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(Enztalbote)

Amtsblatt für W^düad. Chronik und Anzeigenblatt

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Druck der Buchdrackerei Wilddader TagblatL; Verlag und Schriftleitung Th. Gack irr Wildbad.

Nummer 163

Fernruf 17V

Wildbad, Montag, den 16. Juli 1923

Fernruf 170

Ruhrkrieg und Lürkensrieden

Der Krieg an der Ruhr und der Frieden von Lausanne der nun endlich unterzeichnet werden sott, stehen miteinan der in engerem Zusammenhang, als es bei oberflächlichem Betrachtung wohl erscheinen möchte. Ein Zusammenhang be­steht aber auch zwischen dem Friedensschluß und der Tat fache, daß England seine Politik derwohlwollender Schwäche" mit der Erklärung Baldwins im Unter Haus am 12. Juli abgeschlossen hat. Und dieser Zusammen hang ist nichts weniger als zufälliger Art. Baldwin hat mi der Erklärung nur gewartet, bis er die Sicherheit hatte, das die türkische Regierung in Angora Jsmed Pascha ermächtig habe, den Friedensvertrag zu unterzeichnen.

Auch das Werk von Lausanne .st natürlich nicht für du Ewigkeit. Aber wenn der Vertrag zwischen Türkei und En­tente unterzeichnet ist, dann wird der erste, anständige unk vernünftige Friedensschluß im Weltkrieg zustande gekommen sein. Denn er ist das Ergebnis einer Verhandlung unter Gleichberechtigten, niemand stimmte gezwungen zu sondern jeder der Beteiligten hat ausgiebig Zeit gehabt, sich zu überzeugen, daß unter den gegebenen Umständen seine Interessen durch freie Unterschrift am besten wahrgenommev werden. Auch bei den Türken hatte es mir dem üblichen Dik­tat, dem sogenannten Vertrag von Sevres. angefangen. Nachdem Deutschland sich unterworfen und Freiheit, Ehre und Wehr für die erste der berüchtigtenAtempausen" verkauf! hatte, nachdem Oesterreich und Bulgarien sich unterworfen hatten, glaubte mau, mit der Türkei leichtes Spiel zu haben Aber die Türken, die nicht erst seit 1914. sondern seit 1911 unter den Waffen standen, auch nach dem italienischen Raubkrieg gab es einenFrieden von Lauanne" dachten nicht daran, die anmutige Operation der Selbstentmannunc zu vollziehen. Sie erklärten, daß sie eher untergehen, als ein Diktat unterzeichnen würden und sofort hatten sie Bun­desgenossen. Da war erstens der Sowjet-Zarismus, der wenn er schon das Erbe des Romanow-Zarismus in bezug auf Konstantinopel und die Meerengen nicht selbst antreten konnte, diese doch lieber im Besitz der Türken als der Eng­länder sehen wollte. Da war zweitens Frankreich, das für dieHeiligkeit und Unverletzlichkeit" der Diktate sonst wie ein Löwe kämpfende Frankreich! Es gedachte an der Türkei einen schätzbaren Bundesgenossen gegen England zu gewin­nen, der dem britischen Leuen am Euphrat aus den Schwan? treten könnte, wenn er am Rhem das Maul zu weit auf- risse. Lloyd George, der unübertreffliche Demagoge, vertat die englischen Orientintersssen mit der gleichen staats- männischen Kurzsichtigkeit, womit er dis englischen Festlands- inieressen vertreten hatte. Er hielt die Türkei tür erledigt und Englands Stellung im Orient für gesichert. Den Türken hetzte er die Griechen aus den Hals, ohne die Griechen doch so zu unterstützen, wie die beiden feindlichen Brüder, Ruß­land und Frankreich, die Türken unterstützt hatten. Nach äußerster Kraftanstrengung unterlagen die Griechen, und die Türken bewiesen ihren mitteleuropäischen Bundesgenos­sen von ehedem dur.ch die Tat, daß ein Volk erst dann ver­loren ist, wenn es sich selbst aufgibt.

England, das der eigentliche Verlierer !m Orientkcieg zu werden drohte, schob den großen Kriegsdiktator und argen Friedenspfuscher Lloyd George beiseite, und die Außenpo­litik kam in die Hände des alten Orientpoliükers Curzon. Er vollzog so geräuschlos wie möglich dis Umstellung, die ihm Griechenland durch Revolution und Ministermord er­leichterte. Als man, im November vorigen Jahres, in Lau­sanne zusammenkam, war freilich noch keineswegs entschie­den, mit wem die Türken das Geschäft machen würden, ob mit Frankreich oder mit England. Curzon versuchte es mit einer Art von Ultimatum, das er den Türkeniw Namen der Verbündeten" stellte. Aber der treue Verbündete Poin­care, der große Konferenz-Sprenger, gab den Türken zu verstehen, das sei nicht so böse gemeint, Frankreich sei auch zu einem Sonderfrieden bereit. Don diesem Dolchstoß inden Rücken der Ententepolitikdatiert der fortschreitende Umschwung der öffentlichen Meinung Englands gegenüber Frankreich. Ob Poincare heute anfängt zu begreifen, weshalb Donar Law ihm, als er sich Anfang Januar in Paris von ihm ver­abschiedete,viel Glück zum Einmarsch ins Ruhrgebiet" wünschte? Der englischen Politik, die im Orient sich umzustel­len im Begriff war, um das Spiel wieder w. die Hand zu bekommen, konnte nichts angenehmer sein, als venn Frank­reich seine ganze Kraft im Ruhrgsiüet sestlegte.

Mitte Februar lief die Konferenz von Lausanne ausein­ander, Ende April war sie wieder beisammen. Inzwischen war zweierlei geschehen: England hatte mit Amerika ein Abkom­men über seine Kriegsschulden geschlossen, und Angora hatte dem amerikanischen Petrolcumkapital die Konzession für einen Bahnbau von Smyrna gurr durch Kleinasien er­teilt. Und das Ruhrabenteuer, dem Poincare eine Dauer von 814 Tager- -geben *mtte und an dMen Eiche er irgend eine

5«. Jahrgang

Tagesspiegel

Die Absperrung im besetzten Gebiet wird in der Nacht Zum 16. Juli 12 Uhr aufgehoben.

In Äukar ist ein Anschlag zur Ermordung der Königs- samilie entde worden. Zahlreiche Kommunisten wurden verhaftet. Für bevorstehende Abreise des Königspaares nach Paris sind außerordentliche Sicherungsmahnahmen ge­troffen worden.

lmkssozialistr>cye Regierung in Deutschland auf den Knien lie­gen sah. dauerte immer noch an, und ein Ende war nicht ab­zusehen. Von den zwei Hasen, die Poincare gleichzeitig zu jagen sich stark gemacht hatte, dem im Orient und dem an der Ruhr, war ihm der orientalische bereits durch die Lappen ge­gangen. Die Zahlung der Schuldzinjeü in Eoldsranken, dis Frankreich der Türkei im Friedensvertrag aufzwingcn wollte, kommt nicht hinein. Das ist für die französischen Finanzen ein böser Schlag, denn mit welchen Mitteln will Frankreich die Türken noch zur Zahlung in Gold zwingen, wenn der Friede erst ohne diese Bedingung geschlossen ist? Wenn Frankreich trotzdem der Unterzeichnung des Friedens zu- stimmt, so sieht man erst, wie völlig der Ruhrkrieg seine Kräfte gebunden hält. Der passive Widerstand D e u t s ch l a n d s ist es, der den Türken, neben ihrer eignen Ausdauer, endlich den Frieden in Ehren bringt.

Kommt der Friede so zustande, wie man in England als sicher annimmt, dann darf sich L o r d C u rz o n alsSieger van Lausanne" fühlen. Und man versteht, weshalb die eng­lische Regierung so großen Wert daraus legt, Frankreichs Empfindlichkeit in der Ruhrfrage nicht zu verletzen. Der Sie­ger von Lausanne möchte dem Besiegten von Lausanne den er ja vorher A"r ersten Fesilandsmacht aufgepäppelt hatte goldene Brücken bauen. Vielleicht auf Kosten Deutschlands. Aber dabei hätten wir dann ja auch noch ein Wort mitzu­reden. Das Beispiel der Türken von Angora, die Ehre und Freiheit dem brutalen Machtgebot nicht opferten, ist für den passiven Widerstand, den Deutschland nun 'chon in den sie­benten Monat hinein leistet, nicht verloren gewesen. Es sollte uns auch weiter vor Augen stehen: nur keine Waffe aus der Hand legen, ehe man sicher weiß, wofür. Dann mag die Be­endigung des Zwistes im Orient noch von -mter Vorbedeutung werden für die Beendigung der Menschenschinderei im Rubr- gebiet.

Vom Nuhrkrieg

§2 Milliarden geraubt das war des Pudels Kern

Barmen» 15. Juli. Der Zweck des Vorstoßes der Fran­zosen nach Barmen war, wie jetzt bekannt wird, ein ganz ge­wöhnlicher Jndianer-Raubzug. Nach derBergisch-Märki- schen Zeitung haben die Franzosen aus öffentlichen Kassen und aus der Reichsbank etwa 80 Milliarden Mark geraubt. Im Rathaus soll ihnen eine Milliarde in die Hände gefallen sein. Außer dem Reichsbankdirektor Dr. Krusius haben die Franzosen auf ihrer Retirade noch den Oberleutnant der Schutzpolizei Johann und einige Polizeileute als Ge­fangene weggeschleppt.

Die Franzosen geben an, sie haben Strafe geübt für die Verhaftung französischer Soldaten durch deutsche Polizei. (In Rousdorf, im unbesetzten Gebiet, waren einige plün­dernde Franzosen von der deutschen Polizei ergriffen und ins besetzte Gebiet abgeschoben worden)

Ausweisungen

Duisburg, 15. Juli. Aus Duisburg sind am 13. Juli 103 Eisenbahners a m i l i e n, aus Oberhausen 30 Eisen- bahnersamilien und aus den Kolonien Wedda und Bissing­heim 132 Familien, zusammen weit über 1000 Personen, vertrieben worden.

In Essen wurde ein französischer Fesselballon in Stel­lung gebracht. InMülheima. Ruhr wurde die Truppen­parade anläßlich des Revolutionsfestes abgesagt und die Be­satzung in Kriegsbereitschaft gehalten.

Aranzosenleichtfinn

Bochum, 15. Juli. Ae Franzosen hatten auf dem be- jetzten Bahnhof m Langendreer 80 Güterwagen zu­sammengekoppelt stehen. Aus irgendeiner Ursache gerieten die ungebremsten Wagen ins Rollen und liefen aus dem abfallenden Schienenweg nach dem in deutscher Verwaltung stehenden Bahnhof Bochum-Nord; zum Glück bemerkten die Beamten rechtzeitig die anrollenden Wagen und leiteten sie auf ein Kopfgleis, sonst wäre ein furchtbares Unglück ent­standen. Immerhin wurden 20 Wagen vollständig zertrüm­mert und die Gleise und Rampen zerstört.

Neue Nachrichten

Wertbeständige Entlohnung

Berlin, 15. Juli. In weiteren Besprechungen des Reichs­arbeitsministers mit de» Vertretern ' der Arbeitgeberver­bände stimmten letztere der Entschließung des Neichswirt- schastsrats über wertbeständige Löhne zu. Der Minister wird nun auch die Zustimmung der Gewerkschaften zu der Ent­schließung herbeizuführen versuchen, um eine Grundlage für Tarifverträge zu schaffen.

Aufforderung zum Bürgerkrieg

Berlin, 15. Juli. Die Hauptleitung der Kommunistischen Partei Deutschlands sagt in einem Aufruf:Die Partei muß ihre Organisation so schlagkräftig machen, daß sie auch im offenen Bürgerkrieg in keinem einzigen Bezirk versagt. Die Partei wird in den kommenden Tagen oder Wochen die Feuerprobe ablegen müssen." In derNiedersächsischen Ar- beiterzeiung" (Hannover) wird zu einer großen Kundgebung des Proletariats am 29. Juli aufgerufen. In der Woche vom 22. bis 28. Juli soll die Kundgebung durch Aufklärung und Mobilisation so vorbereitet werden, daß der 29. Juli zu einer proletarischen Heerschau werde. Gleichzeitig sollen solche Kundgebungen in Vraunschweig, Goslar, Bielefeld und Min­den veranstaltet werden. Die Blätter behaupten, daß es sich um ein französisches Manöver handle.

Das Sinken des Franken

Paris, 15. Juli. Im Pariser Stadtrat wurde gestern ein Antrag, den Tagelohn der städtischen Arbeiter um 5 Franken zu erhöhen, abgelehnt, weil er das städtische Budget jährlich um 35 Millionen gesteigert hätte. Auch ein Vermittlunas- antrag, die Hälfte zu bewilligen, wurde abgelehnt. Daraus warfen städtische Arbeiter von der Galerie Stinkbomben in den Saal. Ae Lust war derart verpestet, daß !»e Sitzung geschloffen werden mußte.

Schiedsspruch des Völkerbunds?

Paris, 1L. Juli.Ere Nouvelle" will wissen, der franzö­sische Ministerrat habe es nicht aügelehnt, an der gemein­samen Antwort auf die deutsche Note vom 7. Juni "sich zu beteiligen. England wünsche einen Schiedsspruch des Völkerbundes, was man in Paris jetzt für annehmbar zu halten scheine.

Die Sachverständigenkommission

London, 15. Juli. Der diplomatische Mitarbeiter des Daily Telegraph" schreibt, die Sachverständigenkommission, die die Leistungsfähigkeit Deutschlands zu prüfen haben w^rde, werde nicht sozusagen eine selbständige Behörde sein, sondern als Unterausschuß der Entschädigungskommission mit einem Amerikaner als Vorsitzenden arbeiten innerhalb des Rahmens, der durch den Vertrag von Versailles gegeben sei. Diese Form werde von allen Verbündeten angenommen werden. Die von Deutschland angebotenen Sicherheiten haben große Aehnlichkeit mit den Vorschlägen der belgischen Sachverständigen.

Ehrhardt entflohen

Leipzig, 15. Juli. Der wegen Beteiligung am Kapp-Putsch in Untersuchungshaft befindliche Korvettenkapitän a. D. Eh r- h a r d t ist am Freitag nachmittag ausdem Gefängnis entkommen.

Ehrhardt hatte wegen der schwülen Hitze ein Bad ver­langt, das ihm auch gewährt wurde. Cr befand sich allein im Baderaum, der sich im Erdgeschoß des Untersuchungsgefäng­nisses befindet, während seine Zelle im dritten Stock liegt. Als dem Aufseher die Badezeit zu lange dauerte, wollte er Nach­sehen, fand aber zu seinem Erstaunen den Baderaum leer. Sofort wurde Lärm geschlagen, alle Ausgänge besetzt und jeder Raum des Gefängnisgebäudes wie des durch einen Gang mit ihm verbundenen Amtsgerichtsgebäudes durchsucht, die aufgebotene Polizei umstellte die Gebäude. Keine Spur wurde gefunden. Die Ausgänge des Gefängnisses sind stets mit Gittertüren von 1 Zoll Stärke und mit doppelten Eichen­türen gesperrt. Alle Türen waren unversehrt. Eine Haus­türe mußte mit einem Nachschlüssel geöffnet worden sein. Die Doppelgittertüre fand man unverschlossen. Offenbar ist Ehr­hardt über den Verbindungsgang, der von außen mit stecken gelassenem Schlüssel wieder geschlossen wurde, so daß man ihn vom Gefängnis aus nicht hätte verfolgen können, ins Amtsgerichtsgebaude gelangt, von wo er sich ungehindert ent­fernen konnte, bevor Lärm geschlagen wurde. Die rätselhafte Flucht ist ohne Zweifel von außen her von Helfern ins Werk gesetzt worden.

Ehrhardt befand sich seit 30. November v. I. in Unter­suchungshaft in der Leipziger Gefangenenanstalt, in der auch Oberleutnant Roßbach untergebracht ist. Gegen beide sollte am 23. Juli die Verhandlung vor dem außerordentlichem

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