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Fernruf 179

Herriot Poincare

Freitag. Len 23. Zull 1926

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Fernruf 179

61. Zahrgavg

Das dreitägige Kabinett Herriot gestürzt

Paris, 22. Juli. Ministerpräsident Herriot hatte gestern eine längere Besprechung mit dem Präsidenten der Bank von Frankreich, auf die zwei Ministerbesprechungen folgten. Vor der Eröffnung der Kammer fand noch ein Ministerrat beim Staatspräsidenten statt.

Um 5 Uhr nachmittags begann die Kammersitzung. H e r- riot verlas eine kurze Regierungserklärung, die auf die Finanznotlage hinweist. Die Regierung lehne die Erweite­rung des Banknotenumlaufs ab. Die ins Ausland gefluch­teten französischen Kapitalien fremder Währung müssen ins Land zurückgeführt werden. Bei der Bank von Frankreich solle ein besonderees Konto dafür angelegt werden. Den Besitzern dieser Kapitalien werde Straflosigkeit zugesichsrt. Alle'Werte außer den Staatsrentenpapieren müssen zur Ge­sundung der Währung herangezogen werden. Herriot stellte die Vertrauensfrage. Die Erklärung wurde mit Schweigen hingenommen.

Finanzminister De Monzie erklärte, im Bewußtsein des Ernstes der Lage habe er sich einen Mitarbeiter von größtem Ansehen (Poincare) für das Finanzministerium sichern wollen, dieser habe aber abgelehnt. Das Guthaben des Staatsschatzamts bei der Bank von Frankreich habe am 20. Juli früh noch 230 Millionen, abends 180 Millionen und am 21. Juli früh noch 60 Millionen Papierfranken betragen. Im Lauf des Tages seien von abgehobenen Angstgeldern 90 Millionen wieder auf die Pank getragen worden. Wenn die Kammer seine Vorschläge zur Wiederfüllung der Kassen atllehne, werde er sie trotzdem durchführen, gestützt auf den Vertrag von 1924 mit der Bank von Frankreich, wonach der Finanzminister ermächtigt ist, Devisen an die Bank zu verkaufen. Die Kammer könne ihn (Monzie) später, wenn sie wolle, vor den Obersten Gerichtshof stellen. Beispiele haben bewiesen, daß man von dort wiederkomme. Ungeheurer Lärm. Die Sitzung muß einiae Aeit unterbrochen werden.) De Monzie fortfahrend: Die Eröffnung amerikanischer An­leihen komme nicht mehr in Betracht, er sei daher genötigt, sich nach neuen Plänen umzusehen, die er innerhalb 48 Stun­den als Gesetzentwürfe einbringen werde.

Herriot verteidigte sich gegen den Vorwurf, daß er das Kabinett Briand meuchlings erdolcht habe. Nur natio­nale Opfer können das Land retten.

Abg. Cazal bringt den Antrag ein: Die Kammer spricht der Regierung das Vertrauen aus, daß sie eine von den Umstgnden gebotene scharfe Finanzpolitik durchführt. Herriot nimmt den Antrag an.

Die Kammer lehnt 9-40 Uhr den Vertrau­ensantrag mit 290 gegen 237 Stimmen ab. Die Sozialisten und die Mehrzahl der Sozialradikalen stimm­ten dafür.

Herriot und die Minister verlassen den Saal, nur De Monzie ergreift noch das Wort: die Kammer möge über leinen Gesetzentwurf sogleich abstimmen, wonach der Rest der Morgananleihe de>- Bank von Frankreich überwiesen werden soll, da die Bank sonst ihre Schalter schließen müßte: außerdem soll die Notenaus­gabe der Bank von Frankreich um einen diesem Morgan- rest entsprechenden Betrag erhöht werden dürfen.

Die Gesetzentwürfe wurden um Mitternacht von der Kammer und vom Senat angenommen.

Vor der Kammer hatte sich eine riesige Menschenmenge angesammelt, die Herriot teils mit Pfeifen, teils mit Hoch­rufen empfing. Es entwickelte sich eine große Schlägerei.

Poincare berufen

Nach der Kammerabstimmung begab sichHerriot zum Staatspräsidenten Doumergue und teilte ihm den Rücktritt des Kabinetts mit. Da dieses Ergebnis er­wartet worden war, war bereits Poincare befragt wor­den, ob er bereit wäre, die Kabinettsbildung zu übernehmen. Poincare hat eine grundsätzliche Zusage gegeben. Man glaubt, daß außer den Parteigenossen Poincares auch der sozialradikale Franklin Bouillon, der in der Kammersitzung außerordentlich scharf gegen sei­nen Parteigenossen Herriot vorgegangen war, sich bei der Kabinettsbildung zur Verfügung stellen wird.

Es mutet wie ein Treppenwitz der Weltgeschichte an, daß just Poincare, der wie den Weltkrieg, so auch die Finanznot Frankreichs in erster Linie mitverschuldet hat, und zwar durch seine sinnlosen Kriegsrüstungen in Frank­reich, Polen, Tschechien usw. und das lügnerische Versprechen an das französische Volk: Deutschland bezahlt alles! nun­mehr wieder alsRetter des Vaterlands" geholt wird. Ob Poincare die Finanznot Frankreichs meistern wird, ist vor­erst eine offene Frage.

*

Die Finanznol in Frankreich

Caillaux hat schon in der Kammer darauf hingewiesen, haß in diesen Tagen einige Milliarden vom Staat zu zatz-

^'chspräsidenk von Lindenburg wird Anfangs August Urlaub ankrelen und zunächst sich nach Hannover be­geben, um Mitte des Monats den gewohnten Aufenthalt bei einer ihm befreundeken Guksbesihersfamilie in Ober­bayern z« nehmen.

Der bisherige französische Krieasminisisr Guilleaumal tat k:n Oberbefehl über das Besatzungsheer wieder über­nommen.

Aus Daris wird gemeldet, daß Briand wahrscheinlich m'edsr das Ministerium des Aeußern übernehmen werbe.

len seien, abgesehen von den Einzahtungsoerpsttcytungen für Schatzscheine, die in ungewöhnlich großer Zahl zur Ein­lösung vorgezeigt werden. Was die anderen demnächst fäl­ligen Schuldverschreibungen betrifft, so müssen nach Zeitungsmitteilungen, die sich offenbar auf amtliche Angaben stützen, für den 31. Juli mindestens 500 Millionen an Gehälter und Löhnen bereitgestellt werden, für den 15. August 68 Millionen zur Zahlung der Kupons der sechs­jährigen Obligationen. Am 16. August sind weitere 235 Millionen Kupons der fünfprozentigen Obligationen sh' lig. Am 1. August müßten an die Vereinigten Staaten 10 350 000 Dollar abgeführt werden, davon allein 10 Mil­lionen Dollar als Zinsen der Obligationen, die zur Zah­lung der amerikanischen Lagerbestände ausgehändigt wor­den waren. Am 18. August ist 1 Million Pfund Sterling zur Zahlung an England fällig, am 25. August wiederum an England eine Leistung von 2 Millionen Pfund Ster­ling. Nach dem letzten Ausweis der Bank von Frankreich können aber dem Staatsschatzwesen nur noch 700 Millionen zur Verfügung gestellt werden. Die Steuereingänge sind dabei in dieser Zeit des Jahrs naturgemäß sehr dürftig. Es bleibt die Frage, woher das Geld zu all diesen Ver­pflichtungen genommen werden soll. In Le Havre mußte der Bürgermeister die Handelsbörse schließen lassen.

Die gesetzliche Höchstgrenze für die Ausgabe von Bank­noten durch die Bank von Frankreich (58^ Milliarden nach dem Gesetz vom Dezember 1925) ist bereits erreicht. Der Rest der Morgananleihe beträgt aber nur noch 50 bis 60 Millionen Dollar, die neue Notenausgabe wird also nicht sehr bedeutend sein.

Ausfuhr Englands nach seinen Kolonien sei von 17,5 Mil­lionen (1905) auf 62 Millionen Pfund Sterling (1925), die Einfuhr aus den Kolonien, besonders von Rohstoffen und Lebensmitteln, von 18 auf 80,73 Millionen gestiegen.

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eue Nachrichten

Eindämmung der englischen Gemerkschasksrechle London, 22. Juli- Im Oberhaus teilte der Lordkanzler mit, die Regierung habe einen Ausschuß eingesetzt, der die Auswüchse des englischen Gewerkschaftswesens, denen der letzte Generalstreik zuzuschrei-ben sei, prüfen und Vorschläge für gesetzgeberische Maßnahmen machen soll. So soll das Streikpostenstehen in der Weise eingeschränkt werden, daß die Streikposten nicht mehr von großen Massen der Ausständischen begleitet werden und daß die Arbeits­willigen nicht mehr in ihren Wohnungen aufgesucht und ein­geschüchtert werden dürfen. Es soll weiter verhindert werden, oaß Arbeiter, die an einem allgemeinen Ausstand nicht teil­nehmen wollen, von ihren Gewerkschaften bestraft werden können, und es soll vor jedem Ausftand die Zustimmung aller Mitglieder durch eine geheime Abstimmung festgestellt wer­den. Schließlich soll die Stellung der Arbeiter und An- estellten in den Staatsbetrieben zu den Gewerk- ' asten neu geprüft wende«.

Chamberlain wieder einmal umgefaken London, 22. Juli. Auf eine Anfrage im Unterhaus über die letzte Note der Militärüberwachungskommisfion gab Chamberlain eine nichtssagende Antwort. Als weiter gefragt wurde, ob anzunehmen sei, daß der Zustand der deutschen Abrüstung befriedigend sei, erwiderte Chamber­lain:Nein! Ich bedaure sagen zu müssen- Nein!" In­wiefern die Abrüstung unbefriedigend sei, sagte er nicht, ob­gleich fast die ganze englische Presse die Note der Kommis­sion für unberechtigt erklärt hatte. Da aber Marschall Foch von der Abrüstung noch nicht befriedigt ist und auf der Note beharrt, fügt sich Chamberlain wieder.

England und seine Kolonien London, 22. Juli. Im Unterhaus erklärte Kolonial­minister .Amery, England sei genötigt, Absatzmärkte in seinen Kolonien zu schaffen. Die Lage habe sich seit dem Krieg gewaltig geändert. Früher habe England an Amerika so viel' Geld geliehen, daß die Zinsen reichlich hinreichken, um den Ueberschuß der Einfuhr aus den Bereinigten Staa­ken zu decken. Heute kaufe England für ungefähr 200 Millionen Pfund Sterling mehr von den Bereinigten Staa­ken, als diese von England. England habe außerdem jähr­lich große Summen an Kriegsschulden an Amerika zu zah­len. Man müsse sich anstrengen, andere Kaufsquellen zu erschließen und zwar innerhalb des britischen Reichs, Die

Schwere Kämpfe in Marokko Paris, 22. Juli. Amtliche Berichte aus Marokko mel­den, daß am 20. Juli bei der Höhe 1782, etwa 60 Kilo­meter südlich von Taza, heftig gekämpft worden ist. Die wütenden Angriffe der Marokkaner seien zwar schließlich abgeschlagen worden, aber die französischen Verluste seien sehr schwer. Die Marokkaner drangen mit Ungestüm bis in die französischen Artilleriestellungen ein. Ein besonders hitziger Kampf entspann sich um eine französische Batterie. Ohne die Fremdenlegion, die sich äußerst tapfer hielt, märe eine schwere Niederlage unvermeidlich gewesen. Eine Abteilung der Fremdenlegion, darunter ein Unterleutnant deutscher Herkunft, ein früherer Rechtsanwalt in Berlin, wurde bis auf den letzten Mann niedergemacht. Nach einer Nadiomeldung ist es ferner den Marokkanern gelungen, die ganze Heeresabkeilung des Generals Freudenberg mehrere Tage lang in Schach zu halten und schwer zu be­drängen.

ürttemberg

Stuttgart, 22. Juli. Stand der württ. Spar­kassen imJuni. Die Spareinlagen betrugen An­fangs Juni 96,4 Will. NM. Ende Juni 101,1 Will. NM.; der Zugang mit 4,7 Mill. NM. kommt dem des Vormonats gleich. An Sparbüchern wurden 10 890 netl ausgestellt; da­mit wurde die Zahl 276 312 erreicht. Das verflossene Halb­jahr brachte eine Zunahme von 30,7 Mill. RM. Spar­einlagen und 69 051 Sparbüchern; der Durchschnittsbetrag eines Sparbuchs erhöhte sich um 26,20 RM. 7,70 Prozent. Der Stand der Depositengelder hielt sich etwas über der Höhe des Vormonats. Im Giro-, Scheck- und Kontokorrentverkehr betrugen die Guthaben der Kunden 71,3 Mill. RM. gegen 74,1 Mill. RM. Ende Mai. Die Zahl der Girokonten vermehrte sich um 732 und beträgt Ende Juni 96 480. Seit Jahresanfang haben die Giro­konten um 5079, die Giroeinlagen um rund 14 Mill. RM. zugenommen. Die Schulden der Kunden betrugen Ende Mai 76,5 Mill. RM., Ende Juni 78,1 Mill. RM. Der Gesamteinlagen st and beziffert sich Ende Juni auf 227,9 Mill. RM. Der Halbjahrszugang beträgt 69,4 Mill. RM. rund 43 Prozent des Einlagenstands vom 1. Ja­nuar 1926, womit er nahezu die gleiche Höhe des Zugangs des ganzen Jahrs 1925 erreicht hat.

Vom Straßenverkehr. Nach Beobachtungen haben um die Mittagszeit verkehrt in der Minute am Hotel Marquardt etwa 65 Fahrzeuge, beim Bahnhof etwa 60 Fahrzeuge, am Alten Postplatz etwa 45 Fahrzeuge, am Wilhelmsplatz etwa 35 Fahrzeuge. Vergleichsweise sei hier erwähnt, daß z. B. in Berlin im Mai ds. Is. auf dem Potsdamer Platz in der Mi­nute 120 Fahrzeuge gezählt worden sind.

Lohnabbau. Auf Grund einer Vereinbarung zwischen den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden der württ. Schürzen- und Wäscheindustrie werden die Tariflöhne vou der nächsten Lohnwoche an um 5 v. H. ermäßigt unter gleich­zeitiger Herabsetzung des Urlaubsanspruchs aus zwei Drittel.

Das Lannstatter Volksfest findet vom 24. bis 28. Sep­tember in gewohnter Weise auf dem Wasen statt.

Vom Tage. Der 27jährige Mechaniker Karl Rettstadt hat unterhalb der Eisenbahnbrücke in Cannstatt einen Post­beamten vom Tod des Ertrinkens gerettet.

Gestern abend wälzten die trüben Fluten des Neckars oberhalb des Gaisburger Wehrs drei tote Schweine (zwei groß«, ein kleines) an Badenden vorüber.

Aus dem Lande

Ludrvigsburg, 22. Juli. Entgleisung. Dienstag nacht kurz nach 12 Uhr entgleiste infolge falscher Weichenstellung auf dem Bahnhof Ludwigsburg «in Wagen eines Eilgüter­zugs. Dadurch wurden die durchgehenden Hauptgieise Rich­tung Stuttgart und Breiten gesperrt, io daß die beiden Nacht­schnellzüge nach München und nach Frankfurt über den Ver- schiebebahnhof Kornwestheim umgeleitet werden mußten und größere Verspätungen erhielten. Gegen Morgen waren die Durchgangsgleise wieder befahrbar. Personen kamen nicht zu Schaden.

Roigheim OA. Neckarsulm, 22. Juli. Beim Karusell- fahren verunglückt. Die 16jährige Hedwig Kohl­hammer betrat mit einer Freundin die Gondel eines Karust sells. Dazu gesellte sich der Karussellgehilfe und fuhr mit den Mädchen so unsinnig, daß der Kohlhammer der Arm am Ellenbogen weggerissen wurde-

Gmünd, 22. Juli. Selbstmord. Hier hat sich ein 16jähriger Kaufmannslehrling vergiftet. Der Beweggrund ist die Unterschlagung einer geringen Summ«, ^