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NAMmer 126

Fernruf 179

Donnerstag, den 3. Juni 1926

Fernruf 179

61. Jahrgang

Englisch-ruMches Wetterleuchten

l Die englischen Beauftragten Nelson und Moor, Mit- i alieder der'konservativen Partei, die die wirtschaftliche Lage

in Rußland an Ort und Stelle prüfen sollten, sind von Moskau Hals über Kopf abgercist. Es kann kaum ein Zweifel darüber bestehen, daß sie, die wohl mit der Absicht, versöhnend und ausgleichend zu wirken, nach Rußland ge­kommen sind, jetzt drüben von der Art berichten müssen, wie fast alle maßgeblichen Persönlichkeiten der Räterepublik über England denken und auch sprechen und schreiben. Las wird sicher nicht dazu beitragen, die Gewitterwolken, die sich zwischen England und Rußland gelagert haben, zu zerstreuen. ! Nach einem ReuLerbericht sollen sie in London nicht gerade ! ungünstige Berichte über die heutige russische Wirtjchafr gegeben haben, Reuter fügt aber hinzu, daß dieser Teil j Ser Berichte in den wirtschaftlichen und politischen Kreisen ! Englands lebhaften Zweifeln begegne.

Alle politischen nichtrussischen Kreise Moskaus sind in Besorgnis, weil jede weitere Zuspitzung des russisch-englischen ! Gegensatzes einen Zustand schaffen müßte, der Europa in i schwere 'Mitleidenschaft zöge. Die russischen Politiker sind ; der Ueberzeugnng, daß der Staats st reichPilsudskis arft englische Anregung zurückzuführen sei. Englisches Geld : habe es Pilsudski ermöglicht, sich Anhänger zu werben,

> englisches Geld habe seine Gegnerschaft zerstreut. Die Zei­tungen gestehen zwar zu, daß für eine solche Annahme die

I Beweise fehlen, immerhin stehe aber fest, daß Pilsudski eng­landfreundlich sei und daß das britische Machthabertvm von < den Plänen Pilsudskis weit mehr erwarten könne als von den rechtsstehenden Parteien Polens. Nichts anderes ! wolle England und seinpolnischer Fahnenträger", als den Bürgerkrieg in Polen, der, wenn das möglich erschiene, über die Grenze der Räterepublik hinauslodern und Rußland um ' dft Ruhe des Friedens -bringen könnte.

Man hat sich anscheinend in Rußland den Staatsstreich Pilsudskis ganz anders vorgestellt. Noch kurze Zeit vorher sprach man sehr freundlich von ihm und knüpfte an seinen Namen die Hoffnung auf eine durch den wirtschaftlichen Zusammenbruch Polenserforderlich gewordene" revolu­tionäre Erhebung. Man weiß in Moskau, daß nur ganze fünf oder sechs Regimenter geholfen haben, den Staatsstreich zu mnchue, und daß die allein niemals erreicht hätten, was erreicht worden ist, wenn nicht die polnische Arbeiterschaft und die Kleinbürger die militärische Erhebung mit sozialen Mit« ln unterstützt hätten.

Man sieht die Brandpfeile, die zwischen England und Räterepublik fliegen. Rußland bemüht sich, das Erlöschen des Russlands in England zu verhindern, und England setzt alles daran, die wirtschaftlichen Nöte der Räterepublik zu erhöhen und die russischen Grenzen zu beunruhigen. Die s Sprache, die in Moskau und London geführt wird, bewegt ! sich bereits in Tönen, die wie Schlachtrufe klingen- In den Iabr?"l'iften, wäbrend deren der englisch-russische Gegensatz dis Welt beunrubiat, hat es kaum einen Zeitpunkt gegeben,

> an dem die Gefahr einer Entladung näher war als der ! gegenwärtige. Der- Zusammennrall zwischen Rußland und i England es sei von Krieg nicht die Rede ist nur eine ^ Frage tn»-'-'r Zeit, es sei denn, daß sich ein Vermittler findet,

der die Lunte im letzten Augenblick auslöscht.

Kohle und Elektrizität

Die Kohlennot der Kriegsjahre war ein mächtiger Antrieb zur Ausnützung der Wasserkraft und Ausgestaltung der Elektrizitütswirtschaft. Fast alle Kohlenländer der Weil haben ! heute eineKohlenkrise", die viele Tausende von Arbeitern erwerbslos macht. Schätzungsweise ist heute die Förderungs­möglichkeit von Kohlen um etwa 246 Millionen Tonnen größer als die Absatzmöglichkeit. Die zunehmende Oelfeue- rung und die fortlaufende Wärmetechnik haben die Lage verschärft.

Man hat einst die Frage aufgeworfen: Wird die Kohle sterben? Diese Zuspitzung der Frage scheint zu weil gs- triebeu. Trotz aller Verschiebungen des letzten Jahrzehnts :st die Kohle heute doch immer noch der Haupikrastträger: und wird es wohl auch für absehbare Zeit noch bleiben. Sie >st vor allem Träger geworden einer Kraft, die in dem letzien Jahrzehnt einen unerhörten Aufschwung genommen hat: der elektrischen Kraft, diese unsichtbare unfaßbare Kraft, die ihren Siegeszng in der Welt angetreten hat. In Deutschlo ü hm man zunächst die Wasserkräfte Süddeutschlands ris Quellen elektrischer Kraft herangezogen: aber in steigend in Maß hat man die Kohle, die Steinkohle der Ruhr und be­sonders die billige Braunkohle Mitteldeutschlands heran- gezogc-n, um Kraftzentralen riesigen Ausmaßes zu schassen, aus denen Molaren und Maschinen, die in weiter Ferne liegen, gespeist werden: um Wohnräume und ganze Städte zu erleuchten; um Eisenbahnzüge rauchlos durch die Land­schaft zu fuhren. Doch das Zeitalter der Elektrizität ist erst angebrochen.

I Was Deutschland anlangt, so dürfen wir nicht verkennen, ! unsere Elektrizitätswirtschaft trotz aller Fortschritte noch I, nicht die Hohe anderer Länder erreicht hat. Während im

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Taqesspiege!

Nach dem amtlichen Bericht des Neichsministeriums für die besetzten Gebiete befanden sich am 15. September 1925 in der zweiten und dritten Zone des Beseßungsgebiels min­destens 88 000 Mann fremder Truvpen gegen vorher 80 230 Mm-n. 380 Wohnungen sind mehr beschlagnahmt und die Hotels usw. viel stärker beleg! worden.

sin Danzig wurde der erste römisch-katholische Bischof, Vraf O'Nomke, in der Kathedralkirche zu Oliva eingesetzt.

Der frühere österreichische Bundeskanzler Dr. Seipel wird sich am 3. Juni in Cherbourg nach Amerika einschiffen.

Auch die Gemeinden!!cre- Zften in Wien drohen mit einem Gehalksstreik.

2m Sachverständm-mcmsschuß der Abrüstungskonferenz kam es zu scharfen Meinungsverschiedenheiten zwischen Frankreich, Japan und Italien einerseits und Deutschland und Amerika andererseits, da die Franzosen verlangten, daß die Reservemannschaften nicht unter den Begriff der Rüstun- gen fallen. Unter diesen Umständen würden diese Staaken allezeit ein großes Heer bereit haben, wie auch die sogenannte Ausrüstung äußerlich gestaltet würde. Die Streitfrage wurde am 2. Juni weiter behandelt.

Pariser Blätter berichten, Briand werde zur Tagung des Vöikerbundraks nach Genf kommen.

Die sozialistische Regierung in Schweden ist zurückgetreten. Der König beauftragte das Mitglied des schwedischen Aeichs- bankdirekkoriums, Ekman, mit der Neubildung der Regie­rung.

Der portugiesische Staatspräsident Machado ist zurück- getreken. Er war erst seit 2. Dezember 1925 im Amt.

Dis Spanier fordern die Auslieferung Abd el Srimg an Spanien, da er früher in spanischen Diensten gestanden habe und deshalb als Aufständischer zu behandeln sei. Abd el Krim schein! von denSiegern" in ähnlicher Weise betrogen worden zu sein, wie seinerzeit Deutschland durch die 14 Punkte Wilsons.

Das französische Kriegsgericht in Damaskus hak den Drusensulkan Atrasch und mehrereRebellenführer" in Ab­wesenheit zum Tod verurteilt. Man hängt bekanntlich keinen, bevor man ihn hak.

Der Schaden in Damaskus durch die französischen Be­schießungen wird auf 700 000 Pfund geschätzt. 1200 Häuser und 409 Läden wurden zerstört, 1000 Menschen getötet.

^ahr 1925 von jedem Deutschen erst 141 Kilowattstunden- ström verbraucht wurden, verbrauchte damals jeder Schwei- zer schon 700, jeder Norweger 493, jeder Nordamer'kcmer 472, jeder Schwede 364 und jeder Franzose 147 Kilowatt­stunden. Wenn Deutschland nicht die Fortschritte gemacht hat wie andere Länder, so ist das zunächst auf den Mangel on ausnutzbaren Wasserkräften im Norden zurückzuführen. Deutschland muß deshalb die Zukunft seiner Elektrizitäts- Wirtschaft auf der Kohle, vor allem auf seinem gewaltigen Reichtum an Braunkohle in Mitteldeutschland aufbauen.

Neue Nachrichten

Ein Staalsgerichkshof für Verfassungsfragen Berlin, 2. Juni. Nach einem Artikel des Reichsministers Dr. Külz im B. T. soll ein unpolitischer Staats- gerichtshof eingesetzt werden, der in Zweifetsfällen die Frage zu entscheiden hat, ob zustandegekommene Ge­setze und Verordnungen der Reichsversajsung entsprechen oder ob gegebenenfalls die Vorschriften der Verfassung über Verfassungsänderungen gewahrt sind. Die Entscheidung soll Gesetzeskraft haben. Der Staatsgerichtshof soll ferner um Gutachten über bereits beschlossene aber noch nicht ver­öffentlichte Gesetze und Verordnungen angegangen werden können. Er soll aus dem Präsidenten des Reichsverwal­tungsgerichts, drei Räten des Reichsgerichts und drei Räten des Reichsverwaltungsgerichts bestehen. Die Absicht der Einsetzung de« Verfassungsgerichtshofs dürfte mit dem Widerstand verschiedener Parteien gegen die Flaggenverord­nung in einem gewissen Zusammenhang stehen oder viel­leicht durch sie veranlaßt sein.

Neue Kundgebungen gegen Pros. Lessing Hannover. 2. Juni. Als Prof. Lessing gestern in der Technischen Hochschule eine Vorlesung beginnen wollte, lärmten die Studenten wieder so lange, bis Lessing den Saal verlieh.

Von der iniernakionalen Arbeikskonserenz Genk. 2. Juni. In der Vollsitzung der Arbeiiskonserenz

behauptete der Direktor des internationalen Arbeitsamts, Deutschland gewähre seit einigen Jahren seinen Werften Stäatsbeiträge und habe ihnen in letzter Zeit ein Darlehen von 60 Millionen Mark gegeben. Der deutsche Vertreter, Ministerialrat Feig erklärte, die Werften bekommen keine Staatsbeiträge, es sei ihnen nur ein einmaliges Darlehen zur Linderung der Arbeitslosigkeit auf den Werften gewährt worden. Deutschland habe dem Londoner Uebereinkommen über den Achtstundentag zugestimmt. Die Reichsregierung werde es aber erst bestätigen, wenn die deutsche Gesetzgebung mit dem Inhalt des beschlossenen Abkommens in volle Uebereinstimmunq gebracht sei. Die Bestätigung werde auch davon abhängig sein, daß auch die andern Industriestaaten das Abkommen gleichzeitig bestätigen.

Faszierung der Tiroler Bauern

Bozen, 2. Juni. Durch einen Erlaß des Bozner Unter­präfekten ist, wie erst jetzt bekannt wird, die auf den 30. Mai anberaumte Hauptversammlung des Südtiroler Bauern­bunds abgesagt und die einstweilige Leitung einem Aus­schuß übertragen worden, der den Bauernbund zu einem faszi stlschen Syndikat umgestalten soll. Der jetzt abgesetzte Vorstand hatte erfolglos versucht, durch faszisten- freundliche Haltung das Fortbestehen des Bauernbunds zu ermöglichen, war "jedoch trotzdem italienfeindlicher Gesin­nung beschuldigt worden. -

Neuer Kammersieg Briands

Paris, 2. Juni. Die Kammer beschloß gestern über den Zeitpunkt, an dem die Anfragen über das Finanzprogramm der Regierung beraten werden sollte. Briand warnte vor der sofortigen Besprechung und verlangte unter Stellung der Vertrauensfrage die Vertagung. Die Kammer lehnte den Antrag der Linken auf sofortige Besprechung mit 313 gegen 147 Stimmen bei 80 Enthaltungen ab. Für die Re­gierung stimmte die Rechte und ein großer Teil der Mitte.

Steuererhöhung in Belgien *

Brüssel, 2. Juni. Der belgische Staatshaushalt erfordert in nächster Zeit 1,8 bis 2 Millionen Franken (195 bis 260 Millionen Mark) Mehreinnahmen, die nach einem Vor­schlag der Regierung durch Erhöhung der Steuern beschafft werden sollen. So soll z B. das Einkommen aus Grund­eigentum uni ein Fünftel höher besteuert werden.

Asquith gegen Lloyd George

London, 2. Juni- Der schon seit 1916 (Verdrängung As- quiths aus der Ministerpräsidentschaft durch Lloyd George) bestehende Gegensatz zwischen den beiden Führern der li­beralen Partei, Asquith, der bekanntlich zum Lord Ox­ford ernannt worden ist, und Lloyd George ist jetzt zum öffentlichen Ausbruch gekommen. Lord Oxford hat an den Wortführer der Liberalen, Sir Godfrey Collins, ein Schreiben gerichtet, in dem er erklärt, Lloyd George habe sich durch Reden in England und durch Artikel in amerika­nischen Blättern bei dem General st reik in seinen An­schauungen gänzlich außerhalb der liberalen Partei gestellt: es sei unmöglich, mit einem Mann, dessen U n st e t i'g k e i t das Vertrauen zerstöre, vertrauliche Beziehungen zu unter­halten. Er, Asquith-Oxford, werde die Parteiführung nieder­legen, wenn er nicht das volle Vertrauen der Partei besitze. Der Parteiausschuß versicherte Lord Oxford schriftlich des vollen Vertrauens unter Mißbilligung der Haltung Lloyd Georges. Der Bruch ist nun vollkommen. Lloyd George erklärte, er denke nicht daran, sich aus dem politischen Leben zurückzuziehen, wenn man auch seine Vaterlandsliebe in Zweifel ziehe. Voraussichtlich wird er eine neue liberale Partei gründen. (Lloyd George hatte, allerdings in Ver­kennung der Lage, in den Artikeln behauptet, der General­streik werde von langer Dauer sein und es sei deshalb rat­sam, mit den Gewerkschaften einen Verständigungsfrieden zu schließen.)

Die Wahlen in Rumänien

Bukarest. 2. Juni. Die Kammerwahlen hatten folgendes Ergebnis: Partei Averescu 1243 909 Stimmen, Liberale (Bratianu) 176 763, Nationalisten u. Bauernpartei 707 263, Euca 100 889 Sozialisten 35 750, Kommunisten 28 158, Be­amte 3280. Abgeordnetensitze entfallen auf Averescu 280, Nationalisten und Bauernpartei 82, Liberale 15, Cuca 9. Die Sozialdemokraten und Kommunisten erhalten kein Man­dat. Den Deutschen fallen 17 Mandate zu. Nach ihrer Be­völkerungszahl (800 000) hätten sie allerdings 24 zu bean­spruchen gehabt. Nach dem Wahlgesetz entfällt ein Abgeord­neter auf 2 Prozent der abgegebenen Stimmen. Die Deut­schen und Ungarn haben geschlossen für die Partei Averescu gestimmt, der den Schutz der Minderheiten verkündet hat, während die Brüder Bratianu die Minderheiten, besonders die Deutschen, aufs schwerste bedrückten und sie zu entrech­ten suchten.

General Averescu hat erklärt, er werde der Verderbnis im Parlamentarismus und in der Verwaltung mit äußerster Strenge entgcgcntreten und gegen die Spekulanten, die unter den Bratianus das Land ausbeuteten, Vorgehen. Ge­meint sind wob! in erster Linie die drei Brüder Dratianm

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