationale Gesinnung, der in seinem Volksgenossen, gleichviel in welchem Lager er stehen mag, immer zuerst den Deutschen sieht. Wir müssen uns frei machen von all den Schlagworten, die unser öffentliches Leben vergiften und im besten Fall wechselnde Wahrheiten sind. Auch der Kapitalist kann ein wahrer Bolks- freund, der internationale Sozialist ein Vaterlandsfreund sein. Gesinnungen beweist man nicht durch Wort«, sondern allein durch die Tat. Bon einer Gesinnung der Tat ist die heute üblich? Splitterrichterei doch meist recht weit ent­fernt. Der innerlich freie Mensch hat Verständnis für jeden Standpunkt, er hat vor allem Achtung vor jeder ehr­lichen Ueberzeugung. Es ist aber geschmacklos, aus den Prinzenmärchen eines Hochstaplers das Recht zur Ver­letzung van Gefühlen abzuleiten, die andern heilig sind. Deutschlands Fürstenmacht gehört der Vergangenheit an, ob für immer, das wird doch in erster Linie von dem Maß abhängen, in dem die Republik es versteht, moralische Er­oberungen zu machen. Die politischen Parteien, die an Stelle der Fürsten getreten sind, haben bis jetzt nur bewiesen, daß auch sie von souveränen Machtgedanken erfüllt sind. Aus das Bessermachen kommt es an, auf Erfolge, die über­zeugender wirken als Reden. Wir möchten wünschen, daß alle Deutschen in den großen Gedanken des Bolksstaats hineinwachsen. Ihnen das zu ermöglichen, ist die Aufgabe der nationalen Politik. Dazu gehört aber nicht nur Erfolg, sondern auch Duldsamkeit. Die Menschen nehmen sich im allgemeinen viel zu wichtig und vergessen leicht, daß jeder einzelne doch nur ein winzig Teilchen des großen Ganzen ist. Das Ganze immer und überall im Auge behalten, nicht die Partei, das ist national.

Die Tatbeweise seiner Gesinnung, die unser ganzes Volk ohne Unterschied der Parteien und der Stände im Weltkrieg gegeben hat, sollte niemand vergessen. Wie wollen wir vom Ausland Achtung erwarten, wenn wir uns gegen­seitig nicht achten können? Goethe hat seinen Deutschen den Rat gegeben:Vor allem seid eins in Liebe unter­einander/' Das Vaterland soll ein Reich gegensetiger Liebe und gegenseitigen Verstehens sein. Mag dieses Vaterland auch schwer zu verwirklichen sein, so ist es doch eist Ziel, für das wir alle kämpfen müssen.

Frankreichs Bereitschaft für den nächsten Krieg

Paris, 24. Jan. Unter dem Vorsitz des Generals und Abgeordneten Girod trat der Heeresausschuß der Kammer zusammen, um die zusammenfassenden Ausführungen des Sozialisten Paul-Boncour zu dem GesetzesvorMag anzuhören, der die allgemeine Organisation der französischen Nation in Kriegszeiten regeln soll. Paul-Boncour führte u. a. aus: 1. Man kann nicht verkennen, daß ein Kneg immer noch im Bereich der Möglichkeit liegt. Ein solcher Krieg wird nicht mehr ein rein militärischer Krieg sein, sondern einAllgemeinkrieg". Die ehemalige Unter­st, e i d u n g zwischen Zivilbevölkerung u. Krieg- führenden wird nicht mehr gelten. 2. Die Or­ganisation für Kriegszeiten muh der politischen, verwal­tungsmäßigen und wirtschaftlichen O r g a n i s.a t i o n in

Tagssspiegel

Der deutsche Pastor katterseld in kowno, der von einer Beerdigung weg verhaftet wurde, ist mit seiner Familie aus Litauen ausgewiesen worden.

Der Rtemettändischs Landtag ist durch den litauischen Gouverneur ohne Angabe von Gründen ausgelöst worden. Die Reuwahlen müssen innerhalb ö Wochen vorgenommen werden.

Die Polen legen in der Festung Posen zwei neue starke Forts an. Die Garnison wird um ein Infanterieregiment verstärkt.

Die an dem Katalonier-Putsch beteiligten Obersten Macia (Spanier) und Ricciotti Garibaldi (Italiener) wurden vom Pariser Gericht wegen verbotenen Waffenbesitzes zu je 2 Monaten Gefängnis und ISO Franken Geldstrafe, weitere Angeklagte Katalonier bis auf einen Italiener zu ie 1 Monat Gefängnis und 50 Franken Geldstrafe verurteilt. Alle Verurteilten werden aus Frankreich ausgewiesen. Gari­baldi will nach Amerika auswandern, wo er mit seinem Bruder Peppino Zusammenarbeiten will. Macia gedenkt nach Chile oder Kuba überzusiedeln

ncllen lei vereirs eine Verstanmgung uoer em Zusammen­arbeiten in der bürgerlichen Regierung erzielt worden. Als Führer der Verhandlungen, die schon in den vergangenen Sommer zurückreichen sollen, feien auf deutschnationaler Seite der frühere Staatsminister und Staatssekretär des Innern Wall ras, der württ. Gutsbesitzer Dr. Schenk und Freiherr v. Stauffenberg, auf seiten des Zen­trums Reichsarbeitsminister Dr. Brauns und Reichs- lagsabg. Prälal Pros. Dr. Kaa s-Trier tätig. Bei den frühe­ren Besprechungen sollen auch Mitglieder des hohen Kle­rus, insbesondere Fürstbischof Bertram in Breslau und der päpstliche Nuntius Pacelli vermittelnd eingegriffen haben. Bei diesen Besprechungen seien Grundlinien für kul­turelle und kirchliche Fragen, insbesondere für das Reichs­konkordat und das Reichsschulgesetz gezogen worden.

Diesen Gerüchten gegenüber wird von deutschnationaler Seite bestimmt erklärt, daß von den Abgeordneten Wallraf, Stauffenberg und Schenk nirgends und zu keiner Zeit der­artige Verhandlungen geführt worden sind. Ebenso er­mächtigen Dr. Brauns und Dr. Kaas dieGermaina" zu der Erklärung, daß weder sie noch die angeführten Kirchen­vertreter jemals die behaupteten Verhandlungen geführt haben. Es scheint sich bei den Gerüchten um Versuche zu bandeln, die in Gang befindlichen Verhandlungen über die Regierungsbildung zu stören.

Friedenszeicen angepayi ,ein, uno zwar ge­mäß einem genau festgelegten Plan. 3. Der Gesetzesvor­schlag stellt nur einen allgemeinen Rahmen dar. Er legt grundsätzlich fest, daß die Pflicht zur nationalen Perteidigung sich auf alle franz. Staats- ngehörige, beiderlei Geschlechts, erstreckt, ebenso wie auf alle in gesetzlicher Weise aufgebauten Ver­einigungen. Der Krieg darf keine Quelle für besonder Kriegsgewinne sein. Die Pflicht zur nationalen Verteidi­gung umfaßt für alle diejenigen, die über die notwendigen materiellen Hilfsquellen verfügen, den Zwang, diese dem Lande zur Verfügung zu stellen. Im Notfall aber kann die Regierung i e q u i > i e ve n, je­doch nicht bloß durch Militär- und Marinebehörden. Die Oberkommandierenden der Streitkräfte zu Wasser und zu Lande sind berufen, die allgemeine Leitung der Militär­operationen nachdenWeisungenderRegierung zu übernehmen. Die lieberwachu g ist Sache der vor dem Parlament veranü. örtlichen Regierung. Was die parlcw mentarische Lage in Kriegszeiten betrifft, so möchte Paul- Boncour dem Heeresausschuß den Vorschlag überlassen, wie die heikle Frage der militärischen Verpflichtun­gen von Parlamentsmitgliedern behandelt werden solle. Die neue Ordnung werde große Geldopfer erfordern.

Neue Nachrichten

Entspannung

Berlin, 24. Jan. Am Samstag zeigte sich eine leichte Entspannung der Regierungskrise; die Verhandlungen sind in.Gang gekommen. Die deutschnationale Fraktion hat fest­gestellt, baß die vorsichtig abgesaßke Kundgebung des Zen­trums kein Hjnderungsgrund für eins sachliche Zusammenarbeit von Deutschnationalen und Ze^/rum bilde. Die demokratische Fraktion veröffentlicht eir.^ Erklärung» daß die Zentrumskundgebung nach ihrer Ansicht eine geeig­nete Grundlage zu Verhandlungen mit allen Parteien ein­schließlich der Sozialdemokraten und Deutschnationalen sei. Die Demokraten haben also ihren Widerstand gegen die Deutschnationalen aufgegeben, wollen sich aber an der Koa­lition nur beteiligen, wenn die Sozialdemokratie mittut.

Am Samstag nachmittag empfing Dr. Marx den Vor­stand der demokratischen Fraktion, darauf den Führer der Bayerischen Volksparte! Dr. Leicht, danach die deutsch­nationalen Wgeordneten Grafen Westarp, Bruhn uni» W a l l r a s.

Am Montag begannen die eigentlichen Verhandlungen mit den Parteien. Vormittags 10 Uhr besprach sich Dr. Marx mit den Vertretern der Deutschen Volkspartei in An­wesenheit Dr. Stresemanns und Dr. Brauns, darauf mit Dr- Leicht. Es soll sich gemäß dem Auftrag des Reichs­präsidenten nur um eine bürgerliche Regierung handeln.

Die Verhandlungen mit den Deutsch nationalen wurden nachmittags 2 Uhr unterbrochen und sollen am Dienstag vormittag 10 Uhr fortgesetzt werden, nachdem die Fraktion eine Sitzung abgehalten haben wird. Nach dem N.d.V.D.Z. hat Dr. Marx erklärt, das Ergebnis sei bis jetzt nicht ungünstig gewesen. Ueber die sozialpolitischen Forderungen des Marxschen Programms, dieSymbole der Republik" (Schwarz-rot-Gold?), und die Schulpolitik sei jedoch noch keine volle Einigung erzielt. Diese Punkte machen eine Fraktionssitzung der Deutschnationalen not­wendig.

Versuchballons

Merlin, 24. Jan. In einigen Berliner Blättern wird gerüchtweise" erwähnt, zwischen dem rechten Flügel des Zentrums und der katholischen Gruppe der Deutschnatio»

Arbeilervertreter im Handwerksbeiral Berlin, 24. Ian. Im Haushaltausschuß des Reichstags teilte Reichswirtschaftsminister Dr. Curtius mit, daß Ver­handlungen schweben mit dem Reichsverband des Hand­werks über die Zuziehung von Arbeiterverkretern in den Reichsbeirat des Handwerks.

Die Entschließung eines Abgeordneten, daß aus Grün­den der Sparsamkeit mit der preußischen Regierung wegen einer Vereinigung des preußischen statistischen Amts mit dem Reichsamt verhandelt werden solle, wurde an­genommen.

Weiterer Eisenbahner-Abbau Berlin, 24. Ian. Rach dem Bericht des Aeichsverkehrs- ministers soll eine Verminderung des Äeichsbahn- personals von 707 839 auf 692 300 Köpfe, also um rund 15 000 vorgenommen werden. Die Durchschnikts- bes oldung soll von 3523 (1936) aus 2571 Mark erhöht werden. Der Kohlenverbrauch wird (wegen Ein­führung der Elektrizität) im Iahr 1927 auf 13,1 Millionen Tonnen gegen 15.14 in 1926 angenommen. Für Aus­gaben für Oberbaustoffe und Baustoffe sind 263,6 Millionen Mark vorgesehen gegen 255,3 Millionen in 1926.

Der badische Landtag hat mit 40 Stimmen (Zentrum, Demokraten und Sozialdemokraten) gegen 1 Stimme bei 13 Enthaltungen einen Antrag angenommen, der gegen die weitere Verminderung des Reichsbahnpersonals bei der Reichsregierung Einspruch erhebt.

Die «mittlere Reife"

Berlin, 24. Ian. Mit dem Fortfall der Berechtigung zum Einjährig-Freiwiüigendienst hat auch das ehemalige Einjährig-Freiwilligen-Zeugnis nach Obersekunda seine in­nere Berechtigung verloren. Reich und Länder sind daher übereingekommen, den Begriff der mittleren Reife einzu­führen nach mindestens sechsjährigem Lehrgang in einer Fremdsprache. Welche Berechtigung im praktischen Leben die mittlere Reife, die auch für Mädchenschulen gilt, verleiht, wird zunächst der weiteren Entwicklung überlassen werden müssen.

3900 neue Skeuerbeamle

Berlin, 24. Ian. Eine Abordnung des Bunds der Reichssteuerbeamten erklärte dem Staatssekretär des Reichsfinanzamks Popih, es seien etwa 3000 weitere Beatme nötig, um den geregelten Betrieb in den Steuer- ämkern zu sichern. Der Staatssekretär sagte eine Prüfung der Forderung zu. Da war die frühere Landesbesteue­rung doch eine weit einfachere Sache.

Der üronprinzensohn und die Reichswehr

Berlin. 24. Jan. Die Liga zum Schutz der Deutschen Republik hatte bei der Oberstaatsanwaltschaft in Potsdam Strafantrag gestellt wegen strafbarer Handlungen, an­geblich begangen durch den Kronprinzensohn und die bei dem Manöver in Münsingen zuständig gewesenen Offiziere. Darauf ist ihr jetzt, wie derBerliner Lokalanzeiger" meldet, der nachstehende Bescheid zugeganaen:Aus die hier am T November 1926 eingegangene Anzeige gegen Wilhelm Prinz von Preußen wegen Vergehens gegen den Para- graphen 132 und Uebertretung des Paragraphen 360 Ziff. 8 des Reichsstrafgesetzbuchs teile ich mit: Ich habe das Ver­fahren eingestellt, da eine strafbare Handlung nicht festgestellt worden ist. Denn nach der Auskunft des Reichs­wehrministeriums vom 22. Noo. 1926 und dem Zeugnis des Obersten Hayn vom Reichswehrregiment 9 hat der Be­schuldigte in der Zeit zwischen dem 14. August und 9. Sept. 1926 lediglich alsZuschauereinzelnerUebungen des Reichswehrregiments 9 als Gast des Stabs beigewvhnt- Eine Befehlshabergewalt war ihm weder übertragen noch hat er solche ausgeübt. Der Beschuldigte hat weh ex

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