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Gerurnf 179
Kammer 229
Wo bleibt England?
Reichskonferenz und Entschädigung .
Am 1. Oktober trat in London die zehnte britische Reicht» tonferenz unter dem Vorsitz Baldwins zusammen. Der englische Minister hat in den Reden, die er vorige Woche in einer Reihe von Hafen- und Industriestädten hielt, wiederholt mit Nachdruck erklärt, daß alle schwebenden Fragen der gegenwärtigen europäischen Politik von der Reichskonferen, ausführlich behandelt werden müssen. Das fiel allgemein au und aufmerksame Beobachter wollen darin ein Anzeichen ' sehen, daß Baldwin beabsichtige, aus der Umklammerung Poincäres, die bei der letzten Pariser Zusammenkunft vollkommen geworden zu sein scheint, in die stärkeren Arme des britischen Weltreichs zu flüchten. Aber das ist vorläufig nur eine schwache Hoffnung. Wie stehen denn heute die Dominions zu der „europäischen Frage" und welches Interesse bringt die jetzige Neichskonferenz der Ruhr- und Entschädigungsfrage entgegen?
Bei der ängstlich beschränkten Oeffentlichkeit der Sitzungen der Reichskonferenz wird nicht jedermann erfahren haben, daß in der letzten siebenwöchigen Tagung im Sommer 1921 tatsächlich sogar die oberschlesische Frage in den Bereich der Erörterungen gezogen wurde. Das war mehr, als Europa von den außenbritischen Ministerpräsidenten erwarten konnte. Aber weiter: Auf der Reichskonferenz Im August 1921 wurde der Grundsatz ausgestellt, daß künftig die Politik Großbritanniens der gemeinsame Ausdruck des Willens aller Völker des britischen Weltreichs kein müsse, nicht nur Englands, wie bisher. Die britische Diplomatie müsse alle Teile des britischen Reichs vertreten, sodaß für hie Zukunft das britische Reich mit einer Stimme spreche. Sodann wurde beschlossen, englische Außenpolitik in strenger Anlehnung an die Vereinigten Staaten zu machen. Im Verfolg dieser Beschlüsse kam England zum Schuldenausgleich mit Amerika. Aber so wenig Amerika seitdem praktisch zur Lösung der Ent- schädigungsfrags etwas beigetragen hat, so wenig ist die Frage praktisch bis jetzt von England'gefördert worden. Soll das nun auf der Reichskonferenz geschehen?
Die britische Reichskonferenz kann an der Entschädigungs- )rage schon deshalb nicht vorbeikommen, weil ihr Programm auch die Besprechung der großen Wirkschaftsfragen enthält, di« das ganze Weltreich betreffen. Diese Wirtschastsfragen sollen nach der neuesten Anordnung zwischen den großen Sitzungen der Konferenz fortlaufend von einem mit nur wenigen Mitgliedern besetzten beratenden Ausschuß behandelt werden. Der Wirtschaftsausschuß tagt unter der Leitung des Vorsitzenden des Handelsamts. Deutschland hat also allen Srund, trotz seiner inneren Wirren und Nöte, die jetzt beginnenden Verhandlungen in London genau zu verfolgen. Auch den britischen Dominions brennt die Gewoltpolitik Frankreichs und die dadurch geschaffene Zerrüttung der Weltwirtschaft aus den Fingern. Smuts, der Erstminister von Süd- Afrika, und Bruce, der Crstminister von Australien, haben bereits ihre Absicht kundgegeben, die Entschädigungsfrags und die eng damit zusammenhängende Frage der Verbands- sckmlden, wie auch die Ruhrfrage zur Aussprache zu stellen. Si« dringen auf eine gerechte und endgültige Entscheidung. Sie glauben, daß ein geschlossenes Auftreten des britischen Reichs mit der ganzen Wucht der Reichskonferenz die meiste Aussicht auf eine erfolgreiche Lösung biete.
Freilich,' Meinungsverschiedenheiten wird es in den Verhandlungen der britischen Reichskonferenz nicht wenige geben. Kanada z. B. fährt mit seiner Politik des Abseitsflehen« in europäischen Fragen ganz im amerikanischen Fahrwasser. Kanada bringt auch leider durch seine infolge Abstammung zum Teil französisch gerichtete Bevölkerung eine nicht sehr deutschfreundliche Stimmung mit. In Australien hoi der frühere Erstminister und Deutschenhasser Hughes, der sich vom Arbeiterführer zum Despoten reinsten Wassers entwickelt hat, dauernde Spuren seines Wirkens zurückgelas- se*. Cs ist überhaupt sehr die Frage, ob die Dominions auf den Wunsch Baldwins, ihn in einer selbständigen Entschädi- »ungspalitik zu unterstützen, sofort einashen. Als im September vorigen Jahrs Llotzd George englische Kolonialtruppen für den kieinasiatischen Feldzug der Griechen verlangte, lehnte der größere Teil der Dominions energisch ab. Die „Mobili- st-'rung" der britiscken Reichskonferenz zur Lösung der Ruhr- und Entschädigung: frage ist ein gewagtes Spiel Baldwins und für Deutz Amid wieder einmal eine Schicksalsfrage. Man fünu nicht hellimmt Voraussagen, ob «> zum Gilten ans- I-hlogen wird. —er.
mMWgmlgen und Kriegsschulden
?n Italien ist der Vertrag von Versailler von allen Bolks- Dlrstck-as.st-'n von Bedeutung von Anfang an als sinnlose
t MgeiMerlichktzi! HMLÜM Aller seihst AitÜ, jetzt
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WMbttz, Dienstag, den 2. Oktober 1923
Fernruf 179
58. Jahrgang
ine Kabinetts-Umbildung bevor?
Aufnahme der Deutsch-Nationalen in die Regierungs-Koalition?
Slresernomn sm Scheidewege
Berlin, 2. Okt. Der jetzige Führer der Deutschen Volkspsrlei im Reichstag. Abg. Scholz, hat an den Reichskanzler die Forderung gestellt, 1. daß die Regierung unter Hinzuziehung der Deutsch nationalen Volkspa r i e i nach rechts erweitert werde, 2. daß dis Regierung demgemäß um gebildet werde. 3. Sollte dies nicht geschehen, so werde dis Deutsche Vo-kspartei gegen das Er- mächtigunMgeseh (zur Vornahme außerordentlicher Maß- nahmen) stimmen.
Die Auflehnung der Partei gegen den eigenen Führer Lkresemann hak in parlamentarischen Kreisen großen Eindruck gemocht. Die Reichstagssitzung, die heute um 3 Ahr beginnen sollte und auf 8 Ahr vertagt worden war» ist weiter auf 9 Ahr verschoben worden.
Hochpolitische Verhandlungen?
Stuttgart, L. Okt. Dis „Münchener TelegMM verbreitet, zwischen Württemberg und Bayern schweben Verhandlungen; in Württemberg sei beabsichtigt, die Dsutschnati analen in die Regierungskoalition aufzunehmen. — Dazu teilt di« Presseabteilung des Württ. Staatsministeriums mit, daß die Nachricht au« der Luft gegriffen sei.
Aus Berlin erfahren wir, daß im Reichstag di« gleich« Anregung an di» Deutschnationalen erging. Dt« Deutsch, lationalen stellten mehrere Bedingungen, besonders stärker« Verücksichtigung der Landwirtschaft.
Der Reichskanzler hake eins längere Vehrrvchun« mit des Hhrern der Loalitionsparkeien. Das Zentrum ist für FcgM ' ung der gegenwärtige« Große« LoEtton. -Z
«ttl schärfster Gegner, hat oen „Unstnn" als Mmtsterprüst- rent damals mitgemacht. Mussolini hat den Ruhrsinbruch nicht nur geschehen lassen, sondern er hat in seiner ersten amtlichen Rede erklärt: „Deutschland kann zahlen und muß zahlen."
Die Erklärung für diese zwiespältige Haltung Italiens liegt in der Frage der Verbandskriegsschulden begründet. Die Verbandsstaaten sind für die Hilfe, die ihnen Amerika gewährte, den Amerikanern mit nahezu 40 Milliarden Goldmark verschuldet. Auf England entfällt von dieser Summe beinahe die Hälfte. England hat dafür aber bei den europäischen Verbandsstaaten Guthaben, die sich auf fast 37 Milliarden Goldmark belaufen. Das sind nur rund 3)4 Milliarden weniger als die Verschuldung der Verbandsstaaten an Ame-, rika beträgt. Würden sie bezahlt, so hätte England nach Bezahlung seiner amerckanischen Schulden noch 18 Milliarden Goldmark gewonnen- Seine beiden Hauptschuldner sind Frankreich und Italien. Frankreich schuldet den beiden angelsächsischen Mächten über 21)4 Milliarden und Italien etwa 16,6 Milliarden. Da aber Frankreich bei den kleineren Vcrbandsmächten Guthaben in Höhe von 7)4 Milliarden Goldmark besitzt, so hat es aus eigener Tasche nur 11 Milliarden zu zahlen. Italien hat somit mit 16,6 Milliarden Goldmark, die mit Zinseszins heute auf 19 Milliarden angelaufen sind, unter den Aerbandsstaaten die höchste Summe an das Ausland zu entrichten. Das sind nach heutigem italienischen Geld rund 90 Milliarden Papierlire, etwa dieselbe Sunime, die die innere Schuld des italienischen Staats beträgt. Die italienischen Gesamtschulden würden vielleicht ein Drittel d-s italienischen Nationalvermögens aufzehren, die auswärtige Schuld etwa ein Sechstel. Um die auswärtigen Schulden auch nur zu 5 v. H. zu verzinsen, mühten jährlich 1)4 Milliarden Papierlire aufgebracht werden. Mit Hilfe von strengsten Maßregeln ist der Fehlbetrag im italienischen Staatshaushalt nach Angabe des Schatzmimsters Stefan! auf anderthalb Milliarden Lire herabgedrückt worden, aber seinen Angaben werden, und wohl mit Recht, vielfach Zweifel enkgegengebracht. Es ist klar, daß Italien die Summen unmöglich zahlen kann. Seine Einfuhr an Lebensmitteln steigt da seine Bevölkerung sich jährlich um beinahe eine halbe Million vennehrt, von Jahr zu Jahr: es muß die teure englische Kohle und das teure amerikanische Getreide kaufen, das dadurch noch teurer wird, daß die Amerikaner vor den italienischen Einkäufen in unbarmherziger Weise den Wechselkurs senken. Durch Fremdenverkehr und Auswanderung (sie ist nach dem Dollarland nahezu unterbunden) kommt heute bei weitem nicht so viel ein wie vor dem Krieg. Die gesamte Industrie befindet sich in einer Krise, und die Ausfuhr der italienischen Landeserzeugnisfe hat nach dem finanziellen Zerfall von Mittel- und Osteuropa seine eigentlichen Absatzgebiete verloren. Die äußere und innere Lage, die für Italien nach dem Krieg entstanden ist, zwingt es, zwei Heere aus den Beinen zu halten: die reguläre Armee, die über 3 Milliarden Lire verschlingt, eine Summe, die, weil Italien dem bis an die Zähne bewaffneten Frankreich und dem in Waffen starrenden Kleinen Verband gegenübersiehi, für die militärische Verteidigung der italienischen Interessen noch dazu ungenügend ist. Ferner die fasz stische Nationalmiliz,' die zahlenmäßig stärker als die reguläre Armee ist, und, wenn sie auch weit weniger kostet, doch immerhin stattliche Summen verbraucht.
Der eigentliche Wert der Entschädigungskrags für Italien liegt in der Tatsache, daß diese auf dir be-den angelsächsischen Mächte, in erster Linie England und in zweiter Amerika, wirtschaftlich drückt und sie deshalb veranlaßt, die Frage durch Herabsetzung der dsutschrn C: tschadigungen aus der Welt zu ickalleir. LttM» erlangt d adurck die.Müs^chkeit,
die Herabsetzung der Entschädigungen cm VG H-eradstchunH der Kriegsschulden zu knüpfen, mit anderen Worten die Ent» schädigungs- und Kriegsschuldensrage miteinander zu vcr- koppeln. Es will auf seine ausländischen Guthaben nur ver-, zichten, wenn es dadurch seine ausländischen Schulden loh wird. Deshalb behauptet man, ganz gleich, ob man barm; wirklich glaubt oder nicht, daß Deutschland sich finanziell selbst! ruiniert habe, daß es aber wirtschaftlich in der Lage sei, zu' zahlen, und daß es deshalb zahlen müsse. Aus diesem Grunds hat es im Wiederherstellungsausschuß bisher immer mit denk Belgiern und Franzosen gestimmt. England gegenüber hak diese Politik bereits Erfolg gehabt. In dem Vonar Lawscherv Plan hat die englische Regierung unter der Voraussetzung, daß Italien der Herabsetzung der Entschädigungen auf 50 Milliarden Goldmark zustimms, auf die italienischen! Kriegsschulden (11 Milliarden Goidlire ohne Zinsen), ver-, zichtet. Italien ist auf diesen Vorschlag nicht cingegangen, weil Vonar Law von Italien forderte, daß sein Anteil an dem Entschädigungen auf 1 Milliarden verringert rverde, und daß es von diesen noch 1)4 an England abtreten und auf di« halbe Milliarde Lire, die während des Kriegs nach London, gebracht worden war, endgültig verzichte. Von den 13 Ent- fchädigungsmilliarden wären Italien somit nur 2, d. h. 2)4 Milliarden Goldlire geblieben, während die Schulden bei den Vereinigten Staaten ohne Zinsen 9 Milliarden betrage«. *
Außen und Junen.
Die liberal-- Presse Englands fährt fort, Baldwin «n- rugreifen. AirS allen derartigen Aeußerurm»': geht die Tatsache Herbor daß man di: NcsthSkoni renz abwarten will, und daß man es Baldwin verübelt, weil er mit Kundgebung schon vor der ReickMonfercnz hervorge- treten ist und dabei Frankreich zu weit entgegengekommen sei. Der Argwohn, daß in Pari-; von englischer Seite doch mehr zugestanden sein könnte, als bisher bekannt wurde, bleibt aufrecht, stützt sich auf den seiner- zeiligen Trinmpf der französischen Presse und läßt sich durch die offiziösen Versickerungen nicht beseitigen. Die liberale Presse, die in diesen: Falle vielleicht auch die Meinung bestimmter Kr-nse der konservativen Partei zum Ausdruck bringt, stellt die nämliche Frage, die auch wir immer zir stellen haben: ob nämlich die Sicherheit besiehe, daß Frankreich nur zu Reparationszwecken ins Ruhraebiet gegangen sei. Die Methode, die Frankreich airgewendet habe, s-i durchaus ungeeignet gewesen, einen Zahiungswillen heroeizuführen; ihre natürliche Folge sei der Widerstand gewesen. Dennoch ist man in England der Meinung, wenigstens in offiziösen Kreisen, daß Deutschland aus inneren Gründen den Widerstand habe ausgeben müssen: dahinter steht offenbar der Gedanke, daß mit dem Widerstand der letzte Vorwand Frankreichs gefallen sei, der eure offene Erklärung über die wahren Ziele Poincäres bisher verhindert habe. Die Nachricht, daß englische Sachverständige einen Repara- lionsplan auSarbeitcn, hängt vielleicht doch mit den Gerüchten zusammen, die über die Pariser Zusammenkunft zwischen Baldwin und Poincare verbreitet waren; sollte es richtig sein, daß Baldwin die französisckie Forderung nach 26 Milliarden Goldmark unter Verzicht. Englands auf den Vertti'ung: schlösset von Spa au- «ckamlt bat- Han« wäre e§ tgtsäMick nLtürlich, wenw