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Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw. 98 . Jahrgang.
Srsch-inunaswktse : 6mal wSchentl. Anz-ig-nprei»: Die Z«U« moyg M., Famllienanzeigen
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Donnerstag, den 16. August 1823.
Be, u, » prei»: In der Stadt mit TrLgerlohn SV 000 M. monatlich. Postbezugipret» L0 000 Mk ohne Bestellgeld. Einzelnummer Mvo MI. — Schluß der «nzeig-nannahm- s Uhr vormittag».'
Neueste Nachrichten.
Der Reichstag hat gestern seine kurze, aber bedeutungsvolle Tagung beendet und sich aus unbestimmte Zeit vertagt.
Las Kabinett Stresemann findet im Ruhrgebiet günstige Aufnahme.
Bei dem Empfang de» Reichslandbundes betonte der Reichskanzler» daß die Reichsregierung wie mit jedem anderen Be- russstand, so besonders auch mit der Landwirtschaft enge Zusammenarbeit pflegen wolle.
! Die Bergarbeiterverbände warnen ihre Mitglieder vor Unbesonnenheit und Generalstreik.
'In der sächsischen Lausitz find proletarische Hundertschaften zu Plünderungen Lbergegange«.
iZn Aachen wurden Lei Zusammenstößen zwischen demonstrierenden Arbeitern und Polizeibeamten mehrere Personen getötet.
Reichstag.
Berlin, 16. Aug. Beginn der Sitzung nachmittags 2 Uhr. Ein Antrag aller Parteien auf Erhöhung der Zulagen in der Unfallversicherung wird debattelos in allen drei Lesungen angenommen. Es folgt die erste Beratung des Gesetzes über wertbeständige Post-, Postscheck- und Telegraphiegebühren. Nach der Vorlage joll die Grundgebühr durch Vervielfältigung mit einer Schlüsselzahl berechnet werden, deren Grundlage die jeweilige Regelung der Bezüge des Personals sein soll im Vergleich zum 1. Juli 1914 oder eine allgemein gültige Reichsindexziffer. Auf diese Grundlage soll der Postminister am 1. oder 16. jeden Monats die Gebühren festsetzen. Die Vorlage wird ohne Aussprache in allen drei Lesungen angenommen, ebenso Las Fernsprech- gebührengesetz. Es bringt unter Fortfall der Grundgebühr einen reinen Eesprächsgebührentarif, Lei dem aber monatlich eine Mindestzahl von Ortsgesprächen bezahlt werden mutz. Auch die Fernsprechgebühren sollen wertbeständig gemacht werden. Ein Antrag Esser (Zen.) fordert mit Rücksicht auf die Schwierigkeiten des Handwerks und der Kleinunternehmer anläßlich der Leid ent- wertung die Regierung auf. die Vergebungsstellen Arbeiten aufzusordern, den Lieferanten AbschlagszWÄWn auf Lieferungen zu gewähren. Der Antrag wird
Zu dem vom Abg. Kergt (Dn.) c ingebrachten GessDrkwNrf über die finanzpolitischen Vollmachten der Reichsregierung die Regierungsparteien eine Entschließung vorgelegt, wonach die Regierung alsbald Gesetzentwürfe einbringen soll, welche durch Belastung der Vermögenswerte der Wirtschaft und als Ueber- gang zu einer wertbeständigen Währung eine Sanierung der Reichsfinanzen in die Wege zu leiten geeignet sind. Nachdem Reichsfinanzminister Dr. H i lfe rdi n g auf eine Anregung des Abg. Dr. Helfferich (Dn.) zugesagt hatte, daß die Regierung in dieser Frage mit den Berufsständen in stetiger Fühlung bleiben werde, wird die Entschließung angenommen.
Der Besoldungs- und Reichshaushalt des Reichsbankdirektoriums wird debattelos in zweiter und dritter Lesung genehmigt.
Abg. Dr. Herzfeld (Komm.) begründet alsdann einen Antrag auf Außerkraftsetzung der Verordnung des Reichspräsidenten vom 10. August, die sich auf die Beschlagnahme der „Roten Fahne" und anderer kommunistischer Blätter bezog. Der Reichspräsident habe gegen den Geist der Demokratie dadurch verstoßen, daß «r die Presse unter Polizeigewalt stellte. Der gegen die Ausländer gerichtete Teil dieser Ausnahmebestimmung geht soweit, daß fast jeder beliebige Ausländer über das Gesetz fallen könne.
Abg. Müller- Franken (Soz.) beantragt, den Antrag dem Rechtsausschuß zu überweisen. Die Angriffe des Vorredners auf den Reichspräsidenten würden diesen so wenig aufregen wie die sozialdemokratische Partei. Es sei die selbstverständliche Pflicht der demokratischen Republik, sich zu stützen. (Stürmische Unterbrechungen der Kommunisten.)
Abg. Thomas (Komm.): Verweisung an den Rechtsaus- fchuß bedeutet Begräbnis. Die Verfassung gibt jedem Deutschen, auch dem Arbeiter, das Recht des freien Wortes.
Reichsminister Sollmann: Das neue Kabinett hat die von dem früheren Kabinett erlassenen Verordnungen übernommen. Die Verordnung richtet sich nicht gegen das freie Wort «der gegen den Arbeiter, wohl aber gegen gewaltsame Versuche,
die Staatsordnung umzustoßen. (Abg. Höllein ruft: Du hast schön von Stinnes gelernt.) Die kommunistische Presse fordert Beseitigung der Regierung durch den Kampf der Straße. Dagegen muß sich die Regierung schützen. Die Verordnung wollte Auswüchse der Rechtspresse treffen. Der Redner verliest «ine Anzahl von Prcsseäußerungen rechtsstehender Blätter aus Anlaß des Verfassungstages, die sich gegen den Bestand der Republik richten. Alle diese Stimmen von links und rechts seien ein Beweis, daß das Maß des Zulässigen überschritten wurde. Der Minister richtet an die Kommunisten einen Appell, jede Aen- derung der Ordnung durch Streiks und sinnlose Ausschreitungen zu unterlassen, andererseits ersucht er die Landwirtschaft, nicht durch Zurückhaltung von Waren und Wucher die Erregung des Volkes zu steigern. Der kommunistische Antrag geht an den Rechtsausschuß.
Die Ergänzung des Reichssiedlungsgesetzes durch Verlängerung der Landbeschaffungsfrist auf 10 Wochen wird endgültig angenommen, ebenso gegen die Kommunisten und Deutschnationalen die Erhöhung der Wohnungsbauabgabe auf 45 000 Proz. (nebst Eemeindezuschlag 90000 Proz.). Ein kommunistischer Antrag, der die Vorschußzahlungen für Hausbetriebskosten abschaffen will, wird abgelchnt. Einstimmig angenommen wird ein Antrag, der die Regierung ersucht, der Notlage der Studentenschaft abzuhelfen. — Um zj6 Uhr war die Tagesordnung erschöpft und der Reichstag vertagte sich auf unbestimmte Zeit. Der Präsident wird ermächtigt, den Zeitpunkt der nächsten Sitzung festzusetzen. --
Die Ausnahme der Regierlmgserklörung.
Berlin, 15. Aug. Die gestrige Regierungserklärung des Reichskanzlers Dr. Stresemann findet die uneingeschränkte Zustimmung der gesamten Presse von der Deutschen Volkspartei bis zur Sozialdemokratie. Ablehnende Kritik erfährt die Erklärung nur in den Blättern der äußersten Rechten und in der kommunistischen „Roten Fahne". Die „Deutsche Zeitung" und di« „Kreuzzeitung" stoßen sich vor allem an der großen Beteiligung der Sozialdemokraten bei der Bildung der neuen Regierung. Von der Presse der Regierungspartei erklärt die „Deutsche Allgemeine Zeitung", daß durch den Regierungswechsel keine Wandung in der äußeren Politik Deutschlands eingetreten sei. Es wäre höchst naiv, wenn die Franzosen von dem Vorstand der Deutschen Volkspartei mehr Weichheit erwarteten als von Dr. Euno und ebenso würden alle Hoffnungen auf eine Nachgiebigkeit der Sozialdemokraten scheitern, sobald die Frage der Abtrennung deutschen Gebietes aufgeworfen werde. Auch das „Berliner Tageblatt" meint, daß die außenpolitischen Aeußerungen des neuen Kanzlers alles in allem die geradlinige Fortführung der Cuno'schen Außenpolitik bedeuten. Das Blatt unterstreicht dann weiter den großen Eindruck, den die Rede gemacht habe, und schreibt: In wenigen Sätzen hat der neue Reichskanzler einen außenpolitischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmen ent- nickelt, in dem sich auf republikanischer Grundlage eine wahrhaft staatscrhaltende Politik entfalten läßt, sofern dem Willen tatsächlich die Tat unmittelbar auf dem Fuße folgt. — Die „Vos- stsche Zeitung" glaubt, daß die gestrige Rede des neuen Reichskanzlers durch die Fortspielung der außenpolitischen Diskussion von guter Wirkung sein werde. Der Kanzler habe klar gesagt, unter welchen Bedingungen Deutschland zu einer Verständigung bereit ist. — Der „Vorwärts" sagt, die Regierungserklärung eröffne den Weg zu Besprechungen mit allen ehemaligen Kriegsgegnern Deutschlands, auch mit Frankreich. Dieses Kabinett, in welchem die Sozialdemokratie ihren Einfluß wieder erhalten wird, wird und muß — darin pflichten wir Stresemann bei — das stärkste Kabinett gegen jeden Gedanken an eine Vergewaltigung Deutschlands sein.
Eine Stimme aus Frankreich.
Paris, 16. Aug. Tardieu vertritt im „Echo National" die Ansicht, daß die Ruhrbesetzung bisher keinen praktischen Erfolg gehabt habe, weil sie mit einer Passivität durchgeführt werde, die die Besetzung beinahe wertlos mache. Der Eingang an Brennstoffen sei erbärmlich und betrage weniger als 25 Prozent dessen, was Frankreich im Jahre 1922 erhalten habe, also während eines Jahres, in dem Poincare den Kohleneingang für unzureichend ge. nug gehalten habe, um die Ruhrbesetzung zu beschließen. Die franz. Ingenieure hätten nicht ausbeuten und kontrollieren können. Alles das wäre anders gewesen, wenn Frankreich vom ersten Tage an die politische, wirtschaftliche und Münzhoheit übernommen hätte. Vor sieben Monaten wäre das leicht gewesen, heute sei es schwierig ge
worden, aber es bleibe immer noch möglich. Das franz. Publikum sei bereit, die nächsten Folgen der ungerechtfertigten Note Lord Curzons auf gute Weise zu ertragen. Es verlange nur, daß man ihm positive Ergebnisse der Ruhr- besetzung zeige. Je größer die Schwierigkeiten mit England würden, umso notwendiger sei es, daß die Ruhrbesetzung ein produktiver Erfolg werde. Das einzige, was Frank- reich an dem Tage, an dem es die Rechnung abschlietze, nicht dulden würde, sei, daß die Politik Poincares gleichzeitig zur politischen Isolierung Frankreichs und zur Unfruchtbarkeit der französischen Aktion im Ruhrgebiet führte.
Der Eindruck von Stresemanns Reichstngsrede in London.
London, 15. Aug. Die Blätter veröffentlichen lange Auszüge aus der gestrigen Reichstagsrede Stresemanns. Der Berliner Berichterstatter dse „Daily Ehronicle" schreibt, die Rede habe den Eindruck hervorgerufen, daß er der Mann der Stunde sei. Seine Rede sei die klarste Regierungsäußerung, die seit Unterzeichnung des Versailler Vertrags im Reichstag erfolgte. De, Berliner Berichterstatter der „Times" schreibt, Stresemanns Rede war nach allgemeinen Aeußerung und Ueberzeugung ein ausgesprochener Erfolg. Der Berliner Berichterstatter des „Daily Expreß" schreibt, allgemein herrsche der Eindruck vor, daß das neu« Stresemann-Kabinett zu einer Regelung des Ruhrproblems gelange.
London, 15. Aug. Der diplomatische Berichterstatter des „Daily Telegraph" ist der Ansicht, daß die Rückwirkung der Isolationspolitik unvermeidlich das Ende aller Reparationen durch Deutschland bedeuten würde. Diese Politik könne Poincare in der Frage der Schulden in den Stand fetzen, gegen England einen wirklichen Bund von Schuldnernationen zu mobilisieren. Eine solche Politik könne auch zu keinem Wiederaufbau der sogenannten Kontinentalpolitik führen. Im Zusammenhang damit scheinen mehrere' französische Blätter große Hoffnungen auf den Reichskanzler Stresemann zu setzen und treten für direkte Verhandlungen mit ihm ein. Einige Blätter find in diesem Falle sogar für Zugeständnisse in der Frage der Einstellung des passiven Widerstands.
Informierung in Amerika.
Paris, 15. Aug. Der „Newyork Herald" meldet aus Washington, obwohl di« Lage an sich zu einer unmittelbaren Stellungnahme der amerikanischen Politik in der Reparationsfrage keinen Anlaß bietet, werde von bedeutender offizieller Seite zugegeben, daß die Ver. Staaten durch Einladung aus London und Paris möglicherweise doch in die Angelegenheit hineingezogen würden. Präsident Coolidge, der mit den grundlegenden Tatsachen in der Weiterentwicklung der englisch-französisch. Schwierigkeiten vertraut sei, habe den Wunsch zum Ausdruck gebracht, sich aufs genauest« durch di« Botschafter in London und Paris zu informieren.
Die Nuhr- und Neparationsfrage.
Aufruf der Dergarbeiterverbände.
Eelsenkirchen, 16. Aug. Die Bergarbeiterverbände erlassen folgenden Aufruf: Kameraden! Ueber sieben Monate führt das deutsche Volk einen schweren Kampf um sein« Freiheit und Existenz. Die durch die Besetzung des Ruhrreviers besonders infolge der falschen Finanz- und Wirtschaftspolitik her- vorgerufene schwierige Ernährungslage wird von den Kommunisten, Syndikalisten und Unionisten dazu benutzt, die Arbeiterschaft in einen Generalstreik zu treiben, um auf diese Weise den Bürgerkrieg zu entfesseln. Die vorhandene Notlage würde dadurch nur riesengroß vergrößert. Die deutsche Republik würde auseinanderfallen und die deutsche Arbeiterschaft unter fremder Herrschaft Frondienste leisten müssen. Die in den letzten Tagen vom Reichstag verabschiedeten Steuergesetze und deren rücksichtslose Durchführung, wonach die Besitzenden in erster Linie zur Tragung der Lasten herangezogen werden, sind geeignet, der rapiden Geldentwertung Einhalt zu gebieten und eine Besserung der Ernährungslage zu schaffen. Den Bemührungen der Gewerkschaften ist es gelungen, die Wertbeständigkeit des Lohnes einigermaßen zu sichern. Die wöchentliche Lohnzahlung ist in fast allen Bergbaurevieren durch «ine Vereinbarung gewährleistet. Zur Beschaffung der nötigen Zahlungsmittel werden alle Anstrengungen gemacht. Alle diese Maßnahmen können aber nur dann Erfolg haben, wenn die Arbeiterschaft sich nicht zu unbesonnenen Schritten hinreiben läßt, wenn sie den undurchführbaren Parolen der Kommunisten keine Gefolgschaft leistet. Er