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Nvmmer 42

Fernruf 179

Samstag, den 20. Februar 1926

Fernruf 179

61. Jahrgang

Politische Wochenschau

Als am 1. Dezember 1925 der Vertrag von Locarno Unterzeichnet war, fand Briand nach der Rückkehr vom Destmahl in feinem Hotelzimmer einen Liebesbecher mit der Anschrift: X mon arm ^risticke Lrianci. Der Becher war von Chamberlain.

Und gerade diese dicke Freundschaft zwischen den beiden Staatsmännern scheint dem englischen Kollegen zum Ver­hängnis werden zu wollen. Der sonst so weise Außenminister an der Themse hat scheinbar aus lauter Gefälligkeit seinem Pariser Freund bezüglich der Ratssitze mehr versprochen, als er vor seinem Volt verantworten kann. Einzelheiten sind unbekannt, und auf wiederholte recht deutliche Anzapfungen tm Parlament hat Chamberlain recht undeutliche Verlegen­heitsantworten gegeben. Aber bald pfeifen es die Spatzen von den Dächern in London, Chamberlain habe Frankreich ständige Ratssitze für Polen, Spanien und Brasi­lien zugesagt.

Aber gerade das will England um keinen Preis haben. Eine derartige Vermehrung der Ratssitze würde nicht nur den Genfer Apparat ungemein erschweren, er würde auch den lateinisch-slavischen Einfluß im Völkerbund bis zur Un­erträglichkeit steigern oder, wie die südafrikanische Regierung es formuliert, der Völkerbund stehe in Gefahr, in ein lateinisches Syndikat verwandelt zu werden. Also das genaue Gegenteil von dem zu wer­den, was England dadurch erreichen wollte, daß esDeutsch­lank in den Völkerbund hereinzog. Deutschland selbst wäre durch eine neue Intrige um seine Hoffnung, die man ihm durch das Angebot eines ständigen Ratssitzes machte, schnöde geprellt worden. Denn es kann uns unmöglich gleichgültig sein, wenn in der eigentlichen Herztätigkeit des Völker­bundes, d. i. im Völkerbundsrat, das französische Ueberge- wicht für alle Zeiten unabänderlich gefestigt würde. Unter solchen Umständen könnte uns kein Mensch verdenken, wenn wir unser Eintrittsgesuch, das man uns förmlich auf­gezwungen hat, im letzten Augenblick wieder zurückziehen würden. Allerdings wäre dann die ganze langwierige Ar­beit um den Locarno-Vertrag für die Katz gewesen. Viel Lärm um nichts! Denn ohne Völkerbund kein Locarno. Unser Eintritt in dieseGesellschaft der Völker" hängt mit dem Sicherheitspakt so enge zusammen, daß beides mit­einander steht und miteinander fällt.

Inzwischen war der Generalsekretär des Völkerbundes, Sir Eric Drummond, in Berlin, um dort mit den maßgebenden Persönlichkeiten die näheren Formalitäten für den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund im einzelnen zu besprechen, und festzulegen. Namentlich sei die Frage er­örtert worden, .wer aus Deutschland für einige Beamten­stellen in Genf in Betracht käme. Wer erinnert sich dabei nicht unwillkürlich an die unwürdigen und fast verächtlichen Versuche, die schon vor Weihnachten einige Parteiführer unternahmen, um rechtzeitig ihre Pflegebefohlenen an der Genfer Krippe unterzubringen! Es gibt eben Parteien und Parteipolitiker, die alle politischen Fragen und Ereignisse unter dem niederen Gesichtswinkel einer Versorgungsanstalt für Parteiangehörige betrachten zu müssen glauben. Auch eine Korruptionserscheinung des Parlamentarismus! Kein Wunder, daß dieser immer mehr an Achtung und Ansehen verliert.

Während Deutschland sich anschickt, die letzte Folgerung aus dem Locarno-Vertrag zu ziehen, haben die drei Mi­nister der Kleinen Entente die übliche alljährliche Konferenz in Temeschburg abgehalten. Man verhan­delte über die ungarischen Banknotenfälschungen, über die Stellung der Kleinen Entente zum Eintritt Deutschlands in den Völkerbund und zur Abrüstungskonferenz und nament­lich über die Schaffung eineskn i t t e l e u r o p ä i s ch e n Locarno", d. h. eines Sicherheitsvertrags auf dem Bal­kan, der den dortigen Staaten ihre gegenwärtigen Gren­zen verbürgt. Ganz besonders kam das Verhältnis der Bal- Mnstaaten, namenKch Rumäniens, zu Rußland zur Sprache. Die russische Frage ist für Rumänien eine Lebens­frage. Es ist deshalb auch begreiflich, daß das rumänisch- polnische Defensivbündnis gegen Rußland im nächsten Mo­nat erneuert werden soll.

Was die Abrüstungskonferenz selbst betrifft, so ist diese richtig wieder einmal vertagt worden. Am 15. Fe­bruar hätte die vorbereitende Konferenz in Genf zusammen­treten sollen. An alle beteiligten Staaten, auch Deutschland, wäre" Fragebögen geschickt worden. Nur ganz wenige Staaten hattent ihr Erscheinen zugesagt. Frankreich zeigte immer weniger Lust für die Sache- Am Ende erklärte Painlev 6 : Frankreich habe kein Interesse an einer Be­schleunigung der Zusammenkunft der Mächte zu der geplan­ten Konferenz. Es komme übrigens für die Beurteilung die­ser außerordentlich schwierigen Materie nicht bloß auf Zahl der Mannschaften und Geschütze, sondern auf diegesamten Machtmittel" eines Staates an. Dies zu untersuchen und feftzustellen sei eine außerordentlich langwierige Arbeit. Kurz: Paris wollte wieder einmal nicht. Uni» so wurde die Kon­ferenz auf unbestimmte Zeit verschoben. Bis dahin wird

Tages pregel

Der deutsche Gesandte in Warschau hak bei der polnischen Regierung wegen der deutschseindsicheü Vorgänge in Ober- schlesien Vorstellungen erhoben.

Rach Meldungen aus London und Rom soll Mussolini sehr gefährlich erkrankt sein.

Der Finanzminister Doumer hak in der Finanzkommission des Senats die von der Kammer abgelehnten indirekten Steuern erneut eingebracht.

Die Verhandlungen zwischen dem französischen Kom­missar für Syrien und der türkischen Regierung sollen zu einem Abkommen geführt haben, das der Türkei größere Strecken der Bagdadbahn zusprichk. ^

weiter gerüstet. Nicht bloß in Frankreich. Auch nicht we­niger in I t a l i e n, wo der Kriegsminister das große Wort gelassen sprach:Der Friede Italiens ist nur im Schatten seiner Waffen gesichert." Nach und nach entpuppt sich dieses Abrüstungsgerede als eine lächerliche Komödie. Kein Staat will mit vollem Ernst an die Verwirklichung des Artikels 8 der Völkerbundssatzung heran. Dort wird die Abrüstung aller Staaten gefordert, genau so wie in der Einleitung zu Kapitel V des Versailler Vertrags, der eine allgemeine Ab­rüstung für die Zeit in Aussicht stellt, wo die Entwaffnung Deutschlands vollzogen ist. Diese ist heute Tatsache, und zwar eine von der Botschafterkonferenz amtlich bezeugte Tatsache. Nun kämen ordnungsgemäß die anderen Staaten an die Reihe. Frankreich, die gewaltigste Militärmacht der Welt, voran, aber gerade dieser Staat will kein Bajo­nett aus der Hand geben. Lieber will er seine Finanzen ruinieren. Und kein anderer Staat wagt es, Ernst zu machen. Der Völkerbund gar klappt sofort de- und wehmütig zu- sammmen, wenn Frankreich ungädig die Stirne runzeH

Unser Reichstag hatte immer noch allerlei an der R e i ch s b a h n g e s e l l s ch a f t und ihrem eigentümlichen Geschäftsgebaren auszujetzen. Besonders wurde ihre Güter- t a r i s p o l i t ik scharf aus Korn genommen. Die Tarifsätze seien drei- bis viermal höher als in der Vorkriegszeit. Das sei eine unerträgliche Belastung unserer Wirtschaft, die aus diese Weise jährlich drei bis vier Milliarden dem Verkehre opfern müsse. Auch sei es widersinnig, wenn die Fracht für polnische Güter, die nach dem Westen gefahren werden, bil­liger sei als für deutsche Güter innerhalb des Reichsgebiets. Das sei geradezu eine Begünstigung des Auslands auf Kosten Deutschlands. Allen diesen Klagen gegenüber beruft sich der E i s e n b a h n k o m m i s s a r auf seine Pflicht, die ihm vorschreibe, daß in erster Linie die Reparationsraten her­auszuwirtschaften seien.Wenn wir das gewußt hätten!" als wir im August 1924 unsere Reichsbahn, das größte und einträglichste gewerbliche Unternehmen unseres Vaterlandes, auf dem Altar des Dawesplans opferten!

Uebrigens hat unser Reichshaushalt Heuer und zwar zum erstenmal auch einen Teil der Reparations­kosten aufzubringen. Das wird eine schwierige Sache ab­setzen. Die gegenwärtige Geschäftskrise bedeutet selbstver­ständlich auch einen Steuerausfall. Dazu kommen di« Unter­stützungen für die zwei Millionen Erwerbslosen. Im Monat Februar betrügt hiefür der Reichsanteil 40 Millionen Mark, genau so viel, als der Reichshaushalt für das ganze Jahr 1926 vorgesehen hak. Und daneben stehen die zwei Millionen Kurzarbeiter, die auch ihre Hände nach Unterstützungen aiisstrecken. Man wird sie nicht ohne wei­teres abschütteln können, namentlich wenn man bedenkt, daß mancher Kurzarbeiter wöchentlich weniger einnimmt als der unterstützte Erwerbslose. Aber eine Kurzarbeiterunterstüt- zung, und wenn sie noch so bescheiden wäre, würde den mo­natlichen Reichshaushalt mit mindestens weiteren 15 Millio­nen Mark belasten!

So jagt eine Sorge die andere. tff.

Locarno und die Filmhetze gegen Deutschland

I» Brüssel wurde dieser Tage ein Film aufgeführt, der veranschaulicht, wie man sich in Polen die Auswirkungen des Geistes von Locarno vorstellt. Es handelte sich um einen großen, zwei und eine halbe Stunde ausfüllenden Film über das wiedererstandene Polen, dessen Herstellung und Verbreitung unter dem Schutz bekannter polnischer kirch­licher und weltlicher Würdenträger steht. Der Film soll die Bedeutung des polnischen Staatswesens und seine wirt­schaftliche und kulturelle Macht und Zuverlässigkeit veran­schaulichen, im besonderen Vertrauen in die Aufnahme von Geschäftsbeziehungen mit Polen wecken. Niemand wird den Polen das Recht bestreiten, dafür Reklame zu machen, und niemand wird erstaunt sein, wenn dabei die Wahrheit an­gesichts der chronisch unerfreulichen innern polnischen Zu­stände notaedrunaen .m kur.r kommt. Tatsächlich beschäftigt

sich der Film aber nur zu einem winzigen Teil mit diesen Dingen. Es werden einige Kühe, eine unbeschäftigte Zucker­fabrik und einige im Abendrot gondelnde Fischerboote ge­zeigt, das ist ungefähr alles, was der Zuschauer über die Wirtschaft Polens erfährt.

Der weitaus größte Teil dient nichts anderm als der übel st en und primitiv st en Deutschenhetze und der Vorführung kampfbegeisterter polnischer Frontkämpfer. Um die große polnische Vergangenheit zu zeigen, lyird ganze Akte lang vorgesührt, wie der deutsche Schullehrer polnische Kinder erbarmungslos dnrchprügelt, weil sie sich weigern, diedeutsche Religion" zu lernen und die Religion ihrer Väter aufzugeben. Jedermann muß hier glauben, daß die Deutschen versucht hätten, die polnischen Kinder zu Prote­stanten zu machen. Der deutsche Schullehrer erscheint als eine widerwärtige, brutal-armselige Kreatur, der mit sadisti­scher Freude kleine Mädchen wund und blutig schlägt. In Großaufnahmen erscheinen die von Schlägen angeschwolle­nen Hände und Körperteile der kleinen Opferpreußischer Brutalität". Davon, daß der weitaus größere Teil Polens zu Rußland gehörte, daß gerade der preußische Teil sich kulturell und wirtschaftlich am blühendsten entwickelt hat und heute der Stolz des Landes ist, vernimmt man kein Wort. Die Geschichte wird in einem einseitig preußenfeindlichen Sinn entstellt. Ein Drittel der Bilder zeigt militärische Pa­raden im heutigen Polen, wobei in einer geradezu wider­wärtigen Weise immer wieder Gott und Gebet gegen die Deutschen ins Feld geführt werden. Der Film selbst zeigt als Regie- und Lichtbildleistung eine staunenswerte Minder­wertigkeit, er erinnert mit seinem ewigen Flimmern und Zerreißen technisch an die Anfänge der Filmerzeugung; eine würdige Bestätigung des Rufs polnischer Wirtschaft.

Man könnte über den Film, der in die Beteuerung aus- klingk:Es lebe Frankreich, unser Bundesgenosse", leichter zur Tagesordnung übergehen, wenn seine Vorführung nicht einen durchaus amtlichen Charakter gehabt hätte. Der Film wurde tu Brüssel nicht öffentlich, sondern vor einer geladenen Gesellschaft im Saal der Union coloniale gezeigt. Der polnische Gesandte in Brüssel und der belgische Kolonial- minister wohnten der Vorführung bei, sie wurden offiziell begrüßt und zeigten sich bis zmn Schluß durchaus interessiert. Daß die Aufführung eines solchen Films mit dem Geist von Locarno nicht das mindeste gemeinsam hat, daß der Film vielmehr den Beteuerungen, die die Regierungen Polens und Belgiens seit Monaten unermüdlich über ihre Friedens- bereitschaft in die Welt Hinausrufen, aufs schroffste wider­spricht, daß seine Wirkung nichts andres ist und sein lall als die erneute Auffrischung der primitivsten Haßgefühle mit den Mitteln erlogener und entstellter Geschichtserinnerungen ist so klar, daß weder der polnische Gesandte noch der bel­gische Kolonialminister darüber im Zweifel sein konnten. Die beiden Minister haben sich durch ihre Anwesenheit mit dem Geist und dem Ziel des Films gleichgestellt. Eine Entschuldi­gung damit, daß sie etwas andres erwartet hätten, kann nicht stichhaltig sein, da der Film nicht in Brüssel zum erstenmal gezeigt worden ist, sondern schon eine lange erfolgreiche Reise durch Frankreich hinter sich hat. ^

Neue Nachrichten

Die Forderungen der französischen Eisenbahner

Paris. 19- Febr. Der Minister für öffentliche Arbeiten, de Monzie, hat gestern eine Abordnung des Nationalverbands der Eisenbahner empfangen,' die ihm ihre Forderungen auf Erhöhung der Löhne und die Durchführung des Achtstunden­tages unterbreiteten. de Mozie teilte der Abordnung mit, daß heute vormittag ein Kabinettsrat sich mit der Lohn» und Gehaltsfrage der Beamten und Angestellten beschäf­tigen werde und daß ein Erlaß über den Achtstundentag bald veröffentlicht werde.

Abgelehnke Haftentlassung

Berlin, 19. Febr. Der im Zusammenhang mit der Buda- pester Fälscheraffäre in Berlin verhaftete Artur Schulze wurde gestern dem Vernehmungsrichter im Polizeipräsidium vorgeführt. Schulze bestritt jede Mitwirkung an der Fäl- schungsafsäre. Ein durch den Verteidiger Schutzes gestellter Antrag auf Haftentlassung ist mit der Begründung abgelehnt worden, daß in Anbetracht der politischen Bedeutung des Falles die Verantwortung nicht von der Polizei getragen werden könne. Der Verhaftete wird heute vom Unter­suchungsrichter beim Berliner Landgericht 2 vernommen werden. In den bisherigen Vernehmungen ist noch nicht fest- gestellt worden, daß sich-Schulze in Deutschland eines Ver­brechens der Falschgeldherstellung schuldig gemacht hat. Nach seinen Angaben stammt das zu der Frankenfälschung ver­wendete Papier entgegen anderen Behauptungen bestimmt nicht aus Deutschland. Deutschland ^abe an dem ganzen Fälschungsverfahren gar keinen Anteil. Da Schulze deut­scher Reichsangehöriger ist, darf er auch wegen eines im Auslande verübten Verbrechens oder Vergehens einer aus« ländischen Regierung zur Verfolgung, oder Bestrafung nicht ausgeliefert werden.

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