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Druck der Buchdruckerei Wilddader Tagblatt; Verlag und Schriftteituag Th. Gack in Wildbad.

Nummer 162

Fernruf 179

Politische Wochenschau

Am 11. Juli war ein halbes Jahr vergangen, seit franzö­sische und belgische Truppen in das Ruhr gebiet ein­gebrochen sind wider Recht und Vertrag. Unzählige Opfer dieser niederträchtigen Gewaltpolitik Poincares, der der ei­gentliche Anstifter ist, sind auf der Strecke geblieben; 75 000 Deutsche wurden in barbarischer Weise aus der Heimat ver­trieben, unzählige Hauswesen sind zerstört, unmenschliches Leiden ist die Geschichte der sechs Monate für die Ruhrbe- völkerung. Aber groß und herrlich wie am ersten Tag steht chv Wille da, trotzdem die französischen und belgischen Scher­gen Schandtaten auf Schandtaten häuften, sich nicht zu beu­gen und unterdrücken zu lassen. Die Männer und Frauen an Ruhr und Rhein wissen, daß es in diesem Kampf um mehr geht, als um Kohlenlieserungen; sie wissen, daß der Schlag Frankreichs gegen den Bestand D.urschlands, gegen seine Schönsten und reichsten Lande gerichtet ist. Und aus diesem Bewußtsein schöpfen sie die unverwüstliche Kraft zu ihrem passiven Widerstand. So hat sich unter feindlichem Druck eine Standhaftigkeit und Treue, ja in zahllosen Fällen ein Heldeninut gezeigt, den man noch kurz vorher nicht für möglich gehalten hätte.

Ganz Deutschland hat seine Teilnahme bekundet, nicht als mitleidsvoller Zuschauer, sondern als mitleidendes Volk. An keinem Teil des Vaterlandes ist das Ruhrverbrrchen vor­übergegangen. Es hat über uns alle schwere Leiden ge­bracht. Die schwebende Reichsjchuld von 25 000 Milliarden Mark, der Notenumlauf der Reichsbank von 20000 Mil­liarden, ein Goldzollaufgeld von 3 619 900 Prozent, das Herabsinken des Markwerts auf annähernd den 200 000sten Teil eines Dollars, die entsprechenden Preistafeln und ein Blick auf die Lebenshaltung zumal der mitt­leren Schichten des Volks zeigt die Größe des in gan^ Deutschland von den Franzosen angerichteten Elends. Heber! Deutschland hinaus klagt aber die ganze Welt über Ver-! schlechterung des Wirtschaftslebens. Lange genug haben diej Sioatsmänner das Unheil tatenlos mitangesehen. Weder der! feige, brutale Vertragsbruch, noch die Scheußlichkeiten der, Einbrecher haben ihr Blut in Wallung gebracht. Erst als ihr Geldbeutel in Mitleidenschaft gezogen wurde, haben sie dem Ruhreinfall größere Aufmerksamkeit gewidmet. Zuerst wurde die deutsche Reichsregierung vorgeschickt, und schweren Herzens und anfangs mit üblem Mißerfolg hat das Kabinett Evno den Auftrag übernommen und sich an die Mächte ge­wendet.

Daraus entwickelte sich dann der diplomatische Zweikampf zwischen England und Frank­reich, der in jenem Fragebogen der englischen Regie­rung den Gipfelpunkt erreichte und der die ganze Welt in Spannung versetzte. England ließ schwerstes Geschütz auf- fahren, wochenlang gingen die dip.omatischen Verhandlungen hin »nd hir. die Blätter führten einen Truckerschwärzekrieg, der ßie berühmtesten Zeilen Lloqd Georges übertrumpfte. Die Einkreisung Frankreichs und der Sieg Bald- wins schienen unabwendbar. Baldwin bekam vom Unter­haus die starke Vermehrung der englischen Luftwehr, die sich geeen die französische Uebermucht richtete, glatt bewilligt; Italien entfremdete sich Frankreich zusehends und neigte England zu, Belgien war wenigstens schwankend geworden. In den Verhandlungen auf der Friedenskonferenz in Lausanne erfuhr die maßlose Politik Poincares eine schwere Niederlage Die Konferenz hatte am 21. November 1922 begonnen, war am 7. Februar 1923 durch Frankreichs Schuld abgebrochen und am 23. März wieder ausgenommen worden. Am 9. Juli einigten sich die Verbündeten, das Ab­kommen anzunehmen, das den türkischen Forderungen fast durchweg Rechnung trägt. Dieser beträchtliche Erfolg der Türken ist neben der Festigkeit Jsmed Paschas dem Umstand zuzuschreiben, daß England die französische Politik nicht mehr mitmachte. Poincare hat sich die neugewonnene türkische Fr Kundschaft verscherzt, dafür ist England in den Geruch der Türkenfreundlichkeit gekommen, und es wird daraus Kapital zu schlagen wissen.

Der Versuch Poincares, das Ein preisen des Pap­stes in den Ruhrstreit zu seinen Gunsten ouszu schlachten, ist gänzlich mißglückt. Während cr zuerst dem bekannten Brief des Papstes an den Kardinalstaatssekretär Eofparri die Deu­tung unterlegt batte, als ob der Papst eine Zahlungsflucht Deutschlands'habe feststellen und tadeln wollen, mußte ^er in Ser Abgeordnetenkammer zugeben, daß des Papstes Tadel gegen die fronzösche Ruhrpolitik gerichtet sei und nun wurde er grob und meinte das Ruhrunternehmen gehe den Papst gar nichts an Ob dann das Telegramm cm dm Münchener Nuntius, in dem dieverbrecherische' Sabotage vrurteilt wurde, auf französischen Einfluß im Bat'.kan zurück­zuführen war, ist dunkel; als erwiesen ist cnnu sehen, daß me Unfreundlichkeit gegen Deutschland, daß das Telegramm gegen allen diplomatischen Brauch in ausländischen Zeitungen veröffentlicht wurde, als es kam,, in München -ingctroffen war, ehre französische Tm om -ruckt die Emschnrggge-

WUdbad, Samstag, den 14. Juli 1923

Tagesspiegel

Tie Baldnnnsche Neg:rr.::^° erklär,mg findet in Frankreich starke Ablehnung und wird als ein Schlag gegen die französische Ruhrpolitik empfunden.

Im englische» Oberhaus erklärte Greh -er Mili­tarismus sch' h: keine Nation. Ter französische Mili­tarismus sei die größte Gefahr für die französische Si­cherheit.

Poincare hat durch seine Einbrnchshecre Barmen t-oriibcrgech:;:d besetzen lassen,was als Temonstration auf die Er7. n Baldwins angesehen wird.

Auch sonst mehren sich die Porstöße der französischen Einbruchstrrrppen und die scharfen Repressalien in Tnisbnrg und anderen Städten.

In Lc:don hat der tschechische Ministerpräsident Tr. Benesch im Reparationskonflikt eine Vermittlung in Form einer Saniernngsaktion für Teutschland nach dem Vorbild Oesterreichs vorgeschlagen.

lung des Ausdrucksverbrechrrssch" mit französische Arbeit sein. Uebrigens hat der Papst sofort, als er von den barba­rischenSanktionen" hörte, die wegen des Duisburger Eisen­bahnunfalls gegen verschiedene Städte verhängt werd-n soll­ten, in Paris und Brüssel entsckst-derw Vorstellungen erheben lassen, was ihm. wenigstens von Poincare, wieder sehr übel genommen wurde. Von den; angeblichen päpstlichen Tadel gegen Deutschland ist im gegnerischen Lager nichts mehr zu huren. Und sie haben allen Grund, zu schweigen. Man hört ja nun. daß der Anschlag gegen den. belgischen Urlauberzug wenn nicht von Belgiern selber, lo doch von einigen An­archisten verübt worden sei, u cker denen ein Franzose sich befunden habe. Mitdeutschen Verbrechen", die inan so gut hätte brauchen können, um sie gegen die englischen Ein­wendungen auszuspielen, scheint es also nichts zu lein.

Gänzlich verfehlt war vollends der Aufmarsch des fran­zösischen Botschafters und des belzsichen Geschäftsträgers beim Reichsminister von Rosenberg und das Verleimen, die Reichsregierung solle öffentlich erhören, daß sie dieverbre­cherische Sabotage" >m besetzten Gebiet verurteile. Das sollte das amtliche Eingeständnis sein, daß d'e Reichsregierung den Duisburger Vorfall als ein von Deutschen began­genes Verbrechen zugebe. Der Minister ging aber nicht in die Falle. Er erwiderte den beiden schlauen Dipl»' amten, da die Besatzungsbehörden der deutschen Polizei die Beteiligung an der Untersuchung des Falles untersagt haben, Hobe die Regierung davon nur durch Zeilungsberichte Kennt­nis erlangt, sie sei also nicht in der Lage, sich ein Urteil zu bil­den, geschweige denn eine deutsche Schuld einzuräumen. Die D'plomaten drohten, sie werden Berlin verlassen. Ein Achsel­zucken war die Antwort. In Deutschland würde man ihnen keine Träne nachweinen.

Am meisten hat es aber Poincare bedrückt, daß es der englischen Politik gelungen zu sein schien, in dem diploma­tischen Kampf gegen Frankreich di: V e r e i n i g t en S t a a- ten auf ihre Seite zu ziehen. Manche Anzeichen sprachen da­für. Da griff Poincare zu einer L i st. Die amerikanische Re­gierung hat Frankreich trotz aller Franzosenliebe nicht ver­zeihen können, daß es die berühmte Washingtoner Ab­rüstungskonferenz, auf die Präsident Har - ing sich so viel einbildete und die er als Schlagwort für die bevor­stehende Prädentenwahl notwendig braucht, so gut wie nutz­los gemacht hatte, indem Frankreich die auch ihm in dem Abkommen auferlegte Einschränkung der Flottenrü- stu n g bisher nicht anerkannt hatte. Poincare ließ nun schleu­nigst am 7. und 11. Juli das Abkommen durch Kammer und Senat bestätigen. Er erklärte aber gleich in der Kam­mer:Wenn der Tag kommt, wo Frankreich seine Freiheit (von dem Abkommen) beansprucht, so möchte ich den sehen, der ihm diese Freiheit nehmen wollte!"

Aus dieser Hinterhältigkeit der französischen Po­litik geht schon hervor, daß die Bestätigung des Flottenab- cüstungsabkommens auf die Abrüstung des Landheers läßt die französische Regierung sich überhaupt nicht ein sachlich von geringem Wert ist, um so größer ist die p ol i- tische Tragweite. Poincare bekommt bei den Ameri­kanern einen großen Stein ins Brett, sintemal eine Hand die andere wäscht. Auch der englischen Politik gegenüber war der Trumpf nicht schlecht gewählt Nicht nur in seiner Partei, sondern in der Regierung selbst hat der englische E'stminister mit Widerständen zu rechnen von Leuten, die ebenso franzosenfreundlich wie deutschfeindlich sind. Zwei­fellos ist dieser Widerstand durch dasEntgegenkommen" der Franzosen in der Abrüstungsfrage gestärkt worden. Da- ;u kommt, daß plötzlich einmal w eder der tschechoslowa-

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58. Jahrgang

kische Außenminister und frühere Professor Dr. Benesch, ein gewiegter Diplomat von Natur, in Paris und London aufgetaucht ist, zur Freude, wenn nicht auf Bestellung Poin- cares. Benesch pflegt immer 'la in zu erscheinen, wenn die Entente, dasherzliche Einvernehmen" auch äußerlich in die Brüche zu gehen droht. Er ist besser als sonst jemand davon unterrichtet, was sich in Deutschland abspielt und im Rat lcr Verbündeten hat seine Meinung hohe Bedeutung. Und diese ist: Das gute Einvernehmen zwischen Paris und Lon­don ist die unbedingte Voraussetzung für die Aufrechterhal- tnng von Ordnung und Frieden in Mitteleuropa; Die Auflösung des Verbands wäre eine unmittelbare Be­drohung der Tschechoslowakei. Nun, in Paris war man,, wie immer, von dem Besuch des weisen Mannes sehr be-i friedigt und auch in London hat er eine gor freundliche Auf-! nähme gefunden, er wurde sogar von Lord Curzon zu Tisch geladen.

Es mag sein, daß Benesch au? die Abfassung der Er­klärung, die Erstminister Baldwin am Donnerstag nachmittag im Unterhaus zur Entschädigungsfrage abgab urd die kurz vor der Veröffentlichung noch dem Ministerrat vorgelegt wurde, hinsichtlich der Form einige Beeinflussung ausgeübt hat, denn die Erklärung ist in überaus ruhigem Ton gehalten und vermeidet jeden Ausdruck, an dem man sich in Paris etwa stoßen könnte. Baldwin weist nachdrück­lich darauf hin, daß die wichtigste Frage in Europa die endgültige Regelung der deutsch-n Kriegsntschädigung und die Wiederherstellung der Sicherheit sei. Deutschland soll nichts geschenkt werden, es soll zahlen bis zur äußersten Möglichkeit. Aber der Weg der Gewalttätigkeit, den Frank­reich eingeschlagen hat, führte nicht nur nicht zu diesem Ziel, sondern verschlimmere die Lage, indem Deutschland durch die Ruhrbesetzung immer zahlungsunfähiger gemacht werde, England habe diese Folgen vorausgesehen und Frankreich mrgebens gewarnt. Deutschland scheine setzt selbst absicht­lich auf seinen wirtschaftlichen Zerfall hinzuarbeiten. Hier glaubt man Poincare oder Bsnejch zu hören. Tatsächlich sei jetzt der Frieden in Gefahr und England halte sich ver­pflichtet, ohne Verzögerung eluzugceisen, in der Absicht. Frankreich und Belgien zu helfen. Dies werde geschehen, indem England durch eme Antwort auf das deuk iihe Angebot vom 7. Juni, das doch endlich beantwortet wer­den müsse, Verhandlungen mit Deutschland einzuleiten ge­denke, an denen sich, wie Baldwm hofft, alle Verbündeten beteiligen werden, wie er auch wünscht, daß sie auf den Wortlaut der Antwort sich einigen.

Das sind in der Hauptsache die Grundzüge, die in jener warnenden Mitteilung des LondonerObserver" angeführt waren Es fehlt aber in der Erklärung Baldwins jede An­deutung, daß auch die neutralen Mächte zu der Kon- fe, enz zugezogen werden sollten, falls Frankreich und Bel­gien sich dem Schritt Englands nicht anschließen sollten. Auch der Beiziehung Amerikas wird mit. keinem Wort mehr Erwähnung getan; vielleicht weil von drüben nach anfäng­licher Geneigtheit die indessen auch nur eine scheinbare unddiplomatische" gewesen se.n kann, um Frankreich für gewisse amerikanische Wünsche emvsänglicher zu machen zu guter Letzt doch eine Absage kam, nachdem Frankreich dem Flottenabkommen der Form nach beigetreten war. Be­merkenswert ist. daß in der Erklärung der passive Wi­derstand und die sogenannte Sabotage mit Stillschwei­gen übergangen wird, womit natürlich nicht ausgeschlossen wstd, daß die französische Forderung der Kapitulation nicht etwa in der gemeinsamen Antwort eine entscheidende Rolle, zu spielen berufen wäre. Von der Kapitulation Deutschlands, soll ja, nach wiederholten Pariser Erklärungen, das Mittun Frankreichs und Belgiens überhaupt abhängig gemacht wer­den. Die Frage ist also die. ob Baldwin der Zusammen­arbeit mit Frankreich bei den von England einzuleitenden Entschädigungsverhandlungen so großen Wert beimißt, daß er sich der bisher von ihm beharüich abaelehnten Bedingung Pcincarös unterwirft, oder ob er millens >st, unter Wah­rung seines bisherigen Standpunkts, die Frage auch ohne Frankreich der Lösung entgegenzusübren. Aus der Erklärung selbst kann man keinen Anhaltspunkt weder für die eine noch die andere Entscheidung entnehmen. Das Wort Politik müßte den Smn einer bestimmten R chtung für England verlieren, wenn Baldwin sich unterwürfe. Die Absichten des Länder­raubs werden denn doch nachgerade von Frankreich so offen­kundig betrieben, daß England auch nicht den geringsten Vorwand mehr hätte, seine Blöße zu decken, wenn es Poin­care im Ruhrgebiet weiter so schalten und walten ließe oder ihn gar noch in irgend einer Form unterstützte. Bar­men und Elberfeld sind besetzt worden; die Be­setzung wird auch nach anderen Richtungen immer weiter voi geschoben, da und dort stoßen französische und belgische Abteilungen ins unbesetzte Gebiet vor, die Begriffe besetztes und unbesetztes Gebiet beginnen sich zu verwischen. Und zum französischen R e v o i u i i o n s f e st am 14. Juli soll, so verlautet gerüchtweise, von den Landesverrätern Dor­ten. Smeets und Genossen unter dem Beistand der franzü-.