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Druck, Verlag u. Hauptschriftleitung Theodor Gack. Für den lokalen Teil verantwort!. Karl Th. Fl um in Wildkad
Nummer 128
Fernruf 179
Wildbad, Freitag, den 5. Juni 1925
Fernruf 179
60. Jahrgang
Wird England diesmal festbleiben?
^ Der englische Umfall hat nach und nach einen chronischen Charakter angenommen, so daß wir Deutsche uns allmählich daran gewöhnt haben. Diesmal aber sind, wenn man den französischen und englischen halbamtlichen Mitteilungen Glauben schenken darf, die Zumutungen Frankreichs an den hohen Verbündeten an der Themse so hanebüchen, daß er unmöglich nachgeben kann.
Wir reden ausdrücklich nur von den „halbamtlichen Mitteilungen". Denn bekanntlich kennen wir den Wortlaut der neuesten englischen Note nach Paris ebensowenig, wie den der französischen Anfrage in gleicher Angelegenheit, und diesen wieder genau so wenig, wie uns der Wortlaut der „Entwaffnungsnote", die in dieser Pfingstwoche in Berlin übergeben werden soll — ob's wirklich geschieht, wer kann's wissen? — bekannt ist, oder der bald sagenhaft gewordene „Deutsche Sicherheitsvorschlag", den Dr. Stresemann vor Monaten an den hohen Verband geschickt hat. Wir müssen uns mit lauter Vermutungen und Pressemitteilungen begnügen — und das nennt man das Zeitalter der abgetanen Geheimdiplomatie und offenster Oeffentlichkeit.
Doch zurück zur Sache. Also Frankreich mutet England zu, daß es nicht nur die deutsch-französischen, sondern auch die italienischen, die dänischen und die polnischen Grenzen „garantier e". Mit anderen Worten, England soll seine Waffengewalt Frankreich zur Verfügung stellen, für den Fall, daß das gefährliche Deutschland an irgend einer Grenze, die der Versailler Vertrag für Zeit und Ewigkeit gezogen hat, rütteln sollte. Also zu dem Westvertrag auch noch einen Sud-, Nord- und Ostvertrag!
Nicht genug. England soll dis „Entmilitarisierung" (ein schreckliches Wort!) der „neutralen Rheinzone" ebenfalls verbürgen. Wenn also es Deutschland einfallen sollte, im Fall eines Kriegs mit Frankreich, Truppen durch die Rheinlands an die französische Grenze zu schaffen, so sollte England diese Handlung als einen „Kriegsfall" behandeln und sofort mit feiner Waffenmacht Frankreich beispringen. Wie aber Deutschland einem französischen Einfall in die deutschen Lande zuvorkommen soll, das ist nicht nur rätselhaft, sondern ebenso undenkbar wie die Quadratur des Zirkels. Die Schweiz ist neutral, Belgien ebenfalls. Nun soll auch das ganze Mittelstück neutral bleiben, selbst das Ueberfliegen unstatthaft sein. Dagegen — und nun kommt die teuflische Natur Briands — soll Frankreich erlaubt sein, bei einem etwaigen deutsch-polnischen oder polnisch-russischen Krieg ungehindert seine Truppen über den Rhein zu werfen, damit es seinen Vasallen, den Polen und Tschechen und Südslawen und Rumänen, und weiß Gott wem noch im Osten Europas zu Hilfe eilen könne. —
Und so was nennt man Ebenbürdigkeit und Berechtig reitI Ja, dieser Briand! Ein böser Geist im Kabinet Painleve. Immer bläst er mit vollen Backen, wenn ei von der Unverletzlichkeit des Versailler Vertrags spricht, uni in demselben Atemzug ist er dafür, daß der Artikel 19 des leiben Vertrags, der bekanntlich eine Abänderungsmöglich keit auch dieses größten Stümperwerks der Weltgeschichte zugesteht, au; Deutschland nicht anwendbar sein soll. De Mann, der selbstverständlich von Gott und göttlichen Dingei nichts wissen will, beansprucht für das Versailler Schand werk die Autorität, die nur Gottes Wort in Anfpruci nehmen kann, ganz zu schweigen davon, daß Briand genai so, wie der geringste Franzose weiß, daß man vor sech Jahren in Versailles keinen „Vertrag" gemacht, fanden den unglücklichen „Besiegten" mit vorgehaltener Pistole eii „Diktat" zur Unterschrift vorgelegt hat.
. ^"d England? Bis jetzt heißt es übereinstimmend
daß Baldrvins Kabinett die französischen Zumutungei bezüglich des Ostvertrags und der „Demilitarisierung" de neutralen Rheinzone in schärfster Weise abgelehnt habe Obs wahr ist? Die Franzosen tun so, als ob sie es bereit ^ halb gewonnen hätten. Mag sein. Der Schaukel Mltik an der Themse sind alle Dinge möglich. Aber ei! Schandfleck sondergleichen wäre es auf Englands diploma «schein Chrenschild für alle Zeiten. Nur eins scheint siche zu sein, daß man in England auf Chamberlains allzu große „Franzosenfreundlichkeit" nicht gut zu sprechen ist Entweder muß er in diesem Stück umstecken oder — sein -Lage in Valdwins hohem Rat sind gezählt. VV. kl.
Neue Nachrichten
Zur Regierungskrise in Preußen Berlin, 4. Juni. Wie verlautet, hat der Parteivorstand der Sozialdemokratischen Partei in Preußen die Abberufung ^>""'ngs vom Innenministerium, um die Koalitions- eryandlungen mit den anderen Parteien zu ermöglichen, ogeiehn^ Die Verhandlungen dürften sonach als gescheitert
Tagesspiegel
Die Enkwaffnungsnole wurde am Donnerstag mittag dem. Reichskanzler Dr. Luther durch die Botschafter von England, Frankreich, Italien und Japan und dem belgischen Gesandten übergeben. Die Veröffentlichung erfolgt am Samstag morgens.
In Halle findet die 32. Tagung des Evangelisch-sozialen Kongresses, in Bremen die Tagung des Deutschen Lehrervereins statt.
Briand wird am Samstag nach Genf zur Tagung des Völkerbundsrats «kneifen. Es soll versucht werden, vorher noch eine Aebereinstimmung mit London über die Sicher- heitsfrage herbeizuführen.
Der ungarische Minisierrat hak beschlossen, dem Blatt „Az Wag", in dem der frühere Innenminister Beniczy seine Anklagen gegen den Reichsverweser Horthy erhob, bis auf weiteres das Erscheinen zu untersagen. Die Buchdrucker traten darauf in den Streik, und am Donnerstag ist in Budapest kein Blatt erschienen. — Beniczy arbeitet für die Exkaiserin Zita.
Die .Forderung der Polizeiumbildung
Berlin, 4. Juni. In Reichstagskreisen wird erklärt, bezüglich der von den Verbündeten geforderten Umgestaltung der Schutzpolizei müssen erst die Länder gehört werden, da die Polizei nicht dem Reich untersteht. Die nochmalige Umformung würde Kosten von mindestens 60 Millionen verursachen. Preußen wird sich gegen die Aufhebung der Kasernierung erklären.
Aussperrung in Hamburg
Hamburg, 4. Juni. Wegen der zunehmenden Teilstreiks hat der Arbeitgeberschutzverband der Holzindustrie die Aussperrung von heute an beschlossen.
H-
Dsutschlands letztes Wort
Paris, 4. Juni. Der Berliner Berichterstatter der Pariser Ausgabe der „Chicago Tribüne" will an amtlicher Stelle erfahren haben, die Verhandlungen über den Sicherheitsvertrag müßten scheitern, wenn England die französischen Forderungen annehmen würde, wie man in Paris behaupte. Deutschland habe sein letztes Wort gesprochen. Weitere Zugeständnisse der Reichsregierung würden den stärksten Widerstand in Deutschland und wahrscheinlich den Sturz der Regierung zur Folge haben.
Der englische Festlandflug und Deutschland
Paris, 4. Juni. Der „Matin" behauptet, England werde, da es den freiei^Flug über Köln und Berlin nach Wien— Budapest—Konstantinopel zum Persischen Meerbusen nicht habe erreichen können, seine Fluglinien über Paris— Basel-Zürich einrichten. — Die Meldung steht im Wider-» spruch zu der gestrigen Berliner Nachricht und ist daher mit Vorsicht aufzunehmen.
Drohender Poststreik in Frankreich
Paris» 4. Juni. Unter den Angestellten der Post ist eine Streikbewegung im Gang, weil die Regierung verschiedene Zulagen, die die Kammer beschlossen hatte, gestrichen hat. Der Kammerausschuß hat nun beschlossen, der Kammer die Wiederherstellung der Zulagen vorzuschlagen.
Eine französische Fälschung
London, 4. Juni. Der diplomatische Mitarbeiter des ,^)ailr> Telegraph" stellt fest, daß die Veröffentlichungen in Paris über den Standpunkt der britischen Regierung zum Durchmarsch durch das „entmilitarisierte" Rheingebiet den Tatsachen nicht entspreche. Die britische Note betone vielmehr, daß das „Recht" des Durchmarsches abhänge von der moralischen Sachlage im einzelnen Fall und von den Bestimmungen der Völkerbundssatzung. (Die Pariser Blätter hatten halbamtlich behauptet, England werde den Durchmarsch französischer Truppen nicht beanstanden, den Einmarsch der Deutschen aber als Kriegsfall ansehen.)
In der „Westminster Gazette" schreibt der Hauptschrift- leiter Spencer, es sei unklug, die Entwaffnungsnote in dem Augenblick in Berlin zu übergeben, wo man sich an- schicke, über den Sicherheitsvertrag zu verhandeln. Die Note werde in Deutschland keine gute Stimmung für die Verhandlungen schaffen.
In London glaubt man, daß für die Verhandlungen keine Konferenz nötig sei, sondern daß sie auf diplomatischem Weg durch Noten geführt werden könne.
Gewerkschafkskonfercnz in London
London, 4. Juni. Die Gewerkschaftsführer der Bergleute, der Eisenbahner, der Transportarbeiter und der Werft- und Maschinenbauarbeiter treten heute zur Beratung eines Schutz- und Trutzbündnisses zur gegenseitigen Unterstützung zusammen.
Spanisch-französische Abmachung über Marokko
Paris, 4. Juni. In einer Unterredung, die Außenminister Briand gestern mit dem spanischen Botschafter Quinones de Leon hatte, soll verabredet worden sein,.daß Spanien und Frankreich gemeinsam eine scharfe Bewachung der marokkanischen Küste ausüben, und die Einschmuggelung von Waffen und Munition für die Kabylen zu unterdrücken. Spanien soll keine Vereinbarungen mit Abd el Krim treffen, solange Frankreich mit ihm im Kriege liegt.
Es wird mitgeteilt, daß die Landung von 18 000 Mann spanischer Truppen in der Bucht von Alhucemas vorbereitet werde; vor der Ausschiffung soll eine letzte Forderung an Abd el Krim gestellt werden. Im Fall der Ablehnung würde der Kampf sofort beginnen.
General Primo de Rivera ist in Tetuan eingetroffen. ,
Rückzug der Franzosen in Marokko
Mailand, 4. Juni. Der «Corriere della Sera" meldet aus Tanger, durch ihren neuen Rückzug haben die Franzosen ein Gebiet von 150 Kilometern überlassen müssen. Die Kabylen haben am ersten Pfingsttag eine sehr geschickte Umgehungsbewegung ausgeführt, sodaß die Franzosen ihre Front immer weiter zurückziehen mußten. Neue Verstärkungen wurden notwendig.
Der Aufstand gegen die Fremden in Schanghai
London, 4. Juni. Nach Meldungen aus Schanghai haben 3000 Chinesen die japanischen Eiswerke angegriffen, wobei ein Chinese getötet und fünf durch das Feuer der Polizei verwundet wurden. Vor Schanghai liegen drei amerikanische Zerstörer und ein Kanonenboot, drei japanische Kanonenboote, ein französischer Kreuzer und ein Zerstörer, ein englisches Kanonenboot und ejn italienischen Kreuzer. Die Schiffe landen fortwährend Truppen. Amerikanische Truppen bewachen die Wasserbehälter, die die Chinesen sprengen wollten. Die Zahl der Streikenden soll jetzt 300 000 betragen.
Kanton, 4. Juni. Die Bewegung gegen die Fremden hak auch auf den Bezirk Kanton übergegriffen. Die Lage ist bedrohlich. Die Unruhen breiten sich immer weiter aus.
Peking, 4. Juni. Der deutsche Gesandte Dr. Boye meldet, das Leben der Deutschen und deutsche Interessen seien nicht bedroht.
Die japanische Regierung läßt halbamtlich verbreiten, sie werde in China keine Maßnahmen ergreifen, ohne sich vorher mit den andern Mächten verständigt zu haben.
Line Frauenbrigade
Bei den Kämpfen der europäischen Polizei und dem Fremdenviertel in Schanghai gegen die Streikenden werden jetzt auch Panzerwagen benützt. 61 Chinesen wurden ge- ttöet, 65 schwer verletzt. Auch unter den Frauen des Fremdenviertels sind zu ihrem Schutz Waffen verteilt worden; sie wurden zu einer Frauenbrigade zusammengestellt, die im äußersten Notfall herangezogen werden soll. In einem chinesischen Gefängnis wurde ein amerikanischer Unteroffizier entdeckt. Auf Einschreiten des amerikanischen Konsuls ließ die örtliche Polizei ihn jedoch frei. Nach den Berichten, die in London eingegangen sind, übersteigt die Zahl der Aufrührer 100 000. Einige tausend chinesische Studenten haben sich ihnen angeschlossen. ^
Große Gefahr in Peking
In Peking wurde die Menge durch Studenten zur Ermordung der Fremden und Erstürmung des Fremdenviertels aufgereizt, der Sturm wurde aber abgeschlagen. Die Gesandtschaftswachen sind in Gefechtsbereitschaft. Die Aufregung ist ungeheuer und die Gefahr groß.
Württemberg
Stuttgart, 4. Juni- Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht. Heute morgen fand die erste öffentliche Versammlung der 6. Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht im Festsaal des Hauses des Deutschtums statt. Der Präsident des Reichsgerichts Dr. Simons hielt eine Rede über internationale Gerichtsbarkeit, an die sich eine längere Aussprache anschloß.
Mörikefeier. Auf dem Pragfriedhof fand gestern am Grab des vor 50 Jahren verstorbenen Dichters Eduard Mörike eine stimmungsvolle Gedächtnisfeier stakt.
Fachausschüsse für Hausarbeit. Zur Durchführung des Hausarbeitsgesetzes hat das Arbeitsministerium die Errichtung von Fachausschüssen bestimmt, und zwar 1. für die Strickerei- und Wirkerei-Industrie (Herstellung von Kleidern und Wäsche aus Wirk- und Strickstoffen): 2. für die Kleiderund Wäschekonfektion und verwandte Gewerbe (Kleiderkonfektion, Herstellung von Wüsche, Schürzen, Korsetten, sowie von Perltaschen, Spitzen und Wäschestickereien): 3. für die Papierwaren- und Kartonagenindustrie (Herstellung von Papier- und. Kartonwaren, forme von Fliegenfängern).^
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