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(Enztalbote)
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Nummer 66
Fernruf 179
Wildbäd, Samstag, den 7. März 1926
Fernruf 179
60. Jahrgang
Politische Wochenschau
Die Hoffnung, daß Reichspräsident Ebert den Krankheitsanfall überstehen werde, hat sich nicht erfüllt. Am fünften Tag, am 28. Februar, hat er die Augen für immer geschlossen. Als am 1. März die Glocken dem Lande zu Leide erklangen für die Todesopfer des großen Kriegs, da schlossen sie die Trauer um den Reichspräsidenten mit ein- Der Ehrentag der Gefallenen legte dem deutschen Volk die ernste Frage vor, ob es die Pflicht gegen die Hinterbliebenen und diejenigen, die draußen zwar nich tdas Leben, aber die Gesundheit eingebüßt haben, nicht vernachlässige. Im Sommer vorigen Jahrs sind die Fürsorgeleistungen durch den einstimmigen Beschluß des Reichstags um 80 bis 90 Millionen Mark erhöht worden. Ueber 2,5 Millionen Volksgenossen beziehen Militärrenten, und zwar 803 000 Kriegsbeschädigte, 420 000 Mitwen, 1020 000 Halbwaisen, 54 000 Vollwaisen, 50 000 Elternpaare und 140 000 Elternteile. Für diese Entschädigungsberechtigten werden gegenwärtig jährlich etwa 800 Millionen Goldmark ausgewendet. Der Staat hat also, das wird man erkennen müssen, so viel geleistet, wie er bei seinen heutigen Einnahmeverhältnissen leisten konnte, ohne das Reich in die Gefahr einer neuen Inflation zu bringen. Dennoch jammert uns noch das Elend so zahlreicher Invaliden, die als ehemalige tapfere Soldaten nun in einem Leben voll Entbehrungen aus die Wohltätigkeit ihrer glücklicheren Mitmenschen angewiesen sind. Darum müssen die Bemühungen fortgesetzt werden, soviel als nur irgend möglich ist, die Not der Kriegsbeschädigten, der Witwen und Waisen unserer Gefallenen zu lindern.
Für sie hatte auch Reichspräsident Ebert stets ein warmes Herz, den man nun am 5. März in seiner Heimatstadt H e i- de lberg zur letzten Ruhe gebettet hat, nachdem tags zuvor in Berlin eine großartige Leichenfeier von Reichs wegen veranstaltet worden war. Dem alten Kaiser Wilhelm sind seinerzeit nicht größere Ehren erwiesen worden als.dem Reichspräsidenten Ebert. Und obgleich Hunderttausende die stimmungsvoll geschmückten Berliner Straßen und Plätze säumten, durch die, der prunkvolle Seichenzug sich bewegte, können die amtlichen Berichte bestätigen, daß nirgends die Ordnung gestört wurde. Und das will in Berlin viel besagen. In ehrfurchtsvollem Schweigen gab man dem Reichsoberhaupt den letzten Gruß. In manchem sind die Berliner natürlich auch zu weit gegangen: es war z. B. eine geschmacklose Uebertreibung wenn an der Rampe des Reichstags- gebäudes, wo der Reichstagspräsident Löbe vor dem von sechs Pferden gezogenen Leichenwagen eine Ansvrache hielt, sogar das Pflaster der An- und Abfahrt des Wagens mit Asphaltsarbe schwarz gestrichen war. Auch in manchen Ansprachen wäre es vielleicht der anspruchslosen Art des Toten entsprechender gewesen, wenn etwas mehr Zurückhaltung geübt worden wäre. Niemand wird die wirklichen Verdienste Eberts um das Reich schmälern wollen, aber es heißt, seinem Andenken keinen guten Dienst erweisen, wenn am offenen Grab in Heidelberg von einem Redner dem Sinn nach gesagt wurde, Ebert allein sei die Rettung Deutschlands zu danken.
Sehr erfreulich ist es, daß Eberts Tod auch im Aus- land eine achtungsvolle Teilnahme gefunden hat, die sich in zahllosen Beileidstelegrammen von Staatsoberhäuptern und Parlamenten und in Blumenspenden äußerten. So sah man am Sarg Eberts einen mächtigen Fliederkranz mit der Schleifenaufschrift: Der Kaiser von Japan. Auch die ausländische Presse ließ in anerkennenswerter Weise dem Wirken des Reichspräsidenten Gerechtigkeit widerfahren, und sie bebt hervor, daß Deutschland unter ihm die Gefahr der Ueber- flutung Europas durch den Bolschewismus und damit eine unsägliche Verelendung abgewendet habe. Für uns Deutsche hat diese Anerkennung nach dem Tode einen etwas bitteren Beigeschmack. Wir können nicht umhin, die Frage dabei aufzuwerfen: Was hat denn Europa getan, um Ebert und die Kämpfer zu stärken, die den Westeuropäern so un- scftätzbare Verdienste geleistet haben? Europa war doch allzeit mehr besorgt darum, daß der Wildling PoincarS nur nicht zu Schaden käme, als darum, daß die Abdämmung des Bolschewismus nicht unmöglich gemacht werde. An Europa bat's wahrhaftig nicht gelegen, wenn trotz aller Beschimpfungen und Mißhandlungen, trotz aller Rechtsbrüche und Sanktionen, trotz aller Räubereien und Mordtaten im besetzten Gebiet das deutsche Volk sich nicht der Verzweiflung in die Arme geworfen, ja schließlich aus eigener Kraft sich aut den Weg wirtschaftlicher Gesundung zurückgearbeitet bat! Und wenn wir jetzt hören, wie hoch Europa diesen Dienst der Deutschen einschätzt, so möchte man sich fast besinnen: war es die richtige Politik, sich dem Bolschewismus entgegenzustemmen, statt die Flut auf das größenwahnsinnige Westeuropa loszulassen? Ja vielleicht, wenn die Sowjet-Diktatoren anders gewesen wären, als man sie seitdem kennen gelernt hat.
Aber die Stellung, die das Ausland zu dem Tode des Reichspräsidenten einnimmt, gibt uns wohl Fingerzeige für dieNeuwa h l, die am 29. März, und wenn sie unentschie?
Taqesspieqel
Der deutsche Botschafter von Hösch hat bei Herriok wiederholt den Wunsch der Beichsreaierung zum Ausdruck aebrackt. bei den Verhandlungen über Deutschland betreffende Angelegenheiten zugezogen zu werden.
Der Reichstag nabm einen Gesetzentwurf an. der die Reichsregierung ermächtigt, mit Zustimmung des Reichsrats und des zuständigen Reichskagsausschusses den Zeitpunkt für das Wiederinkraftkreten der vierteljährlichen Zahlung der Beamkengehäller festzusehen. Die stufenmäßige Anwendung des Gesetzes wird am 1. April beginnen.
Die Reichshaupkkasse hat für die Beerdigungskosten Eberts 750 000 Mark angewiesen.
Weaen Streitigkeiten über d>e Arbeitszeit haben die Münchener Brauereien 1500 Arbeiter ausgesperrk.
Bei den Gemeinde- atswahlen in London gewannen die konservativen 1. die Arbeiterpartei 9 Sitze.
üen VUebs, am 26. April stattfinden wird. Wir müssen aus dem Weg weiter, den wir mit sichtbarem Erfolg eingeschlagen haben. Wir brauchen einen Präsidenten, dessen Person eins Bürgschaft dafür ist, daß die Dinge sich bei uns ohne gewaltsame Erschütterungen, in geordneten und gesetzmäßigen Bahnen weiter entwickeln können und daß unsere Angelegenheiten nur nach Maßgabe unserer eigenen Bedürfnisse geregelt werden und daß es ein für allemal obgelehnt wird, rein deutsche Belange den Wünschen und Geboten fremder Machthaber unterzuordnen. Jedenfalls weisen wir die Versuche des Auslands, sich auch wieder in die Präsidentenwahl einzumischen, aufs bestimmteste zurück. Auch die gutgemeinte Mahnung aus Amerika, diesmal keinen Parteimann zu wählen, da dadurch nur wieder die Deutschland so verderblichen Parteikämpfe entfesselt würden, sondern einen Mann wie Dr. Eckener zu nehmen, der über dem Parteigezänk stehe und zu dem das deuts he Volk das Vertrauen haben könne, daß er frei von allen Parteiketten nur das Wohl seines Vaterlands im Auge haben werde, — auch diesen Vorschlag müssen wir ablehnen. Wer unser Reichspräsident sein soll, ob ein Parteimann oder, was an sich vielleicht das Richtigere wäre, ein Mann, der über den Parteien steht, das ist eine rein deutsche Angelegenheit und geht sonst niemand etwas an. Dr. Eckener selbst hat übrigens, als er gelegentlich eines Vortrags in Wien um seine Meinung gefragt wurde, erklärt, er wolle bei seinem Leisten bleiben; er hnbe noch grohe Pläne für me Lustschiffahrt und an diesen wolle er Weiterarbeiten-
Der Gesetzentwurf des Finanzausgleichs ist nunmehr veröffentlicht worden, neben seinen bereits bekannt gegebenen Steuergesetzen. Der Finanzausgleich hat einen besonderen Zierat erhalten in Gestalt einer Ver- doppelungderBiersteuer und einer kräftigen E r- Höhung der Tabak st euer. So nach und nach wird dem deutschen Steuerzahler schon aufgehen, was es heißt, eine „Wirtschaftskolonie" des Siegerkapitalismus zu sein. Zum erstenmal nach dem Krieg wird den Ländern und Gemeinden grundsätzlich ein Zuschlagsrecht zur Einkommensteuer zuerkannt. Das Reich ist aber nicht gesonnen, ihnen auch die Veranlagungsgesetzgebung wieder zu überlassen. Es ist klar, daß in unmittelbarem Zusammenhang mit der Steuerreform auch die Frage des Besoldungssperrgesetzes zu behandeln sein wird, jenes Gesetz, das die Länder und Gemeinden zwingt, ihre Beamtenbesoldungen im Rahmen der Reichsregelung zu halten. Sobald die Länder vom 1. April 1926 ab wieder für das Ausbringen der Mittel verantwortlich sind, würden es die Billigkeit und die Zweckmäßigkeit erlauben, daß das Reich ihnen die Möglichkeit gebe, ihre Beamten so zu bezahlen, wie die Länder und Gemeinden es wollen. Gegen allzu große Freigebigkeit würde wahrscheinlich durch die Sorge um das Ausbringen der Mittel schon von selbst ein Damm gezogen sein. Besondere Beachtung verdient die Regelung, die für die Hauszins st euer, gegenwärtig ein wesentlicher Bestandteil der Steuereinnahmen der Länder und Gemeinden, getroffen ist- Ohne die Hauszinssteuer würde an ihrem Bedarf ungefähr eine Milliarde Mark fehlen, woraus schon die Bedeutung dieser Steuer hervorgeht. Vom 1. April 1926 an sollen nach dem Entwurf die Mieten die volle Höhe des Vorkriegsstands erreichen. Die Hausbesitzer sollen keinen zu niedrigen Anteil bekommen, damit sie sowohl für die Erhaltung ihrer Häuser als auch für die erhöhte Verzinsung, die nach den gegenwärtigen und künftigen Aufwertung s b e st i m m u n g e n eintreten wird, und für die Abtragung ihrer Grundlasten etwas erhalten können- Innerhalb der Grenzen, die durch diese Rücksichten für die Besteuerung gezogen sind, kann die Hauszinssteuer daher als Hauptquelle angesehen werden, soweit nicht für Bauzwecke Aufwendungen aus dem Ertrag der Steuer zu nehmen sind. Der Entwurf sieht vor, daß für Häuferbau mindestens 10 v. H. des Steueraufkommens, aber höchstens 10 v. H. der Vorkriegsmiete angewendet werden dürfen. Eine beträcht
liche Summe, wenn man bedenkt, daß das Gesamtäuskom- men an Mieten vor dem Krieg auf etwa 5 Milliarden jährlich geschätzt wurde. Wenn davon nun 10 v. H., also 500 Millionen Mark jährlich, für Bauzwecke aufgewendet werden, so bedeutet dies schon eine namhafte Förderung des Wohnungsbaus, vielleicht sogar die Eindämmung der Gefahr einer allgemeinen Baukostensteigerung. Inwieweit die Finanzreform den Aufwertungswünschen gerecht werden will, wird aus dem Entwurf noch nicht klar.
Nach hartnäckigen Verhandlungen von mehr als fünf Monaten ist endlich das vorläufige Handelsabkommen mit Frankreich von den beiderseitigen Vertretungen in Paris unterzeichnet worden. Die Franozsen hatten namentlich im Verlauf der Verhandlungen i^re Wünsche immer höher geschraubt und ihre Gegengabe immer kleiner bemessen. Aber sie haben schließlich doch nicht alles erreicht, was sie wollten oder mußten ihrerseits wieder etwas zulegen, aber im allgemeinen können sie die größten Vorteile für sich buchen, namentlich haben sie, was die Pariser Blätter mit besonderer Genugtuung hervorheben, die für Deutschland so gefährliche Handelsfreiheit für elsaß-lothringische Waren wieder durchgesetzt. Merkwürdig, seit dem Abgang Bismarcks, der mit gutem Bedacht neben dem Kanzleramt das Handelsministerium selbst in der Hand behielt, hat Deutschland in dem Abschluß von Handelsverträgen kein Glück mehr gehabt. Auch unter der Regierung des Kaisers Wilhelm II. meinte man, durch wirtschaftliche Verträge, die für die fremden Staaten günstig sind, könne man politische Vorteile eintauslben. Was damals falsch war, ist heute mn nichts richtiger. Zwar faselten die Franzosen bei der Unterzeichnung von der „Ann 8 herun g", die die französische Politik seit 1920 angebahnt habe — inzwischen sind im Reiche Sanktionen und Diktate gekommen und im Januar 1923 erfolgte der ruchlose Ruhreinbruch — und das auf neun Monate abgeschlossene neue Handelsabkommen werde die Annäherung fördern. Daß Gott erbarm! Auf wirtschaftlichem Gebiet werden die Franzosen vielmehr einen schweren Schlag gegen Deutschland führen, indem sie neben dem Rhein und mit den Wassern des Rheins einen großen Kanal von Straßburg bis Basel bauen. Dadurch entziehen sie nicht nur dem Rhein auf dieser Strecke große Wassermengen, mit der sie an ihrem Kanal eine ungeheure Wasserkraft für Elektrizitätsanlagen für die französische Industrie gewinnen, sondern — und das ist der Hauptzweck — sie lenken den schweizerischen Durckgangsverkehr von der natürlichen Wasserstraße und dem Weg über Deutchland ab und lenken ihn durch die französischen Kanäle nach den französischen Häfen.
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Das ist die eine Seite der „Annäherung". Die andere liegt auf p o l i t i s ch e m Gebiet. Seit Monaten streitet man lick um den Vertragsbruch de" Nichträummm Kölns. Die französische Regierung hat alle Ausreden. Lange wurde der allzeit unfertige Bericht der Ueberwachungs- kommission vorgeschoben. Endlich, zwei Monate nach der angesagten Frist, mußte aber doch auch einmal dieser Schauerbericht fertig sein. Nun braucht es aber noch lange Besprechungen und Konferenzen und Gutachten über die Gutachten, und die berüchtigte „Sicherheit Frankreichs" thront über allem und beherrscht alles — das Sicherheitsbedürfnis Frankreichs mit seinem Heer von 700 000 Man gegen die deutsche Reichswehr mit ihren knapp ^ 00 000 Mann! Die deutsche Reichsregierung erbietet sich, in einem Vertrag mit Frankreich, England und Belgien Urfehde zu schwören, gewissermaßen sich selbst zu entmannen- Hilft nichts; es handle sich nicht nur um Frankreich, sagt der Prachtkerl Herriot, sondern auch um Polen und die Tschechoslowakei. Stresemann erklärt sich bereit, auch mit diesen beiden Eüelstaaten Schiedsgerichtsverträge abzuschließen. Da seh nur mal einer die deutschen Duckmäuser an, schallt es aus Paris zurück, möchten uns Franzosen in eine böse Falle locken! Die einzige Sicherheit bleibt der Rhein, wie Herriot gesagt hat. — Gewiß, Deutschland könnte das Angebot machen, das letzte Gewehr der Reichswehr und die letzte Pistole der Schutzpolizei auszuliefern und keinen Offizier über den Hauptmann hinaus zu befördern, das hätte für die „Sicherheit" Frankreichs alles keinen Wert — die Sicherheit ist und bleibt der Rhein; am Rhein werden die Franzosen bleiben, mag ihnen von deutscher Seite versprochen und erfüllt werden, was nur erdenklich ist. Wenn man das doch endlich in Berlin Ansehen und nicht in dem Gefasel der „Annäherung" gleich Süberstreifen erblicken wollte!
Man sagt, England sei mit der französischen Politik in manchen wichtigen Punkten gar nicht einverstanden. Für einen großen Teil der öffentlichen Meinung in England trifft dies ohne Zweifel zu, auch mögen zwischen der englischen und der französischen Regierung erhebliche Meinungsverschiedenheiten bestehen. Aber in Paris braucht man nur auf den Knopf zu drücken, dann gibt man in London nach, gern oder ungern, das ficht die Pariser Größen wenig an. Herriot sollte ursprünglich in den ersten Märztagen nach London kommen zu einer Aussprache mit Baldwin und Chamberlain; die „Meinungsverschiedenheit" ärgerte ihn und er kam nicht, Chamberlain wollte aus seiner Reise zur