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Nummer 63 Fernruf 179

Aufgeschoben oder aufgehoben?

Nämlich das vielbestrittene Genfer Protokoll. Seit Jahr und Tag gab es ein Rätselfragen: Wird England es annehmen oder nicht? Briand, der glänzendste Redner Frankreichs, hat es mit dem sozialistischen Abgeordneten Boncour vor Jahr und Tag gemacht und Mac Do­nald hat zu Gevatter gestanden. Aber es war sehr vor­eilig von ihm gehandelt. Denn von Woche zu Woche wuchs der Widerspruch gegen diesesFriedensinstrument". Auf der Z. Völkerbundsversammlung es war am 2. Oktober 1924 wurde beschlossen,allen Mitgliedern zu empfehlen, das Protokoll in ernste Erwägung zu ziehen". Und als in England Mac Donald gestürzt wurde und die konservative Regierung Baldwin ans Ruder kam, da schwieg man sich anfänglich über das Schicksal des Protokolls aus. Das war ein verdächtiges Zeichen. Und schließlich hieß es, die Regierung könne dem Parlament die Genehmigung des Protokolls nicht empfehlen.

Vorige Woche nun war der Völkerbundsrat wie­der einmal zusammen. Zum dreiunddreißigstenmal. Der englische Außenminister Chamberlain reiste in höchst eigener Person nach Gens. Und am Donnerstag hielt er dem totgoborenen Kind Briands und Mac Donalds die Leichenrede. Sie troff freilich von allerlei Lobsprüchen aus die Urheber des Protokolls. Eckst diplomatisch wurden ihre guten Absichten" über alle Maßen gelobt. Aber zuletzt doch dasUnannehmbar" ausgesprochen. Warum? Auf Antrag des Japaners Jskni kam seinerzeit die Bestimmung herein, daß in gewissen Fällen ein Eingreifen des Völker­bunds auch bei sogenannteninneren Angelegen­heiten" einer Nation statthaft sei. Also etwa zwischen England uni» seinen Dominions. So etwas kann begreif­licherweise der englische Stolz und Weltherrschaftssinn nie zugeben. Das englische Weltreich läßt sich nie und nim­mer ist seine häuslichen Händel dreinreden. Dann die Be­stimmung wirtschaftlicher und militärischer Sanktionen gegen denAngreifer"! Sie war erst recht ein zweischneidiges Schwert. DerAngreifer" wird z- B. mit seinen militäri­schen Vorbereitungen zu Wasser und zu Land nicht erst warten, bis ein Streitfall mit seinem Gegner ausgebrochen ist. Vielmehr wird er sich langer Hand vorbereiten, dann, wenn er fertig ist, einen Streit vom Zaune brechen und so­fort losschlagen. Nun wird der ganze Völkerbund gegen den Bösewicht ausgeboten. Deutschland wird dabei der ge­gebene Kriegsschauplatz sein, wie ehemals im Dreißigjährigen Krieg. Auch das paßte Chamberlain nicht. Und wir Deutsche können ihm dafür dankbar sein. Denkbar auch, daß er sich nicht für alle Grenzen, die der Versailler Vertrag gezogen hat, also auch für die neue Grenze Deutschlands gegen Polen und die Tscheche!, einsetzen will. Bekanntlich war das auch der wunde Punkt, um dessentwillen Amerika den Versailler Vertrag anzunehmen keine Lust hatte.

Kurz: Chamberlain lehnte dos Genfer Protokoll ab. Briand hielt die Gegenrede; sie war ein Feuerwerk, wie olle seine Reden. Aber sie hatte keine Ueberzeugungskraft. Der Tscheche Benesch sprach selbstverständlich für das Protokoll, aber er wollte auch nicht England vor den Kops stoßen. Und so stellte er den Antrag:Die englische Er­klärung. sowie olle Erklärungen, die bereits vorliegen und noch erfolgen würden, auf die sechste Völkerbundstagung zu verschieben." Vielleicht war das eine goldene Brücke für Frankreich. SolcheVerschiebungen" kennt man. Frank­reich hat aber diesmal das Spiel verloren. Wenn auch Pol-n und die Tscheche! unt vielleicht auch Ja­pan ihm beipflichten, die andern werden es doch mit Eng­land halten. Und man wird sich hüten, in derselben Sache sich eine zweite Schlappe zu holen.

Bei diesem Anlaß kam wieder einmal der ganze Wert oder besser Unwert des Völkerbunds so recht deutlich zum Vorschein. Wir wollen von der Völkerbunds­versammlung selbst gonz schweigen. Die ist ein viel zu großer Apparat, als daß sie richtig arbeiten könnte. Mehr Gepränge, als Handlung! Aber auch der Bölker- bundsrat ist ein unpraktischer Apparat. Schon des­wegen, weil seine Beschlüsse zu ihrer Gültigkeit Einstimmig­keit erfordern. Wie wird man aber 9 Köpfe für alle wich­tigen Fälle unter einen Hut bringen? Unmöglich. Ja, man könnte mit gutem Grund die Rechtsgültigkeit der seit­herigen Beschlüsse anfechten. Denn Amerika, das als Hauptmacht ausdrücklich im Rat vertreten sein soll, hat ja nie mitgetan.

Und damit kommen wir zu dem Schlußurteil Cham­ber l a i n s, das uns ganz aus dem Herzen gesprochen ist. Er sprach ein großes Wort gelassen aus. Nämlich:Jeder weiß, daß der Völkerbund so, wie er jetzt be­steht, keineswegs jener Völkerbund ist, wie ervon seinen Gründern gemeint war"

Stimmt. Das haben wir Deutsche (man denke an das Saarland und an Oberschlesien) mehr als einmal zu spüren bekommen. Vlst bl.

Wildbad, Dienstag, den 17. März 1925

Tagesspiegel

^>ie Ankwork des Völkerbundssekrekärs bezüglich des LmlrittS Deutschlands in den Völkerbund traf telegraphisch am Samskag in Berlin ein. Minister Skresemann soll einen günstigen Eindruck empfangen haben. Das Gesamtkabinekt wird eine endoülkige Stellung erst nehmen, wenn die Ent­scheidung des Völlrorbundsraks im schriftlichen Wortlaut vor- lieak. Am Mittwoch werden der Reichskanzler und Stress- mann mit den Parteiführern sich besprechen.

Das Befinden des englischen Staatssekretärs Lord Eu r- zon. der sich einer Operation unterziehen muhte, hak sich gebessert.

Neue Nachrichten

Zur Reichpräsidentenwahl Die sechste Kandidatur

Berlin, 16. März. Der Landesausschuß der Bayeri­schen Volksparkei hat den bayerischen Ministerpräsi­denten Dr. Held mit seiner Zustimmung als Kandidaten aufgestellt. Der Ausschuß erklärte es als unmöglich für die Partei, für Marx oder Iarres zu stimmen. Es gibt nun also 6 Kandidaturen für die Reichspräsidentschaft: Zarres, Marx, Braun, Thälmann, Held und Hellpach.

Der Mahlkampf beginnt

Der Reichsblock stellt in dem Wahlaufruf für Dr. Iarres das Leikwort auf: Einheit der Deutschen, Rein­heit des öffentlichen Lebens, das Slaatswohl über den Partei­geist, ein Weg, ein Wille. Der Aufruf ist von Generalfeld­marschall von Hindenburg und Großadmiral Tirpih unter­zeichnet. Die Wirtschaftliche Vereinigung ist dem Reichsblock beigetreten-

In einer Verkreterversammlung der Rechtsparteien, der Vaterländischen und der Wirtschastsverbände in Württem­berg wurde am Montag der Anschluß an den Reichsblock beschlossen.

Die in München abgehaltene Landesvorstandssitzung des Bayerischen Bauern- und Mittelstandsbundes bedauert es in einer einstimmig angenommenen Entschließung lebhaft, daß es wieder einmal im entscheidenden Augenblick nicht gelungen sei, die Zusammenfassung aller bürgerlichen Par­teien zu erreichen. Die Unterstützung der Kandidatur der Linken komme für den B. B. u. M-V. nicht in Frage. Der Landesvorstand hat es aber auch abgelehnt, die Wahl des Kandidaten der Rechtsparteien seinen Mitgliedern und An­hängern zu empfehlen. Welchen Kandidaten die Partei­leitung diesen Vorschlägen wird, hängt von der Entscheidung ab, die die Fraktionsversammlung -der Wirtschaftlichen Ver­einigung trifft, die am nächsten Dienstag in Berlin statt­findet.

Am 19. März, nachts 12 Uhr, läuft die Anmeldefrist für die Wahlvorschläge ab. In den folgenden 8 Wochentagen müssen die Wahlzettel fertiggestellt werden, die die Namen der Bewerber in der Ordnung nach dem Abc enthalten. Die praktischen Einzelheiten der Wahl liegen den Landesregie­rungen ob.

Der Lisenbahnerstreik

Berlin, 16. März. Im Berliner Bezirk sind auch einige hundert Eisenbahnarbeiter zur Arbeit zurückgekehrt, dagegen hat in anderen Städten der Ausstand zugenommen; so sind in Bremen 400 Arbeiter in den Streik getreten.

Nach einer Versammlung der Streikenden des kommu­nistischen freien Eisenbahnerverbands zogen etwa 1000 Mann mit roten Fahnen zum Gebäude der Reichsbahndirektion und riefen:Hoch die Weltrsvolution, nieder Oeser und die Reichsbahndirektion!"

Bei dem Umzug kam es verschiedentlich zu Ausschreitun­gen. Ein Straßenbahnwagenführer wurde gewaltsam zum Halten veranlaßt und mit einer eisernen Stange bearbeitet. Die ihm zu Hilfe eilenden Schutzleute wurden bedroht, worauf einer derselben einen Schuß abgab, durch den ein Streiken­der tödlich verletzt wurde.

Berlin, 16. März. DieRote Fahne" berichtet, die so­zialdemokratische Reichstagsfraktion wolle die Forderungen für Reichswehr und Schutzpolizei im neuen Reichshaushalt­plan ablehnen.

Die Schandtaten der Vesatzungskruppen

Berlin, 16. März. Nach dem amtlichen preußischen Be­richt sind im Jahr 1923 in Westfalen 63 und in der Rhein­provinz 76 Personen von den Besatzungstruppen getötet worden; fragliche Fälle sind hierbei unberücksichtigt geblie­ben. Hiervon wurden erschossen: von den Franzosn 83 Man- ner, 2 Frauen, von den Belgiern 26 Männer, 1 Frau. Bei 23 männlichen und 1 weiblichen Person findet sich nur die allgemeine Angabe, daß sie von den Besatzungstruppen er­schossen" seien, Aus je einer Zählkarte ist zugegeben,von

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belgischen Soldaten totgeschlagen",von Marokkanern tot­geschlagen" underschossen von einem Engländer". Ihrem Beruf nach waren von den getöteten Männern 84 Arbeiter (17 Bergleute), 17 Angestellte, 14 selbständige Kausleute usw., 6 Polizeibeamte, 6 sonstige Beamte, 3 selbständige Berufe.

Regierungsbildung in Hessen Darmstadk, 16. März. Die Verhandlungen zwischen Zen­trum, Demokraten und Sozialdemokraten zwecks Wieder- 1-erstellung der früheren Weimarer Koalition haben das Er­gebnis gehabt, daß die drei Parteien sich zur Regierungs­bildung vereinigt haben. Die von den Rechtsparteien und dem Landbund beantragte Landtagsauslösung wurde abge­lehnt. Hessen hatte seit den Neuwahlen vom 7. Dezember 1924 nach dem Austritt der Deutschen Volkspartei aus der Großen Koalition keine parlamentarische Regierung mehr, da die Regierung damals zurückgetreten und nur mit der Führung der Geschäfte" beauftragt war.

Sparoorschläge des dänischen Kriegsministers Kopenhagen, 16- März. Der sozialistische Kriegsminister hat, da er aus eine baldige Erledigung seines Abrüstungs­vorschlags nicht rechnen kann, dem Reichstag einen Ab­änderungsvorschlag zum Haushaltgesetz vorgelegt. Danach sollen die Manöver in diesem Jahr (wie im vorigen) gestri- cken werden, womit der Staat 1500 000 Kronen spare. Ferner soll eine Reihe von militärischen Neuanschaffungen und Kasernenbauten, die in der Militärordnung von 1922 vorgesehen sind, vertagt und damit weitere 6 000 000 Kronen erspart bleiben. Die Ersparnisse wurden von den Konser­vativen und der Bauernlinken abgelehnt, so daß ein Streit wegen des Haushaltsgesetzes wahrscheinlich ist.

Die Einladung zum Eintritt in den Völkerbund Genf, 16. März. Der Völkerbundsrat hat aus das deutsche, mit dem bekannten Vorbehalt abgegebene Auf­nahmegesuch vom 12. Dezember 1924 der Reichsregierung ein Einladungsschreiben zugehen lassen, worin Deutschland gleiche Rechte zugestanden, aber auch gleiche Pflichten ouf- erlegt werden. Eine Ausnahme bezüglich des Artikels 16 des Völkerbundsstatuts zu machen,-sei unmöglich. Es werde Deutschland selbst zustehen, im gegebenen Fall zu sagen, bis zu welchem Grad es in der Lage wäre, den Anforderungen auf Beteiligung an dem kriegerischen Unternehmen zu ent­sprechen. Üeberdies nehme jeweils ein Mitglied des Völker­bunds und des Völkerbundsrats an der entsprechenden Ent­scheidung über die Anwendung der Grundsätze der Völker­bundssatzung teil. Jeder Vorbehalt, ob ein einzelner Staat sich hiebei beteiligen wolle oder nicht, würde die Grundlage des Völkerbunds untergraben und wäre mit der ^Stellung eines Völkerbundsmitglieds unvereinbar. Das Schreiben ist von dem Spanier Quinones de Leon verfaßt.

Die militärische Ueberwachung Genf, 16. März. Der Völkerbundsrat hat bezüglich der militärischen Ueberwachung Deutschlands, Oesterreichs, Un­garns und Bulgarien beschlossen: Den Ueberwachungskom- missionen ist gemäß den Vorschlägen der UnterkomnMion die unbedingte freie Durchführung ihrer Aus­gabe zu gewährleisten. Das Generalsekretariat möge prüfen, inwieweit zu diesem Zweck den zu über­wachenden Staaten die Auflage zu machen ist, entsprechende gesetzgeberische Maßnahmen zu treffen; das Sekretariat wird ermächtigt, schon jetzt diese vier Staaten zur Duldung der Ueberwachung zu verpflichten. Die weitere Prüfung eines Ueberwachungssystems für die Ent­militarisierung des Rheingebiets soll auf die nächste Tagung verschoben werden. Polen soll aufgefordert werden, dem Generalsekretär ausführlich die Gründe darzulegen, aus denen Polen eine ständige Mitgliedschaft in der Ueber- wachungskommission beansprucht. DeutschlandsGleich­berechtigung" im Völkerbund scheint demnach doch recht sonderbar gedacht zu sein.

Paris, 16. März. DerMatin" meint, Lord Curzon und der bisherige englische Botschafter in Berlin, Lord d'Abernon haben durch ihr Ränkespiel die eigentliche Politik Chamberlains durchkreuzt. Bei der heutigen Bespre­chung mit Herriot werde daher nur die englisch-französische Meinungsverschiedenheit in der Sicherheitsfrage noch ein­mal vor aller Welt klargelegt.

Der Kulturkampf in Frankreich Paris, 16. März. In der Notre Dame-Kirche erklärte Kardinal Dubois von der Kanzel, der päpstliche Stuhl und der Nuntius haben von der letzten gemeinsamen Erklärung der französischen Kardinale gegen das Schulgesetz keine Kenntnis gehabt. Die Erklärung wolle keine Kriegserklä­rung und keine politische Handlung sein, sie wünsche auch nicht den Sturz der Republik; sie sollte nur den Gläubigen vor Augen führen, daß di« jetzigen Gesetze Frankreichs die Rechte der katholischen Geistlichkeit und der Orden verken-