(Enztalbote)
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Nummer 53
Fernruf 179
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Die Trauerfeler in Berlin
Berlin. 4. März. Das Trauerhaus und der Weg, durch den der Leichenzug des Reichspräsidenten El, eit geht, durch das Brandenburger Tor zum Reichstagsgebäude und zum Potsdamer Bahnhof, sowie das Bahnhofsgebäude selbst sind würdig ausgeschmückt worden. Am Hauseingang halten zwei Ehrenposten Wache, der ganze Hos ist mit Trauerkränzen belegt. Im Vorraum des Palais steht dis Bro„5e- . Küste Eberts, davor zwei Leuchter mit je sechs brennenden Kerzen. Im Palais sind fünf Zimmer für die Trauerfeier bestimmt und entsprechend ausgestattet. Im großen Saal an der Schmalseite ruht der Sarg unter einem prächtigen Baldachin; auf dein Sarg liegt die Präsidentenflagge, u. zu beiden Seiten steht die Ehrenwache der Reichswehr mit aufgepflanztem Seitengewehr. Am Sarg brennen zwei große Leuchter, darunter liegen die Kränze der Witwe und der Kinder Eberts; an der Langseite duften riesige Flieder-
strüuche. ^
Um 3 Uhr begann das rechts vom Hauptsaal unsichtbar ausgestellte Orchester der Staatsoper mit dem Trauermarsch aus der „Eroika" von Beethoven. Der Chor sang darauf das Grablied von Carl Maria v. Weber, dann folgte dis Maurerische Trauermusik von Mozart, unter deren Klängen die Trauerversammlung den Saal und das Haus verließ, um im Vorhof zur Bildung des Trauerzuges Aufstellung zu nehmen. Als der Sarg mit dem toten Reichspräsidenten das Haus verließ, um auf dem auf der Straße stehenden offenen Leichenwagen aufgestellt zu werden, stimmte die Militärmusik die As-Dur-Sonate an, militärische Kommandos ertönten und die deutsche Reichswehr, vertreten durch Abteilungen aller Waffengattungen und aus verschiedenen Teilen des Reiches erwiesen dem toten Oberbefehlshaber die letzte Ehre. *
In diesem Augenblick tritt Reichstagspräsident Lobe mit den Mitgliedern des Reichstagspräsidiums und dem Direktorium des Reichstags auf die große Freitreppe, hinter ihm eine große Anzahl von Reichstagsabgeordneten, und nimmt das Wort zu einem Nachruf. Nach der Rede Löbe's setzte sich der Trauerzug nach dem Potsdamer Bahnhof wieder in Bewegung.
Kurz nach 6 Uhr flackern aus dem Dunkel der Bahnhofsvorhalle Magnesiumfackeln auf. Der Sarg wird hochgehoben und auf den Bahnsteig gefahren. Die Angehörigen, Reichskanzler Luther und das vorgesehene Geleite von Ministern folgen.
Punkt 6 Uhr 30 Min. verläßt der Sonderzug den Bahnhof.
Coolidges neue Amtszeit
Der dreißigste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Calvin Coolidge, trat am 4. März die vierjährige Amtszeit an, für die ihn das amerikanische Volk im vorigen November mit einer überwältigenden Stimmenmehrheit gewählt hak. Wenn er auch schon eine geraume Zeit dieses hohe Amt, das ihm als Vizepräsident durch den Tod seines Vorgängers Harding am 3. August 1923 zugefallen war, so bewegte sich seine Politik bisher doch nicht in den Bahnen, die bei einer so ausgeprägten starken Persönlichkeit wie sie Coolidge zweifellos ist, zu erwarten waren. Coolidge wäre der letzte, der die rechtliche und tatsächliche Machtstellung, die der amerikanische Präsident nach der Verfassung hat, nicht ausnutzen würde. Die amerikanische Verfassung, ein Erzeugnis der Aufklärungszeit, hak eine scharfe ^^siuung der Staatsgewalten durchgeführt. Sie machte die „6/.A""llsgewalk des Präsidenten und seines Kabinetts möglichst unabhängig von der gesetzgebenden Gewalt des ^"Mresses, schob allerdings den bis zum Jahr 1913 von den gesetzgebenden Körperschaften der einzelnen Staaken be- fummten, jetzt unmittelbar vom Volk gewählten Senat als Zwischenglied ein und gab ihm nach altrömischem Vorbild wichtige Befugnisse, durch die etwaigen selbstherrlichen Neigungen des Präsidenten ein Riegel vorgeschoben werden Vertragsabschlüssen mit auswärtigen Staaken und bei der Ernennung und der Absetzung von Skaatssekre- Bundesbeamten, Gesandten und Konsuln ist me Zustimmung des Senats erforderlich. Wenn der Präsident eine stark persönliche Politik durchführen will, so muß führenden Männer des Senats — es handelt Nch dabei etwa um ein halbes Dutzend — auf seine Seite kcmn nach den Erfahrungen der lebten gelungen ^ Coolidge dies zum guten Teil schon
Ernennung Frank B. Kelloqgs, des bisherigen
an Stelle'8>n"k?°n^"^ London, zum Staatssekretär telle von Hughes bedeutet die bisher wichtigste und ein-
Wildbad, Donnerstag, den 5. März 1925
Tagesspie ge l
Die Kommunisten haben als Kandidaten für die Reichs- präsidenkenwahl den Reichskagsabgeordnelen Thälmann auf- gestellt.
Der frühere österreichische Bundeskanzler Seipel ist in Köln eingekroffen und Hai bei Kardinal Schulte Wohnung genommen. Abends sprach er im großen Saal der Dürger- gesellschaft über die Neugestaltung Europas und reiste andern Tags nach Holland ab.
Lhamberlain soll nun doch am Sonntag in Paris eine Unterredung mit Herriot haben.
Die diplomatischen Vertreter Englands. Frankreichs und Italiens sollen, nach einer Konstankinopler Meldung, ihren Sitz in Konstantinopel beibehalken und in Angora nur Verbindungsstellen errichten. — Der deutsche Vertreter hat seinen Sitz in Angora.
Ismet Pascha, der erfolgreiche Unterhändler im Friedens- verkraas von Lausanne, hat die Neubildung des türkischen Kabinetts durchgeführk. Tervfik Rusid ist Außenminister.
Das Abgeordnetenhaus in Washington hak mit 301 gegen 38 Stimmen den „wärmsten Wunsch" ausgesprochen, daß dir Vereinigten Staaten dem Weltschiedsgerichtshof beikreken.
Uyneioenvste Amtshandlung Coolidges. Durch sie kündigt sich am auffälligsten dieverändertepolitischeRich- tunq an. Nicht als ob *der amerikanische Staatswagen einfach herumgeworfen würde; das ist in einem Lande, dessen wesentlichster Zug ein starker Konservativismus ist, nicht möglich. Der Staatssekretär ist der Großstegelbewahrer, und der Verkehr zwischen den Bundesregierungen und der Staatsregierung geht über ibn als Mittelsmann. Aber diese Amtspflichten sind doch verhältnismäßig unbedeutend gegenüber der Tätigkeit als Minister des Auswärtigen. Daß für sie gerade jetzt nur ein Mann in Frage kommen kann, ber über ein großes Maß von Erfahrung und Gewandtheit verfügt, ist ohne weiteres klar. Erinnert sei nur an die Verbandsschulden, Räterußland, den Fernen Osten und die Abrüstung. Kellogg hat in der kurzen Zeit, als er Botschafter in London war, reichlich Gelegenheit gehabt, Einblicke in das verwickelte Getriebe der europäischen Politik zu tun. Er spielte eine hervorragende aktive Rolle auf der Londoner Konferenz, die zu dem Dawesabkommen führte. Auf der Pariser Konferenz wandelte er sich aus dem nichtamtlichen Beobachter zu einem amtlichen Mitspieler. Fast alle europäischen Staatsmänner kennt er persönlich. Insofern wird seine Erfahrung dem Präsidenten von großem Nutzen sein. Denn darüber kann kaum ein Zweifel sein, daß Coolidge auf ein persönliches Regiment hinarbeitet.
Der Mann, der Coolidge am meisten zu schaffen machen kann, ist der Senator Borah von Idaho. der dem Auswärtigen Ausschuß des Senats vorsteht. Wie er gegen den Eintritt der Vereinigten Staaten in den Krieg war, so bekämpft er auch erfolgreich den Versailler Vertrag. Weiter tritt er bekanntlich seit langem mit besonderem Eifer für die Anerkennung Rußlands ein. Der politische Umschwung im Fernen Osten, zu dem nicht zuletzt die rußlandfeindliche Politik von Hughes beitrug, hat Borah recht gegeben. Auch die Oeffentlichkeit erkennt das langsam an; ein Grund mehr für Coolidge, diesen Senator, der unverkennbar einen weiten politischen Blick besitzt und sich auf die Beeinflussung der öffentlichen Meinung versteht, fester an sich zu ziehen. Wieweit die Ansichten der beiden allerdings Zusammengehen oder, besser gesagt, wieweit es Coolidge für geboten erachtet, die Kursänderung der amerikanischen Politik, die sich naturnotwendig nach der von Borah vorgezeichneten Richtung bewegen wird, öffentlich aufzuzeigen, wird man vielleicht aus den angekündigten Erklärungen des Präsidenten bei seiner feierlichen Amtseinführung ersehen. Coolidge ist schweigsam und hat sich bisher in keiner Weise festgelegt, m putsche in den letzten Jahren drüben wachsendes
Verständnis gefunden haben, kann nicht bestritten werden. Das darf aber keineswegs darüber täuschen, daß die große Masse des amerikanischen Volks seine Meinung über Deutschland jeweils aus derjenigen Zeitung bezieht, die ihm gerade in die Hand fällt. Und daß die amerikanischen Zeitungen in ihrer Mehrzahl auch heute noch nicht viel Gutes über Deutschland zu melden wissen, ist leider nicht zu bestreiten. Cs wird vielleicht besser werden, wenn am 4. März wirklich Amerikas amtliches Beiseitestehen ein Ende finden sollte.
Fernruf 179
Neue Nachrichten
Jur preußischen Regierungskrise Berlin, 4. März. Der neue Vorschlag des Dr. Marx, das preußische Kabinett aus je 2 Mitgliedern der Deutsch- nationalen, des Zentrums und der Sozialdemokraten, darunter Severing, und je einem Mitglied der Deutschen Volkspartei und der Demokraten zu bilden, kann als geschci-
60. Jahrgang
tert bezeichnet werden, da die Rechtsparteien einschließlich der Wirtschaftspartei die Aufnahme der Sozialdemokraten ablehnten. Severing ersuchte Dr. Marr, von seiner Person mit Rücksicht auf seine Gesundheit abzusehen.
Neue Verstärkung der Ueberwachungskornnnssion
Berlin, 3. März. Gestern sind 14 weitere französische und belgische Offiziere der Ueberwachungskommission eingetroffen. die damit eine Stärke von 86 Offizieren erreicht. Verschiedene Berliner Metallfabriken wurden visitiert, obgleich von einer Verlängerung der endgültig abgeschlossenen „Generalinspektion" nichts bekannt ist.
Ein gefährlicher plan Frankreichs
Berlin, 4. März. In der Berliner „Börsenzeitung" schildert Dr. Jägler die schweren Gefahren, die dem deutschen Rhein durch den französischen Plan eines großen Schifffahrtskanals Basel—Straßburg drohen. Dieser Kanal soll dem Rhein bei der badischen Ecke die Schiffahrt entzielien. Er soll das Elsaß industriell neu erschließen und die elsäs- sische Industrie verkehrstechnisch vom Rhein unabhängig machen. Er soll die Gefällanlagen mit ihrer gewaltigen Wasserkraft in den Dienst der nordostfranzösischen Industrie stellen. Er soll ferner den SlBwsizer Durchgangsverkehr zum Meer von dem natürlichen Rheingebiet hinweg in das französische Kanalsystem hineindrängen. Strahburg soll zu einem der größten Umschlaahäsen Frankreichs werden. Der französische Plan ist nach Anlage, Beschaffenheit und Lauf des Kanals nickits anderes, als die Ablenkung und Trockenlegung des deutschen Rheins. Dicht bei Basel soll ein mächtiger Staudamm quer durch den Rhein gezogen werden. Scklleusenanlagen sollen die Verteilung des Rheinwassers auf d-m alten R^einlauf und den neuen Kanal, der nahe dem Staubecken sich abzweigt, regeln. Das natürliche Gefälle deo Rheins würde durib 7 Schleusen geregelt werden, deren Wasserkraft aus 785 000 Pferdekräfte geschätzt werde. Diese ungeheure Kraft soll in den Dienst der nordfranzön- scben Industrie gestellt werden, so daß die Kraft des deutschen Rheins helfen würde, das Kriegswerkzeug gegen Deutschland zu schmieden.
Der Barmakskandal
Berlin. 4. März. Die „Rote Fahne" meldet, die sozialdemokratische Fraktion des preußischen Landtags habe den Ausschluß des Abg. Heilmann, der im Barmatskandal schwer belastet und unwahrer Angaben überführt ist, erwogen.
Den Blättern zufolge haben sich die Anschuldigungen gegen den Minister Severing so verdichtet, daß mit der Vernehmung durch den Untersuchungsrichter zu rechnen sei. Die sozialdemokratische Fraktion wird Severing nicht mehr als Minister Vorschlägen- Die deutschnationale Fraktion hat eine große Anfrage über die Haltung Severings und die Liebesgabenpakete !m Landtag eingebrächt. — Der Vermittler der Liebesgabenpakete, Schreiber, war früher kleiner Gewerkschaftsangestellter in Westfalen und ist jetzt reicher Großkaufmann in Berlin-Schöneberg.
Der stellvertretende Polizeipräsident Moll hat eine allgemeine Nachprüfung der Ausenthaltsbe- willignngen für Fremde angeordnet. In den nächsten Tagen ist mit weiteren überraschenden Maßnahmen der Staatsanwaltschaft zu rechnen. In Berlin und Magdeburg fanden mehrere Haussuchungen statt.
Eisenbahnerausstand
Leipzig, 4. März. Auf dem hiesigen Bahnhof sind aus Unzufriedenheit über die Lohnverhandlungen mit dem Verwaltungsrat der Reichsbahngesellschaft über 600 Güterarbeiter in den Ausstand, getreten.
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Stresemanns Sicherheitsangebot
Paris, 4. März. Der „Petit Parisien" ist in der Lage, über das Sicherheitsangebot des Außenministers Strese- mann mitzuteilen: Deutschland erkenne an, daß es für England, Frankreich und Belgien von großer Bedeutung sei, daß die Verhältnisse am Rhein bleiben, wie sie jetzt sind. Diese können aber so lange nicht als fest angesehen werden, als Deutschland von der Mitwirkung an den diesbezüglichen Abmachungen zwischen den Verbündeten ausgeschlossen sei. Deutschland sei bereit, einen Sicherheitsvertrag für den Schutz der Reichsgrenzen abzuschließen und die drei andern Staaten zum Beitritt einzuladen. In Ergänzung dieses Vertrags sollen mit Polen und der Tschechoslowakei allgemeine Schiedsgerichtsverträge für etwaige Streitfälle vereinbart werden.
Die Pariser Blätter lehnen die deutschen Vorschläge als wertlos oder hinterlistig ab, und sie bekunden damit, daß es Frankreich gar nicht um einen Sicherheitsvertrag zu tun ist, sondern um einen Vorwand, aill Rhein bleiben zu können.