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NLMMSr 47 Fernruf 179
Freitag, de« 26. Februar 1926
Fernruf 179 61. Jahrgang
Artikel 54
Tagesspiegel
Die Anträge der Deutschnationalen auf A b ä n d e r u n g der Verfassung haben alle Augen wieder auf einen der wichtigsten Artikel der Verfassung gerichtet. Sie sind nicht Kinder des Zufalls. Gerade die letzte Regierungskrisis oder besser die vielen Regierungsbildungen der letzten Jahre mit ihren endlosen Versuchen und fast verächtlichen - Handelsgeschäften drängten förmlich zu einem entscheidenden Schritt auf'einer ungewissen Bahn, die unser Volk seit der Revolution schreitet. Es ist kaum ein Jahr, daß det Innenminister Schiele de,, allerdings vergeblichen Bereich gemacht hatte, durch einen „Verfassungsausschuß" die Verfassung zu überprüfen und überhaupt die Verfass rnas. fragen behandeln z lassen. Sogar der demokratisch« Reichs- ivehrminister Geßler hielt es infolge der Regierungskrisen für nötig, daß zum Stürzen der Regierung wenigstens eine Zweidrittelmehrheit vorgeschrieben werde.
Um was handelt es sich eigentlich bei diesem Artikel?
Nach der Bismarckschen Verfassung war der Reichskanzler der Vertraute des Kaisers. Er konnte im Amte bleibe»,, auch wenn sein Antrag im Reichstag abgelehnt morden war. Das wurde anders gegen Kriegsende. Die Opposition forderte gebieterisch mehr Rechte für den Reichstag. Noch vor Torschluß des Kaisertums wurde Las — übrigens nie durchgeführte — Gesetz vom 28. Oktober 1918 verabschiedet mit der schicksalswichtigen Entscheidung: „Der Reichskanzler bedarf zu seiner Amtsführung das Vertrauen des Reichstags." Hiezu schrieb der Kaiser in einein Begleitschreiben an den Reichskanzler — es war eine seiner letzten Regierungs- Handlungen — u. a.: „Vorbereitet durch eine Reihe von Regierungsakten, tritt jetzt eine neue Ordnung in Kraft, welche grundlegende Rechte des Kaisers auf das Volk überträgt. Damit wird eine Periode abgeschlossen, die vor den Augen künftiger Geschlechter in Ehren bestehen wird."
Acht Tage später brach die Revolution aus. Der Reichskanzler Prinz Max von Baden verkündigte am 9. November der staunenden Welt: „Der Kaiser und König hat sich entschlossen, dem Thron zu entsagen."
Die verfassunggebende Nationalversammlung in Weimar nahm den Faden da wieder aus, wo er abgerissen war. Sie beschloß folgenden Artikel 54:
„Der Reichskanzler und die Reichsminister bedürfen zu ihrer Amtsführung das Vertrauen des Reichstags. Jeder von ihnen inuß zurücktreten, wenn ihm der Reichstag durch ausdrücklichen Beschluß sein Vertrauen entzieht." "Man sieht hier die Weiterung. Die früheren Staatssekretäre — Reichsminister gab es nicht — waren Stellvertreter des Reichskanzlers in dem betreffenden Geschäftskreis. Der Reichstag konnte sie deshalb nicht zur Verantwortung ziehen. Jetzt sollen die Reichsminister dem Reichstag und nur ihm verantwortlich sein, genau so wie der Reichskanzler. In der Denkschrift zum ersten Verfassungsentwurf hieß es hierüber: Das Parlament sei im alten Reich auf die Gesetzgebung beschränkt gewesen, „ohnmächtig gegenüber der das praktische Leben wirklich bestimmenden Äer- waltun g". Diese äußere politische Ohnmacht der Parlamente hätte ihre „innere politische Impotenz" (Unfähigkeit) zur Folge gehabt. „Die Revolution hat endlich die Bahn frei gemacht; sie würde diesen wichtigen politischen Erfolg selbst wieder zerstören, wenn sie auf jenem Wege — nämlich dem des Parlamentarismus — umkehren würde."
Des Reichstags „innere politische Impotenz!" — ist sie heute größer oder geringer als in der Kaiserzeit? Wir haben nun ja bald eine siebenjährige Erfahrung zum Artikel 54 hinter uns. Gleichviel, welcher Partei inan angehören mag, jeder irgendwie noch sachlich denkende Kopf wird sich sagen müssen, daß der Artikel 54 sich nicht bewährt hat, daß er vielmehr eine wesentliche Abänderung „im Sinne der Stärkung der Regierungsgewalt" d. h. des Reichspräsidenten heischt.
Damit erfährt die Republik und die demokratische Staots- forin noch lange keine Einbuße. Wer eine Stärkung der Regierungsgewalt gegenüber der „Souveränität des Reichstags" erstrebt, der denkt dabei an einen demokratischen Musterstaat der Welt, dessen Vorbild W i l s o n uns seinerzeit aufdrängen wollte, nämlich an die Vereinigten Staaten. Dort ist der Präsident in der Wahl seiner Mitarbeiter nicht vom Parlament abhängig. Wäre dies auch bei uns . Gesetz, wieviel unfruchtbare Aufregung und häßliche Streitereien und schädliche Zeitvergeudung wären dem deutschen Volk in den letzten Jahren erspart worden! Der Artikel 54 ist zweifellos eine Quelle unheilvoller Beunruhigung des öffentlichen Lebens. Sie muß irgendwie verstopft werden. Das liegt im Interesse einer Stetigkeit d e r d e u ts che n P o l i t i k. VV. ll.
! Die spanische Wahrheit
Die spanische Wahrheit ist ein gegebenes Dogma und hat als solches keine andere Rechtfertigung als daß es besteht und sich in starren Formen inaterialisiert hat. Sie ist eine Jeußeruna menschlicher Gebundenheiten und sozialer Kri-
Zn Lydtkuhnen (ostpr. Grenze) ist der kommunistische Reichstagsabgeordnete Urbahn verhaftet worden, als er mit einem falschen holländischen Paß über die Grenze wollte. Urbahn wird von einem Berliner Gericht wegen verschiedet ner Vergehen verfolgt.
Der südslawisch« Minister des Aeußern. Ninkfchitsch, ist ln Rom eingekroffen.
Prinz Karat von Rumänien (der bisherige Kronprinz) ist in Paris eingekroffen. Ls soll sich um den Widerrrus seiner Thronentsagung handeln, worüber er sich mit Abgesandten aus Bukarest verständigen werde.
Der griechische General Plastiras, der sich unter falschem Namen in der Stadt Uesküb (Südslawien) aushielt, wurde von der dortigen Polizei wegen Spionage verhaftet.
Der amerikanische Senat hat das vom Abgeordnetenhaus beschlossene Gesetz, durch das die Steuern fürs nächste Jahr um 387 Millionen Dollar herabgesetzt werden, angenommen.
Aus China werden neue Kämpfe zwischen den Generalen Suomingschuna und Lifchinglin bei Tongkau tLinie Tienksin- Pukow) gemeldet.
stallisationen, die sich selbst genügt, die aber die Volksseele durchschimmern läßt. — Die Diktatur von heute fügt sich der spanischen Wahrheit ein und ist in Wirklichkeit nur eine Wiederholung, wenn auch unter anderem Namen von Zuständen, die immer geherrscht haben. Der Spanier hat stets die politische Gewalt als von seinem inneren Wesen losgelöst empfunden. Er lebt nicht mit ihr, sie packt nicht an die Tiefen seines Empfindens. — Wenn der italienische Faszismus von großen Programmen und großen Paraden zehrt, so lebt iin Gegenteil die spanische Diktatur fast unbemerkt und bescheiden dahin und bestimmt die notwendigsten Gesetze ohne überflüssige Ungerechtigkeiten. Sogar die Jesuiten, die sich gerne mit ähnlichen Regierungen verbinden, raten, die Schrauben der Diktatur nicht allzufest anzuziehen und sich bei niemand unerträglich zu machen. Deshalb ist jeder Alarm und alles Warten auf eine revolutionäre Explosion vergeblich. Man täuscht sich selbst und die Welt damit.
Spanien ist wie ein großes Kloster mit einem sonnendurchleuchteten Hof, der viel zu geräuinig ist und in dem man Toros und bisweilen Liebe spielt. Eine Mauer von Traditionen uingibt diesen Hof. In der Mitte steht geheimnisvoll und verdeckt die Klause des Priors. Spanien will sich nicht in die Welt hinausdehnen und seinen Patriotismus veräußerlichen. Sein Land erscheint ihm viel mehr wie eine weltabgeschlossene Insel, denn als eine Europa angehängte Halbinsel. Diese seine Insel ist in 49 Provinzen eingeteilt, die Provinzen wieder in soundso viele Gemeinden. Eine jede lebt stolz und selbständig dahin. Jede glaubt sich im Mittelpunkt der Welt und das Fest des Dorfheiligen wird wie ein Fest des Universums gefeiert. — Die Spanier sind übrigens Skeptiker, lieben es aber sich auf dem Kö^gs- platz besonnen zu lassen, aus dem Paradeplatz, der schließlich ein nationaler Versammlungsort ist. Sie setzen sich mit Kirchenstühlen in die Sonne, und mit denselben Sesseln, wenn die Glocken zu läuten beginnen, in den Schatten der
athedralen.
Der Ausländer nun, der glaubt, daß das spanische Volk t und leichtgläubig ist, irrt sich. Er versteht nicht die anische Lebensauffassung, die dem eines Volkes gleicht, is sich in die Tonne des Diogenes zurückgezogen hat. Es
ein Volk, das ohne die Furien der Gedankenstürine dahin- i>t und seine latenten Kräfte nicht aufrütteln läßt. So den denn die Spanier in den Tag hinein, reden, bitten n eine Zigarette, rauchen und bieten selbst Zigaretten an. ie Landarbeiter sammeln Steine voin Boden auf, der »mer mit Steinen besät zu sein scheint, schneiden sich dann oße Stücke vom schneeweißen Brot ab, trinken durstig ren Wein und ihr Wasser, reden wieder und rauchen, iarum sollen sie dabei an Revolution denken, wenn sie it ihrer Knoblauchsuppe so zufrieden sind. Die Diktatur ist ie eine Wolke, in der sich alle spanischen Wahrheiten ver- chtet haben. Der Diktator erscheint dem Volke wie ein berkazique, der es verstanden hat, alle Dorfkaziquen unter- ikriegen. Ein wenig wie ein andalusischer Dorfdespot, der
hübsch zu reden versteht, den man in seiner Heimat liebt, r immer großzügig ist und alle leben läßt, solange man m den Vorrang nicht streitig macht und ihm erlaubt, seine igarette im Mundwinkel zu halten und den Hut auf die eite gedrückt zu tragen. , , . .
Spanien ist aus Temperament neutral, auch der iktatur gegenüber verhält es sich neutral. Es bemerkt sie mm, unter ihr machen die Spanier gerade das, wozu sie ust haben Niemand im Auslande und in Spanien selbst eiß wie selbstzufrieden und sich genügend, wie weltabseits is Volk dahinlebt. Sich um das Wetter kümmert, guten aa und gute Nacht wünscht, seine obligaten Bemerkungen »er Kälte und Regen macht, stündlich, ohne sich etwas
dabei zu denken, mit höflichen Floskeln das Essen anvietet, wenn inan sich an den Speisetisch setzt und guten Appetit wünscht. Es kennt auch Mittel und Wege seine innere Unabhängigkeit zu wahren, besitzt mitunter eine glückliche Taubheit um Unbequemes nicht zu hören und um nicht in Konflikt mit den öffentlichen Gewalten zu geraten. Aber auch die Regierung vermeidet jeden heiklen Zusammenstoß. Es scheint fast als ob zwischen Volk und Regierung ein stillschweigender Pakt geschlossen worden ist, sich gegenseitig nicht zu belästigen. Ein Pakt, der gleichzeitig zwischen Liberalen und Reaktionären zu bestehen scheint. Die Liberalen wissen, zu was für furchtbaren Folgen ein Zusammenstoß mit den Klerikalen führen würde. Die Klerikalen wieder fürchten die Liberalen. Beide Seiten finden unter der Diktatur einen IVioclus vivencil und ziehen das Schweigen und die Ruhe den Kampfsansaren vor. —
Neue Nachrichten
Die Zusammensetzung der deutschen Abordnung
Berlin, 25. Febr. Wie verlautet, wird die deutsche Abordnung, die zu der außerordentlichen Völkerbundstagung nach Genf reist, außer Dr. Luther und Dr. Stresemann aus den Staatssekretären Dr. Kempner und Dr. Schubert, den Ministerialdirektoren Dr. Gaus und Dr. Kiev und dem Ge- sandtschastsrat Dr. Nedelhammer, sowie Sekretären und Dolmetschern bestehen. Insgesamt sollen etwa 25 Personen nach Genf reisen. — Im Hotel Metropol sin- 8 Salons und 35 Schlafzimmer bestellt.
Die Falle von Locarno
London, 25. Febr. Die liberalen Blätter sind zum Teil sehr enttäuscht über die Rede Chamberlains in Vir- mingham zu der Streitfrage, ob Polen — nach dem Wunsch Frankreichs — ein gleichberechtigter Sitz im Völkerbundsrat eingeräumt werden soll. Es wird betont, daß die Stellung Chamberlains zweideutig sei. Die „Daily News" schrei- den, es wäre Englands unwürdig, in die von Briand gestellte Falle zu gehen. Die Regierung und Chamberlain sollen offen Farbe bekennen. „Daily Chronicle" sagt, es käme einem moralischen Zusammenbruch gleich, wenn die britische Regierung Chamberlain erlauben würde, in Genf der französischen Forderung beizutreten.
Der „Manchester Guardian" erklärt, es wäre bedauerlich, wenn sich das Gerücht bewahrheiten würde, Deutschland wolle dem polnischen Ratssitz schließlich zustimmen, wenn das Rheinland geräumt werde. Ein solches ^ ch ache r g esch ä ft würde der Stellung Deutschlands sehr schädlich sein. — Halbamtlich wird dazu von Berlin bemerkt, daß ein solches Schachergeschäft selbstverständlich nicht m Frage komme und niemals erwogen worden sei.
Das Amsterdamer Blatt „Het Volk" (Soz.) schreibt, Frankreichs Verstoß gegen den Geist von Locarno beweise die alte Feindschaft gegen Deutschland. Deutschland sei vollauf berechtigt, wenn es nach diesen Täuschungen seine Anmeldung zum Völkerbund zurückziehe. ^
Chamberlains Unaufrichtigkeit
London, 25. Febr. Im Unterhaus erklärte Außenminister Chamberlain auf eine Anfrage, die Regierung sei noch nicht schlüssig, welche Stellung sie in Genf zu der Forderung eines Ratssitzes für Polen nehmen werde. Die Tagesordnung des Völkerbunds am 8. März enthalte nichtausschließlich die Zulassung Deutschlands. Er habe nicht gehört, daß zur Zeit der Konferenz von Locarno jemand der Meinung gewesen sei, die Gewährung eines Ratssitzes an Deutschland schließe weitere Sitzerteilungen aus.
Lord Parmoor brachte eine Entschließung ein, es sei nicht wünschenswert, die Zahl der Ratssitze im Völkerbund außer Deutschland weiter zu vermehren. Er erklärte, wenn die letztere Behauptung Chamberlains richtig wäre, so hätte dies auch amtlich bekanntgegeben werden müssen. Er (Parmoor) könne nur erklären, daß solange er (Parmoor) Mitglied des Völkerbunds gewesen sei, niemals die Rede davon war, daß noch andere Staaten Ratssitze bekommen sollen. Das Spiel Frankreichs bedrohe den Geist von Locarno.
Lord Cecil entgegnete, er könne nicht anerkennen, daß erst die Zulassung Deutschlands die Schaffung weiterer Ratssitze (Polens) veranlaßt habe; diese Frage sei schon vor langer Zeit im Völkerbund und Rat erörtert worden. Dem Vertreter der Regierung solle in Genf freie Hand gelassen werden. — Lord Parmoor verließ auf diese Entgegnung das Haus.
Die „Westminster Gazette" sagt, es sei eine große Unaufrichtigkeit, zu behaupten, die Forderung eines Ratssitzes für Polen sei „schon vor langer Zeit" erörtert worden. Daß eine stillschweigende Voraussetzung von Locarno jetzt einfach gebrochen werde, mache es klar, daß Chamberlain seine Richtlinie (für Frankreich und gegen das. getäuschte Deutschland) bereits gewählt habe.
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