Die planmäßige Fortsetzung der Gewalttaten.

Esten, 27. April. Gestern Abend wurden in einer Wirt­schaft 30 ehemalige Obervealschiiler, die sich dort zu einem Bierabend zusammengefunden hatten, von der französischen Kriminalpolizei verhaftet und nach dem Kohlensqndikat gebracht.

Mannheim, 28. April. Wie derMannheimer Generalanzei­ger" aus zuverlässiger Quelle erfährt, wurde gestern nachmittag der kaufmännische Direktor der Mannheimer Schiffs- und Ma- schinenbau-A.-G. von der französischen Besatzungsbehörde einem eingehenden Verhör unterzogen. Der Grund soll der sein, daß von der Firma ein neues, für holländische Rechnung erbautes Boot zur Ablieferung gelangte und di« Schiffswerft sich wei­gerte, den von den Franzosen verlangten Ivprozentigen Aus­fuhrzoll zu zahlen. Der Direktor wurde schließlich wieder stei­gelassen, dafür aber der ganze Betrieb der Gesellschaft mit fran­zösischer Besatzung belegt.

Verbot der Arbeiterbeförderung mit Lastautos.

Berlin, 30. April. Da die Franzosen in der Pfalz die Arbeiterbeförderung mit Lastautos nur gestatten, wenn der Schienenweg nicht benützt werden kann, und den Fir­men an den militärischen Bahnen somit die Arbeiterbeför­derung unmöglich gemacht wird, hat die Badische Anilin- und Sodafabrik in Luwigshafen, einer Meldung der Montagspost" zufolge, verfügt, daß die auswärtigen Ar­beiter zunächst ihren kontraktlichen Urlaub antreten. Falls sie nach besten Ablauf nicht mehr in die Fabrik zurückkeh- ren können, sollen sie A ihres Lohnes als Wartegeld er­halten.

Zur auswärtigen Lage.

Bevorstehende Einführung der Frankenwährung im Saargebiet.

Saarbrücken. 28. April. Da die Regierungskommission die Einführung der Frankenwährung im Saargebiet wünscht, haben die Parteien des Landrats die sich anfangs auf einen ablehnenden Standpunkt gestellt hatten, einen besonderen Gesetzentwurf ausgearieitet, der die schädlichen Punkte der Regierungsvorlage abfchwächen soll. Die Red­ner aller Parteien mit Ausnahme der Kommunisten traten für diesen abgeänderten Entwurf ein. Die Abstimmung hierüber findet heute statt.

Die Regierung Poinearß im Innern.

Paris» 29. April. LautEcho de Paris" beabsichtigt die Regierung im Hinblick auf den sich immer stärker geltend machenden Einfluß der bevorstehenden Kammerwahlen, so­bald die Kammer und der Senat sich über das noch immer nicht erledigte Budget für 1923 verständigt haben, sofort das Budget für 1924 einzubringen. Die Regierung sei schon jetzt entschlossen, die Abstimmung über ein 2jähriges Budget 192324 mit der Stellung der Vertrauensfrage zu verknüpfen. Daß Poincarö und Genossen fürchten, daß ihnen in der neuen Kammer nicht mehr eine so willige Mehrheit zur Verfügung steht, so will man also jetzt schon den Staatshaushalt gleich für 2 Jahre durchdrücken. Französischer »Optimismus" bezüglich der Lausannev Verhandlungen.

Paris. 29. April. Ministerpräsident Po in carö ver­handelte heute Vormittag mit den französischen Delegier­ten auf der Lausanne! Konferenz, General Pelle. Wie Havas berichtet, soll der General seinen Eiichruck dahin zusammengefaßt haben, daß man optimitisch über den Ver­lauf der Friedensverhandlungen sein könne. Nach dieser Beratung besprach sich General Pelle mit dem neuerannten Oberkommissar für Syrien, General Weygand. Nach der gleichen Agentur wurde insbesondere die Lage geprüft, die durch die Anwesenheit türkischer Truppen an der syri­schen Grenze eingetreten ist. Die ins Auge gefaßten Maß­nahmen sollen die Entsendung neuer französischer Truppen aus Kolonialregimentern notwendig machen. Man muß sagen, der diplomatische Stil der Franzosen ist köstlich. Auf der einen Seite ist man bezüglich der Verhandlungen mit den Türkenoptimistisch" auf der andern Seite schickt man Truppen nach dem Orient, um das bedrohte Syrien zu schützen. > ^

Frankreich und Syrien.

Paris, 29. April. DerPetit Paristen" meldet, daß der neu- ernannte Oberkommissar für Syrien, General Weygand, darauf verzichte, sich vor seiner Abreise nach Syrien nach Lausanne zu begeben. Er werde sich darauf beschränken, sich heute in Paris mit dem General PellS zu besprechen. Weygand begebe sich am Donnerstag nach Boulogne und schiffe sich am Freitag auf dem KreuzerLorraine" nach Beirut ein. Wahrscheinlich reise er von Beirut unverzüglich nach Nordsyrien, um dort zur Si­cherung der Grenze di« erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Der Petit Paristen" glaubt, die bereits vor einigen Tagen von der Ere Nouvelle" veröffentlicht« Nachricht bestätigen zu können, daß die franMsche Regierung zwei in Kolonialgarnisonen ent­behrliche Divisionen zur Abbeförderung nach dem nahen Orient bereit halte für den Fall, daß die Haltung der Türken diese Verstärkung notwendig mache.

Ein spanisch-französischer Zwischenfall.

Paris, 29. April. Der französische Abgeordnete Brousse, ehemals Unterstaatssekretär im Finanzministerium, hatte sich gestern in Begleitung des Abgeordneten Manaut nach Barcelona begeben. Sofort nach ihrer Ankunft in der Stadt wurden die beiden französischen Abgeordneten von der spanischen Regierung ausgewiesen. Sie mußten unter polizeilicher Bewachung nach Frankreich zurückkehren. Der Abgeordnete Brousse hat telegraphisch dem französischen Ministerpräsidenten einen Protest übergeben. Bereits im Jahr 1917 ist Brousse in Spanien apsgewiesen worden.

aber ber Aüsweisungsbesehl ist. wie die Havasagentur berichtet, im vorigen Jahr von der spanischen Regierung zurückgezogen worden.

Waffenstillstand im irischen Bürgerkrieg.

Dublin, 28. April. Das Hauptquartier der irischen Re­bellen hat gestern Abend die allgemeine Einstellung der Feindseligkeiten angeordnet.

Das einzige amerikanische Konsulat in Rußland geschloffen.

Washington, 27. April. Das amerikanische Konsulat in Wladiwostok, welches die einzige Vertretung der Ver. Staaten in Rußland bildete, ist geschlossen worden.

Vermischtes.

Französischer Geschästsstil.

Eine im Rheinland ansäßige Seifen- und Elycerin- sabrik hatte von der südfranzösischen Maklerfirma Ray­mond Radisson in Marseille eine Offerte erhalten, auf die sie folgende Antwort erteilte:Wir verstehen nicht, wie Sie uns zumuten können, von Ihnen zu kaufen, solange Ihre Landsleute das Ruhrgebiet besetzt halten. Da die französischen Berichte feststellen, daß keine Kohle mehr das Ruhrgebiet nach hier verläßt, sondern schon große Mengen nach Frankreich transportiert werden, so halten wir es für richtiger, daß Sie das Rohglycerin im eigenen Lande mit Ruhrkohle destillieren, da die französische Kohle ja sehr knapp sein soll." Auf dieses Schreiben ging eine Antwort ein. die wir als Dokument französischer Kultur in wört­licher Uebersetzung nachfolgend zum Abdruck bringen:

Marseille, den 3. April 1923.

27 Rue de la Darse.

- - Meine Herren!

Wir sind im Besitze Ihres Schreibens vom 28. pto.

Ihre Denkungsweise wird sich niemals ändern, die Peit­sche wäre das einzigste Mittel, Sie zur Vernunft zu brin­gen. Wenn unsere Truppen heute an der Ruhr stehen, so ist allein die deutsche Unredlichkeit, deren Zunge die ganze

Welt ist, daran schuld-. Nicht damit zufrieden,

Falschmünzer gewesen zu sein und den größten Schurken­streich aller Zeiten begangen zu haben, haben Sie überdies noch die Keckheit, den Kopf wieder hochzuhalten!!! Ich be­dauere, nicht mächtiger in Frankreich zu sein, um Sie so zu züchtigen, wie Sie es verdienen,Schmutzbinkenbande"!

Die unkorrekte Art und Weise, wie Sie sich 1870 be­nommen haben, als Sie Stöger waren, muß Ihnen bewei­sen, daß wir etwas mehrGentlemen" als Ihre schmutzige Rasse sind und daß wir ein wenig besser gehandelt haben, als Ihre Väter uns gegenüber,Saubande"...

Es ist wirklich bedauerlich, daß man uns, als Sie im September 1918Knockout" waren, verhindert hat, Ihnen das Maul vollzustopsen... Eie würden etwas weniger an­maßend sein,Schweinebande"!!?

Raymond Radisson.

(Aus Lhem. Industrie Nr. 17 v. 21. April 1923.) Forderungen der französischen Metallarbeiter wegen der fortgesetzt steigenden Lebensmittelpreise.

Paris, 29. April. In St. Etienne haben die Metall­arbeiter des Bezirks heute einen Kongreß abgehalten. 80 Fabriken, die 18000 Arbeiter beschäftigen, hatten Delegierte entsandt. Die Metallarbeiter verlangen die Aushebung der Einkommensteuer, sowie eine Lohnerhöh­ung von 20 Prozent im Hinblick auf das fortgesetzte Stei­gen der Lebensmittelpreise. Ein Ausschuß hat den Auf­trag erhalten, die erforderlichen Verhandlungen einzu­leiten.

Politischer Mord in Spanien.

Berlin, 30. April. Nach Vlüttermeldungen sind in Bar­celona ein früherer Präsident des sogenanntenRoten Syndikats" und ein gleichfalls einem extremen Syndikat angehöriger Bankbeamter aus offener Straße durch Revol­verschüsse getötet werden.

Um ein Fußballwettfpkel.

London, 29. April. Gelegentlich eines Fußballwett­kampfes in Wembley bei London kam es zu furchtbaren Szenen. Zirka 200 000 Personen versuchten, sich gewaltsam Zutritt zu den Zuschauerplätzen zu verschaffen. Neunhun­dert Personen wurden dabei verletzt, davon 800 schwer. Unter den Opfern befinden sich zahlreiche Frauen und Kinder.

Stichproben.

Moritz Goldschmidt (Frankfurt) gibt in derFrkf. Ztg." folgende nachdenkliche Gedankensplitter:

Nachahmer sind immer schlimm: aber die ärgsten sind die, die schließlichsich kopieren.

Wenn wir einen Menschen in den Himmel heben, fallen wir meist sehr bald ans den Wolken.

Willst du, daß man sich niemals ganz klar über dich werde: bekenne immer offen die Wahrheit!

Das haben gewisse Frauen mit den Devisen gemein: sie steigen erst recht, wenn sie einmal gefallen sind.

Man entbehrt oft leichter das Unentbehrliche als das Ent­behrliche.

Daß die Erde sich dreht, wissen heute die meisten Leute. Sie irren nur darin, daß sie meinen, sie drehe sich um sie.

Die wenigsten Menschen wissen, daß Tränen nicht nur dazu da sind, geweint, sondern, viel mehr, auch getrocknet zu werden.

Verschwiegenheit, Schweigen, wirken immer inhulireich. wenn sie auch nichts beweisen, denn die sestesten Kaffaschränke können leer sein.

Männer, die nicht ohne Frauen sein können, sind am besten ohne Frau.

Die guten Leute wissen von dem lieben Nächsten alles l das ist aber auch alles, wcw sie von ihm wissen.

» Deutschland.

Notstandsversorgung der Bergarbeiter im Ruhrgebiet mit Kleider und Schuhen.

Berlin, 28. April. Wie derLokalanzeiger" meldet,' haben die Verhandlungen der Reichsregierung mit der Industrie über die Fragö der Versorgung der Bergarbeiter init Textilwaren zu einem Erfolg geführt. Die Notstands­versorgung des Ruhrgebiets mit Bekleidung und Schuhen wurde beschlossen. Die Industrie sowie der Groß- und Ein­zelhandel erklärten sich grundsätzlich zur Mitarbeit an der Aktion bereit. Es ist, wie das Blatt schreibt, bei den am Montag beginnenden Lohnverhandlungen für den Bergbau damit zu rechnen, daß die Regelung der Boroarbeiterlöhne durch diese Notstandsaktion mitbestimmt wird.

Finnische Ruhrhilfe.

Berlin, 30. April. Die Sammlung der finnischen Brief­träger in Helsingfors zugunsten der notleidenden Brief­träger im Ruhrgebiet hat 1200 finnische Mark (etwa 960 000 Mark) ergeben.

Verhaftung eines französischen Kommunisten.

Berlin, 27. April. Einer Blättermeldung zufolge ließ die Naumburger Polizei den französischen Kommunisten­führer Mercier, der sich aus einer Propagandareise durch Deutschland befindet, während einer Kundgebung der kom­munistischen Partei in Querfurt verhaften. Die deutschen Kommunisten demonstrierten daraus vor dem Rathaus, jedoch ohne Erfolg.

Stinnes und der Marksturz.

Berlin, 30. April. DieDeutsche Allgemein« Zeitung" wandte sich angesichts der Angriffe gegen Stinnes an den Reichsbankpräsidenten Havenstein, der dem Blatt mitteilte, er habe mit seiner Aeußerung über den Marksturz nicht bestimmte Einzelfälle im Auge gehabt und keineswegs ge­gen Stinnes den Vorwurf ungerechtfertigter Devisenkäufe erhoben. Berliner Blätter hatten behauptet, daß der Sinneskonzern kurz vor dem Sturz für Milliardenbeträge englische Pfunds gekauft habe. Der Berliner Handels- berichterstatter derFrkf. Ztg." behauptet auch jetzt noch, daß kurz vor dem Sturz die Verwaltung des Stinneskon- zern für 12 Milliarden Mark englische Pfund gekauft habe, und so absichtlich oder unabsichtlich die Spekulations- be-wegung unterstützt und ins Rollen gebracht habe.

Ein neues Stinnesblatt.

Frankfurt a. M., 30. April. Wie dieFrankfurter Nachrichten" melden, hat Hugo Stinnes durch den Ankauf derFrankfurter Nachrichten" seinen beiden Blättern, der Deutschen Allgemeinen Zeitung" und derIndustrie- und Handelszeitung" ein drittes Blatt hinzugefügt.

Die Zustünde in Bayern.

München, 27. April. Die Sozialdemokraten haben für den 1. Mai einen großen Umzug durch die Stadt mit Fah­nen und Musik angemeldet und genehmigt erhalten. Das politisch Bemerkenswerte ist, nach demStuttg. Tagbl.", daß die Sozialdemokraten gemeinsam mit den Kommunisten diesen Umzug veranstalten werden. Die Sozialisten wer­den mit ihren Sturmtrupps und Abwehrtrupps in dein Zug vertreten sein, urü> die Kommunisten werden mit ihrer neugebildetenRoten Wehr" mit ihren Fahnen und Sow­jetsternen an diesem Zug beteiligt sein. Die National­sozialisten erklärten bereits in ihrer Presse, daß sie unter keinen Umstanden die Aufrollung von Sowjetsternen in der Stadt München dulden werden. Die Besorgnis siir den 1. Mai hat deshalb ihre besondere Begründung, weil es bereits gestern abend zwischen Nationalsozialisten und So­zialisten zu einem regelrechten Straßenkampf kam, an dem zusammen 400 Personen beteiligt waren und wobei von Feuerwaffen Gebrauch gemacht wurde, so daß vier Schwer­verletzte auf dem Platze blieben. Die Sozialisten behaup­ten, von den Nationalsozialisten gereizt worden zu sein, während die Nationalsozialisten erklären, daß sie in den letzten Tagen wiederholt von den Sozialisten angerempelt worden seien.

Die Marktgerichte in Berlin.

Berlin, 28. April. Zwischen dem Kammergerichtspräsidenten und dem Leiter der Berliner Wucherpolizei fand gestern, laut Berliner Lokalanzsiger". eine Besprechung über die Markt« gerichte statt. Es wurde festgestellt, daß die Gerichte entstehenden Wucher mehrfach im Keime unterdrücken konnten. Die Markt-- gerichte sollen weiter ausgedehnt werden.

Aus Stadt und Land.

Calw, den 30. April 1923.

Feine Finger.

Die große Kunst des Lebens besteht darin, daß einer den andern verstehen lernt: und die beste Lehre heißt: sich in die Verschiedenheiten der Menschen finden.

Max Müller-Oxf.

Warum ist das Zusammenleben der Menschen so voller Qual? Weil der gute Wille fehlt, der einsieht und nachgibt, der nicht übelnimmt und nachträgt, der die per­sönliche Empfindlichkeit überwindet und das Wohl de» andern will, der der verborgenen Güte und Liebe freitz Bahn schafft. Joh. Müller. '

" Feine Finger mußt du haben,

Um ein Herz nicht zu zerwühlen ! Finger, die des Mondes Silber

Und den Duft der Rosen fühlen, s Karl Ernst Knodu >