Nr. 158

Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

98. Jahrgang.

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Dienstag, den 1V. Juli 1923.

Bezugspreis: In der Stadl mit TrSgerlohn 10000MI. monatlich. PostbezugSprelS 10000Mk. ohne Bestellgeld. Einzelnummer 40V Mt. Schluß der Anzeigenannahme 8 Uhr vormittags.

Neueste Nachrichten.

Die Ruhr- «nd Reparationskrisis scheint in dieser Woche wieder einmal einen Höhepunkt erreichen zu wol­len. Die englische Presse führt fort in der Behauptung, daß England im Falle der fortgesetzte« Weigerung Frankreichs einen selbständigen Schritt zu mache« beabsichtige, nämlich den englischen Standpunkt darzulegen, und gleichzeitig die Bestel­lung eines internationalen Schiedsgerichts zur Feststellung der Zahlungsfähigkeit Deutschlands anregen werde. Der Grund z« diesem selbständigen Borgehen sei die verzweifelte Lage Deutsch­lands und die daraus sich ergebende Notwendigkeit einer schleu­nigen Aktion auf Grund des deutschen Angebots, das als ehr­lich betrachtet werde. Am Donnerstag soll eine Erklärung der englische« Regierung erfolge«.

Der Papst hat auch an Belgien eine Mahnung gerichtet, der Be­völkerung des besetzten Gebiets eine menschenwürdigere Be­handlung angedeihen zu lassen.

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Die französische Presse hält den englischen Angriffen entgegen» das, Frankreich seinen Weg der absoluten Niederwerfung Deutsch­lands gehe« werde, »nd daß England gut täte, sich mit de» Franzosen solidarisch zu erklären.

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Aus Lausanne wird gemeldet, daß mit der Unterzeichnung des Friedens zwischen der Entente und der Türkei in 8 Tagen gerechnet wird.

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In dem Landesverratsprozetz gegen den Professor Fuchs, der mit bayrischen Sonderbündler« und französischen Agenten an einer Lostrennung Bayerns vom Reich gearbeitet hatte, wurde der Hauptangeklagte zu 12 Jahren Zuchthaus verur­teilt. In der Urteilsbegründung wurde auf die Machenschaften der französischen Regierung gebührend hingewiese«.

Bestellte Arbeit.

L. S. Noch immer liegt es wie ein Schleier über den Ursachen der Eisenbahnkatastrophe, die unweit Duisburgs zur Zerstörung einiger Waggons eines Regiezugs und zur Tötung mehrerer bel­gischer Soldaten geführt hat. Zwar fehlte und fehlt es nicht an Versuchen, von französischer Seite den Vorfall als nahezu auf­geklärt darzustellen und die Schuld an dem Unglück wieder den Deutschen in die Schuhe zu schieben. Aber selbst diesen verschiede­nen französischen Bemühungen mangelt es an der nötigen Klar­heit und vor allem an Einheitlichkeit. Verschiedene Versionen tauchen auf, werden dementiert und wieder bestätigt. Bald heißt es, die Explosion sei durch eine Bombe mit Zeitzündung herbei- geführt worden, die im Abort des Wagens mitgeführt worden sei; aber niemand kann sagen, wie die Bombe dorthin gekom­men ist und die Berichte schweigen sich durchweg über die Frage aus, wieso es denn möglich war, aus den angeblich vollkommen zertrümmerten Wagen noch Lage und Art des Sprengkörpers fest­zustellen. Bald heißt es auch, es seien einige Easkessel explodiert und andere französische Meldungen glauben wieder, daß es sich um einen von außen gegen den Zug gerichteten Anschlag gehan­delt habe. Ueber daswie" herrscht also noch volle Unklarheit. Umso auffälliger ist dagegen die Einmütigkeit, mit der von Len deutschen Tätern" gesprochen wird. So einmütig ist man in die­ser Behauptung, so prompt erscholl sofort nach dem Unglücksfall das Geschrei über diedeutschen Täter" und so prompt fetzten daraufhin die üblichenSanktionsmaßnahmen" gegen Unschuldige ein, daß man sich kaum des Eindrucks erwehren kann, als herrsche in dieser Einmütigkeit und Promptheit ein vorbedachtes System, als handele es sich hier um genau abgekartete und bestellte Ar­beit; bestellte Arbeit: das Entrüstungsgeschrei, wie auch die Tat selbst.

Die außenpolitischen Verlegenheiten Frankreichs, namentlich seinen Alliierten gegenüber, sind offenkundig. Offenkundig auch seine Bemühungen, sich diesem unangenehmen Zustand durch eine Diskreditierung des deutschen Widerstandes und namentlich da­durch zu entziehen, daß es im Rheinland«tabula rasa" schafft, d. h.: die längst geplante Loslösung des Rheinlandes vom Reiche durch Ausrufung der Rheinischen Republik verwirklicht. Mußte nicht eine Katastrophe wie die Duisburger, einneuer deutscher Sabotageakt", der in seinem Ausmaß alle bisherigen Lbertraf, die Erreichung dieser Ziele außerordentlich begünstigen? Die Er­eignisse lehren, daß Frankreichs Berechnung kein Trugschluß war, wenigstens, was das eine Ziel, die Diskreditierung des deutschen Widerstandes betrifft. Dem Papstbrief an den Kardinal Gaspari,

einem für Frankreich sehr unangenehmen Dokument, folgte das Telegramm des Heiligen Vaters an den Berliner Nuntius, das in Frankreich ganz offen als ein Erfolg der französischen Politik und vielleicht mit Unrecht als eine Mißbilligung der deut­schen Abwehrmethoden durch die Kurie angesehen wird. Zwischen den beiden Erklärungen des Heiligen Vaters aber lag und das ist sehr zu beachten! die Duisburger Eisenbahnkatastrophe, der angebliche deutsche Sabotageakt, der nach offiziöser Darstel­lung des Vatikans tatsächlich den Anstoß zu dem. Telegramm an Pacelli gegeben hat. Die Explosion in dem llrlauberzuge kam den französischen Wünschen also wie gerufen und die paar armen Teufels von belgischen Soldaten starben der französischen großen Politik sehr gelegen. Was liegt nun näher als die Annahme, daß dies Ereignis durchaus nicht eine Folge zufälliger deutscher Sabotageakte, sondern weit eher, gerade weil es sich in einem für Frankreich so besonders günstigen Moment ereignete, eine Glanz­leistung französischer Politik war, eine Leistung, die der Spieler corriger la fortune" nennt. Jedenfalls hat Paris in diesem Punkt wieder einmal seinen Zweck erreicht.

Die Zukunft wird zeigen, ob es sich auch hinsichtlich seines zweiten Zieles nicht getäuscht hat. Die Anfänge dazu find bereits erkennbar. Die hermetische Abschließung des ganzen besetzten Ge­bietes ist die Vorbedingung für ein ungestörtes Arbeiten jener Dunkelmänner, die unter dem Schutz der französischen Bajonette Deutschlands Rheinprovinzen vom Reiche lösen wollen. Schon längst war diese hermetische Abschließung geplant. Es fehlte nur noch der nötige Vorwand. Die Katastrophe an der Hochfelder EisenbahnLrücke hat den Vorwand geliefert. Zufällig? Nein: Programmgemäß! So programmgemäß, daß Herr Dr. Dorten, ehemaliger Eintagspräsident derRheinischen Republik" und ewiger Präsidentschaftskandidat, wieNewyork Herald" berichtet, zwei Tage vor der tatsächlichen Explosionskatastrophe vor seinen Pariser Freunden den prophetischen Ausspruch tun konnte:In einigen Tagen werde die Rheinbrücke, die das linke Rheinufer mit dem Ruhrgebiet verbindet, von den Deutschen zerstört wer­den." So sprach Herr Dorten, wohlgemerkt, zwei Tage vor der Explosion. Es ist nicht anzunehmen, daß, wenn tatsächlich deutsche Saboteure in Frage gekommen wären, diese ihre Absicht ausge­rechnet dem Franzosenfreund und Daterlandsverräter Dorten mitgeteilt hätten, und es ist ferner nicht anzunehmen, daß Herr Dorten etwa die Gabe der Hellsichtigkeit besitzt. Woher kam ihm aber dann die überraschende Erkenntnis besten, was sich ereignen würde? Einfach daher, weil er einer der Mitspieler des geplan­ten neuer Gaunerstücks war, weil er vielleicht selbst mit zu denen gehörte, die die Arbeit bestellt und das Signal zu ihrer Durch­führung gegeben haben.

Die Ruhr- und Reparationsfrage.

Ein Schritt des Papstes bei der belgischen Regierung.

Brüssel, 10. Juli. Wie die Agcnce Belge von besonderer Seite erfährt, erfolgte gestern der vomOsservator Ro­mano" vorgestern asgekündigte Schritt des päpstlichen Nuntius bei der belgischen Regierung. Der Heilige Vater hat durch seinen Vertreter in Brüssel der belgischen Re­gierung Mitteilen lassen, daß er sehr wohl verstehe, daß die belgischen Behörden alle sür die Sicherheit der Truppen notwendigen Maßnahmen ergriffen, er habe jedoch die Hoffnung ausgedrückt, daß es der belgischen Regierung nicht unmöglich sein werde, einen Beweis von Milde ge- genüber der Bevölkerung der besetzten Gebiet zu geben.

Englischer Druck auf Frankreich?

London, 10. Juli. Gestern vormittag wurde unter dem Vorsitz Baldwins eine fast zweistündige Kabinettssitzung abgehalten. Den Blättern zufolge wurden dabei die Mitteilungen Baldwins über die Besprechungen Baldwins, die er am Freitag mit den drei Botschaftern der Verbündeten hatte, zur Kenntnis genom­men. Man nimnrt an, daß Baldwin im Unterhaus und Lord Curzon im Oberhaus gleichlautende Erklärungen über die Hal­tung Großbritanniens abgeben werden. Dem Londoner Bericht­erstatter desManchester Guardian" zufolge wurde bi, franzö­sische Regierung benachrichtigt, daß die britische Regierung selb- ständige Schritte tun müsse, wenn Frankreich nicht unverzüglich auf den britischen Fragebogen antworte. Die Gründe hierfür seien die verzweifelte Lage in Deutschland und die Notwendigkeit einer schleunigen Aktion, sowie die Auffassung de, britischen Re. gierung, daß die deutsche Not« vom 7. Juni, die »in ehrliche» Angebot darstelle» unverzüglich beantwortet »nb zur Grundlage von Brrhandlunge« gemacht «erde« solle.

London, 10. Juli. (Unterhaus.) Poirsonby fragte, ob die Re­gierung Kenntnis davon habe, daß die Besetzung von Fransurt und Kassel durch die Franzosen bevorstehe. Kennworthy fragte, ob es nicht Tatsache sei, daß die Franzosen bereits die Vorstädte von Frankfurt besetzt hätten. Mac Neill antwortete, ihm sei nichts davon bekannt. Bellair bat, dem Hause einen Plan vor­zulegen, aus dem hervorgehe, welche Gebietsteile die Franzosen ursprünglich zu besetzen versuchen wollten und wie weit sie die Besetzung tatsächlich ausgedehnt hätten. (Beifall bei der Oppo­sition.) Davison verlangte eine Uebersicht über die deutschen Verpflichtungen und die tatsächlichen Leistungen Deutschlands. (Beifall bei den Ministeriellen.)

London, 10. Juli. (Unterhaus.) In der gestrigen Sitzung fragte Kennworthy den Premierminister, ob die Antwort der französischen Regierung auf die britische Note über die Besetzung des Ruhrgebiets eingegangen sei, wenn ja, welches der Inhalt sei. Premierminister Baldwin sagte, dem Hause würden sobald wie möglich Mitteilungen gemacht werden. Der Arbeiterführer Macdonald fragte, ob der Premierminister in Aussicht stellen könne, daß im Laufe der Woche eine Erklärung abgegeben werde. Baldwin erwiderte, er hoffe, es werde am Donnerstag möglich sein, eine Erklärung abzugeben. Kennworthy fragte, ob der Premierminister irgend eine Antwort von der französischen Re­gierung erhalten habe. Baldwin antwortete, er habe schon neu­lich erklärt, daß mündliche Besprechungen Wer die Frage statt- fänden. Oberstleutnant Howavd-Huvd fragte den Premier­minister, ob die Reparationsforderung Englands an Deutschland und seine Forderungen an die Alliierten die gleiche Summe aus­machten wie die britische Schuldsumme an die Vereinigten Staa­ten und ob der Premierminister die Zusicherung geben könne, daß Großbritannien über diese äußerste Grenze hinaus keine wei­teren Opfer bringen werde. Baldwin erwiderte, wie er schon am vorigen Mittwoch erklärt habe, sei das Anerbieten Englands vom Januar nicht angenommen worden. England habe also volle Frei­heit in der Frage der alliierten Schulden. Er könne nicht «ine» Zustand in Erwägung ziehen, wobei bei einer Regelung die Opfer auf Kosten de, britischen Steuerzahler gebracht würben. Also will England anscheinend seine Forderungen wieder geltend machen.

London, 9. Juli. Der diplomatische Berichterstatter derWest- minster Gazette" bezeichnet diese Woche als eine kritische Zeit für die Entente. Wenn ein letzter Versuch zu einer Einigung erfolg­los bleibe, werde Baldwin vermutlich Mitteilen, welche Wege die britische Regierung einzuschlagen gedenkt. Zunächst werde die britische Fragenliste veröffentlicht werden. Dann werde die Re­gierung vorschlagen, an Deutschland eine Antwort zu senden, worin der Vorschlag betreffend die Ernennung einer internatio­nalen Sachverständigen-Kommisfion angeommen werde. Die Re­gierung sei bereit, sowohl für die Ernennung einer Kommisfior als auch für die Einberufung einer Konferenz einzutreten, aus der die Frage der interalliierten Schulden und des Wiederauf­baues Europas erörtert werden könnte. An eine Entente mit Deutschland, von der in einigen Kreisen die Rede gewesen, sei nicht zu denken. Ebensowenig wünsche die Regierung Frankreich zu isolieren, da sie hoffe, daß sie nach weiterer Erwägung doch noch die Möglichkeit einer Zusammenarbeit scheu werde. Wenn der englische Schritt in obengenanntem Sinne erfolgt, wird er nur den Erfolg haben, daß die Angelegenheit noch weiter ver­schleppt wird.

Französische Gegenhiebe gegen England.

Paris, 9. Juli. DerTemps" setzt im Hinblick aus die bevorstehenden Erklärungen des englischen Premiermini­sters seine Polemik gegen das, was nach der Stellungnahme der englischen Presse voraussichtlich den Inhalt dieser Er­klärungen bilden wird, in verschärfter Form fort. Er strei. tet der öffentlichen Meinung in England jeden spontanen Charakter gegenüber der Besetzung des Ruhrgebiets ab und erklärt, daß die der englischen Wirtschaft aus der Besetzung erwachsenden Schäden nicht vorhanden seien. Den Vorschlag einer Abschätzung der deutschen Zahlungsfähigkeit durch ein internationales Gremium, auf dem die englische Presse be­stehe, versucht er als flagrant« Verletzung des Friedens­vertrages zu brandmarken. DerTemps" schließt: lleber- zeugt, daß das nationale Interesse Englands mit denjeni­gen Frankreichs übereinstimmt und daß eine französisch- englische Union das prattiWte Mittel wäre, im deutschen Zusammenbruch Remedur zu schasse», erwartet die franzö­sische Oeffentlichkeit von dem englischen Kabinett eine So­lidaritätserklärung. Diese ihre Erwartung wird vielleicht enttäuscht, aber ihre Moral kann dam ft nicht erschüttert