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(Enztalbote)
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Nummer 57 Fernruf 17S Wildbad, Dienstag, den 10. März 1925 Fernruf 179 6V. Jahrgang
Deutschland und die Rede Chamberlains
Die Rede des englischen Außenministers Austen Eham- berlain im Unterhaus, die er wenige Stunden vor seiner Abreise nach Paris und Genf gehalten hat, wird in den Berliner politischen Kreisen lebhaft erörtert. In manchen Fragen hak die Rede absichtlich keine Klärung gebracht. Dagegen wird sehr beachtet, daß Chamberlain sich scharf ausgeprägt zur R ä u m u n gs f r a g e ausgesprochen und festgestellt hat, daß die Erledigung der Räumungsfrage nicht von einer vorausgehenden Lösung der Sicherheitsfrage abhänging sei, und ferner, daß die Besetzung und Räumung der ersten rheinischen Zone lediglich auf dem Vertrag von Bersailles beruhen. Sobald die „wesentlichen und bedeutendsten Abrüstungsmaßnahmen von Deutschland erfüllt" seien, werde England die Räumung vollziehen. Für die Reichsregierung bedeutet diese Rede eine Bestätigung der Richtigkeit ihrer eigenen Politik in der Räumungsfrage. Man wird, wenn es die Umstände erfordern sollten, wohl nicht verfehlen, den britischen Minister an seine hier festgelegten Grundsätze zu erinnern.
Auch in der Frage der Sicherheit bedeutet nach Ansicht der Berliner Politiker die Rede Chamberlains einen merkbaren Fortschritt. Man erinnert sich noch mit peinlichem Gefühl des Schicksals, das vor etwa zwei Jahren dem Angebot des Reichskanzlers Cuno beschieden war, das den verbündeten Regierungen nicht einmal in amtlicher Form zugänglich gemacht werden konnte, da schon die ersten Fühler zurllckgewiesen worden waren. Gegenüber der damaligen schnöden Ablehnung eines ehrlich gemeinten Vorschlags durch die französische Regierung legt man den Aeußerungen Chamberlains auch deshalb besonderes Gewicht , bei, da er als Ansicht seiner Regierung erklären konnte, „sie messe dem Schritt der deutschen Regierung größte Bedeutung bei und sehe in ihm große Möglichkeiten für den Frieden der Welt". Man folgert hier aus dieser Feststellung, daß die Anregungen der deutschen Regierung sich eng mit den Plänen berühren, die das englische Kabinett selbst in der Frage der Sicherheit verfolge, und daß die französische Regierung jetzt wohl nicht umhin könne, sich im Gegensatz zum Kabinett Poincare zum mindesten ernstlich die Frage vorzulegen, ob sie die deutschen Anregungen ohne weiteres ablehnen könne.
Man ist aber in Berlin nicht im Klaren, wie sich die englische Regierung zu der französischen Forderung stellen würde, die militärische Ueberwachung in absehbarer Zeit durch eine Völkerbundsüberwachung ablösen zu lassen. Von einer Ueberleitung der Ueberwachung von der einen Instanz auf die andere findet sich im Friedensvertrag nichts. Das Sicherheitsproblem selbst ist mit Namen nur an der einen Stelle des Artikels 429 erwähnt, wo es heißt, daß die Zurückziehung der Besetzungstruppen aus dem Rheinlands aufgeschoben werden dürfe, wenn die verbündeten Mächte die Sicherheit gegen einen nicht herausgeforderten Angriff Deutschlands nicht als hinreichend erachteten. Jedoch darf diese Frage der Sicherheit im Zusammenhang mit der Räumungsfrage nach dem Sinn und dem Wortlaut des Vertrags erst nach Ablauf der gesamten Besetzungsdauer, also nach 15 Jahren, aufgeworfen werden. Der Sache nach beschränkt sich der Vertrag von Versailles darauf, in den Artikeln 42 bis 44 Bestimmungen über dis Enkmilikarisierung des Rheinlands zu treffen. Die dort getroffenen Bestimmungen sind von Deutschland ausgeführt worden und werden von ihm eingehalten. Deutschland unterhalt weder auf dem linken Rheinufer, noch westlich von einer 50 Kilometer östlich des Flusses verlaufenden Linie Befestigungen. Ebensowenig sind in der hier bezeichneten Zone deutsche Truppen anzutreffen. Die Franzosen bemühen sich nun lebhaft darum, diese Artikl 42 und 44 mit dem Artikel 213 in eine innere Verbindung zu bringen. In Artikel 213 beißt es, daß Deutschland, solange der Vertrag in Kraft bleibe, jede Untersuchung dulden müsse, die der Rat des Völkerbunds mit Mehrheitsbeschluß für notwendig erachte. Der Zweck dieses Artikels besteht nur darin, nach Beendigung der zusammenhängenden Ueberwachung durch die Militärausschüsse der verbündeten Mächte die Möglichkeit zu Untersuchungen durch den Völkerbund offenzuhalten, jedoch in dem Sinn, daß nur auf Grund besonderer Anlässe eine solche Nachforschung vorgenommen werden dürfe. Der sozialistische Abgeordnete Paul Boncour, der Wortführer der französischen Ueberwachungsfanatiker, behauptet, daß wenn die Besetzungstruppen aus dem Rheinland.abzögen, die Völkerbundskontrolleure von der anderen Seite hereintreten müssen, und zwar mit der Aufgabe, sich dort dauernd niederzulassen. Mit Bedauern muß man nunmehr Feststeller! ,daß Chamberlain in seiner Rede von dieser Gefahr nicht gesprochen hat, die von Frankreich her der Reinhaltung des Sicherheitsgedankcns drohe. Da sich aber me Frage der Völkerbundsüberwachung auf dem Arbeitsplan des Völkerbunds vorfindet, wird man annehmen
Tayessvreqel
Die deutschen Botschafter in Paris und London, v. höich v Sthamer, werden nach Berlin berufen, um über die Aufnahme des deutschen Sicherheiksvorschlags bei den beiden fremden Regierungen Bericht zu erstatten.
sin amtlichen Kreisen in Washington wird erklärt, die Licherheilsfrage, die in Europa so viel besprochen werde, berühre die Vereinigten Staaten nicht, aber die Regierung erhalte sich über die Verhandlungen auf dem Laufenden.
In Neuschsktland (Kanada) brach ein Beraarbeikerst-eik a"s, an dem 12 000 Arbeiter beteiligt sind. Me Direktion will den Streik ein für allemal durchkämpfen.
dürfen, daß die britische Regierung doch die Gelegenheit wahrnehmen wird, ihre Auffassung zu den französischen Plänen darzulegen. Ob die Besprechung mit Parts und die ihr folgende Beratung des Völkerbundsrats in Genf die Bedenken des deutschen Volks beschwichtigen werden, wird zu einem großen Teil von der Haltung abhängen, die Chamberlain als Vertreter der britischen Regierung dort einnehmen wird.
Eine Siedelung für 800 000 Menschen
Zwischen Oranienburg und Velten, am Großsch-iffcchrts- weg Berlin-Stettin, ist nach den Plänen des Gemeindevorstehers von Velten, H. O. Ziegle r, aus einem Gebiet von rund 2600 Hektar, meist Oedland, die Siedelung Henningsdorf-Velten erstellt worden, die landwirtschaftliche Siedelungen, eine große Industriestadt und Beamten- und Arbeiterkolonien umfaßt und nach vollkommener Fertigstellung »ahezu 800 000 Menschen Wohnungs- und Erwerbsgelegenheit bieten kann. Ein günstiger Vertrag mit der Gemeinnützigen Siedelungs- und Kriegerheimstätten A.G., die viele Millionen Goldmark in Las Unternehmen steckte, ermöglicht es, die erforderlichen Bod enve rbesierungen und Bauten unter wesentlich billigeren Bedingungen herzusUllen, als es Staat oder Gemeinde vermochten, oder es durch Verteilung an kleinere Siedelungsgesellschaften möglich gewesen wäre. Der größte Teil des Geländes ist heute bereits erschlossen, einzelne Siedelungen sind bereits seit längerer Zeit bewohnt. Dabei zeigen die Häuser, von verschiedenen Baumeistern erbaut, nicht die ermüdende gleichförmige Art, die sie des Heimatgefühls beraubt. Daneben sind für solche Siedler, die sich mit Garten- und Feldarbeit nicht befassen können und wollen, auch größere Häuser bis zu 14 Wohnungen erstellt. Die Anlage der bäuerlichen Kolonien samt Bauten, Vieh, Maschinen usw- kostete 300 000 Gokdmark. Der Ernteertrag war schon im ersten Jahr 46 066 Mark. Die Gesellschaft hat ihre eigenen Ziegeleien, ein Sägewerk, Torfsteche- reien usw-
Die größte Schwierigkeit ist natürlich die Vorbereitung für die große Industriestadt, die der Mittel- Stichkanal von Velten nach dem Großschiffahrtsweg mit einem 8,5 Morgen großen Hafen bereits errichtet. Nun baut die Gesellschaft einen 5,5 Kilometer langen Jndustriekanal. An den Kanal angrenzend wird eine erste Jndustriezone von 300 und jenseits der Jndustriestraßen eine solche von 200 Metern Breite erschlossen. Hier können Hunderte von Industrien sich ansiedeln und es sind bereits die Abschlüsse von Verträgen im Gang.
Neue Nachrichten
Zur Präsidentenwahl
Berlin, 9. März. Deutschnationale Volkspartei, Deutsche Volksparkei, Wirtschaftspartei, Bayerische Volkspartei und die verschiedenen kleineren wirtschaftlichen Gruppen des Reichstags haben sich auf die Kandidatur des früheren Reichsministers des Innern Dr. Iarres für den Posten des Reichspräsidenten geeinigt.
Die sozialdemokratische Partei beschloß, den früheren preußischen Ministerpräsidenten Braun als Kandidaten für den ersten Wahlgang aufzustellen.
Die Kommunisten haben, wie bereits berichtet, den Abgeordneten Thälmann aufgestellt.
In einer gemeinsamen Sitzung der Zentrumsfraktionsvorstände des Reichstags und des preußischen Landtags wurde beschlossen, den Reichsparteivorstand für Dienstag und den Reichsausschuß der Partei für Mittwoch nach Berlin einzuberusen, um die Entscheidung über die Stellung des Zentrums zur Präsidentenwahl zu fällen. Heute haben fast alle Fraktionen Sitzungen abg-ehalten.
Die demokratische Fraktion wird heute entscheiden, ob die Partei einen eigenen Kandidaten aufstellen oder schon im ersten Wahlgang für Dr. Marx stimmen wird.
Der „Montag" schreibt, die Nachricht von der Kandidatur Iarres sei verfrüht, eine Entscheidung werde erst am Mittwoch erfolgen. Es sei möglich,, daff vielleicht das
Zentrum einer gemeinsamen bürgerlichen Kandidatur mit Ausnahme der Demokraten beikreke.
Vor wichtigen Entscheidungen
Berlin, 9. März. Der Erste Sekretär des Völkerbunds, Drummond, ist nach dreitägigem Aufenthalt und nach Besprechungen mit den führenden Reichsministern nach Genf zurückgekebrk. Es wird versichert, daß die Reichsrecüerung von ihren Bedingungen bezüglich des Eintritts Deutschlands in den Völkerbund nicht abgewichen sei. (Diese Bedingungen betreffen bekanntlich die Artikel 16 und 17 des Genfer Protokolls, daß Deutschland als Bölkerbundsmikglied an kriegerischen Unternehmungen des Völkerbunds sich zu beteiligen und den Durchzug fremder Truppen zu gestatten verpflichtet sei.)
In leitenden Kreisen erwartet man in den nächsten acht Tagen wichtige Entscheidungen.
Der Eisenbahn erstreik
Berlin, 9. März. Die Ausdehnung des Eisenbahnerstreiks im Reich hat zu Vorstellungen von Abge irdneten verschiedener Parteien bei der Rsichsregierung geführt, um durch unmittelbare Verhandlungen zwischen Reichskabinett und Eisenbahnern eine neue schwere Gefährdung des Wirtschaftslebens zu vermeiden. Die Erregung der Eisenbahner richtet sich besonders gegen den Generaldirektor Oeser wegen der Lohnkürzung für die Verkehrsruhe am 4. März. In den Versammlungen in Berlin und Halle wurde drr Rücktritt Oesers gefordert. Die Eeneraldirektion lehnt Verbandlungen mit den streikenden Eisenbahnern ab. Nach Angaben der Gewerkschaften streiken in Deutschland 15 v. H. der Eisenbahner. In Sachsen streiken über 4000 Arbeiter.
Generaldirektor Oeser hat die Verordnung betreffend die Lohnkürzung zurückgezogen.
Allerlei Gerüchte
Mitteilungen an die Presse zufolge ist die Behauptung, die Reichsbahngesellschaft wolle die Beamten bis zur Gruppe 12 zu Angestellten machen, unrichtig. Unzutreffend sei ferner, daß die Beamten mit einem Ruhegehalt pensioniert werden sollen, das nur bis zu dem Tage erdient sei, an welchem die Reichsbahn in die Reichsbahngesellschaft umgewandelt wurde.
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Die spanischen Verluste in Marokko
Madrid, 9. März. Nach der amtlichen Liste betragen die spanischen Verluste bei den Kämpfen in Marokko: Offiziere gefallen 190, verwundet 700, vermißt 60, Soldaten gefallen 3800, verwundet 14 000, vermißt 2500. Ob in diesen 2"Aen die sicher! Verluste der spanischen Fremdenlegion, die meist aus Deutschen besteht, inbegriffen ist, geht aus der Liste nicht hervor.
In Marokko gebt das Gerücht, der siegreiche Führer der Rifkabylen Abdul Krim sei gestorben und sein Bruder habe sich als Nachfolger ausgcrufen.
Der Kulturkampf in Frankreich
Skraßburg, 9. März. Bischof Ruch hat angeordnet, daß Kinder, die die staatliche (konfessionslose) Schule besuchen, von der ersten Kommunion ausgeschlossen sind.
Herr Schick und Herr Raulk
Saarbücken, 9. März. Die „Saarbrücker Landeszeitung" weiß folgende niedliche Geschichte zu berichten: Der elsässischs Schnapshändler Schick hatte es erreicht, daß die ganze Menge von reinen Alkoholweindestillaten, die vom Saargeb i e t in das übrige Deutschland eingeführt werden durfte, nämlich jährlich 12 000 Liter, ihm übertragen wurde. Herr Schick stellte aus Weinschlampe und Spiritus ein minderwertiges Erzeugnis her, ließ sich von der Handelskammer Saarbrücken bestätigen, daß das Gebräu „reiner Alkohol" sei, aus dem Saargebiet stamme und konnte es so zollfrei im Gebiet der deutschen Monopolverwaltung einführen. Durch diese Zollhinterziehung wurde das Reich um einige Millionen Goldmark geprellt. Schick soll ferner, als das neue Branntewinsteuergesetz eingeführt wurde, sein Lager mit 800 000 Litern reinen Alkohols der Nachversteuerung entzogen haben, wodurch das Saargebiet einen Schaden von 5,5 Millionen Franken erlitten habe- Der bisherige Syndikus der deutschen aHndelskammer, Dr. Schlenker, habe als Vorsitzender des Auffichtsrats des Schickschen Schnaps- Konzerens unbedenklich in den Ursprungszeugnissen die Schickschen Fälschungen als reines Weinerzeugnis beglaubigt, und Geheimrat Brill, sowie Regierungsrat Dr. Hohl- fFd von der Finanzverwaltung haben mitgeholfen. Das Blatt erklärt, es könne die Beweise erbringen, daß auch Herr Rault Kenntnis von den Durchstechereien hatte. — Herr Rault ist der französische Vorsitzende der verbändlerischen Saarkommission, der nach Auflauf seiner Amtszeit vor einigen Wochen hätte gebn müssen, dem aber seine Tätigkeit im S argebiet anscheinend so gut gefällt, daß es sich im Einverständnis mit Herriot entschlossen hat, vertragswidrig seinen Posten nicht zu verlassen.