(Enztalbote)
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Nummer 34 Fernruf 179 Wildbad, Mittwoch, den 11. Februar 1925 Fernruf 179 60. Jahrgang
Der Reichskanzler in Köln
Köln. 10. Februar
Bei dem gestern zu Ehren des Reichskanzlers Dr. Luther von der Stadt Köln veranstalteten Festessen hielt Oberbürgermeister Dr- Adenauer eine Ansprache, in der er der Enttäuschung und Erbitterung der Rheinlandbevölkerung darüber Ausdruck gab, wie vom Ausland die Frage der Räumung behandelt werde.
Reichskanzler Dr. Luther erwiderte:
Rheinlands Schicksal ist Deutschlands Schicksal, des Rheinlands Freiheit ist Deutschlands Freiheit. Das ist die Auffassung der deutschen Reichsregierung. Und die Ihnen auszusprechen, bin ich zu Ihnen gekommen. Der Herr Oberbürgermeister hat gesprochen von der Rot. die heute im besetzten Gebiete herrscht, und Ausdruck gegeben der berechtigten Empörung des besetzten Gebiets darüber, daß die Vorschrift des Vertrags von Versailles über die Räumung der nördlichen Rheinlandzone nicht durchgeführt wurde. Die deutsche Reichsregierung verfolgt erneut jene Rot des besetzten Gebiets im vollen Bewußtsein der Tatsache, daß nun schon so manches Jahr dieses Gebiet für ganz Deutschland leidet. Das ist selbstverständliche Politik der deutschen Reichs- reaierung die folgende: Wir haben in unserer Arbeit dafür gesorgt, daß die Rheinlande nicht zu einer „Lnkschädigungs- proviur" wurden. Wir werden in unserer weiteren Politik dafürMrgen, daß die politischen Auseinandersetzungen zwischen Deutschland und den Verbündeten nicht zum Schaden des Rheinlands sich vollziehen. Der deutsche Reichskanzler kann von der Frage der Nichträumung der nördlichen RHStn- landzone nicht sprechen, ohne immer wieder in die Welk hinauszurufen, daß die Grundlagen für die einseitige Entscheidung der Verbündeten über die Richträumung bis zum heutigen Tag uns nicht mikgeteilk wurden. Der Tatbestand ist also der, daß die Voraussetzungen für Verhandlungen über die Räumung ausschließlich von Seiten der Verbündeten nicht erfüllt wurden. Zu Verhandlungen'ist die deutsche Regierung bereit. Die deutsche Regierung ist ebenso bereit, berechtigte Anstände, die etwa von den Verbündeten in der Frage der Entwaffnung erhoben werden, oder sonst zur Kenntnis der deutschen Regierung kommen, aufs schnellste auszuräumen. Das Ziel von Verhand- lungen aber, die wir mit allem Nachdruck erstreben, muß sein, schnellste Räumung der nördlichen Rheinlandzone, damit das Rheinland das erwirbt, was ihm nach dem Vertrag von Versailles zusteht.
Oberbürgermeister Dr. Adenauer hat ausge- fuhrt, der ganze Verlauf der Erörterungen über die Räu- mung zeige klar, daß die Räumung nunmehr mit anderen nicht im Vertrage von Versailles als Vorbedingung der Räu- mung festgelegken Umständen verknüpft wird. Ich habe in meiner Rede, die ich am 30. Januar vor den ausländischen Journalisten, also vor der Weltöffentlichkeit, gehalten habe, an den französischen Ministerpräsidenten die Frage gerichtet: »st der französische Ministerpräsident entschlossen, die nördliche Rheinlandzone sofort zu räumen, nachdem die Besei» tigung der Deutschland etwa nachgewiesenen Verstöße in oer Abrüstung sichergestellt ist? Ich habe auf diese Frage eine Antwort bis heute nicht bekommen; (Hört! Hört!) Wohl aber ist von politischer Seite in der französischen Presse ausgesprochen worden, daß die Räumung der Kölner Zone nicht etwa nur von der Enkwaffnungsfrage. sondern auch davon abhängig gemacht werden solle, daß vorher ein besonderer Sicherheikspakt zugunsten Frankreichs zustande kommt.
Ich kann nicht annehmen, daß in dieser Auffassung die Ansicht der französischen Regierung zum Ausdruck kommt. Immerhin muß ich bei der begreiflichen Beunruhigung, die über diese Frage nicht nur im besetzten Gebiet, sondern in ganz Deutschland besteht, folgendes bemerken: Ich habe namens der deutschen Reichsregierung ausgesprochen, daß die deutsche Reichsregierung bereit fti. an der Lösung der Sicherheiksfrage mikzuarbeiken. Sollte man aber von der Lösung dieser Frage die Räumung abhängig machen, so muß dieser Gedanke, der keinerlei Begründung im Vertrag« von Versailles findet, mit allem Nachdruck zurückgew? :sen werden. Der Gedanke würde obendrein den Riederbruch der juristischen und moralischen Grundlage für das Zusammenleben der Völker überhaupt bedeuten. Es wäre nicht nur das Gegenteil des Geistes, der zur Genugtuung Deutschlands in dem Londoner Abkommen zum Ausdruck gekommen ist, sondern es wäre überhaupt das Gegenteil des Gedankens internationaler Vereinbarungen, ja das Gegen- teil des Gedankens der Sicherheitsverträge selbst, denn auch diese Sicherheitsverträg« müssen eben, wenn sie ihren Zweck erfüllen sollen, unter dom Gesichtspunkt der Achtung vor Verträgen stehen.
Es ^st gewiß richtig, daß gerade auch die Leiden des All- chssb, di« für das besetzte Gebiet eine so große Rolle spielen, nicht in ihrer ganzen Schwere überall in Deutschland mit- empsunden werden. Aber ich muß doch ausfprechen, daß von der ungeheuren Bedeutung der großen Frage, um die es sich handelt, das ganze deutsche Volk durchdrungen ist.
Tagesspiegel
Reichskanzler Dr. Luther ist von Köln in München eingetroffen.
Königin Wilhelmine von Holland wurde anläßlich der 350jährigen Jubiläumsfeier der Universität Leyden zum Ehrendoktor der Rechtswissenschaft ernannt.
Me „Westminster Gazette" glaubt, daß der erste Be- sehungsabschnit^. (Köln) im Juni geräumt werde, vorausgesetzt. daß Deutschland seine Vertragverpflichtungen erfüllt habe.
Die Franzosen behaupten, die Rifleute an der französisch-marokkanischen Rordgrenze nehmen eine bedrohliche Haltung ein.
Die türkisch-griechische Spannung wegen der Ausweisung des Patriarchen kann nach türkischer Mitteilung als behoben angesehen werden. Die griechische Regierung hat die Mobilmachungsbefehle zurückgenommen. Es scheint durch Vermittlung der Großmächte ein Vergleich zustandezukommen.
Herr Oberbürgermeister Adenauer hat die Freundlichkeit gehabt, seine Ausführungen in ein Hoch auf den gegenwärtigen Reichskanzler ausklingen zu lassen. Ich sehe darin eine grundsätzsiche Zustimmung zu dem Ziel der Politik, das sich die gegenwärtige Reichsregierung stellt, denn es handelt sich ia nicht um die Person, sondern darum, ob wir die geeignete Form ge^Mtz-n hoben. Deutschlands Willen zur Geltung zu bringen, wevkbe aus' dem Geist heraus, den ich im Rheinland finde, aus dem Geist, der das Gesamtschicksal über kleine zuck» kleinliche Zwistigkeiten setzen will, möchte ich von dieser Stelle aus me Bitte an ganz Deutschland richten, der gegenwärtigen Reichsregiervng die Bahn für ihre Arbeit frei zu öffnen. Dazu reHre ich auch, daß die hämischen Versuche. Zwistigkeiten Mischen die Mitglieder des Kabinetts zu säen, eingestellt werden. (Bravo!) Dazu rechne ich auch, daß die Gegnerschaft gegen das Kabinett nicht ausartet in eine gehässig Feindschaft. Wenn wir nicht die Grundlage für unsere Zusammenarbeit überhaupt verlieren wollen, dann müssen wir im parlamentarischen Zusammenleben auch lernen, Gegnerschaften nur sachlich za gestalten, Opposition darf nicht Feindschaft sein. Und wenn sich die gegenwärtige Regierung auf eine Mehrheit stützen muß, wenn sich gerade darin der parlamentarische Grundgedanke unseres Staatslebens auswirkt, so lege ich doch ebenso großes Gewicht darauf, immer wieder zu betonen, daß diese Mehrheitsbildung keinen Ausschluß der anderen von der Mitarbeit bedeutet, die bereit sind, in staaksbejahendem Sinn mikzuarbeiken. (Bravo!) Mit solcher Arbeit wird man auch am besten dem großen Ziel der Befriedigung dienen, um das es sich für uns jetzt als erste Ausgabe handelt. (Beifall.)
Zweierlei habe ich in den Rheinlanden in mich ausgenommen. Ich möchte es nennen: deutsches Lein und deutsches Werden. Deutsches Sein ist ausgedrückt in der Kultur des Rheinlands, die älter als ein Jahrtausend ist, die aus dem Werdegang des deutschen Volks nicht himveggedacht werden kann. Und deutsches Werden das ist das, was sich vollzieht auf dem Boden des Industriegebiets, nicht beschränkt auf das Ruhrland, obwohl dort am kräftigsten und am packendsten zum Ausdruck kommend.
Aber Aufgaben wirtschaftlicher Art sind eng verschwisteri mit denen sozialer und menschlicher Art. Wer von uns im Ruhrgebiet gelebt hat, der kennt die Fragestellung, die daraus abzielt, das Zusammenleben großer Menschenmassen, die jetzt fleißig die Hände rühren, zu ermöglichen unter ganz neuen Lebensbedingungen, unter Bedingungen, die zum Teil erst vor Jahren Wirklichkeit geworden sind, der weiß, daß es sich hier um die soziale Frage handelt, deren Lösung die besten deutschen Kräfte erfordert. Hier in Köln, hier im Angesicht des Kölner Doms fordere ich Sie auf, mit mir zu rufen: Es lebe der deutsche Rhein! Der deutsche Rhein, er lebe hoch, hoch, hoch!
Die Versammlung erhob sich und stimmte begeistert in den Ruf unter Beifall und Händeklatschen ein.
Das Washingtoner Abkommen
So viel redet man davon: in der Presse, in Versammlungen von Arbeitern, neuerdings im Württ. Landtag und auch jüngst im Reichstag, wo es sich um die Genehmigung der Ausgaben für das „Internationale Arbeitsamt" in Genf handelte. Der Streit um die „Ratifizierung", d. h. Genehmigung des BKrshingtoner Abkommens geht bis in das.Jahr 1919 zurück und hängt, wie jedes politische und wirtschaftliche Uebel der Gegenwart mit dem Versailler Vertrag zusammen. Dieser hat einen 13. Teil (Art. 387—427) über die Arbeit, weil der Weltfriede „nur auf dem Boden der sozialen Ge- rechtig.keit begründet werden könne." —
Die Anlage zu Art. 426 nun bestimmt, daß in Washington die erste Arbeitskonferenz 1919 stattfinden soll. Die Regierung der Vereinigten Staaten wurde gebeten, die Konferenz einzuberufen. Ihre Tagesordnung soll 5 Punkte enthalten: Arbeitszeit, Arbeitslosigkeit, Frauenarbeit, Kinderarbeit und Nachtarbeit. Was den ersten dieser Punkte betrifft, so lautet er wörtlich: „Anwendung des Grundsatzes des Achtstundentages oder der 48-Stundenwoche." Auch die „Allgemeinen Grundsätze", die in Art. 427 für die „hohen vertragschließenden Parteien" aufgestellt werden, enthalten als 4. Punkt: „Die Annahmes des Achtstundentags oder der 48-Stundenwoche als Ziel, das überall angestrebt werden soll, wo es noch nicht erreicht wurde".
Nun wurde tatsächlich jene Konferenz in Washington (wir Deutsche waren natürlich nicht dabei) 1919 abgehalten und auch ein Abkommen getroffen. 'Als es aber an dessen „Ratifizierung" durch die einzelnen Staaten und ihre Parlamente ging, versagten so ziemlich alle, die dem Völkerbund angehören. Einige kleine Staaten aus- genommmen. Außerdem Frankreich. Aber gerade Frankreich hat an die Durchführung des Achtstundentags nicht weniger als 160 Ausnahmen geknüpft. Also mehr Ausnahmen als die Regel, und so wird kein vernünftiger Mensch einer derartigen „Ratifizierung" irgend einen praktischen Wert beimessen. So wie Frankreich könnte Deutschland auch das Abkommen „ratifizieren", dazu aber sind wir zu ehrlich.
Im übrigen sehen wir wirklich nicht ein, warum gerade Deutschland in dieser Sache den Anfang machen soll? Jetzt vollends, wo der Versailler Vertrag oder das Dawes- gutachten untragbare wirtschaftliche Bürden uns ausgeladen hat, Lasten, deren Erfüllung nach Menge und Güte die allerhöchsten Leistungen von uns fordert? Man rede nicht, wie der Franzose Jonhaux es auf der letzten internationalen Arbeitskonferenz (auch eine Einrichtung des Versailler Vertrags) getan hat, von einem „sozialen Dumping" der deutschen Industrie, oder von einer „sozialen Reaktion" der neuen Regierung, daß Deutschland in dieser Frage nicht „vorangehen" will! Daß zur Verhütung außerordentlicher Gefahren der Achtstundentag unbedingt nötig ist, das hat die neue Regierung mit ihrer ersten sozialen Verfügung über den Achtstundentag in Vergwerksbetrieben recht deutlich gezeigt.
Aber um ihn zu verallgemeinen muß Deutschland wieder die nötige Ellenbogenfreiheit haben. Das hat selbst der sozialistische württ. Arbeitsminister Keil zugegeben. Seine Instruktion in Sachen der Ratifizierung des Washingtoner Abkommens an den württ. Gesandten in Berlin lautete: „Eine weitere freiwillige Belastung könnte Deutschland nur zugemutet und von ihm auch verantwortet werden, wenn ihm dabei die Möglichkeit gegeben würde, sich das zum Schutz seiner aufs äußerste bedrohten Wirtschaft erforderliche Maß von Bewegungsfreiheit zu sichern, so daß eine weitere Verschlechterung seiner wirtschaftlichen Lage und seiner Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt nicht erwachsen kann-" Im übrigen muß man doch auch noch darauf verweisen, daß von den 236 Angestellten des „Internationalen Arbeitsamtes" nur 6 Deutsche sind. Also von einer Gleichberechtigung keine Spur. Ebenso wenig hat unsere Sozialpolitik irgend etwas in Genf profitiert. Darin sind wir den andern schon lange voraus. So oft wir in Genf waren, hat man uns schlecht behandelt Also brauchen wir dem Genfer Arbeitsamt nicht nachlaufen. ^14.
Gewaltige Kredite an die Ruhrindustriellen
Das .Berliner Tageblatt" bringt in großer Aufmachung Mitteilungen über einen Kredit, der von der «Ruhryttfs- Kasse" im Februar/März 1923 den Ruhrin-ustriellen gegeben worden sein soll. Die Hilfskasse „Hika" sei eine Einrichtung, die bald nach Beginn des Ruhrkampfes gegründet und dem Reichswirtschaftsministerium unterstellt wurde. Der Minister Zentrumsabg. Becker lehnt ab, die Kredite auf wertbeständiger Grundlage zu berechnen, weil et Februar/März 1923 glaubte, die deutsche Mark würde bei dem damaligen Dollarstand von 8000 stabil bleiben. Die größten Firmen des Ruhrgebiets machten von dieser Kredit- möglichkeik Gebrauch, sie bauten mit Hilfe dieser Kredite ihre Werksanlagen aus und wandelten die Papiermark auch in Devisen um. Besonders reich seien die Nordweft- deutsche Gruppe der Eisenindustrie von Köln-Dormund mit Krediten bedacht worden, darunter vornehmlich die Firmen Otto Wolfs, Rheinstahl, Union. Im ganzen waren es über 100 gewesen. Die «Hika" wurde im Reichswirtschafismini- sterium zuerst von Regierungsrat Löbe und dann von Ober- regierungsrak Josten verwaltet. Diese Kredite, die später mit einigen Goldpfenningen, oder mit einigen wertlosen Papierfetzen zurückbezahlk wurden, überstiegen bei weitem die den Ruhrindustriellen später gewährten Entschädigungssummen von 700 Millionen Mark. Es habe sich um mehr als 2 Milliarden gehandelt, die der Ruhrindustrie auf dem Weg der Papiermarkkredite vom Reich gegeben worden seien. ...
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