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iEnztalbote)

Amtsblatt für M'dbad. Chronik unü Anzeigenblatt

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zrum«er 232 Fernruf 17ö

-«d, Freitag, den 5. Oktober 1S23

Fernruf 179 58. Zahrgan?,

Tagesspiegel

Der Reichstag wird ln dieser Woche nicht mehr zvsam- menkrelen. In parlamentarischen Kreisen in Berlin spricht «an von der Möglichkeit von Neuwahlen.

Verständigung oder Zusammenbruch?

LloydGeorge beurteilt in einem Aussatz, den wir in derNeuen Zürcher Zeitung" lesen, die Lage Deutschlands folgendermaßen:

Wie steht es zwischen Frankreich und Deutschland? Der Prozeß der langsamen Erdrosselung geht seinem Abschluß entgegen. Es ist schon beinahe ein Wunder, daß Deutschland so lange aushaltsn konnte. Das ist eine großartige Leistung nationaler Ausdauer. Wenn es nun zum Abschluß kommt, was steht uns dann bevor: eine Uebereinkunst oder der Zu­sammenbruch? Die Aussichten auf sine schiedlich« Verein­barung sind gering.

Stresemann wird es schwer haben, Deutschland mit Kapi» iulationsbedingungen zu versöhnen, die Poincars befriedigen. Denn dieser besteht nicht nur auf der Einstellung des passiven Widerstands als einer wesentlichen Vorbedingung jeder Ver­handlung, sondern er hat ebenso deutlich erklärt, daß Frank­reich dieRuhrnichtrüumen werde, bis Deutschland die letzte Rate der Entschädigungen abbezahlt habe. Die Forde­rung in bezug auf den passiven Widerstand hätte keine Schwierigkeiten zu machen brauchen und hätte auch keine ge­macht, wenn nicht im Hintergrund die viel furchtbarere Be­dingung gestanden hätte. Die von Poincare mehrmals nach­drücklich erklärte Absicht Frankreichs, ein ganzes Men­schenalter hindurch das wichtigste Industriegebiet Deutschlands besetzt zu Hallen und zu beherrschen, hat den - Widerstand verlängert. Wenn der passive Widerstand an der Ruhr unter dem Druck des Hungers eingestellt wird und die französische Regierung dann großmütige Vorschläge macht, so könnten Versöhnung und Zahlungsleistungen im­mer noch Hand in Hand gehen.

Wie steht es aber mit den Aussichten einer solchen Politik? Poincare muß den Beifall nicht nur einer einzigen öffent­lichen Meinung gewinnen, sondern von zwei solchen Strö­mungen, von denen jede aus andern Gründen handelt und andere Ziele erstrebt. Die eine ist die öffentliche Meinung des herrschaftslüsternen Frankreichs, die sich nur für die Machthsrrschaft interessiert und die Entschädigungen höch- tens als ein Mittel und einen Vorwand für ihren Zweck ein- .schätzt. Die andre verkörpert das Frankreich der Bauern und kürzer, die von Deutschland die Rückzahlung des Geldes wünschen, das sie zum Wiederaufbau der im Krieg verwüste­ten Gebiete vorgestreckt haben. Sie wollen nur ihr Geld zu­rück. Gegenwärtig findet Poincare seine Hauptstütze bei den Macht- und Ruhmsüchtigen. Aber er muß für dis kommen­den Märzwahlen auch die Zustimmung der schlauen und praktischen Bauern und Rentner finden. Auch noch an eins andere Richtung muß er denken. Die Grubenbesitzer und Ftnanzleute starren mit gierigem Blick auf die un­ermeßlichen Möglichkeiten der Nuhrkohle und der Hochöfen und Fabriken des Ruhrgebiets. Daher muß Poincare den Militaristen Genüge tun, indem er im Ruhrgebiet bleibt- Er muß den Bauern Genüge tun, indem er ihnen zeigt, daß nunmehr aus Deutschland das Gold in die französischen Schatzkästen zu fließen beginnt, und er muß den Herren vom Eisen- und Stahltrust Genüge tun durch eine Regelung, di» Ihnen di« Aussicht auf die Herrschaft über di« reichen Indu­strien der Ruhr eröffnet. In einer solchen Lage kann man nicht großmütig sein. Das wird auch ein« wirkliche RegÄrma hintertrerben. Eine deutsche Regierung, die einer Besetzung deutschen Gebiets und einer Ausbeutung deutscher Arbeitskraft zustimmen wollte, wie sie vom Ehr­geiz und vom Interesse der Franzosen gefordert wird, würde oald von ihren eigenen Landsleuten verleugnet werden. Ein solcher Vertrag wäre genau nur so viel wert, wie die fran­zösische Militärmacht durchsetzen könnte. Niemals würde er von den Deutschen ehrlich anerkannt werden.

Deutschland ist heute weniger zahlungsfähig als vor einem Jahr. Frankreich und Belgien haben mit Erfolg seine Zah­lungsfähigkeit verringert, indem sie seinen Zahlimgswillen !M erzwingen versuchten. Daher wird Frankreich an der Ruhr bleiben. Es wird keine Entschädigungen erhalten. Mir war es von jeher zweifelhaft, ob die geistigen Urheber seiner jetzigen Politik überhaupt Entschädigungen wünschen. Dl« Zukunft hängt davon ab, wer in Deutschland die Führung übernimmt. Mit der Nuhrbesetzung wird sich Deutschland nicht abfinden, was auch Stresemann unter­zeichnen mag. Es mag eine Zeit des Zerfalls und der ört­lichen Anarchie «intreten, während derer Deutschland völlig bWos sein wird. Aber die Deutschen sind keine Russen, «ie sind ein gebildetes und gründlich disziplinier-

Begleiterscheinungen

Zum Rücktritt des Kabinetts Stresemann

Wir konnten bereits gestern unfern Lesern den Rück­tritt des Kabinetts anzeigen.

Weiter wird gemeldet: Der Streit drehte sich schließlich hauptsächlich um die Frage, soll der achtstündige Ar­beitstag aufgehoben werden oder nicht? Ein Ver­mittlungsvorschlag des Zentrums wollte die Arbeitszeit so­weit verlängern, alsgesundheitlich tragbar" sei.. Insbeson­dere solle im Bergbau die Arbeitsschicht auf 8 Stunden erhöht werden statt der bisherigen 7 Stunden, wobei die Zeit für Ein- und Ausfahrt (etwa eine halbe Stunde) wie bisher eingerechnet bleiben soll. Den übrigen lebenswichtigen Betrieben solle die Möglichkeit gegeben werden, den Achtstun­dentag zu Werschreiten. Diese Grundsätze sollen auf die öffent­liche Verwaltung sinngemäße Anwendung finden. Für ge­fährliche und gesundheitsschädliche Betriebe solle der Acht­stundentag beibehalten werden.

Diesem Vorschlag, der ein Teil des Ermächtigungsgesetzes werden sollte, stimmten in den Kabnettssitzungen auch die sozialistischen Minister zu, in der Sitzung der sozialdemokra­tischen Fraktion wurde er aber mit 61 gegen 53 Stimmen a b- gelehnt. Um nun zu Ende zu kommen, hat die Regierung .beschlossen, zurückzutreten. Dr. Stresemann wird bei der Neubildung aus den sehr notwendigen Sparsamkeitsgründen wahrscheinlich die Zahl der Ministerposten verringern.

Die Deutsche Volkspartei billigte in ihrer Frak­tionssitzung die Entschließung des Kabinetts in der Frage der Arbeitszeit, sie verlangte aber den Rücktritt Hilfer­din gs; diesem Finn7.zministLr könnten unter keinen Um­ständen die außerordentlichen Vollmachten des Ermächti­gungsgesetzes anvertraut werden.

Die Deutschnationale Volkspartei erließ einen Aufruf: Das Steuer müsse jetzt nach rechts geworfen werden. Der soUalMWe Marxismus habe Deutschland an

zum Kabinettwechsel

den Rand des'Verderbens gebracht und habe abgewirtschaf­tet- Die bürgerlichen Koalitionsparteien wollen ihn künstlich! am Leben erhalten. Jetzt sei Klarheit zu fordern. Schluß der Kompromißpolitik! Fort mit den Sozialisten aus der gierung! i

Die neuen Minister

Berlin, 4. Okt. In Reichstagskreisen wurde heute vou folgender Ministerliste gesprochen: Reichskanzler und Mini­ster des Auswärtigen: Dr. Stresemann; Wehrminister und Inneres: Dr. Geßler; Minister der Finanzen, Wirt­schaft und Arbeit: M i,n e u x (Generaldirektor der Stinnes- werke): Post und Eisenbahn: Henrich (Direktor der Deut­schen Werke, d. h. der ehemaligen staatlichen Fabriken). Justiz noch unbekannt. Das Ernährungsministerium soll em Führer des Reichslandbunds übernehmen, der abee noch seine Bedingungen stellen würde.

Im Reichstag finden seit heute morgen un unterbräche« Fraktionssitzungen statt.

Französische Stimmen zum Ministerwechsel

Paris, 4. Okt. Dis Mütter besprechen ausführlich de« Kabinettswechsel in Berlin. Stresemann versuche die Opera­tion vorzunehmen, die Herr v. Kahr in Bayern durchgeführk habe. Die neue Regierung Stresemanns werde nur ein Deck­mantel für eine militärische Regierung sein; eine Lösung der politischen Krise scheine sie nicht zu sein. Es sei nicht zu über­sehen, wie Stresemann eine Mehrheit im Reichstag zusam- menbrmgen könne. Bei der Ablehnung der Aufhebung des Acbtstundenta-gs sei bei den Sozialdemokraten die Sorge um Parteigrundsätze größer gewesen als die Furcht vor den Fol­gen der Ablesung; die sozialistischen Zugeständnisse haben dadurch jede Bedeutung verloren. Nunmehr seien denUn­bekannten" in der deutschen Republik die Tore weit geöffnet, diese Republik sei schon sehr krank.

tes Volk mit einem tiefen Verständnis für das, was sie ihrer Stadt und ihrem Staat schuldig sind. Sie werden es wieder lernen, zusammenzu halten. Dann werden Frankreich nud Belgien von der Ruhr vertrie­ben werden, und zwar ohne Entschädigungszah­lungen. Eine Garnison französischer Truppen, die 20 oder 30 Jahre lang deutsches Gebiet besetzt hält, ist eine undenkbar« Vorstellung. Rußland ist noch immer lebendig. Der Bolschewismus hat dieses große Volk nicht totgemacht. Ich glaube kaum, daß es seine europäische Politik verändern wird, so wenig wie die französische Revolution die Politik Frankreichs geändert hat. Wenn sich Rußland wieder er­holt, wird es über die Landesgrenzen, die man ihm in seiner Schwäche vorgeschrieben hat, noch einiges zu sagen haben. Dann werden Deutschland und Rußland über die nämlichen Leiden zu klagen haben, und daraus muß sich eine Ge­meinschaft ihrer Interessen ergeben. Frankreich kann die Wiederbewaffnung Deutschlands verhindern, Wer nicht die Wiederbewaffnung Rußlands durch die Deutschen.* Man kann dem früheren Ersten Minister Englands nicht abstreiten, daß er die französische Politik aus erster Hand kennengelernt hat und zu beurteilen vermag. Sein Ausblick in die Zukunft muh daher, so wenig hoffnungsfroh er ist, als nicht unbegründet betrachtet werden. ^

Neue Nachrichten

Die Murteilung des küskriner Putsche«

Berlin, 4. Okt. Zum Vorsitzenden dos außerordentlichen Gerichts in Kottbus, dem die Aburteilung der mit den Küst- rincr Unruhen in Zusammenhang stehenden Straftaten über- t agon ist, Landgerichtsdirektor Lampe in Kottbus. und zrrm Leiter der Anklagebehörde bei diesem Gericht, Landgerichts­direktor Henke in Berlin berufen. Das Gericht nimmt seine Tätigkeit alsbald auf.

Verhaftung

Berlin, 4. Okt. In der Nähe der Villa Maximilian H a r- dens im Grunewald wurde ein ehemaliger Tauchboot­matrose verhaftet, der außer 20 Millionen in deutschem Geld (!) in einer Tasche eine größere Summe in englischen PfUnden bei sich trug. Nach der B. Z. vermutet man, daß cs sich um ein Verbrechen ohne politischen Hintergrund handle. Das ist wieder eine merkwürdige Meldung.

verbot der kommunistischen Blätter in Sachsen

Dresden, 4. Okt. Das Wehrkreiskommando hat alle kom­munistischen Blätter in Sachsen wegen eines aufreizenden

Aufrufs, der die Reichsminister Sollmann und Hilferdtng beleidigte, auf unbestimmte Zeit verboten.

Der Staatsgerichtshof in Leipzig hat die Entscheidung ge­fällt, daß die Unabsetzbarkeit der Mitglieder des sächsischen Rechnungshofs mit der Verfügung nicht im Widerspruch stehe. (Ueber diese Frage bestand ein Streit zwischen den Parteien in Sachsen). ^

Verbot desvölkischen Beobachters" auch in Bayern

München, 4. Okt. DerVölkische Beobachter" ist heute vom Generalstaatskommissar-bis zum 14. Oktober einschließ­lich verboten worden, weil er trotz Verwarnung einen in der Wirkung an Landesverrat grenzenden Aufruf mit der Ueber- schriftArtilleristen, mach? euch bereit!" veröffentlicht hat. Dieser Aufruf bedeutet eine schwere außenpolitische Gefähr­dung des Deutschen Reichs. i

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Der Billionenraub

Essen, 4. Okt. Einem Voten der Zech«Bruchstraße" raubten dieFranzosen2 Billionen, auf der ZecheBis­marck" 1,2 Billionen, einein Eisenbahnschassner in Langen­dreer 1,4 Billionen Mark.

Die Belgier nahmen aus den Reichsbankstellen i« Aachen 56 Milliarden, in Jülich 36 Milliarden, in Stolbers 12 Milliarden Mark weg.

Aus der Reichsbankstelle in Krefeld holten die Belgier 1'/- Billionen Mark. In der Derlagsanstalt und Druckerei A.-G. in Mainz, die mit der Herstellung von Reichsbank­noten beauftragt ist, beschlagnahmten die Franzosen fertig­gedruckte aber von der Reichsbank noch nicht abgenommene Noten im Betrag von 1369 Milliarden Mark.

In Aachen verhafteten die belgischen Zollwächter eine Dame aus Holland, die 5 Billionen Reichsmark mit sich führte, weil der Betrag für die Unterstützung des deutschen Widerstands bestimmt sei.

Anklage auf Mordi

Düsseldorf, 4. Okt. Wegen der Kämpfe in Düsseldorf am letzten Sonntag, die von den bewaffneten Sonderbünd­lern herausgefordert waren, hat die französische Besctzungs- behörde ein Strafverfahren wegen Mords ein- geleitet gegen den Beigeordneten, Dr Haas, der das Poli­zeiwesen in der Stadtverwaltung vertritt, Polizeiobsrinspektor Höf er, Kriminalinspektor Wellenberg, ferner gegen den Kommandanten der Schutzpolizei Major Engel und gegen Leutnant Vogt. Das ist neben dem Krupp-Prozeß wohl das Höchste, was sich die Franzosen erlaubt haben. Und die Reichsregierung? *