(Enztalbote)

Amtsblatt für MlLbad. Chronik und Anzeigenblatt

für das obere Enztal.

Erscheint täglich, ausgenommen Sonn- und Feiertags. Bezugspreis halbmonatlich 65 Pfennig frei ins Haus geliefert; durch die Post bezogen im innerdeutschen Verkehr monatlich 1.50 Mk. :: Einzelnummern 10 Pfg. Girokonto Nr. 50 bei der Oberamtssparkasse Neuenbürg Zweigst. Wildb. :: Bankkonto: Enztalbank Komm.-Ges. Häberle L Co. Wildbad.:: Postscheckkonto Stuttg. 29174.

Anzeigenpreis: Die einspaltige Petitzeile oder deren Raum im Bez. Grundpr. 12 Pfg., außerh. 15 einschl. Ins.-Steuer. Reklamezeile 30 Pfg. :: Rabatt nach Tarif. Für Offerten u. lei Auskunst erteilung werden jeweils 10 Pfg. mehr berechnet. :: Schluß der Anzeigennahme tägl. 8 Uhr vorm.:: In Konkursfällen od. wenn gerichtl. Beitreibung notw. wird, fällt jede Nachlaßgewähr, weg.

Druck, Verlag und Schristleitung Theodor Gack in Wildbad, Wilhelmstraße ^ 151; Wohnung: Charlottenstraße 221

Nummer 53

Fernruf 179

ZW «den -es AeiWWeiiteii.

Die Trauerfeler in Berlin

Berlin. 4. März. Das Trauerhaus und der Weg, durch den der Leichenzug des Reichspräsidenten El, eit geht, durch das Brandenburger Tor zum Reichstagsgebäude und zum Potsdamer Bahnhof, sowie das Bahnhofsgebäude selbst sind würdig ausgeschmückt worden. Am Hauseingang hal­ten zwei Ehrenposten Wache, der ganze Hos ist mit Trauer­kränzen belegt. Im Vorraum des Palais steht dis Bro5e- . Küste Eberts, davor zwei Leuchter mit je sechs brennenden Kerzen. Im Palais sind fünf Zimmer für die Trauerfeier bestimmt und entsprechend ausgestattet. Im großen Saal an der Schmalseite ruht der Sarg unter einem prächtigen Baldachin; auf dein Sarg liegt die Präsidentenflagge, u. zu beiden Seiten steht die Ehrenwache der Reichswehr mit auf­gepflanztem Seitengewehr. Am Sarg brennen zwei große Leuchter, darunter liegen die Kränze der Witwe und der Kinder Eberts; an der Langseite duften riesige Flieder-

strüuche. ^

Um 3 Uhr begann das rechts vom Hauptsaal unsichtbar ausgestellte Orchester der Staatsoper mit dem Trauer­marsch aus derEroika" von Beethoven. Der Chor sang darauf das Grablied von Carl Maria v. Weber, dann folgte dis Maurerische Trauermusik von Mozart, unter deren Klängen die Trauerversammlung den Saal und das Haus verließ, um im Vorhof zur Bildung des Trauerzuges Aufstellung zu nehmen. Als der Sarg mit dem toten Reichspräsidenten das Haus verließ, um auf dem auf der Straße stehenden offenen Leichenwagen aufgestellt zu werden, stimmte die Militärmusik die As-Dur-Sonate an, militärische Komman­dos ertönten und die deutsche Reichswehr, vertreten durch Abteilungen aller Waffengattungen und aus verschiedenen Teilen des Reiches erwiesen dem toten Oberbefehlshaber die letzte Ehre. *

In diesem Augenblick tritt Reichstagspräsident Lobe mit den Mitgliedern des Reichstagspräsidiums und dem Direktorium des Reichstags auf die große Freitreppe, hinter ihm eine große Anzahl von Reichstagsabgeordneten, und nimmt das Wort zu einem Nachruf. Nach der Rede Löbe's setzte sich der Trauerzug nach dem Potsdamer Bahnhof wieder in Bewegung.

Kurz nach 6 Uhr flackern aus dem Dunkel der Bahn­hofsvorhalle Magnesiumfackeln auf. Der Sarg wird hoch­gehoben und auf den Bahnsteig gefahren. Die Ange­hörigen, Reichskanzler Luther und das vorgesehene Geleite von Ministern folgen.

Punkt 6 Uhr 30 Min. verläßt der Sonderzug den Bahnhof.

Coolidges neue Amtszeit

Der dreißigste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Calvin Coolidge, trat am 4. März die vier­jährige Amtszeit an, für die ihn das amerikanische Volk im vorigen November mit einer überwältigenden Stimmenmehr­heit gewählt hak. Wenn er auch schon eine geraume Zeit dieses hohe Amt, das ihm als Vizepräsident durch den Tod seines Vorgängers Harding am 3. August 1923 zugefallen war, so bewegte sich seine Politik bisher doch nicht in den Bahnen, die bei einer so ausgeprägten starken Persönlichkeit wie sie Coolidge zweifellos ist, zu erwarten waren. Coolidge wäre der letzte, der die rechtliche und tatsächliche Macht­stellung, die der amerikanische Präsident nach der Ver­fassung hat, nicht ausnutzen würde. Die amerikanische Ver­fassung, ein Erzeugnis der Aufklärungszeit, hak eine scharfe ^^siuung der Staatsgewalten durchgeführt. Sie machte die 6/.A""llsgewalk des Präsidenten und seines Kabinetts möglichst unabhängig von der gesetzgebenden Gewalt des ^"Mresses, schob allerdings den bis zum Jahr 1913 von den gesetzgebenden Körperschaften der einzelnen Staaken be- fummten, jetzt unmittelbar vom Volk gewählten Senat als Zwischenglied ein und gab ihm nach altrömischem Vorbild wichtige Befugnisse, durch die etwaigen selbstherrlichen Nei­gungen des Präsidenten ein Riegel vorgeschoben werden Vertragsabschlüssen mit auswärtigen Staaken und bei der Ernennung und der Absetzung von Skaatssekre- Bundesbeamten, Gesandten und Konsuln ist me Zustimmung des Senats erforderlich. Wenn der Präsi­dent eine stark persönliche Politik durchführen will, so muß führenden Männer des Senats es handelt Nch dabei etwa um ein halbes Dutzend auf seine Seite kcmn nach den Erfahrungen der lebten gelungen ^ Coolidge dies zum guten Teil schon

Ernennung Frank B. Kelloqgs, des bisherigen

an Stelle'8>n"k?°n^"^ London, zum Staatssekretär telle von Hughes bedeutet die bisher wichtigste und ein-

Wildbad, Donnerstag, den 5. März 1925

Tagesspie ge l

Die Kommunisten haben als Kandidaten für die Reichs- präsidenkenwahl den Reichskagsabgeordnelen Thälmann auf- gestellt.

Der frühere österreichische Bundeskanzler Seipel ist in Köln eingekroffen und Hai bei Kardinal Schulte Wohnung genommen. Abends sprach er im großen Saal der Dürger- gesellschaft über die Neugestaltung Europas und reiste an­dern Tags nach Holland ab.

Lhamberlain soll nun doch am Sonntag in Paris eine Unterredung mit Herriot haben.

Die diplomatischen Vertreter Englands. Frankreichs und Italiens sollen, nach einer Konstankinopler Meldung, ihren Sitz in Konstantinopel beibehalken und in Angora nur Ver­bindungsstellen errichten. Der deutsche Vertreter hat seinen Sitz in Angora.

Ismet Pascha, der erfolgreiche Unterhändler im Friedens- verkraas von Lausanne, hat die Neubildung des türkischen Kabinetts durchgeführk. Tervfik Rusid ist Außenminister.

Das Abgeordnetenhaus in Washington hak mit 301 gegen 38 Stimmen denwärmsten Wunsch" ausgesprochen, daß dir Vereinigten Staaten dem Weltschiedsgerichtshof beikreken.

Uyneioenvste Amtshandlung Coolidges. Durch sie kündigt sich am auffälligsten dieverändertepolitischeRich- tunq an. Nicht als ob *der amerikanische Staatswagen ein­fach herumgeworfen würde; das ist in einem Lande, dessen wesentlichster Zug ein starker Konservativismus ist, nicht möglich. Der Staatssekretär ist der Großstegelbewahrer, und der Verkehr zwischen den Bundesregierungen und der Staatsregierung geht über ibn als Mittelsmann. Aber diese Amtspflichten sind doch verhältnismäßig unbedeutend gegen­über der Tätigkeit als Minister des Auswärtigen. Daß für sie gerade jetzt nur ein Mann in Frage kommen kann, ber über ein großes Maß von Erfahrung und Gewandtheit ver­fügt, ist ohne weiteres klar. Erinnert sei nur an die Ver­bandsschulden, Räterußland, den Fernen Osten und die Ab­rüstung. Kellogg hat in der kurzen Zeit, als er Botschafter in London war, reichlich Gelegenheit gehabt, Einblicke in das verwickelte Getriebe der europäischen Politik zu tun. Er spielte eine hervorragende aktive Rolle auf der Londoner Konferenz, die zu dem Dawesabkommen führte. Auf der Pariser Konferenz wandelte er sich aus dem nichtamtlichen Beobachter zu einem amtlichen Mitspieler. Fast alle euro­päischen Staatsmänner kennt er persönlich. Insofern wird seine Erfahrung dem Präsidenten von großem Nutzen sein. Denn darüber kann kaum ein Zweifel sein, daß Coolidge auf ein persönliches Regiment hinarbeitet.

Der Mann, der Coolidge am meisten zu schaffen machen kann, ist der Senator Borah von Idaho. der dem Aus­wärtigen Ausschuß des Senats vorsteht. Wie er gegen den Eintritt der Vereinigten Staaten in den Krieg war, so bekämpft er auch erfolgreich den Versailler Vertrag. Weiter tritt er bekanntlich seit langem mit besonderem Eifer für die Anerkennung Rußlands ein. Der politische Umschwung im Fernen Osten, zu dem nicht zuletzt die rußlandfeindliche Po­litik von Hughes beitrug, hat Borah recht gegeben. Auch die Oeffentlichkeit erkennt das langsam an; ein Grund mehr für Coolidge, diesen Senator, der unverkennbar einen weiten politischen Blick besitzt und sich auf die Beeinflussung der öffentlichen Meinung versteht, fester an sich zu ziehen. Wie­weit die Ansichten der beiden allerdings Zusammengehen oder, besser gesagt, wieweit es Coolidge für geboten er­achtet, die Kursänderung der amerikanischen Politik, die sich naturnotwendig nach der von Borah vorgezeichneten Rich­tung bewegen wird, öffentlich aufzuzeigen, wird man viel­leicht aus den angekündigten Erklärungen des Präsidenten bei seiner feierlichen Amtseinführung ersehen. Coolidge ist schweigsam und hat sich bisher in keiner Weise festgelegt, m putsche in den letzten Jahren drüben wachsendes

Verständnis gefunden haben, kann nicht bestritten werden. Das darf aber keineswegs darüber täuschen, daß die große Masse des amerikanischen Volks seine Meinung über Deutsch­land jeweils aus derjenigen Zeitung bezieht, die ihm gerade in die Hand fällt. Und daß die amerikanischen Zeitungen in ihrer Mehrzahl auch heute noch nicht viel Gutes über Deutschland zu melden wissen, ist leider nicht zu bestreiten. Cs wird vielleicht besser werden, wenn am 4. März wirklich Amerikas amtliches Beiseitestehen ein Ende finden sollte.

Fernruf 179

Neue Nachrichten

Jur preußischen Regierungskrise Berlin, 4. März. Der neue Vorschlag des Dr. Marx, das preußische Kabinett aus je 2 Mitgliedern der Deutsch- nationalen, des Zentrums und der Sozialdemokraten, dar­unter Severing, und je einem Mitglied der Deutschen Volkspartei und der Demokraten zu bilden, kann als geschci-

60. Jahrgang

tert bezeichnet werden, da die Rechtsparteien einschließlich der Wirtschaftspartei die Aufnahme der Sozialdemokraten ablehnten. Severing ersuchte Dr. Marr, von seiner Person mit Rücksicht auf seine Gesundheit abzusehen.

Neue Verstärkung der Ueberwachungskornnnssion

Berlin, 3. März. Gestern sind 14 weitere französische und belgische Offiziere der Ueberwachungskommission einge­troffen. die damit eine Stärke von 86 Offizieren erreicht. Verschiedene Berliner Metallfabriken wurden visitiert, ob­gleich von einer Verlängerung der endgültig abgeschlossenen Generalinspektion" nichts bekannt ist.

Ein gefährlicher plan Frankreichs

Berlin, 4. März. In der BerlinerBörsenzeitung" schil­dert Dr. Jägler die schweren Gefahren, die dem deutschen Rhein durch den französischen Plan eines großen Schiff­fahrtskanals BaselStraßburg drohen. Dieser Kanal soll dem Rhein bei der badischen Ecke die Schiffahrt entzielien. Er soll das Elsaß industriell neu erschließen und die elsäs- sische Industrie verkehrstechnisch vom Rhein unabhängig machen. Er soll die Gefällanlagen mit ihrer gewaltigen Wasserkraft in den Dienst der nordostfranzösischen Industrie stellen. Er soll ferner den SlBwsizer Durchgangsverkehr zum Meer von dem natürlichen Rheingebiet hinweg in das französische Kanalsystem hineindrängen. Strahburg soll zu einem der größten Umschlaahäsen Frankreichs werden. Der französische Plan ist nach Anlage, Beschaffenheit und Lauf des Kanals nickits anderes, als die Ablenkung und Trocken­legung des deutschen Rheins. Dicht bei Basel soll ein mäch­tiger Staudamm quer durch den Rhein gezogen werden. Scklleusenanlagen sollen die Verteilung des Rheinwassers auf d-m alten R^einlauf und den neuen Kanal, der nahe dem Staubecken sich abzweigt, regeln. Das natürliche Ge­fälle deo Rheins würde durib 7 Schleusen geregelt werden, deren Wasserkraft aus 785 000 Pferdekräfte geschätzt werde. Diese ungeheure Kraft soll in den Dienst der nordfranzön- scben Industrie gestellt werden, so daß die Kraft des deut­schen Rheins helfen würde, das Kriegswerkzeug gegen Deutschland zu schmieden.

Der Barmakskandal

Berlin. 4. März. DieRote Fahne" meldet, die sozial­demokratische Fraktion des preußischen Landtags habe den Ausschluß des Abg. Heilmann, der im Barmat­skandal schwer belastet und unwahrer Angaben überführt ist, erwogen.

Den Blättern zufolge haben sich die Anschuldigungen gegen den Minister Severing so verdichtet, daß mit der Vernehmung durch den Untersuchungsrichter zu rechnen sei. Die sozialdemokratische Fraktion wird Severing nicht mehr als Minister Vorschlägen- Die deutschnationale Frak­tion hat eine große Anfrage über die Haltung Severings und die Liebesgabenpakete !m Landtag eingebrächt. Der Vermittler der Liebesgabenpakete, Schreiber, war früher kleiner Gewerkschaftsangestellter in Westfalen und ist jetzt reicher Großkaufmann in Berlin-Schöneberg.

Der stellvertretende Polizeipräsident Moll hat eine allgemeine Nachprüfung der Ausenthaltsbe- willignngen für Fremde angeordnet. In den nächsten Tagen ist mit weiteren überraschenden Maßnahmen der Staatsanwaltschaft zu rechnen. In Berlin und Magdeburg fanden mehrere Haussuchungen statt.

Eisenbahnerausstand

Leipzig, 4. März. Auf dem hiesigen Bahnhof sind aus Unzufriedenheit über die Lohnverhandlungen mit dem Ver­waltungsrat der Reichsbahngesellschaft über 600 Güter­arbeiter in den Ausstand, getreten.

*

Stresemanns Sicherheitsangebot

Paris, 4. März. DerPetit Parisien" ist in der Lage, über das Sicherheitsangebot des Außenministers Strese- mann mitzuteilen: Deutschland erkenne an, daß es für Eng­land, Frankreich und Belgien von großer Bedeutung sei, daß die Verhältnisse am Rhein bleiben, wie sie jetzt sind. Diese können aber so lange nicht als fest an­gesehen werden, als Deutschland von der Mitwirkung an den diesbezüglichen Abmachungen zwischen den Verbündeten ausgeschlossen sei. Deutschland sei bereit, einen Sicher­heitsvertrag für den Schutz der Reichsgrenzen abzu­schließen und die drei andern Staaten zum Beitritt einzu­laden. In Ergänzung dieses Vertrags sollen mit Polen und der Tschechoslowakei allgemeine Schieds­gerichtsverträge für etwaige Streitfälle verein­bart werden.

Die Pariser Blätter lehnen die deutschen Vorschläge als wertlos oder hinterlistig ab, und sie bekunden damit, daß es Frankreich gar nicht um einen Sicherheitsvertrag zu tun ist, sondern um einen Vorwand, aill Rhein bleiben zu können.