Nr. SS

Amts- und Anzeigeblatt für den Oberamtsbezirk Calw.

98. Jahrgang.

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Montag, den 30. April 1023.

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Neueste Nachrichten.

Di« halbamtliche deutsche Ankündigung, dag die Reichsrcgierung im Hinblick auf die Anregung des englischen Außenministers ein neues Reparatiousangebot vorbereite, hat, wie schon am Samstag gemeldet, zu einem wahren Trommelfeuer der fran­zösischen Propaganda geführt zu dem Zweck, die Stellung Deutschland von Anfang einzndecken. Es wurde näm­lich in allen Tonarten erklärt, das deutsche Angebot werde nicht angenommen, wenn der unbequeme passive Wider­stand im Rnhrgebiet nicht aufgegeben werde. Die deutsche Presse Mer Richtungen hat darauf geantwortet» daß die Aus­gabe de» passiven Widerstandes gleichbedeutend mit absoluter Unterwerfung wäre, und vielleicht spricht das führend« Zen­trumsblatt, dieGermania", hier als Sprachrohr der Re­gierung, wenn sie sagt, die Haltung gegenüber dem deutsch«, Angebot werde ein Prüfstein für de» schlechten Willen Frankreichs sein.

Die Reichsregiernng wird noch Beratungen mit den Regierun­gen der Einzelländer und de» Parteiführern pflegen, «nd dann wohl Mitte der Woche das neue Angebot au sämt­liche Alliierten schicken, und der amerikanischen Regierung zur Kenntnis bringen.

Die Konferenz in Lausanne steht gegenwärtig im Zei­chen der wirtschaftlichen Fragen, d. h. des Versuchs der Alliier­ten und Amerikas, die Türkei wirtschaftlich möglichst vollkom­men auszubeuten. Die Franzosen sprechen sich über die Aus­sichten sehr optimistisch ans. Gleichzeitig wird aber gemeldet, die Türken würden Truppen an der syrische« Grenze ansam­meln. Syrien ist bekanntlich alsB«rwaltungs"-la«d den Türke« von den Franzosen entrissen worden weshalb man zwei Divisionen Kolonialtruppen dorthin senden müsse. Man sieht, derFrieden" ist auch hier aus dem Marsch«, in dem Sinne nämlich, daß der französische Eroberungsgeift sich selbst totrenuen wird.

Bor dem Trerrlschen Angebot.

Die Vorbereitungen der deutschen Regierung zu einem neuen Reparationsangebot sind den Berliner Meldungen zufolge so­weit gediehen, daß in den nächsten Tagen di« Uebermittlung an die Allierten erfolgen kann. Die Bereitwilligkeit der deut­schen Regierung trotz des Ruhreinbruchs, der eine schwere Ver­letzung des VersaillerVertrags" darstellt, wiederum einen Re­parationsplan vorzulegen, hat nun die französische Propaganda zweifellos im Auftrag der Regierung damit beantwortet, daß sie Vorbedingungen für Verhandlungen bekannt gibt, die von vornherein die Verhandkungsmöglichkeit auf ein Minimum her­absetzen. Der PariserTemps" ist nämlich zu der Erklärung ermächtigt, daß die französische Regierung nicht ans ihre Auffas­sung verzichten ivsrde, daß sie kein deutsches Angebot in Be­tracht ziehe, solange der passive Widerstand im Ruhrgebiet an- daure. Mit andern Worten, Frankreich will nur verhandeln, wenn es inzwischen aus dem Ruhrgebiet Kohlen, Koks und son­stiges Material herausholen darf, soviel als ihm paßt. And da­bei soll den französischen Ingenieuren mit ihrerfriedlichen" Jnoasionsarmee möglichstes Entgegenkommen gezeigt werden, damit sie ja nicht zu kurz kommen bei ihrem Raub-, Gewalt- und Spionagezug. Gegen diese Auffassung über eine Verhand­lungsgrundlage hat die deutsche öffentliche Meinung sofort Stel­lung genommen. Und besonders auch aus den Kreisen der Ar­beiterorganisationen wird betont, daß der passive Widerstand im Ruhrgebiet gegen die französische Gewalt- und Raubpolitik nicht aufgegeben werden kann, ehe nicht eine sichere Aus­sicht über eine Verständigung hinsichtlich der durch den Einbruch geschaffenen Lage besteht. Außerdem wird auch gefordert, daß die Reichsregierung etwaigen offenen oder verhüllten Abtren­nungsplänen bezüglich des Rheinlands, Ruhr- oder Saargebiets aufs entschiedenste entgegentritt. Es wird sich nun darum han­deln, ob die Franzosen die halbamtlich ausgesprochene Drohung, >»hne Aufgabe des passiven Widerstandes im Ruhrgebiet kein deutsches Angebot in Betracht zu ziehen, wahr machen. Das «würde also heißen, daß man wiederum völlige Unterwerfung unter das Diktat des französischen Imperialismus auf Gnade und Ungnade fordert, denn wenn der Kohlenbergbau und die «Industrie im Ruhrgebiet unter französischen Bajonetten ledig­lich für Frankreichs und Belgiens Zwecke arbeitet, so haben die Einbruch-Mächte natürlich keinen Anlaß, ihr« noch so weitgehen- Hrn Forderungen einzuschränken, da st« dann ja Zeit haben, ^bznwarten, bis wir schließlich auch das neue Diktat annehmen.

Mit Recht macht die christlich-nationale Arbeiterorganisation darauf aufmerksam, daß ein Erfolg der Einbruchsmächte nicht nur die Zerschlagung der deutschen nationalen Einheit, sondern auch die wirtschaftliche, soziale und staatsbürgerliche Rechtlosig­keit der Arbeitnehmerschaft bedeuten würde.

Wir müssen aber beachten, daß wir in dem ALwehrkampf ganz auf uns selbst gestellt sind. Namentlich di« Politik Englands zeigt sich wieder in ihrem historischen Lichte der Hinterhältigkeit und Doppelzüngigkeit. Nachdem man uns tag­täglich angeraten hatte, ein neues Angebot zu machen, erklärt man jetzt nach der Einstellung der deutschen Oeffentlichkeit auf ein solches, Deutschland müsse sich erst mit Frankreich über die Verhandlungsgrundkage einigen. Und während man seit Mo­naten in der Presse und Parlament erklärt hatte, das franzö­sische Vorgehen gefährde die Sicherheit der Welt, und außerdem sei es vom wirtschaftlichen Standpunkt aus unzweckmäßig, weiß Herr Loucheur, der Vertreter der französischen Wirtschafts­kreise und, wie es heißt, der nächste Anwärter auf die Minister- Präsidentschaft, über den Eindruck seiner letzten Anwesenheit in London zu berichten, daß die meisten englischen Politiker auf seine Frage, was sie an französischer Stelle tun würden, ihm geantwortet hätten:Gewiß, wir würden nicht zurückweichen". Das ist die englische Moral in der Politik. Auf der einen beite .^ersteht" man den deutschen Widerstand, «nd sucht ihn womög­lich noch durch dunkle Versprechungen zu versteifen, aus der an­dern Seit« gibt man den Franzosen den Rat, sie sollen nur so fortmochen. Da anscheinend auch Herr Bonar Law sich in der Rnhrangelegenheitheiser" gesprochen hat. so ist er über die wichtigsten Tage, die eine Entscheidung über das deutsche Angebot bringen sollen, in Erholungsurlaub gegangen, und überläßt also die Regelung dem Staatssekretär des Aeußern, Lord Lurzon, einem unbedingten Anhänger Frankreichs. Oder soll dieErkrankung" Vonar Laws dazu benützt werden, die Angelegenheit auf die lange Bank zu schieben? Jedenfalls wird man gespannt darauf sein Linnen, was Frankreich und besonders auch England auf ein neues Reparationsangebot hin tun werden, denn das dürfte feststehen, der deutsche Widerstand wird nicht aufgegeben, wenn nicht unverantwortliche Treibe­reien politischer oder wirtschaftlicher Natur ihn unterhöhlen ehe wir nicht eine Sicherheit darüber haben, daß die Franzosen das Ruhrgebiet und die sonstigen widerrechtlich besetzten Gebiete verlassen. Darauf müssen wir uns alle einstellen, denn jetzt erst beginnt der entscheidende moralische Kampf um die Verhand­lungsgrundlagen. 0.8.

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Die letzten Besprechungen über das neue deutsche Angebot.

L erlin, 29. April. Dlättermeldungen zufolge sind die Be­sprechungen des Reichskanzlers mit den Staats- und Minister­präsidenten der Länder auf Dienstag verschoben worden. Dem­entsprechend empfängt der Kanzler voraussichtlich auch die Par­teiführer erst am Dienstag. Die geplante Note soll gleichzeitig in London, Paris, Rom und Brüssel übergeben, sowie auch in Washington zur Kenntnis gebracht werden.

Die französische Presse

wünscht absolute Unterwerfung Deutschlands.

Paris, 29. April. DieLibcrtL" schreibt: Wenn es wahr ist, daß Reichskanzler Luno Verhandlungen einlriten will» ohne daß vorher der Widerstand im Ruhrgebiet beendet wird, muß man sofort sagen, daß er sich täuscht. Es können Tatsachen ein- treten, daß man im Verlaufe eines Konflikts Verhandlungen beginnt, ohne daß die Waffen niedergelegt werden. Aber dann sind beide Gegner in gleicher Weise müde. Sie suchen also einen Kompromißweg. Der Reichskanzler beweist, daß es nach seiner Ansicht im Ruhrkonflikt weder Sieger noch Besiegte gibt. Das ist ein Gedanke, den wir nicht teilen können und den Frankreich und Belgien nicht annehmen werden. DerJntransigeant" schreibt: Niemals sind wir weiter davon entfernt gewesen, uns zu verständigen als jetzt. Die Ankündigung von Verhandlungen sind nicht ernst zu nehmen, denn sie kommen zu früh. Deutschland fühlt sich noch nicht besiegt genug, um die Kniee zu beugen. Wenn am Mittwoch der Vorschlag ankommt, werden die französische und die belgische Regierung gut beraten sein, wenn sie Deutsch­land antworten: Beweise erst deinen Friedenswillen! Ordne das Ende der Widerstandspolitik im Rnhrgebiet an! Solange das noch nicht geschehen ist, weigern wir uns, auch nur eine Zeile seiner Mitteilungen zu lesen.

Englische Stimme über den französische« Standpunkt.

London, 30. April. Der Berichterstatter derSunday Times" schreibt, die Franzosen wünschten «in deutsches An­

gebot weit weniger in diesem Augenblick zu erhalten als später,wenn der Erdrosselungsangrijf die Deutschen zu einer vernünftigen Geistesverfassung gebracht habe". Das deutsche Burgfriedensangebot werde als Hohn angesehen. Frankreich verlange eine solidere Garantie als eine deut­sche Unterschrift. Der vorgeschlagene internationale Scich- verständigenaus-schutz werde glatt abgelehnt.

Deutsche Antwort

auf die französische« Anterwerfungssorderungen.

Berlin, 29. April. DieGermania" sagt in einem Leitartikel, die Rede des britischen Außenministers bedeutet einen Wende­punkt, sie hat eine Plattform geschaffen, auf der di« beiden Geg­ner eine Neugruppierung ihrer diplomatisch-taktischen Fronten ermöglichen können. Die deutsche Regierung bekam damit die erwünschte Gelegenheit, aus der bloßen Verteidigungsstellung des passiven Widerstands zum diplomatischen Angriff überzu­gehen. Die Ausstellung unmöglicher Bedingungen durch die offiziösen französischen Organe beweise nur eure schlecht verbor­gene Nervosität. Das deutsche Angebot wirb vielleicht de» Prüf­stein stin für Frankreichs schlechte» Willen. Sollte Frankreich die Beachtung des deutschen Angebots ablehnen, so wäre keine Tatsache geeigneter, den Widerstand der Arbeiterschaft im Ruhr­gebiet zu verschärfen, darüber lassen die Mitteilungen aus gut­unterrichteten Kreisen des Ruhrgebiets keinen Zweifel. Die Germania", das führend« Organ des Zentrums macht hier Ausführungen, von denen man airnehmen kann, daß sie in Re­gierungskrisen geteilt werden.

Erneute Stellungnahme der Gewerkschaften des Eiubruchsgebiets zur Neparationssrage.

Esse«, 28. April. Eine Konferenz von Vertretern des 8e- werkschaftsrings deutscher Arbeiter-, Angestellten» und B«amten- verbände im Einbruchsgebiet hat zur augenblicklichen Lage er neut Stellung genommen. Di« Vertreter sind gewillt, den Ab- wehrkampf in der bisherigen Form des passiven Widerstands fortzusetzen. An die Aufgabe dieses Widerstands kann erst dann gedacht werden, wen« für das deutsche Volk eine annehmbare Lösung der Reparationsstage gefunden ist. Die Vertreter sind sich darüber klar, daß auch die Arbeitnehmer ihr Möglichstes zum Wiederaufbau der zerstörten Gebiete beitragen müssen. Sie lehnen aber jede unbillige Forderung ab, die den Nieder­gang der deutschen Wirtschaft und damit die Existenz der Ar­beitnehmer bedeuten würde. Bon der Regierung erwartet die Konferenz, daß sie jede Gelegenheit benütze« wird, um zu Ver­handlungen und zu einer Verständigung zu komme,,» die selbst­verständlich die Existenz des deutsche« Volkes gewährleisten muß. Von allen Schichten des deutschen Volkes aber muß erwar­tet werden, daß sie in gleicher Weise wie die Arbeitnehmer bereit find, im Interesse des gemeinsamen Zieles Opfer zu bringen. Alle Bestrebungen, die eine Beeinträchtigung der staatlichen Hoheitsverhältnisse, wie sie im Friedensvertrag festgelegt find, bedeuten, werden mit aller Entschiedenheit abgelehnt. Die durch die Konferenz vertretene Arbeitnehmerschaft lehnt es nach wie vor ab, unter dem Druck der französischen Bajonette zu arbeiten.

Die französische Gewaltpolitik.

Verschärfte Paßkontrolle der Entente beim Eintritt ins besetzte Gebiet.

Paris, 27. April. Nach einer Havasmeldung aus Kob­lenz hat die Rheinlandkommission unter dem Vorsitz des französischen Oberkommissars Tirard gestern beschlossen, den Verkehr zwischen den besetzten Gebieten und dem nichtbe­setzten Deutschland für alle Personen zu verbieten, die nicht mit einem von den alliierten Behörden ausgestellten Pas­sierschein versehen sind. Diese hochwichtige Mahnahme, fügt Havas hinzu, werde denTreibereien der Geheimver­bände" entgegenarbeiten dadurch, daß sie die Einreise der Agitatoren, Hetzer und Organisationen von Sabotageakten verhindere.

Auch die Hungerblockade wird angewandt.

Vohwinkel» 28. April. Die Lebensmittelzufuhr wird hier trotz der wiederholten Zusicherung des Generals Degoutte, daß Lebensmitteltransporte ohne weiteres die Kontrollstellen passie­ren können, ständig behindert. Auf Vorstellungen der Regie­rung in Düsseldorf wurde von der zuständigen französischen Stelle erklärt, die Freiliste habe nur für den Befehlsbereich Degouttes Gültigkeit. Die Kontrollstelle Vohwinkel unterstehe aber der Rheinlandskommission. Diese verlang« auch« Lebensmittel di« zehnprozentig« Abgabe und die Aussnhrbewillignng. I» Wirklichkeit besteht also trotz der Versicherungen des Gegenteils durch die Franzosen eine Art Hungerblockade.